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FORSCHUNG/2514: Suche nach dem Ursprung - Signalübertragung in Zellen (Campus - Uni des Saarlandes)



Campus - Universität des Saarlandes, Nr. 3, August 2011

Auf der Suche nach dem Ursprung

Wissenschaftler der Saar-Uni fahnden im Sonderforschungsbereich 894 nach den Mechanismen der Signalübertragung in Zellen

von Thorsten Mohr

Über die Nadel im Heuhaufen würden Jens Rettig und seine Kollegen nur müde lächeln. Müssten seine 21 Kolleginnen und Kollegen und er nur die finden, es wäre ein Kinderspiel für die Wissenschaftler, die im Sonderforschungsbereich (SFB) 894 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zusammenarbeiten. Denn was sie suchen, ist ungleich komplizierter zu entdecken. »Vorgänge im Körper gehen immer auf ein Signal in einer einzigen Zelle zurück«, erklärt Rettig, Physiologie-Professor an der Saar-Uni und Sprecher des SFB, der auf dem Bild an einem Elektrophysiologie-Messplatz zu sehen ist. Wenn es also irgendwo juckt und zuckt und fiept, ist in irgendeiner Zelle des Körpers der Befehl »jucke«, »zucke« oder »fiepe« gegeben worden. Und das passiert in der Regel mit Kalzium-Ionen. »Kalzium-Signale sind extrem wichtig für nahezu jede Körperfunktion«, sagt der Physiologe.

Rettig und seine Kollegen - allesamt Wissenschaftler der Saar-Uni - fahnden seit Anfang des Jahres im SFB »Ca2+-Signale: Molekulare Mechanismen und Integrative Funktionen" nach den geladenen Kalziumteilchen, deren Strom eine Reaktion im Körper auslöst. Finden die Forscher heraus, woher diese Signale kommen und wie sie ausgelöst werden, könnten so die Grundlagen für neue Therapien gegen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson gelegt werden. Rund zwölf Millionen Euro Förderung fließen zunächst für vier Jahre in den derzeit einzigen SFB der Saar-Uni. Jens Rettig sieht das Projekt aber deutlich längerfristig angelegt, nicht zuletzt, weil die »dokumentierbare Performance fantastisch« sei, wie er sagt. Das heißt, dass beispielsweise die Zahl und die Qualität der Publikationen in wissenschaftlichen Fachmagazinen wie zum Beispiel Nature schon nach einem halben Jahr bemerkenswert hoch sind. 14 Artikel sind in dieser kurzen Zeit bereits erschienen.

Dass Jens Rettig so optimistisch ist, liegt neben der messbaren »Performance« auch an den speziellen Homburger Bedingungen, die in der Welt der Biowissenschaften offenbar einmalig sind. »Viele Kollegen aus aller Welt sind sehr neidisch auf uns. Sie sagen: 'Ihr seid so eine homogene Truppe in Homburg'«, erklärt der SFB-Sprecher die Besonderheit. Geld spielt dabei nicht die allerwichtigste Rolle. Es gibt Unis und Institute, die finanziell deutlich mehr leisten können als die Saar-Uni. Das ist kein Geheimnis. Aber es ist der Teamgeist, der Wissenschaftler wie Jens Rettig und seine Kollegen dazu bewegt, an der Uni des Saarlandes zu forschen und nicht an der TU München oder an der Berliner Charité. »Das geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen«, sagt Rettig. Und dieser Wille zur Zusammenarbeit sei in Homburg deutlich stärker als an vielen anderen Universitäten.

Die Wissenschaftler des SFB arbeiten unter anderem eng mit dem Graduiertenkolleg 1326 »Kalziumsignale und zelluläre Nanodomänen« von Professor Dieter Bruns zusammen. »Hier haben wir eine ähnliche Thematik, und viele Projektleiter aus dem SFB unterrichten dort auch junge Wissenschaftler. Durch diese Zusammenarbeit können wir eine sehr gute und strukturierte Doktorandenausbildung anbieten«, erklärt Physiologe Rettig. Im SFB selbst forschen neben Physiologen auch Biologen, Mediziner, Biochemiker, Pharmakologen, Biophysiker und Anatomen in insgesamt 19 Projekten.

Sie nehmen dabei verschiedene Funktionen des Körpers unter die (Nano-)Lupe. Auf dem Gebiet der Immunologie suchen sie nach Antworten auf die Frage, wie Zellen des Immunsystems Kalziumsignale generieren und einsetzen, um den Körper vor Krankheiten zu schützen. »Das ist interessant vor dem Hintergrund, dass sogenannte Autoimmunkrankheiten, also Leiden, bei denen das Immunsystem körpereigene Zellen vernichtet, rasant zunehmen«, sagt Jens Rettig.

Zu sehen ist ein Versuchsaufbau mit einer riesigen Nano-Lupe. - Foto: © Oliver Dietze

Versuchsaufbau mit Nano-Lupe
Foto: © Oliver Dietze

Weitere Schwerpunkte des SFB liegen auf der Erforschung des sensorischen Systems, also beispielsweise des Sehsinns und des Geruchssinns, sowie auf den Nervenzellen im Gehirn selbst. »Die Übertragung von Signalen zwischen Nervenzellen ist die Basis für die Plastizität, also die Veränderlichkeit, des Gehirns. So können wir verstehen, wie Lernen funktioniert, aber auch zum Beispiel, wie Demenz funktioniert«, so Rettig.

Nach einem halben Jahr sind die Wissenschaftler bei ihrer Suche nach dem Ursprung der Kalzium-Signale verständlicherweise noch ganz am Anfang. »Je weiter man vordringt, desto mehr neue Fragestellungen entstehen allerdings«, erklärt Jens Rettig das Los eines Wissenschaftlers. Das ist jedoch auch die Voraussetzung für den Spaß bei der Arbeit und den Forscherdrang. Aus einem Heuhaufen werden so ganz schnell ganz viele Heuhaufen. Eine einzige Nadel in einem einzigen Heuhaufen hätten die Wissenschaftler dagegen bestimmt schon gefunden. Aber dann wäre der Spaß ja zu schnell vorbei.


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Quelle:
Campus - Das Magazin der Universität des Saarlandes
Nr. 3, August 2011, Seite 10-11
Herausgeber: Der Universitätspräsident, Universität des Saarlandes
Redaktion: Presse- und Kommunikation, 66123 Saarbrücken
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Campus erscheint viermal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011