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ETHIK/1235: Zum Methodenbewertungsverfahren des sogenannten "PraenaTests" (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 119 - 3. Quartal 2016
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

MEDIZIN
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Von Stefan Rehder


Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen steht wegen Einleitung eines Methodenbewertungsverfahrens des sogenannten "PraenaTests" in der Kritik. Zu Unrecht, wie der folgende Beitrag zeigt. Warum sowohl die Kritik als auch ihre Entgegnung trotzdem hilfreich sind und Lebensrechtler hoffen lassen sollten.


Politiker, Bioethiker und Kirchenvertreter äußern Kritik am Vorgehen des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (G-BA). Der Grund: Der G-BA hatte auf seiner Sitzung am 18. August in Berlin die Einleitung eines Methodenbewertungsverfahrens für nicht-invasive Pränataldiagnostik (NIPT) zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 bei sogenannten Risikoschwangerschaften beschlossen. Am Ende des Methodenbewertungsverfahrens, das sich über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren erstrecken kann, stünde - so die Befürchtung - die Aufnahme der Methode in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Mit anderen Worten: Der von Lebensrechtlern heftig kritisierte "PraenaTest", der bereits seit rund zwei Jahren als "individuelle Gesundheitsleistung" (IGeL) angeboten wird, könnte zu einer Regelleistung für Risikoschwangere werden, die von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird. Mehr noch: "Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik ist zu erwarten, dass der Test letztlich als Regelleistung für alle Schwangeren etabliert wird", heißt es in einem Schreiben der Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe (CDU), Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen), Dagmar Schmidt (SPD) und Kathrin Vogler (Linke) an den G-BA, der "LebensForum" vorliegt.

Wie die fünf Parlamentarier weiter schreiben, diene der Bluttest "ausschließlich dazu, nach einer Trisomie zu suchen". Auch habe er "keinerlei medizinischen Nutzen, wie beispielsweise die bessere Versorgung von Mutter oder Kind". Trisomien erschienen dadurch als "ein weiteres von vielen vermeidbaren 'Risiken'". "Bereits heute entscheidet sich die überwiegende Zahl der Schwangeren bei einem positiven Testergebnis für den Abbruch der Schwangerschaft." Sorgen macht den Abgeordneten auch, dass die "Möglichkeit, sehr früh und 'risikoarm' zu testen", eine "gesellschaftliche Erwartung" erzeuge könne, "diese Angebote nutzen zu müssen". Damit erhöhe sich "möglicherweise auch der Druck und die individuelle Verantwortung, ein 'perfektes Kind' zu gebären. Eltern, die sich dann gegen den Test oder wissentlich für ein behindertes Kind entscheiden, könnten immer mehr in Erklärungsnöte geraten."

Kritisiert wird ferner, dass das Methodenbewertungsverfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V (Anm. d. Redaktion: Sozialgesetzbuch 5) lediglich vorsehe, den "diagnostischen und therapeutischen Nutzen der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit" zu prüfen. Der Brief schließt mit der Bitte, "im weiteren Verfahren und bei allen Entscheidungen, insbesondere bei der Bewertung des 'Nutzens' eines solchen Tests, die ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu berücksichtigen". Nach Ansicht der Abgeordneten solle dies "im Rahmen einer ernsthaften, intensiven und öffentlichen Debatte geschehen, bei der insbesondere auch Verbände und Selbstorganisationen von Menschen mit Behinderungen einbezogen werden".

Schriftlich an den G-BA wandte sich auch der Vorsitzende der "Unterkommission Bioethik" der Deutschen Bischofskonferenz, der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst. "Alle empirischen Forschungen" zeigten, "dass der Praenatest in der Praxis als reines Selektionsinstrument wirkt, das einen Abtreibungsautomatismus in Gang setzt. Statistiken der Behindertenverbände legen offen, dass bereits jetzt rund 90 Prozent der Trisomie-Verdachtsfälle zum Tod des Embryos führen. Wenn man die bisherige Praxis der ärztlichen Beratung und den gesellschaftlichen Druck auf Eltern behinderter Kinder hinzunimmt, ist zu befürchten, dass die Aufnahme des Bluttests in die verbindlichen Leistungen gesetzlicher Krankenkassen die Abtreibung von menschlichen Embryonen mit abweichendem genetischem Befund in rasanter Weise befördern wird", so Fürst, der von 2001 bis 2005 selbst Mitglied des "Nationalen Ethikrats" war, Vorgänger jenes Gremiums, das heute Bundesregierung und Parlament in bioethischen Fragen berät.

