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RADIOLOGIE/228: Radiopharmaka - Terbium, ein neues "Schweizer Armeemesser" für die Nuklearmedizin (idw)


Institut Laue-Langevin - 29.01.2013

Terbium - ein neues "Schweizer Armeemesser" für die Nuklearmedizin



In enger Zusammenarbeit haben das Paul-Scherrer-Institut, die ISOLDE-Anlage am CERN und das Institut Laue-Langevin vorklinische Untersuchungen über eine neu entwickelte Gruppe von Radiopharmaka durchgeführt, die gezielt gegen Tumore eingesetzt werden können. Die Ergebnisse, veröffentlicht in The Journal of Nuclear Medicine, bedeuten einen großen Erfolg für diese Arbeitsgruppe aus Nuklearmedizinspezialisten und Radiochemikern. Zudem unterstreichen sie das Potenzial zur Erforschung und Herstellung einer neuen Generation von Radioisotopen mit exzellenten Eigenschaften für die Diagnose und Behandlung von Krebs.

  • Erste in-vivo Studie von vier für den klinischen Einsatz interessanten Terbium-Radioisotopen zeigt ausgezeichnete Tumorvisualisierungen und therapeutische Wirksamkeit. Die Isotope wurden am Paul-Scherrer-Institut, der ISOLDE-Anlage am CERN und am Institut Laue-Langevin hergestellt.
  • Terbium hat vier Isotope mit nuklearen Eigenschaften, die sich für personalisierte Medizin optimal eignen. Die Diagnostik wird hierbei für eine individuelle Optimierung der Therapie genutzt.
  • Frühere Untersuchungen haben gezeigt, wie eines der Isotope (Terbium-161) heute schon für den klinischen Einsatz an Forschungsreaktoren wie dem ILL und FRM2 hergestellt werden kann.
Versuche

In einem neuen Artikel berichteten Wissenschaftler vom PSI, ILL und CERN über die ersten umfassenden vorklinischen Untersuchungen mit diesen neuen Terbium-Radiopharmaka. Die Radioisotope wurden mit einem neu entwickelten Carrier, genannt "cm09" [3], kombiniert und Mäusen mit Tumoren verabreicht. Die bildgebenden Isotope ermöglichten es den Wissenschaftlern, mit zwei üblichen Diagnoseverfahren die Aufnahme durch Krebszellen zu untersuchen: Positronen-Emissionstomografie (PET) und Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT - Single Photon Emission Computed Tomography). Damit wurden die Mäuse vierundzwanzig Stunden nach der Injektion von Terbium-152, Terbium-155 bzw. Terbium-161 vermessen. Terbium-161 und Terbium-149 wurden hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit durch Vergleich des Tumorwachstums und der Überlebensraten bei den behandelten Mäusen mit einer unbehandelten Kontrollgruppe untersucht.

Wesentliche Ergebnisse
  • PET/CT und SPECT/CT-Untersuchungen mit den Diagnoseisotopen Terbium-152 und Terbium-155 sowie dem gammastrahlenden Therapieisotop Terbium-161 ergaben vierundzwanzig Stunden nach der Injektion hervorragende Tumorsichtbarkeit.
  • Beide therapeutischen Isotope bremsten das Tumorwachstum in Mäusen deutlich, bzw. es kam sogar zu einer völligen Rückbildung der Tumore. Insbesondere die Therapie mit Terbium-161 ergab eine völlige Rückbildung der Tumore in 80% der Fälle.

Die Wirksamkeit von Terbium-161 war insbesondere deshalb ermutigend, weil frühere, 2011 veröffentlichte Arbeiten von TUM, PSI und dem ILL zeigten, dass dieses Isotop heute schon in der für klinische Routineanwendungen erforderlichen Menge und Qualität hergestellt werden kann.

