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MELDUNG/077: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 11.03.10 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


→  Für Erbgut gefährliches Teilchen entdeckt
→  Zahl der unerwünschten Wechselwirkungen von Medikamenten reduziert

Raute

Universität Leipzig - 10.03.2010

Für Erbgut gefährliches Teilchen entdeckt

Leipziger Forscher messen erstmals die Bindungsenergie eines Elektrons in wässriger Lösung und entdecken neuen Mechanismus für Strahlenschäden der Erbsubstanz durch Hochenergiestrahlung. Diese Entdeckung hat möglicherweise Auswirkungen auf die Dosierung der Strahlentherapie von Krebs. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift Nature Chemistry veröffentlicht.

"Lange Zeit hat man angenommen, dass Strahlungsschäden der DNA durch Hochenergiestrahlung wie etwa Röntgen- oder Partikelstrahlung besonders durch das Auftreten von sogenannten OH-Radikalen (O steht für Sauerstoff und H für Wasserstoff) hervorgerufen werden. Nun sieht es so aus, als ob ein weiteres Teilchen aus der Spaltung des Wassers durch Hochenergiestrahlen - das teilweise von Wassermolekülen umgebene Elektron an Grenzflächen - ein noch viel gefährlicheres Teilchen für das Erbgut von Lebewesen ist.", sagt Prof. Dr. Bernd Abel vom Wilhelm-Ostwald-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Leipzig und Seniorautor des Papers.

"Wenn Hochenergiestrahlung auf die DNA einer Zelle trifft, dann kann sie damit gespalten und zerstört werden, ein Mechanismus der bei der Radiotherapie von Krebs ausgenutzt wird.", erklärt Prof. Abel. "Aber auch gesunde Zellen können durch Hochenergiestrahlung geschädigt werden."

Zunächst schädigt die Primärstrahlung das Erbgut durch Ionisation und Spaltung. Die Primärstrahlung erzeugt außerdem eine Reihe von weiteren Teilchen - so zum Beispiel das teilweise in Wasser gelöste Elektron, das komplett abgebremste hydratisierte Elektron in Wasser und freie Radikale wie das OH-Radikal, die ebenfalls erbgutschädigend sind. "Und das OH-Radikal galt eben bisher als das gefährlichste Teilchen in diesem Teilchenzoo" so Prof. Abel weiter.

Neu entdeckt: Teilweise gelöstes Elektron an Grenzflächen

Durch die neuen Ergebnisse der Leipziger Arbeitsgruppe in Kooperation mit Wissenschaftlern aus Göttingen und Berlin konnte gezeigt werden, dass die Elektronen in Wasser an Grenzflächen - wie z. B. an Membranen oder Grenzflächen von Biomolekülen eine besonders schädigende Wirkung haben können. Dies liegt an der Bindungsenergie, die energetisch sehr günstig für eine Spaltung von DNA-Strängen ist. Wie die Forscher zeigen konnten, leben diese Teilchen auch besonders lange, so dass sich ihre schädigende Wirkung besonders gut entfalten kann.

So wurde nun 45 Jahre nach der Entdeckung des freien gelösten Elektrons in Wasser seine bisher unbekannte Bindungsenergie gemessen. Prof. Abel: "Dass es dabei auch noch eine bisher unbekannte Spezies gibt - das teilweise gelöste Elektron an einer Grenzfläche - ist neu. Seine Existenz und seine Lebensdauer wurden mit einer neuen Ultrakurzzeitapparatur (einer schnellen Kamera auf der Basis von Lasern für kurzlebige reaktive Teilchen) erstmalig aufgenommen."

Strahlungsdosen müssen in Zukunft neu bewertet werden

"Die nun erstmalig bestimmten Bindungsenergien und Lebensdauern von vollständig und teilweise hydratisierten Elektronen in Wasser und an Wassergrenzflächen werden dazu führen, dass Strahlungsdosen in der Zukunft möglicherweise neu bewertet werden müssen und der neue DNA-Spaltungsmechanismus mit niederenergetischen Elektronen in Wasser könnte möglicherweise Auswirkungen für die Strahlentherapie von Krebs haben.", schlussfolgert Prof. Abel.


Die neuesten Forschungsergebnisse der Leipziger wurden in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Nature Chemisty (7. März 2010) veröffentlicht:
K. R. Siefermann, Y. Liu, E. Lugovoy, O. Link, M. Faubel, U. Buck, B. Winter and B. Abel.
Binding energies, lifetimes and implications of bulk and interface solvated electrons in water.
Nature Chemistry.
DOI: 10.1038/NCHEM.580.

Diskutiert und viel gelobt wurde der Beitrag im gleichen Heft von Daniel M. Neumark von der University of California in Berkeley, USA.


