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DIAGNOSTIK/491: Forschung - Mit Gen MACC1 Hochrisikopatienten mit Gallenwegskrebs erkennen (idw)


Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft - 31.08.2015

Mit Gen MACC1 Hochrisikopatienten mit Gallenwegskrebs erkennen - Entscheidungshilfe für Leber OP


Gallenwegskrebs ist selten und wird meist zu spät erkannt. Helfen kann oft nur noch eine große Leberoperation, in seltenen Fällen auch eine Lebertransplantation. Aber welche Patienten profitieren von einer Operation und welche nicht, weil ihr Risiko, dass der Krebs wieder kommt, zu hoch ist? Mit dem Krebsgen MACC1 steht Ärzten jetzt erstmals eine Entscheidungshilfe für die Therapie dieses Tumors zur Verfügung. Das zeigt eine Studie von Andri Lederer und Prof. Ulrike Stein vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC) des Max-Delbrück-Centrums (MDC) und der Charité auf dem Campus Berlin-Buch (Hepatology; 2015;62:841-850)*.

Ist die Aktivität von MACC1 niedrig, haben die Patienten eine gute Therapiechance und eine höhere Lebenserwartung. Ist das Gen hochreguliert, ist das Rückfallrisiko hoch. Das ist das Fazit dieser Studie.

Die Gallenwege sind das Abflusssystem für die von den Leberzellen produzierte Galle. Es gibt Gallengänge innerhalb und außerhalb der Leber. Die Gallengänge des rechten und linken Leberlappens vereinigen sich zum Hauptgallengang, der in den Zwölffingerdarm mündet. Dort wird die Galle für die Fettverdauung benötigt.

Zu den Gallenwegskarzinomen zählen das Klatskin-Karzinom, benannt nach dem amerikanischen Internisten Gerald Klatskin, und das intrahepatische Cholangiokarzinom (engl. Abkürzung: ICC). Diese Karzinome sind zwar selten - in Europa und den USA ist einer unter 100.000 Menschen betroffen - doch zählen sie neben dem Leberzellkarzinom zu den zweithäufigsten Karzinomen der Leber. Da sie meist zu spät erkannt werden, sind sie schwer zu behandeln und die Lebenserwartung der betroffenen Patienten ist stark eingeschränkt: Ungefähr 30 Prozent der Patienten überleben die ersten fünf Jahre nach einer Leberoperation.

Beim Klatskin-Karzinom staut sich die Galle am Zusammenfluss (Hepatikusgabel) der verschiedenen Gallengänge der Leber. Häufig ist das Karzinom bei der Diagnose schon so weit fortgeschritten, dass auch eine radikale Entfernung des Karzinoms unmöglich ist. Letzter Ausweg ist in solchen Fällen eine Lebertransplantation, die derzeit allerdings nur im Rahmen von Studien durchgeführt wird.

Bislang hatten die Ärzte keine Anhaltspunkte dafür, welchen Patienten am ehesten mit einer Lebertransplantation geholfen werden könnte. Erschwert wird diese Entscheidung zusätzlich durch den Organmangel. Andri Lederer, der ein Jahr im Labor von Prof. Stein am MDC arbeitete und auch in der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie der Charité bei Prof. Johann Pratschke tätig ist, betont: "Die Patienten mit einem Klatskin-Karzinom profitieren unter Umständen auch von einer Lebertransplantion und können lange leben, vorausgesetzt sie haben ein geringes Rückfallrisiko."

MACC1 Gen hilft das Risiko zu bestimmen

Mit dem Metastasierungsgen MACC1 können Ärzte dieses Risiko jetzt zum ersten Mal auch für das Klatskin-Karzinom bestimmen. Dieses Gen hatten Prof. Stein, Prof. em. Peter Schlag (MDC und Charité) sowie Prof. Walter Birchmeier (MDC) 2009 in Gewebeproben von Darmkrebspatienten entdeckt. Es fördert nicht nur das Krebswachstum sondern auch die Metastasenbildung, weshalb sie das Gen kurz MACC1 nannten. (Die englische Abkürzung steht für "mit Metastasen verbundener Dickdarmkrebs"). Das Gen ist auch Hauptregulator des sogenannten HGF/Met-Signalwegs. Er steuert Zellwachstum, Zellwanderung und auch die Entstehung von Tochtergeschwülsten (Metastasen). Darüber hinaus spielt das Gen Met in diesem Signalweg eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Klatskin-Karzinoms.