Zitate
  • Prof. Cristina Müller (PSI): "In dieser Studie entwickelten wir neue diagnostische und therapeutische Radiopharmaka, indem wir das Vitamin Folsäure als tumorspezifischen Transporter mit vier verschiedenen Terbiumisotopen kombinierten. Diese Radiopharmaka haben einzigartige nukleare Eigenschaften haben für verschiedene Anwendungen in der Nuklearmedizin. Wir erzielten ausgezeichnete Ergebnisse mit tumortragenden Mäusen, was uns hoffnungsvoll macht auf eine erfolgreiche Weiterentwicklung dieser Radiopharmaka für einen klinischen Einsatz bei Krebspatienten."
  • Prof. Roger Schibli (ETHZ/PSI): "Der Erfolg von personalisierter Medizin und von speziellen Therapien beruht auf der genauen und verlässlichen Diagnose und Identifizierung von Patienten, die sehr wahrscheinlich von der Therapie profitieren werden. Nichtinvasive bildgebende Verfahren wie PET und SPECT sowie Radionuklidtherapie mit neuen innovativen Radiotracern erlaubt es Nuklearmedizinern, zu dieser Strategie beitzutragen. Zugang zu neuen, medizinisch relevanten Isotopen mit optimalen Zerfallseigenschaften von Anlagen wie ISOLDE am CERN und dem Institut Laue-Langevin ist unentbehrlich für dieses Bestreben."
  • Dr. Ulli Köster: "Die Entwicklung neuer Radiopharmaka bietet die Chance, in einem frühen Stadium neue Biomoleküle mit Radioisotopen, die optimale Zerfallseigenschaften aufweisen, zu kombinieren. Forschungseinrichtungen wie ISOLDE am CERN und das Institut Laue-Langevin können die Entwicklung vielversprechender neuer Therapien beschleunigen, indem sie Radioisotope, die nicht kommerziell erhältlich sind, in hoher Qualität zur Verfügung stellen."
  • Dr. Karl Johnston, Physiker am ISOLDE-CERN: "ISOLDE ist eine kernphysikalische Anlage am CERN, welche die weltweit größte Auswahl an Radioisotopen bietet. Obwohl die Entwicklung dieser Radioisotope ursprünglich für kernphysikalische Grundlagenforschung gedacht war, können diese Isotope für Untersuchungen in Materialforschung, Biophysik und - zunehmend - Nuklearmedizin verwendet werden. Die Nutzung radioaktiver Isotope in Fachgebieten wie der Medizin ist ein hochinteressantes Thema, von dem auch die Allgemeinheit profitiert."
  • Prof. Helmut Schober, Wissenschaftlicher Direktor des ILL: "Dieser Erfolg zeigt eindrucksvoll, dass große Forschungseinrichtungen wie das CERN und das ILL ihre Experten und spezialisierten Anlagen für eine neue Anwendung einsetzen können: der Produktion von Radiopharmaka, die der Diagnose und Therapie von Krebs dienen. Diese beiden "Schwergewichte" der Europäischen Forschung, beide Mitglieder von EIROforum, sind diesem Ruf gefolgt, zugunsten medizinischer Forschung und für die, die es am nötigsten haben, den Patienten selbst."

Hintergrund

Auf Rezeptoren gerichtete Radiopharmaka [2] bestehen aus einem radioaktiven Isotop, das an einen "Carrier" angelagert ist, der es selektiv zu Tumorzellen transportiert. Sie werden in zweifacher Weise verwendet:

  • Nuklearmedizinische Bildgebung - Ein Radiopharmakon das Positronen oder Gammastrahlen emittiert, wird als Marker in den Blutstrom injiziert. Wenn es am Ziel gebunden ist (z.B. an einem Tumor), ermöglicht die Gammastrahlenemission des Radioisotops bzw. die Positronenannihilation [5] die Diagnose und möglicherweise die Bestimmung der Schwere einer Vielfalt von Krankheiten einschließlich vieler Krebsarten.
  • Gezielte Radionuklidtherapie - zerstört Tumorzellen durch Radioisotope, die Teilchen mit kurzer Reichweite emittieren. Herkömmliche Radioisotope (wie z.B. Jod-131 und Yttrium-90), die in der ersten Generation therapeutischer Radiopharmaka verwendet wurden, haben nicht für alle therapeutischen Anwendungen ideale nukleare Eigenschaften. Daher werden bei neueren Entwicklungen von Radiopharmaka spezielle neue Radioisotope mit günstigeren Zerfallseigenschaften wie zum Beispiel Lutetium-177 verwendet, das sowohl Kollateralschäden an gesundem Gewebe vermindert als auch die Notwendigkeit, Patienten während der Behandlung isolieren zu müssen.

Ideal wäre es, die geeignetsten Radioisotope in einer Frühphase der Medikamentenentwicklung auszuwählen, was eine ganzheitliche Optimierung der Radiopharmaka erlauben würde. Jedoch sind solche innovativen Radioisotope selten kommerziell verfügbar und es mangelt oft an etablierten Herstellungsverfahren.

Kürzlich entwickelten Radiochemiker an der TU München und dem PSI Villingen ein Verfahren zur großtechnischen Herstellung eines solchen Radioisotops der neuen Generation, Terbium-161, mit Proben, die am ILL in Grenoble und am FRM2 in Garching bei München bestrahlt wurden. Sie konnten diese Isotope erfolgreich in der Qualität und Menge liefern, wie sie für klinische Anwendungen benötigt werden.

In dieser neuesten Untersuchung wurde Terbium-161, ergänzt durch drei andere Terbiumisotope, hergestellt durch Kernreaktionen mit Hochenergie- Protonen an der ISOLDE Anlage am CERN, die gemeinsam das Potenzial zur Diagnose und Behandlung von Krebs haben. So genannte Isotopenpaare (desselben chemischen Elements) zur Verfügung zu haben, ist besonders nützlich und eröffnet die Möglichkeit, für eine personalisierte, patientenspezifische Behandlung zur Verbesserung der Effizienz und zur Verminderung von Nebenwirkungen [4b].

Terbium (Tb) ist das einzige Element im Periodensystem, das nicht nur ein Isotopenpaar bietet, sondern vier klinisch interessante Radioisotope mit sich ergänzenden nuklearen Zerfallseigenschaften, die das gesamte Spektrum nuklearmedizinischer Methoden abdecken [5]. Daher kann Terbium als das "Schweizer Armeemesser der Nuklearmedizin" bezeichnet werden, das grundlegende Untersuchungen neuer Radiopharmaka und detaillierte Vergleiche gezielter Therapieoptionen ermöglicht.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1650

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Institut Laue-Langevin, Arno Laxy, 29.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2013