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GESCHICHTE/629: Mehr als 2.000 Zwangssterilisationen in der Region Trier (idw)


Universität Trier - 15.03.2019

Mehr als 2.000 Zwangssterilisationen in der Region Trier

Ein Projekt der Universität Trier legt neue Erkenntnisse zur Beteiligung von Ärzten im ehemaligen Regierungsbezirk Trier an der nationalsozialistischen Rassenhygiene vor


Mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" schuf das nationalsozialistische Regime 1933 die legalen Grundlagen für eine umfassende, die Spielräume des Gesetzes massiv ausnutzende, vielfach überschreitende Praxis der Zwangssterilisation. Über die Zahl der Fälle im ehemaligen Regierungsbezirk Trier und die Beteiligung der regionalen Ärzte gab es bisher nur wenige gesicherte Erkenntnisse. Ein Projekt der Universität Trier konnte nun etwas Licht in dieses dunkle Kapitel der regionalen Medizingeschichte bringen. Unterstützt wurde das Forschungsprojekt von der Barmherzigen Brüder Trier gGmbH, der Bezirksärztekammer Trier, der Evangelische Kirchengemeinde Trier sowie dem Förderverein zur historischen Erforschung von Zwangssterilisationen in der Region Trier während der NS-Zeit e.V.


Quelle: Stadtarchiv Trier, Bild-Slg

Das Erbgesundheitsgericht Trier, vor dem von 1934 bis 1944 die Verfahren auf Unfruchtbarmachung geführt wurden, hatte am heutigen Nikolaus-Koch-Platz seinen Sitz.
Quelle: Stadtarchiv Trier, Bild-Slg.

Nach den Untersuchungen des Projektteams wurden vor dem Trierer Erbgesundheitsgericht in den Jahren 1934 bis 1944 insgesamt 3.396 Verfahren auf Unfruchtbarmachung geführt. Schätzungsweise 2.200 dieser Verfahren endeten mit einem Beschluss auf Unfruchtbarmachung. Die chirurgischen Eingriffe wurden größtenteils im ehemaligen Elisabethkrankenhaus durchgeführt. Daneben wurden Sterilisation auch in den damaligen Kreiskrankenhäusern Saarburg und Wittlich vorgenommen.

Die Mediziner waren ebenfalls an den gerichtlichen Verfahren beteiligt. 21 Ärzte wirkten am Erbgesundheitsgericht Trier als beisitzende Richter mit. Sie hatten maßgeblichen Einfluss auf die Beschlüsse. Die Amtsärzte aus der Region waren mit ihren Anträgen vor dem Trierer Erbgesundheitsgericht für mehr als drei Viertel der Verfahren verantwortlich gewesen.

Bisher strittig war auch die Rolle der Heil- und Pflegeanstalt der Barmherzigen Brüder in Trier bei den nationalsozialistischen Patientenmorden. Viele der Patienten wurden mit Kriegsbeginn in andere Anstalten in der damaligen Rheinprovinz verlegt, da man einen Einmarsch französischer Truppen befürchtete. Von den insgesamt 518 ehemaligen Patienten der Trierer Heil- und Pflegeanstalt fielen mindestens 91 der berüchtigten "Aktion T4" zum Opfer, die von einem eigenen Stab im Umfeld der Kanzlei des Führers geplant und durchgeführt wurde. Entgegen bisherigen Meinungen haben mindestens 71 der Männer den Krieg überlebt.

Rudolf Müller vom Förderverein ist mit dem Abschluss des Forschungsprojektes sehr zufrieden: "Der Förderverein zur historischen Erforschung von Zwangssterilisationen in der Region Trier sieht in diesem Projekt eine gelungene Verknüpfung zwischen dem Fach Geschichte an der Universität Trier und der Stadt und Region Trier sowie einen wichtigen Beitrag zur Trierer Regionalgeschichte."

Für Markus Leineweber von den Barmherzigen Brüdern in Trier stellen die Ergebnisse der universitären Forschungen ein Fundament für weiteres Handeln dar: "Damit ist das Thema nicht abgehakt. Vielmehr bieten die Erkenntnisse die Grundlage einer wichtigen Erinnerungskultur, die uns das Geschehen nicht vergessen lässt und uns gleichzeitig an unsere Verantwortung im Hier und Jetzt erinnert."

Im Rahmen des vierjährigen Forschungsprojektes ist neben mehreren Aufsätzen auch eine Dissertation entstanden, die weitere Ergebnisse zu Tage gefördert hat. Sie soll im Herbst 2019 veröffentlicht werden.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution103

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Trier - 15.03.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2019

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