Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 15.11.2016
Krebsforschung - Wie Zellen den Eisentod sterben
Die Ferroptose bezeichnet eine erst vor kurzem entdeckte Form des Zelltods, die in weiten Teilen noch nicht verstanden ist. Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum München stellen nun in zwei Publikationen in "Nature Chemical Biology" ein zentrales Enzym vor, welches das tödliche Signal erst möglich macht. Die Erkenntnisse könnten auch in der Forschung zu Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen Impulse setzen.
Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich bei der 2012 entdeckten Ferroptose um den organisierten Zerfall von Zellen (griechisch ptosis: der Fall), bei dem zelluläres Eisen eine wichtige Rolle spielt (lateinisch ferrum). "Die einzelnen Mechanismen dieses Zelltodes kristallisieren sich erst langsam heraus und unsere Ergebnisse sind ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Ferroptose", so Dr. Marcus Conrad, Leiter der Studie und Kopf einer Arbeitsgruppe des Instituts für Entwicklungsgenetik am Helmholtz Zentrum München.
Zusammen mit seinem Team und Kollegen von der Universität Pittsburgh konnte er zeigen, dass das Fettsäurestoffwechsel-Enzym ACSL4* eine zentrale Rolle in der Ferroptose spielt. Denn um den tödlichen Mechanismus auszulösen, muss in der Zelle eine bestimmte Menge an oxidierten Fettmolekülen in der Zellmembran vorliegen. "ACSL4 stellt diese Ausgangsstoffe für das tödliche Lipidsignal bereit und trägt dazu bei, sie in Form von langen ungesättigten Fettsäuren in den Zellmembranen einzulagern", so Doktorand Sebastian Doll, Erstautor einer der beiden Arbeiten. "Bislang ging man davon aus, dass die Eisen-abhängige Lipidoxidation zufällig auftritt, allerdings zeigen unsere Daten, dass ACSL4 wesentlich zur Entstehung von oxidierten Lipidsignalen bei der Ferroptose beiträgt."
Obwohl der Begriff Zelltod zunächst einmal nicht gerade gesundheitsförderlich klingt, hat sich speziell in der Krebsforschung gezeigt, dass die kontrollierte Vernichtung von irrläufigen Zellen lebenswichtig für den menschlichen Körper ist. Dementsprechend untersuchten die Wissenschaftler die Rolle von ACSL4 in diesem Zusammenhang: Sie zeigten, dass Zellen, die kein ACSL4 herstellen können, äußerst resistent gegenüber Ferroptose sind und dass solche, die das Enzym exprimieren, sehr empfindlich auf die Auslösung von Ferroptose reagieren. Diese Ergebnisse bestätigten sich auch in weiteren Experimenten an dreifach negativen Brustkrebszellen**. "Das ist insofern interessant, da das Vorhandensein von ACSL4 darüber entscheidet, ob Zellen in Ferroptose gehen können oder nicht", erklärt Dr. José Pedro Friedmann Angeli, der ebenfalls an beiden Studien beteiligt war. Das Molekül sei daher bei der Stratifizierung von Patienten als Biomarker denkbar.
Und auch einen ersten molekularen Eingriff in die Signalkette konnten die Forscher schon erreichen: Durch Behandlung mit einer Wirkstoffklasse, die eigentlich aus der Diabetestherapie bekannt war (Thiazolidinedione), ließ sich die Ferroptose im Modellversuch verlangsamen.
"Mit unserer neuen Erkenntnis, dass das ACSL4-Enzym wesentlich zu dem Zelltodprozess beiträgt, eröffnen sich völlig neue Therapieansätze zur Hemmung der Ferroptose bei degenerativen Erkrankungen bzw. zu deren Herbeiführung bei bestimmten Tumorerkrankungen", blickt Studienleiter Conrad voraus. Gerade Tumore, die ansonsten nur schwer mit Standard-Chemotherapeutika zu behandeln seien, könnten sich für eine Ferroptosetherapie eignen, so die Forscher.
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* Der Name bezeichnet eine Abkürzung für ein Molekül des Fettsäurestoffwechsels: Acyl-CoA synthetase long-chain family member 4.
** Diese Zellen reagieren nur schwach auf Standardchemotherapeutika - scheinen aber stark auf Ferroptose anzusprechen, wenn ACSL4 vorhanden ist.