Die Chirurgen Andri Lederer, Prof. Daniel Seehofer, Prof. Johann Pratschke und Prof. Schlag, sowie der Pathologe Prof. Manfred Dietel und die Krebsforscherin Prof. Stein untersuchten Gewebeproben von insgesamt 156 Patienten mit Klatskin- und ICC-Karzinomen, denen zwischen 1998 und 2003 ein Teil der Leber entfernt worden war. Unter ihnen befanden sich 76 Patienten mit Klatskin-Karzinomen. Die Gewebeproben enthielten sowohl Krebsgewebe, als auch karzinomfreies Gewebe. Hinzu kamen Gewebeproben von Patienten mit gutartigen Lebererkrankungen.

Aktivität von MACC1 in Krebsgewebe um das Zehnfache erhöht

Die Untersuchung ergab, dass das Gen MACC1 in dem Karzinomgewebe 10mal höher angeschaltet war als in gesundem Gewebe. Auch in Karzinomen, die sich nach der Operation bei den Patienten wieder gebildet hatten, war MACC1 viel stärker aktiv als in gesundem Gewebe. Die Überlebenszeit der Patienten mit hohen MACC1-Werten betrug im Schnitt etwas weniger als zwei Jahre (613 Tage), bei Patienten mit niedrigen MACC1-Werten hingegen über sechs Jahre (2257 Tage).

Die rückfallfreie Zeit, also die Zeit ohne Wiederauftreten des Karzinoms, betrug bei den Patienten mit hohen MACC1-Werten knapp zwei Jahre (753 Tage), bei Patienten mit niedrigen MACC1-Werten hingegen fast neun Jahre (3119 Tage).

Als Biomarker für das ICC-Karzinom erwies sich MACC1 jedoch als nicht geeignet. Die Forscher vermuten, dass ICC- und Klatskin-Karzinome sich klinisch unterschiedlich verhalten, da sie auch aus unterschiedlichen Gallenwegen innerhalb bzw. außerhalb der Leber stammen.

MACC1 - nicht nur Biomarker, sondern auch Angriffsziel

MACC1 ist darüber hinaus ursächlich für die Entstehung von Tochtergeschwülsten (Fernmetastasen) verantwortlich. Die Kliniker und Forscher sehen deshalb in MACC1 nicht nur einen Indikator für die Schwere einer Erkrankung, sondern auch ein Angriffsziel für eine Therapie. In präklinischen Studien testen Prof. Stein und ihre Kollegen bereits neue Substanzen, die sowohl die Expression als auch die Aktivität des MACC1-Gens hemmen.

Bluttest als Früherkennung

Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Therapie und eine lange Überlebenszeit. Deshalb hat Prof. Stein einen Bluttest zur Krebsfrüherkennung entwickelt, der auf dem MACC1-Gen basiert. Mit dem Bluttest ist es möglich, bereits in einem sehr frühen Stadium einer Krebserkrankung (Darmkrebs, Magenkrebs, Lungenkrebs) die Patienten zu erkennen, die ein hohes Risiko haben, lebensbedrohliche Metastasen zu bekommen. Mittlerweile ist der Test zum Nachweis von MACC1 in Tumoren und in Blut in den USA, Australien, Japan, Kanada und Europa patentiert.

Ziel ist, in Zukunft solche Früherkennungstests mit MACC1 auch für andere Krebserkrankungen, darunter auch das Klatskin-Karzinom zu entwickeln. Denn seit 2009 konnten Prof. Stein und Forscher aus verschiedenen Ländern zeigen, dass zwischen einer erhöhten MACC1-Expression und einer kürzeren Überlebenszeit der Patienten ein Zusammenhang bei vielen Karzinomen besteht. Dazu zählen Leberkrebs, Magenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Lungenkrebs, Eierstockkrebs, Brustkrebs, Nasen-Rachen-Krebs, Speiseröhrenkrebs, Nierenkrebs, Blasenkrebs, Gallenblasenkrebs, Glioblastom und Knochenkrebs.


* MACC1 is an independent prognostic biomarker for survival in Klatskin tumorpatients.
Andri Lederer 1,2; Pia Herrmann 1, Daniel Seehofer 2, Manfred Dietel 3, Johann Pratschke 2, Peter Schlag 4, Ulrike Stein 1,5.

1 Experimental and Clinical Research Center, an institutional cooperation between the Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Berlin, Germany and the Charité - Universitätsmedizin Berlin Germany.
2 Department of General-, Visceral- and Transplant Surgery, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow, Berlin, Germany.
3 Department of Pathology, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Berlin, Germany.
4 Charité Comprehensive Cancer Center, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Berlin, Germany.
5 German Cancer Consortium.

Kontakt:
Barbara Bachtler
Pressestelle
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Robert-Rössle-Straße 10
13125 Berlin
e-mail: presse@mdc-berlin.de
http://www.mdc-berlin.de/de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution672

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft, Barbara Bachtler, 31.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2015

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