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ETHIK/901: Präimplantationsdiagnostik - "Vorsicht Falle" (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 96 - 4. Quartal 2010
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

»Vorsicht Falle«

Von Stefan Rehder


Die PID sei ein »menschenfreundliches medizinisches Verfahren, das schwere Schwangerschaftskonflikte vermeiden hilft und erblich schwer vorbelasteten Eltern das Ja zum Kind erleichtert«, behauptet der CDU-Politiker Peter Hintze. Dass dies pure Bauernfängerei ist, belegt die Auswertung einer aktuellen Studie, für die Wissenschaftler die Daten aufbereitet haben, die ihnen von 57 über den Globus verstreuten Reproduktionszentren, welche die PID anbieten, gemeldet wurden.


Jahre lang warnte Eduard Zimmermann in der beliebten ZDF-Sendung »Vorsicht Falle« die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland vor »Neppern, Schleppern und Bauernfängern«. Doch dass die womöglich selbst im Deutschen Bundestag sitzen und dort sogar auf der Regierungsbank Platz nehmen könnten, das wäre dem 2009 verstorbenen Journalisten, der bei der Befreiung Deutschlands von seinem nationalsozialistischen Terror-Regime gerade einmal 16 Lenze zählte, vermutlich nicht ohne Weiteres in den Sinn gekommen.

Ohnehin standen die verbalen Trickbetrügereien, für die der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschaftminister Peter Hintze (CDU) ein besonderes Talent zu besitzen scheint, nie wirklich im Fokus der Sendung, mit der Zimmermann bekannt wurde. So gesehen fällt es denn auch eher schwer, sich vorzustellen, der Journalist könnte die Behauptung Hintzes, die Präimplantationsdiagnostik (PID) sei ein »menschenfreundliches medizinisches Verfahren, das schwere Schwangerschaftskonflikte vermeiden hilft und erblich schwer vorbelasteten Eltern das Ja zum Kind erleichtert« zum Ausgangspunkt einer Recherche gemacht haben, die ein wenig mehr Licht auf eine der vielen Schattenseiten der Reproduktionsmedizin wirft. Andererseits hätte Zimmermann aber vielleicht durchaus Gefallen an dem Thema gefunden, wenn man ihm erklärt hätte, dass die Durchführung einer PID diejenigen, die sich dazu bereitfinden, eine solche in Auftrag zu geben, in Deutschland um bis zu 10.000 Euro ärmer machen kann. Und wenn ihm dann noch jemand gesteckt hätte, dass das Zahlenmaterial, welches Hintzes Bauernfängerei zu belegen vermag, von niemand anderem als von den Reproduktionsmedizinern selbst stammt, dann hätte »Vorsicht Falle« die Bürgerinnen und Bürger vielleicht tatsächlich sogar vor einem Mitglied der Bundesregierung gewarnt.

Zumindest gäbe es dafür gute Gründe, wie die Auswertung der Daten zeigt, welche die Europäische Gesellschaft für Humanreproduktion und Embryologie (ESHRE) im November 2010 in der Zeitschrift »Human Reproduction« veröffentlicht hat (ESHRE PGD consortium data collection X: cycles from January to December 2007 with pregnancy follow-up to October 2008. In: Human Reproduction, Vol. 25, 2010, No. 11, S. 2685-2707). Die Studie liefert eine Übersicht der jüngsten Daten, die 57 der über den ganzen Globus verteilten reproduktionsmedizinischen Zentren, welche die PID anbieten, an die ESHRE gemeldet haben.

40.713 Zeugungen für 1.206 Kinder

Danach wurden dort allen Frauen, die sich in den 57 Zentren von Januar bis Dezember 2007 einer künstlichen Befruchtung unterzogen, insgesamt 68.568 Eizellen entnommen. 56.325 von ihnen wurden besamt. In 40.713 Fällen führte dies zur erfolgreichen Labor-Zeugung eines menschlichen Embryos. 31.867 von ihnen wurden einer Biopsie unterzogen. »Erfolgreich« überlebten diese lediglich 31.520. Von ihnen wiederum wurden 28.998 einer PID unterzogen. Lediglich 10.084 galten anschließend als »transferierbar«.

Tatsächlich transferiert in die Gebärmutter einer Frau wurden jedoch nur 7.183. Weitere 1.386 wurden »auf Eis gelegt« und in flüssigem Stickstoff eingefroren. Über das, was mit den verbleibenden 1.515 Embryonen geschah, schweigt sich die Studie aus. Im Grunde gibt es jedoch nur ein Schicksal, das diese Embryonen ereilt haben könnte. Da sich nämlich erst beim Auftauen der Embryonen herausstellt, ob diese das Einfrieren überlebt haben, muss davon ausgegangen werden, dass die 1.515 Embryonen von ihren Eltern gleich als »überzählig« eingestuft und - wie dies etwa in den USA und Großbritannien möglich ist - deshalb der Forschung zugunsten der Produktion embryonaler Stammzellen »gewidmet« wurden. Wie auch immer: Von den 7.183 tatsächlich transferierten Embryonen kam es lediglich in 1.609 Fällen auch zu einer klinisch nachweisbaren Schwangerschaft. Diese mündete wiederum lediglich in 977 Fällen auch in Geburten, bei denen die Mütter insgesamt 1.206 Kinder zur Welt brachten.