"Die Selektion menschlichen Lebens nach genetischen Kriterien" verstoße, so Fürst, "gegen die unbedingte Pflicht, die Würde des Menschen zu achten". Auch und gerade Menschen mit einer erwarteten Behinderung oder Krankheit komme diese Würde und somit ein Recht auf Leben zu. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden sich in der Bevölkerung jedoch "weitere Verschiebungen in der Einstellung zum Lebensrecht Behinderter" ergeben, "wenn ein risikoarmer Test zur Feststellung der Trisomie 21 zur Routineuntersuchung einer Schwangeren wird". "Insofern der Bluttest einer solchen Selektionsmentalität und Diskriminierung Behinderter Vorschub leistet, steht er in einem bizarren Widerspruch zu den vom Gesetzgeber und der Politik ansonsten zu Recht betonten gesellschaftlichen Zielen der Solidarität und Inklusion. Er wäre als eine schädliche Praxis im Sinne von Artikel 8 der UN-Behindertenkonvention anzusehen, zu deren Verhinderung der Staat verpflichtet ist", so der Bischof weiter.

Kritik an der Einleitung des Bewertungsverfahrens kam auch von Vereinen und Verbänden. Eine Woche vor der Sitzung des G-BA kritisierten eine ganze Reihe von ihnen in einem "Offenen Brief" an den G-BA, dass der Antrag auf Einleitung des Verfahrens "- wie bereits bei der geplanten Erprobung von NIPT - ohne Kommunikation mit Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit gestellt" und auf die Tagesordnung gesetzt worden sei. Zu den Unterzeichnern des Schreibens gehören unter anderen das "Gen-ethische Netzwerk" mit Sitz in Berlin, der Essener Verein "Bioskop", das "Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik" und die "Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft" in Münster.

"Bis zum 29. Juli dieses Jahres, dem Datum der Veröffentlichung der Tagesordnung für die Sitzung", habe die Öffentlichkeit davon ausgehen müssen, "dass der G-BA an einer Erprobungs-Richtlinie arbeitet, die den Rahmen (Zeitraum, Studienpopulation, Indikationen etc.) für eine probeweise Übernahme der Bluttests in die Regelversorgung festlegt." Die Ankündigung dieses "nun offensichtlich ad acta gelegten Vorhabens im April 2014" habe "nicht nur bei Behindertenrechtsaktivist*innen und anderen zivilgesellschaftlich engagierten Gruppen und Organisationen Kritik und Widerspruch hervorgerufen, sondern auch zu fraktionsübergreifenden Initiativen im Deutschen Bundestag geführt".

Am 20. März 2015, einen Tag vor dem Welt-Down-Syndrom-Tag, hatten 150 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen dies zum Anlass genommen, an die Bundesregierung eine sogenannte "Kleine Anfrage" (Bundestagsdrucksache 18/4574) zu stellen. Unter dem Titel "Vorgeburtliche Blutuntersuchung zur Feststellung des Down-Syndroms" wollten die Parlamentarier darin von der Bundesregierung unter anderem wissen, wie sich die "Zahl der mit Trisomie 21 lebend geborenen Kinder in Deutschland" während der letzten 15 Jahre entwickelt hat, und "das Augenmerk auf eine möglicherweise verhängnisvolle Entwicklung in der Pränataldiagnostik" lenken. Initiiert wurde die "Kleine Anfrage" von denselben fünf Abgeordneten, die sich auch brieflich an den G-BA wandten.

Der war um eine Antwort nicht verlegen. Mit Datum vom 19. August schrieben der Vorsitzende des G-BA, Professor Josef Hecken, und neun weitere Mitglieder: "Wir sind sehr dankbar dafür, dass Sie (...) nunmehr in einem weiteren Schritt entschlossen zu sein scheinen, eine parlamentarische Diskussion und Willensbildung zu der Fragestellung herbeizuführen, ob und wie weit molekulargenetische Testverfahren in der Schwangerschaft zur Anwendung gelangen können."Die Fragestellung gehe zudem "weit über den konkret im Gemeinsamen Bundesausschuss zur Beratung vorliegenden Sachverhalt im Einzelfall hinaus". Denn es sei damit zu rechnen, "dass schon in absehbarer Zeit weitere molekulargenetische Testverfahren zur Verfügung stehen, die über die Trisomie hinausgehen und die ebenso wie die Entscheidung über das jetzige Verfahren fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung berühren, die der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen seiner ihm in den gesetzlichen Vorschriften über die Durchführung von Methodenbewertungsverfahren gegebenen, eher wissenschaftlich-technischen Prüfkompetenzen weder allein beantworten kann noch allein beantworten darf". "Gerade weil fundamentale ethische Grundfragen unserer Gesellschaft berührt sind, ist nach unserer gemeinsamen Überzeugung auch der Parlamentsgesetzgeber gefordert, hier Grenzen und Bedingungen zu definieren."

