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ETHIK/1115: Stellungnahme - Konsequenzen der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms (idw)


Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg - 12. Juni 2013

Stellungnahme: Ethische und rechtliche Konsequenzen der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms

Wissenschaftler verschiedener Disziplinen erarbeiten Vorschläge zur Balance von Patientenwohl und Forschungsfreiheit



Die Einführung der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms in die klinische Praxis wirft zentrale ethische und rechtliche Fragen auf. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen haben dazu in einem Projekt am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg konkrete und praxisnahe Lösungen entwickelt, zu denen ein Kodex für Forscher und Mustertexte zur Patienteninformation und zur Patienteneinwilligung gehören. Die Stellungnahme der Experten ist in zweijähriger Arbeit im Rahmen des Projekts "Ethische und rechtliche Aspekte der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms" (EURAT) an der Ruperto Carola entstanden und wurde heute (12. Juni 2013) in Heidelberg der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Analyse des menschlichen Erbguts in der medizinischen Diagnostik schreitet immer weiter voran und steht vor der Einführung in die klinische Routine. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, dass Behandlung und Vorbeugung schwerer Erkrankungen auf genetische Merkmale der Patienten abgestimmt werden können. So konnten unter anderem für einige Krebserkrankungen bereits individuell zugeschnittene Therapien entwickelt werden. In Heidelberg soll die Ganzgenomsequenzierung Patienten des Universitätsklinikums in Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) angeboten werden. Dabei stellt sich die Frage, wie Ärzte, Wissenschaftler und Patienten mit der Verantwortung, die sich aus diesem Erkenntnisgewinn ergibt, umgehen sollen. Viele ethische und rechtliche Fragen sind noch ungeklärt. Der Deutsche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben grundsätzlich Stellung bezogen, aber weitere Klärung gefordert.

Für die jetzt vorgelegte Stellungnahme haben die Wissenschaftler im Projekt EURAT den Ansatz gewählt, nicht nur einzelne Fragen, sondern alle zentralen Aspekte der Ganzgenomsequenzierung in den Bereichen Ethik, Recht, Forschung, Medizin und Wirtschaft zu behandeln. Neben Forscher-Kodex und Patientenaufklärungen gehören dazu beispielsweise auch der Umgang mit Zusatzbefunden, Orientierungspunkte für den Datenschutz oder die ökonomische Dimension beim Einsatz der Sequenzierungstechnologien. Die Formulierung von Grundsätzen und die daraus entwickelten Lösungsvorschläge bilden die "Eckpunkte für eine Heidelberger Praxis der Ganzgenomsequenzierung", die in der Stellungnahme niedergelegt sind.

Nach den dort verankerten Grundsätzen ist es ethisch geboten, die Fortschritte in der Genomforschung für die Verbesserung von Diagnosen und Therapien zu nutzen. Für die Forscher entstehen dabei jedoch neue Formen der Verantwortung im Umgang mit ihrem Wissen über Patienten und deren Familien. Der im Rahmen der Stellungnahme entwickelte Kodex für nicht-ärztliche Wissenschaftler, die an der Totalsequenzierung insbesondere von Patienten-Genomen beteiligt sind, formuliert in Anlehnung an das Standesethos der Ärzte einen Kanon von Handlungsregeln. Als Selbstverpflichtung kann er den Forschern gegenüber eine schützende Wirkung entfalten. Gleichzeitig legt die Stellungnahme fest, dass dem Patienten in der schriftlichen Aufklärung verschiedene Möglichkeiten der Rückmeldung von Befunden und Ergebnissen vorgeschlagen werden. Er erhält damit die Möglichkeit, seine Präferenzen differenziert zu äußern. Mit der Komplexität der Konsequenzen, die eine Ganzgenomsequenzierung für den Patienten nach sich ziehen kann, stößt das klassische Modell der informierten Einwilligung mit einem einmaligen Akt der Zustimmung an seine Grenzen. Gefordert sind daher die Gestaltung von Kommunikationsprozessen und die Umsetzung gestufter Verfahren der Patienteneinwilligung, wie die Experten in ihrer Stellungnahme deutlich machen.

Die Mitglieder der EURAT-Projektgruppe am Marsilius-Kolleg der Ruperto Carola sind Wissenschaftler der Universität Heidelberg und des Universitätsklinikums Heidelberg, des DKFZ, des EMBL und des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie der Universität Hannover. Sie bringen Expertise in den Bereichen Humangenetik, Onkologie, Pathologie, Molekularbiologie, Bioinformatik, Ethik, Recht und Gesundheitsökonomie ein.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Marietta Fuhrmann-Koch, 12.06.2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2013