Wurden 2007 der Forschung gewidmet: 1.515 Embryonen

Dabei mag es auf den ersten Blick reichlich paradox erscheinen, dass die der ESHRE gemeldeten Daten einerseits die massenhafte Selektion von Embryonen im Reagenzglas belegen und andererseits zugleich ein erstaunliches Maß an Zwillings- und Drillingsgeburten aufweisen. Verständlich wird dies erst, wenn man weiß, dass die Chance, dass eine Frau nach künstlicher Befruchtung, sofern sie überhaupt schwanger wird - die so genannte »baby-take-home-Rate beträgt bei sämtlichen Verfahren der künstlichen Befruchtung maximal 20 Prozent -, dann gleich »Mehrlinge« bekommt, rund 20 Mal so hoch ist wie bei einer natürlichen Zeugung. Grund hierfür ist die unnatürlich hohe und gesundheitlich belastende Gabe von Hormonen, die den Frauen im Vorfeld einer künstlichen Befruchtung verabreicht werden, damit sie statt der von der Natur vorgesehenen einen mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung bringt.

Doch selbst das hier und da mehrfache Mutterglück vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die PID in Wirklichkeit alles andere als ein »menschenfreundliches medizinisches Verfahren« ist, »das schwere Schwangerschaftskonflikte vermeiden hilft und erblich schwer vorbelasteten Eltern das Ja zum Kind erleichtert«, wie Hintze wirbt. Zumal in der Praxis Mehrlinge von Ärzten und Eltern nicht selten als »medizinische Fehlleistungen« der assistierten Reproduktion betrachtet werden, die daher dann auch durch »fetale Reduktionen« wieder »korrigiert« werden. Als Mittel der Wahl gilt den Ärzten dazu der so genannte Fetozid. Bei ihm durchsticht der Arzt mit einer langen Nadel die Bauchdecke der Schwangeren, sucht unter Ultraschallansicht das etwa kirschkerngroße Herz des Kindes, sticht zu und spritzt eine Kalium-Chlorid-Lösung hinein, die jede koordinierte Kontraktion des Herzmuskels unmöglich macht. Nach ein bis zwei Minuten stirbt das Kind im Mutterleib an »Herzversagen«.

Die Baby-take-home-Rate beträgt nie mehr als 20 Prozent.

Dass sich die ESHRE-Studie über Fetozide völlig ausschweigt, bedeutet nicht, dass sie überhaupt keinen Aufschluss darüber gibt, inwieweit die PID »schwere Schwangerschaftskonflikte« zu vermeiden hilft. Dies gilt selbst dann, wenn man einmal außer Acht ließe, dass es sich bei der befruchteten Eizelle - anders als Hintze meint - bereits um einen Menschen im Frühstadium seiner Entwicklung handelt. Denn bei mehr als einem Viertel der Kinder (27,4 Prozent) wurden die Ergebnisse der PID noch einmal durch Methoden der Pränatalen Diagnostik überprüft. Es ist also ein Irrtum anzunehmen, die PID erspare Frauen regelmäßig eine Pränatale Diagnostik.

Damit nicht genug: Geht man nun noch - etwa weil selbst ein Bauernfänger wie Hintze keine überzeugende Erklärung dafür anzubieten weiß, wie der menschliche Embryo vom »Nicht-Menschen« zum Menschen mutiert - davon aus, dass sich der Mensch nicht »zum« Menschen, sondern, wie die Embryologie längst überwiegend lehrt, »als« Mensch entwickelt, dann kann auch mit Bezug auf den Embryo von einem »menschenfreundlichen medizinischen Verfahren« keine Rede sein. Denn den 1.609 geborenen Kindern, die sich einer Laborzeugung in einem der über den Globus verstreuten 57 PID-Zentren verdanken, müssen dann 39.014 Embryonen beiseite gestellt werden, die einzig und allein zu diesem Zweck gezeugt wurden, aber niemals das Licht der Welt erblicken werden.

Bei 27,4 Prozent folgt auf die PID noch eine PND.

Das von Befürwortern der PID an dieser Stelle gerne zur Rechtfertigung angeführte »Argument«, die »Natur selektiere schließlich auch« - gemeint ist, dass sich auch bei einem Verzicht auf Kontrazeptiva und spätere Abtreibung nicht jeder natürlich gezeugte Embryo erfolgreich in eine Gebärmutter einnistet und dort bis zur Geburt verbleibt - sticht nicht. Denn wer ernsthaft meint, so argumentieren zu können, der begeht tatsächlich den klassischen naturalistischen Fehlschluss und müsste auch behaupten, aus der Tatsache, dass der Wind bisweilen Ziegel vom Dache fege, die Menschen hier und da tödlich treffen, folge, dass es auch dem Menschen erlaubt sein müsse, Ziegel vom Dach zu werfen, ohne sich für etwaige Kollateralschäden verantworten zu müssen.


INFO

ESHRE
Die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) wurde 1985 von dem britischen Pionier der künstlichen Befruchtung Robert Edwards und seinem französischen Kollegen Jean Cohen in London gegründet. Sitz der europäischen Fachgesellschaft, die sich sämtlichen Teilgebieten der Reproduktionsmedizin widmet, ist heute das belgische Grimbergen. Als Organ dient der ESHRE unter anderen die von ihr herausgegebene Zeitschrift »Human Reproduction«. In der in Oxford editierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift werten Wissenschaftler seit zehn Jahren die Daten aus, die ihnen eine ständig zunehmende Zahl reproduktionsmedizinischer Zentren meldet, die auch die Präimplantationsdiagnostik (PID) anbieten. Die in diesem Beitrag angeführten Daten entstammen alle der jüngsten Auswertung. Die Studie trägt den Titel »ESHRE PGD consortium data collection X: cycles from January to December 2007 with pregnancy follow-up to October 2008« und ist auf der Webseite der Zeitschrift
(http://humrep.oxfordjournals.org) für jeden einsehbar.


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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Peter Hintze, CDU


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 96, 4. Quartal 2010, S. 8 - 9
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
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E-Mail: info@alfa-ev.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2011