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GYNÄKOLOGIE/571: Entfernung von Eierstöcken und Gebärmutter - Ein viel zu tiefer Einschnitt (welt der frau)


welt der frau 9/13 - Die österreichische Frauenzeitschrift seit 1946

Ein viel zu tiefer Einschnitt

Von Regine Bogensberger



In einem neuen Buch berichten Frauen über ihr massives Leiden nach Entfernung beider Eierstöcke und/oder der Gebärmutter. Sie klagen, dass sie zu wenig aufgeklärt und mit ihren Beschwerden nach der OP zu wenig ernst genommen wurden. Die Reaktionen von ExpertInnen auf die Vorwürfe sind gespalten.


Niemand hatte sie darauf vorbereitet, was danach kommen sollte: Weil sie Myome (gutartige Wucherungen) hatte, wurden E. P.(*) vor eineinhalb Jahren, damals war sie 55 Jahre alt, die Gebärmutter und beide Eierstöcke herausoperiert. Doch 14 Tage nach dem Eingriff kam der "Absturz", wie sich die Landwirtin aus Grafendorf in der Oststeiermark erinnert: "In meinem Kopf waren Tausende Wasserfälle, ich war fast blind, ich habe nicht essen, nicht schlafen können. Ich fühlte mich mehr wie ein Geist denn als Mensch." Bald ahnte sie, warum es ihr so schlecht ging: Ihr Körper reagierte massiv auf den abrupten Abfall weiblicher Sexualhormone. Dabei hatte ihre Frauenärztin noch gesagt, dass sie in ihrem Alter nach Entfernung beider Eierstöcke keine Hormone mehr von außen zuführen müsse.

Ein halbes Jahr dauerte es, bis sie endlich die fehlenden Sexualhormone in ausreichender Menge erhielt und es ihr besser ging. "Vorher wurde ich von Ärzten noch zu einer Psychologin geschickt, Nerventabletten wurden verschrieben, eine Licht- und Gesprächstherapie versucht, bis ich schon selber zu glauben anfing, dass ich verrückt sei," erzählt sie. Heute bereut Pichler, in die Operation mit Entfernung der Eierstöcke eingewilligt zu haben.

Dabei habe es ihre Frauenärztin gut gemeint, als sie ihr zur OP riet, sagt P. "Denn meine Mutter verstarb 50-jährig an Eierstockkrebs." Durch eine "Totaloperation" könnten also ein weiterer Eingriff und Krebs vermieden werden. Heute wirft sie sich dennoch vor, sich nicht schon vorher besser informiert zu haben.

Ein neues Buch hätte ihr dabei geholfen: "Frauenkastration. Leben nach dem Verlust von Gebärmutter und Eierstöcken" von einer Leidensgefährtin, Edith Schuligoi. 35 weitere Betroffene berichten hier über diesen großteils körperlich und seelisch schmerzvollen Einschnitt, vor allem nach Entfernung beider Eierstöcke. Bei den meisten dieser Frauen überwiegt ein Vorwurf an ihre Ärztinnen und Ärzte, sie hätten sie vor dem Eingriff zu wenig über mögliche Folgen und Alternativen aufgeklärt und sie nach der Operation mit ihren Beschwerden zu wenig ernst genommen. Einige von ihnen quält zudem die Frage: War der radikale Schnitt wirklich notwendig?

Es gehe ihr nicht darum, notwendige Eingriffe, etwa bei bösartigen Erkrankungen, zu verhindern, betont die Autorin. Das Buch soll den Wert der weiblichen Organe und mögliche Folgen ihrer Entfernung aufzeigen - auch für ältere Frauen in und nach den Wechseljahren, die nicht selten zu hören bekommen, dass die Eierstöcke und Gebärmutter nun ohnehin keine Funktion mehr hätten und ihre Entnahme dem natürlichen Wechsel gleiche, kritisiert Schuligoi: "Die Entfernung beider Eierstöcke ist aber die Kastration, so furchterregend das klingt."


Weniger Operationen

ExpertInnen sind sich uneinig, ob diese Vorwürfe aus ihrer Sicht zutreffen. Der Hormonspezialist Johannes Huber sowie Doris Linsberger, Frauenärztin in Wien und Krems, begrüßen das Buch. Sie sehen sehr wohl noch Wissensdefizite bei manchen KollegInnen, gestehen aber zu, dass sich schon einiges verbessert habe.

