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FORSCHUNG/2867: Blutplasma ist dicker als Wasser (idw)


Gemeinsame Pressemitteilung vom 18.02.2013
Universität des Saarlandes
University of Pennsylvania

Blutplasma ist dicker als Wasser



Einem deutsch-amerikanischen Forscherteam ist der Nachweis gelungen, dass das Blutplasma mehr zu den Fließeigenschaften von Blut als Ganzem beiträgt, als bisher angenommen. Damit widerlegen die Arbeitsgruppen um die Professoren Christian Wagner und Paulo E. Arratia die seit Jahrzehnten vorherrschende Meinung, wonach Plasma sich wie Wasser verhält. Vielmehr ist Plasma elastisch, zähflüssig und verändert wie Ketchup je nach angelegtem Druck sein Fließverhalten, wird also dünn- oder zähflüssiger.

Die Erkenntnisse sind bedeutsam, um die Vorgänge bei Thrombosen, Aneurysmen oder Gefäßablagerungen besser zu verstehen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler in den Physical Review Letters. Die American Physical Society setzt die Arbeit auf ihrer Physics-Website auf die "Focus"-Liste wichtiger Physik-Meldungen:
http://physics.aps.org

Blut fließt anders als Wasser. Das weiß jeder, der sich schon einmal geschnitten hat: Blut strömt zäh, dickflüssig, sprunghaft. Der Vergleich mit Ketchup wird darum nicht nur beim Film gezogen. Die Experten sprechen bei Blut von einer "Schubspannungs-Flüssigkeit" oder einer "nicht-Newtonschen" Flüssigkeit - zu deren Paradebeispielen eben auch Ketchup zählt. Die Fachbegriffe stehen für Flüssigkeiten, deren Art zu fließen sich unter bestimmten Voraussetzungen verändert: Manche werden mehr, andere weniger zähflüssig. Blut wird - wie Ketchup - bei höherem Druck flüssiger. Hierdurch kann Blut auch in kleinsten Äderchen fließen. Wasser fließt demgegenüber immer gleich.

Bislang wurde angenommen, dass diese besonderen Fließeigenschaften des Blutes vor allem von den roten Blutkörperchen herrühren, die in hoher Konzentration von etwa 45 Prozent darin vorkommen. Das Blutplasma wurde eher als Schauplatz des Geschehens und nicht als aktiver Mitspieler angesehen. Seit Jahrzehnten ging die Forschung davon aus, dass Blutplasma wie Wasser fließt. Immerhin besteht diese Flüssigkeit, in der die Blutzellen schwimmen, tatsächlich zu rund 92 Prozent aus Wasser. Jetzt belegen Ergebnisse von Forschern der Saar-Universität und der University of Pennsylvania, dass auch das Plasma "ein ganz besonderer Saft" ist und den Blutfluss entscheidend beeinflusst: Ihre Forschungen zeigen, dass Blutplasma selbst eine nicht-Newtonsche Flüssigkeit ist.

Das komplexe Fließ- und Strömungsverhalten des Blutplasmas könnte nach den neuen Erkenntnissen eine entscheidende Rolle bei Ablagerungen an Gefäßwänden, Aneurysmen oder Thrombosen spielen. Die Forschungsergebnisse können daher helfen, solche pathologischen Vorgänge am Computer zu simulieren.

Die Forschergruppe des Experimentalphysikers Christian Wagner und des Ingenieurwissenschaftlers Paulo E. Arratia haben das Fließ- und Strömungsverhalten des Blutplasmas in Experimenten nachgewiesen. An der Saar-Universität wurden so genannte Tropfenexperimente durchgeführt. Blutplasma wurde hierzu in speziellen Versuchsaufbauten zum Tropfen gebracht beziehungsweise zwischen zwei Platten platziert und diese auseinandergezogen. Die Forscher analysierten die Vorgänge unter Einsatz von Hochgeschwindigkeitskameras mit hochauflösenden Mikroskop-Objektiven. "Bei unseren Versuchen haben wir eine Fadenbildung, also eine Dehnungsviskosität des Blutplasmas festgestellt, die bei Wasser nicht vorkommen kann", erklärt Professor Wagner. Das Plasma zeigt "viskoelastische" Eigenschaften, das heißt, es verformt sich elastisch und ist zähflüssig und bildet dabei für nicht-Newtonsche Flüssigkeiten typische Fäden.