Hintergrund:
Bisher ist die Ferroptose noch unvollständig verstanden, aber die
Wichtigkeit des zellulären Suizids hat sich beispielsweise durch die
weitaus besser erforschte Apoptose bereits eindrucksvoll bestätigt. Zudem
scheint die Ferroptose auch eine Rolle bei Entzündungen oder beim
Überleben unter starkem Oxidationsstress (etwa in Nerven) zu spielen.
Bislang waren nur wenige essenzielle Moleküle, wie beispielsweise die
Glutathionperoxidase 4 (GPX4), bekannt, die am Ferroptoseprozess beteiligt
sind.
Original-Publikationen:
Doll, S. et al. (2016): Acsl4 Dictates Ferroptosis Sensitivity by Shaping
Cellular Lipid Composition. Nature Chemical Biology, doi:
10.1038/nchembio.2239
http://www.nature.com/nchembio/journal/vaop/ncurrent/full/nchembio.2239.html
Kagan, VE. et al. (2016): Oxidized Arachidonic and Adrenic PEs Navigate Cells
to Ferroptosis. Nature Chemical Biology, doi: 10.1038/nchembio.2238
http://www.nature.com/nchembio/journal/vaop/ncurrent/full/nchembio.2238.html
- Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für
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Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus
und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von
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auch soziologische und umweltbedingte Einflüsse auf die Gene zu. Diese
Veränderungen des genetischen Materials untersucht das Institut für
Entwicklungsgenetik (IDG). Im Forschungsbereich Mouse Genetics werden
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entwickelt. Diese Modelle werden im Disease Modelling analysiert, um
Genfunktionen und Zellprozesse zu identifizieren und den Einfluss von
Umwelt und Alterungsprozessen zu bewerten. Ein Schwerpunkt liegt dabei in
der Untersuchung neurologischer und psychiatrischer Krankheiten.
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- Am Institut für Humangenetik (IHG) stehen die Identifizierung und
funktionelle Charakterisierung von Genen, die Krankheiten verursachen, im
Mittelpunkt der Forschung. Dabei werden Genmutationen, Genvarianten und
die Gen-assoziierten Signalwege untersucht. Inhaltliche Schwerpunkte
bilden Endokrinopathien, Herzrhythmusstörungen, neurologische Störungen
sowie Mitochondropathien. Durch die Kenntnis krankheitsverursachender
Genvarianten lassen sich Konzepte für neue Therapieansätze entwickeln.
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- Ziel der Forschung des Instituts für Experimentelle Genetik (IEG) ist,
Ursachen und Entstehung menschlicher Erkrankungen zu verstehen. Durch
seine leitende Funktion in interdisziplinären und internationalen
Konsortien hat das IEG eine weltweit führende Position in der systemischen
Untersuchung von Mausmodellen für Krankheiten des Menschen und der
Aufklärung von beteiligten Genen. Schwerpunkt bilden dabei
Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Das IEG ist Gründer der Deutschen
Mausklinik (GMC) und leitet das Europäische Maus Mutanten Archiv (EMMA).
Zudem koordiniert das IEG die europäische Forschungsinfrastruktur
Infrafrontier (ESFRI). Das IEG ist Teil des Helmholtz Diabetes Center
(HDC). Dem IEG gehört die Abteilung Genomanalysezentrum (GAC) an, die die
Entwicklung komplexer Krankheiten und den Umwelteinfluss bei ihrer
Entstehung untersucht.
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- Das Institut für Pathologie (PATH) untersucht mikroskopische und
molekulare Gewebestrukturen, die an der Entstehung und Progression von
Erkrankungen beteiligt sind. Die Identifizierung und Charakterisierung
molekularer Mechanismen und Signalwege bieten die Grundlage, um das
Zusammenspiel von Genen und Umwelt besser zu verstehen und Ansatzpunkte
für neue therapeutische Interventionen zu entdecken. PATH arbeitet eng mit
dem Institut für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der
Technischen Universität München zusammen, wodurch sowohl
Grundlagenforschung als auch angewandte klinische Studien ermöglicht
werden.
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Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Marcus Conrad
Helmholtz Zentrum München -
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Entwicklungsgenetik
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: marcus.conrad@helmholtz-muenchen.de
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Sonja Opitz, Abteilung, 15.11.2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2016
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