Im Gegensatz dazu meint Heinrich Salzer, Vorstand der gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilung am Wiener Wilhelminenspital: "Vor zehn Jahren war das Thema noch aktuell, heute nicht mehr." Christian Marth, Leiter der Universitätsfrauenklinik Innsbruck und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, pflichtet ihm bei.

Salzer räumt ein, dass es vor Jahrzehnten noch Standard war, einer Frau ab ca. 48 Jahren, bei der die Gebärmutter entfernt wurde - was sehr häufig geschah -, auch die Eierstöcke zu entnehmen, um dem sehr aggressiven Eierstockkarzinom vorzubeugen. Doch von diesem Standard sei man zunehmend abgerückt, so Salzer. Heute würden sich MedizinerInnen selbst bei großen Myomen in der Gebärmutter oder Zysten an den Eierstöcken bemühen, die Organe zu erhalten.

Zahlen belegen den rückläufigen Trend. Nach vorsichtiger Schätzung wurden 1997 rund 6.000 Eierstöcke beidseitig entfernt, 2011 ca. 4.600 (Quelle: Statistik Austria). Warum sie herausoperiert wurden, verrät die Statistik nur sehr begrenzt. Aus einer deutschen Erhebung für die Jahre 2005/2006 zu Entfernungen der Gebärmutter geht hervor, dass bei 23 Prozent aller Hysterektomien auch die Eierstöcke mit entfernt wurden, in zwölf Prozent bei gutartigen Erkrankungen. Umgerechnet auf Österreich wären dies ca. 1.500 Eierstockentfernungen bei gutartigen Indikationen im Jahr gewesen, zum Beispiel als vorbeugende Maßnahme.

Die Forschung kam aber zum Schluss, dass nur im höheren Alter oder bei genetischem Risiko die prophylaktische Entfernung dieser Hormone produzierenden Organe empfohlen werden kann, ansonsten würden die Nachteile überwiegen. Denn die weiblichen Sexualhormone sind wesentlich für viele Körperfunktionen der Frau, erklärt Johannes Huber, ehemaliger Leiter der Abteilung für Endokrinologie an der Universitätsfrauenklinik Wien. Auch nach den Wechseljahren würde der alternde Eierstock noch für einige Jahre Androgene (männliche Hormone) bilden, die der Körper in Östrogen umwandeln könne. Wenn nun Frauen beide Eierstöcke entfernt werden, fallen diese Hormonwerte im Körper - anders als bei den natürlichen Wechseljahren - abrupt ab. Vor allem bei jüngeren Frauen vor den Wechseljahren können dann Symptome wie Hitzewallungen, Kreislaufprobleme, Schlafstörungen oder Verlust der Libido massiv auftreten. Diese Frauen sind auch langfristigen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, etwa an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Demenz, Osteoporose oder Depressionen zu leiden. Aber auch ältere Frauen wie etwa E. P., die noch in den Wechseljahren war, könnten Beschwerden haben, bestätigt Huber. Wie eine Frau auf diesen Mangel reagiere, sei individuell sehr verschieden.


Hormonersatztherapie

Heinrich Salzer betont, dass man all dies ja heute wisse. Daher würden Frauen nur bei erhöhtem Risiko, nach eingehender Aufklärung und auf eigenen Wunsch hin vorbeugend beide Eierstöcke entfernt. In allen anderen Fällen sei der Eingriff lebensnotwendig.

"Wenn in diesen Fällen gut nachbehandelt wird, kann viel Leid vermieden werden", sagt Edith Schuligoi. Doch gerade bei der Aufklärung vor der OP und der Nachbehandlung mit Hormonersatzpräparaten gebe es Mängel. Salzer und Marth können diesen Einwurf schwer nachvollziehen. Huber und Linsberger hingegen schon. Sie nennen vor allem zwei Gründe: Zum einen komme bei der Facharztausbildung für Frauenärzte die Lehre über die Hormone zu kurz. Zum anderen habe die andauernde heftige Diskussion über Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie dazu geführt, dass auch bei jenen Frauen, die tatsächlich einen Hormonmangel haben, wie Frauen ohne Eierstöcke, diese Präparate aus Angst vor Krebs nur zaghaft eingesetzt werden.