Mit Mitteln der Mikrofluidik wurde an der University of Pennsylvania gearbeitet: Prof. Arratia und sein Team entwickelten ein Modell eines Mikrogefäßsystems und untersuchten das Fließverhalten des Plasmas. Ihre Messungen ergaben, dass Blutplasma ein anderes Fließverhalten als Wasser zeigt und darüber hinaus einen deutlich größeren Strömungswiderstand vorweisen kann. "Diese Erkenntnisse wurden auch möglich durch neu entwickelte mikrofluidische Messgeräte, die empfindlich genug sind, um die feinen Unterschiede im Fließverhalten von nicht-Newtonschen Flüssigkeiten zu messen", erläutert Professor Arratia.

In Untersuchungen des Strömungsverhaltens des Blutplasmas konnte Professor Wagner mit seinem Team außerdem nachweisen, dass das Plasma Verwirbelungen im Blut beeinflusst. Diese könnten zum Beispiel Ablagerungen und in deren Folge etwa Thrombosen verursachen. In einem Versuch ließen die Forscher Plasma durch eine Engstelle fließen wie bei einer Gefäßverengung oder einem "Stent", das ist ein medizinisches Implantat, das zur Stütze in Blutgefäße eingebracht wird: Sie stellten Verwirbelungen am Ende der Verengung, aber auch am Beginn der Engstelle fest, die durch die viskoelastischen Eigenschaften des Blutplasmas ausgelöst werden.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte die Forschung im Graduiertenkolleg "Strukturbildung und Transport in komplexen Systemen" der Saar-Universität. Die US National Science Foundation förderte die Forschung an der University of Pennsylvania (CBET-0932449).


Originalpublikation:
M. Brust, C. Schaefer, R. Doerr, L. Pan, M. Garcia, P. E. Arratia, and C. Wagner (2013):
"Rheology of human blood plasma: Viscoelastic versus Newtonian behavior"
Phys. Rev. Lett., 110, 078305 (2013)
DOI: 10.1103/PhysRevLett.110.078305
http://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRevLett.110.078305

Focus-Meldung auf der Physics-Website
(http://physics.aps.org/):
http://physics.aps.org/articles/v6/18 (mit Video)


Kontakt:

Professor Dr. Christian Wagner
Fachrichtung Experimentalphysik
Universität des Saarlandes
E-Mail: c.wagner@mx.uni-saarland.de
http://agwagner.physik.uni-saarland.de/

Professor Paulo E. Arratia
Department of Mechanical Engineering and Applied Mechanics
University of Pennsylvania
E-mail: parratia@seas.upenn.edu
www.seas.upenn.edu/~parratia

Weitere Informationen finden Sie unter
http://physics.aps.org


Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

http://idw-online.de/de/image194794
Aufnahme aus einem der "Tropfen-Experimente": Wird Blutplasma zwischen zwei Platten gebracht und diese dann auseinandergezogen, zeigen Hochgeschwindigkeitskameras in Verbindung mit hochauflösenden Mikroskop-Objektiven, dass sich Fäden und Tropfen bilden. Dies belegt, dass Plasma elastisch und zähflüssig ist und sich nicht wie Wasser verhält.

http://idw-online.de/de/image194795
Plasma beeinflusst Verwirbelungen im Blut. In einem Versuch ließen die Forscher Plasma durch eine mikrofluidische Engstelle fließen wie bei einer Gefäßverengung. Sie stellten Verwirbelungen am Ende der Verengung, aber auch - wie hier auf den Bildern zu sehen - an ihrem Beginn fest. Diese Verwirbelungen werden durch die viskoelastischen Eigenschaften des Blutplasmas ausgelöst.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution8

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität des Saarlandes, Friederike Meyer zu Tittingdorf, 18.02.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2013