Mit anderen Worten: Der G-BA nimmt die Kritik der Abgeordneten auf und schickt sie - höflich, aber zugleich unmissverständlich - zurück an den Absender. Frei nach dem Motto: Im Grunde führen wir doch nur die von euch erlassenen Gesetze aus. Was auf den ersten Blick aussehen mag, als wolle der G-BA hier bloß den ihm zugeschobenen Schwarzen Peter wieder loswerden, ist in Wirklichkeit ein Lehrstück, wie gelungene Kommunikation von Einrichtungen und Institutionen mit den, den Souverän repräsentierenden, gewählten Volksvertretern auszuschauen vermag.

Mit der Einleitung des "regulären Methodenbewertungsverfahrens wollten und wollen wir gerade auch einen Zeitraum für eine breite gesellschaftliche und vor allem parlamentarische Debatte über pränataldiagnostische Testverfahren schaffen", heißt es in dem Antwortschreiben des G-BA. Für die Dauer des Verfahrens, das bis zu drei Jahren dauern könne, verbleibe es beim Status quo, "das heißt, der in Rede stehende Test wird im ambulanten Bereich nicht zur Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung". Deshalb sei auch der Eindruck unzutreffend, das eingeleitete Methodenbewertungsverfahren sei gravierender als die Beschlussfassung über eine Erprobungsrichtlinie nach § 137e SGB V. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. "Im Rahmen einer Erprobungsrichtlinie wäre der Test in der Erprobungsphase für die eingeschlossenen Personengruppen im ambulanten Bereich zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen finanziert worden." "Bereits mit der Einleitung des Erprobungsverfahrens, die nicht aufgrund einer Veranlassung aus dem Gemeinsamen Bundesausschuss, sondern auf Initiative des Herstellers im Rahmen des ihm vom Gesetzgeber in § 137e SGB V eingeräumten Antragsrechts erfolgte", sei man sich bewusst gewesen, "dass dieses Verfahren neben den standardmäßig zu prüfenden medizinischen Gesichtspunkten in fundamentaler Weise ethische Fragestellungen berührt, die nie aus dem Blick geraten dürfen. Gerade um diese Perspektive zu stärken, bietet das regulär dreijährige Methodenbewertungsverfahren Raum, neben den üblichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften auch andere hier bedeutsame gesellschaftliche Organisationen wie beispielsweise den Deutschen Ethikrat einzubeziehen."

Und weiter: "Neben diesen uns möglichen Schritten (...) würden wir uns auch eine parlamentarische Diskussion wünschen, denn die zu treffende Entscheidung ist eingebettet in eine Reihe anderer Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen und gegebenenfalls einer Korrektur durch den Gesetzgeber bedürfen." Dabei hebt der G-BA unter anderem den Leistungsanspruch auf eine Fruchtwasseruntersuchung bei Risikoschwangerschaften sowie die sogenannte Kind-als-Schaden-Rechtsprechung hervor.

Damit sollte sich arbeiten lassen können. Die Kritiker des G-BA täten nach diesen Erklärungen gut daran, ihre vorhandenen Expertisen zu bündeln und eine Gesetzesinitiative vorzubereiten, die Tests, die keine therapeutische Funktion besitzen, die gesetzliche Grundlage entziehen und eine Kind-als-Schaden-Rechtsprechung verunmöglichen. Dafür im Bundestag eine Mehrheit zu organisieren, mag alles andere als einfach sein - unmöglich ist es aber nicht.

Wer das bestreitet, dem sei ein Gedankenexperiment empfohlen: Angenommen, Forscher fanden heraus, Homosexualität ließe sich vererben, genetisch lokalisieren und mittels eines Bluttests mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vorhersagen; wäre es dann vorstellbar, dass in Deutschland darüber diskutiert würde, ob die Entwicklung eines solchen Tests mit Steuergeldern (wie dies beim "PraenaTest" der Fall war) gefördert werden könne? Könnte jemand, der hier die "Freiheit der Wissenschaft" in Anschlag brächte, mit etwas Anderem rechnen, als vom Hof gejagt zu werden? Wäre es denkbar, dass mehr als 200 Praxen Tests anböten, mit denen Paare nach einem "Homo-Gen" bei ihrem ungeborenen Kind fahnden könnten? Würde es für irgendjemand eine Rolle spielen, dass dieser Test für die Schwangere risikoloser wäre als alternative Methoden? Könnte jemand mit Verständnis rechnen, der argumentierte, die Erziehung eines homosexuell veranlagten Kindes sei nicht allen Eltern zumutbar? Nichts dergleichen wäre vorstellbar. Jedem wäre klar, dass ein solcher Test eine tödliche Diskriminierung ermöglichte, die nicht geduldet werden kann. Warum sollte das beim Down-Syndrom anders sein?

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 119, 3. Quartal 2016, S. 18 - 20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2017

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