Davon abgesehen sei es ohnehin schwer, das für die einzelne Frau geeignete Medikament in der passenden Dosis zu finden, sagt Schuligoi. Und es komme auch nicht selten vor, dass Ärzte Beschwerden der Frauen auf psychische Ursachen zurückführen, beklagt die Autorin. Wobei eine psychologische Nachbetreuung sehr wohl sinnvoll sei, aber erst, wenn die körperlichen Symptome, die aufgrund des Hormonmangels auftreten, behandelt worden seien.

Besonders schwierig ist es für die Frauen, über ihr Intimleben nach der OP zu sprechen, etwa über Lustlosigkeit und Schmerzen beim Sex. Eine weitere Betroffene - B. M. - machte bereits vor dem Eingriff negative Erfahrungen. Bei ihr sollten die Gebärmutter und ein noch verbliebener Eierstock entfernt werden. Beim Aufklärungsgespräch wagte sie nach einigem Zögern den Primar zu fragen, wie es denn danach mit der Sexualität sei. Er meinte darauf nur verwundert: "Der Mann wird nichts merken."


Niemand hat mich vor dem Drama danach gewarnt."
E. Sch.

E. Sch.s Operationsgeschichte beginnt mit 14 Jahren, als ihr wegen einer gutartigen Zyste der erste Eierstock entfernt wird. Im 2003, mit 41 Jahren, lässt sich die verheiratete Grazer Gymnasiallehrerin und Mutter einer Tochter zur Entfernung des zweiten Eierstocks überreden, um Krebs vorzubeugen. Über mögliche Folgen wird sie nicht aufgeklärt. Doch nach der OP wird ihr "bisher glückliches Leben zu einem Drama". Ihr Körper reagiert auf den Hormonentzug vor allem mit massivem Schwindel, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Übelkeit. Immerzu bereut die heute 50-Jährige, zugestimmt zu haben. Ein verordnetes Hormonpräparat verträgt sie nicht, ihr Arzt will Psychopharmaka verschreiben. Bei vielen Arztbesuchen stößt sie auf Unkenntnis und Abwertung. Erst in amerikanischen Selbsthilfegruppen und bei französischen ExpertInnen findet sie medizinische Hilfe und Verständnis für ihre Symptome. Als sie ihrem Körper zusätzlich zu den weiblichen Hormonen Östrogen und Progesteron auch männliche Hormone zuführt, geht es ihr endlich besser. Die seelischen Verletzungen bleiben. Sie gründet eine Selbsthilfegruppe ("femica") und schreibt das besprochene Buch.


"Dann haben sie mich kaputt geschnitten."
B.M.

Es war vor zehn Jahren: B. M. macht Karriere als Softwarespezialistin und hat eben eine neue Liebe kennengelernt, als sie an einer Bauchfellentzündung erkrankt. Nur eine Notoperation rettet ihr Leben. Der operierende Arzt muss einen Eierstock entnehmen, beim zweiten gelingt es ihm, einen Teil zu erhalten. Doch nach der OP bleiben unerklärliche Beschwerden. Die Wienerin, heute 49 Jahre alt, wendet sich erneut an diesen Arzt. Er rät zur Entnahme des verbliebenen Eierstocks und der Gebärmutter, auch um Krebs vorzubeugen. Bei dem Wort "Krebs" muss sie schmerzvoll an ihre Mutter denken, die daran erkrankte und starb. Sie willigt ein. "Bei der ersten Operation haben sie mir das Leben gerettet, bei der zweiten haben sie mich kaputt geschnitten." Die Beschwerden danach lassen sie sogar an Selbstmord denken. Doch Hormonpräparate, die die Beschwerden lindern sollten, verträgt sie schlecht. Ihr Körper ist bis heute sehr geschwächt. Mittlerweile leidet sie an Osteoporose. Auch ihre Ehe scheitert daran, denn Sexualität ist ihr nicht mehr möglich. Nur das Tanzen gibt ihr Kraft. "So habe ich wieder zu meinem Körper gefunden."

(*) Die Namen aller Patientinnen sind der Redaktion bekannt.


BUCHTIP:
Edith Schuligoi:
Frauenkastration.
Leben nach dem Verlust von Gebärmutter und Eierstöcken.
edition riedenburg 2013, 185 Seiten, broschiert, Euro 20,50

*

Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift. Seit 1946.
September 2013, Seite 40-43
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
Redaktion: Welt der Frau Verlags GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2013