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Zur Person:

Prof. Dr. Bernd Abel aus dem Ostwald-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Leipzig ist Mitglied der Graduiertenschule BuildMoNa, die im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert wird sowie im Profilbildenden Forschungsbereich 1 der Universität. Seit 2008 ist er Professor für Physikalische Chemie und Reaktionsdynamik an der Universität Leipzig.

Dr. Oliver Link, Katrin Siefermann und Yaxing Liu sind Mitarbeiter der AG Abel am Institut für Physikalische Chemie in Göttingen. Katrin Siefermann ist außerdem Mitglied des Graduiertenkollegs 782 am Institut für Physikalische Chemie der Universität Göttingen.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Bernd Abel
E-Mail: bernd.abel@uni-leipzig.de
www.pc-uni-leipzig.de

Onlineansicht mit Abbildungen:
http://www.zv.uni-leipzig.de/?id=674&ifab_modus=pmanzeige&ifab_id=3669

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/pages/de/image111198
Ein solvatisiertes (gelöstes) Elektron - hier als e- dargestellt - entsteht durch einen Lichtstrahl an einer Wasser-Grenzfläche in der Nähe eines DNA-Stranges und ist in der Lage, diesen zu spalten.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution232

Quelle: Universität Leipzig, Dr. Bärbel Adams, 10.03.2010


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Universitätsklinikum Heidelberg - 10.03.2010

Risiko für Patienten auf der Intensivstation deutlich gesenkt

Das elektronische Arzneimittel-Informationssystem "AiDKlinik" reduziert die Zahl der unerwünschten Wechselwirkungen von Medikamenten

Um lebensbedrohliche Erkrankungen in den Griff zu bekommen, erhalten Patienten auf der Intensivstation meist zahlreiche Medikamente gleichzeitig verabreicht. Selbst für Experten ist die Vielzahl möglicher Neben- und Wechselwirkungen kaum noch überschaubar. Die Arbeitsgruppe von Dr. Thilo Bertsche, Leiter der Kooperationseinheit Klinische Pharmazie an der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg, hat nun zeigen können, dass Ärzte mit Hilfe des Arzneimittelinformationssystems "AiDKlinik" schwerwiegende Ereignisse, die infolge von Wechselwirkungen auftreten, um etwa die Hälfte senken. Die Studienergebnisse wurden in dem renommierten Journal "Intensive Care Medicine" veröffentlicht.

Eines der wenigen effektiven Arzneimittelinformationssysteme weltweit

"Bisher hatten wir mit unserem Tool "AiDKlinik" die ärztlichen Verordnungen nachweislich verbessert und gezeigt, dass keine neuen Fehler dadurch entstehen. Jetzt jedoch haben wir nachgewiesen, dass sich auch Laborwerte und klinische Befunde dadurch ändern. Nicht viele Systeme weltweit können von sich behaupten, klinisch relevante Ereignisse aufgrund von Arzneimittelinteraktionen um nahezu die Hälfte verringern zu können", sagt Professor Dr. Walter E. Haefeli, Ärztlicher Direktor der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie am Universitätsklinikum Heidelberg.

Fehlerhafte Verschreibungen, unberücksichtigte Wechselwirkungen, Gegenanzeigen oder Anwendungsbeschränkungen sind immer wieder Ursache für unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die vermeidbar wären. Das am Klinikum entwickelte Arzneimittelinformationssystem "AiDKlinik" hilft, solche unerwünschten Ereignisse zu reduzieren. Zwar erfordert es der Zustand von Intensivpatienten häufig, dass trotz bekannter Interaktionen bestimmte Medikamente verabreicht werden, das Ziel ist jedoch, klinisch relevante Ereignisse, die den Patienten gefährden können, zu verhindern.

Halb so viele Risikosituationen für Intensivpatienten

Für die Studie auf einer Intensivstation am Universitätsklinikum Heidelberg wurden die Daten von 265 Patienten untersucht. Berücksichtigt wurden nur Patienten, die acht oder mehr Medikamente gleichzeitig erhielten. Am zweiten Tag nach der Aufnahme wurden die verordneten Medikamente mit Hilfe des Arzneimittelinformationssystems überprüft. Zur nächsten Visite erhielten die zuständigen Ärzte ein Protokoll über mögliche Arzneimittelinteraktionen und, falls erforderlich, auch konkrete Handlungsempfehlungen, um klinische Auswirkungen zu vermeiden.

Durch dieses Vorgehen wurden die unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit Wechselwirkungen um 43 Prozent verringert. Einige der kritischsten Ereignisse wie EKG-Veränderungen und Elektrolytstörungen, die schwere Herzrhythmusstörungen nach sich ziehen können, wurden um 64 Prozent, beziehungsweise 80 Prozent, gesenkt. Auch erhielten weniger Patienten zusätzliche Medikamente, um Nebenwirkungen zu therapieren.

"AiDKlinik" - eine Entwicklung aus dem Klinikum

Das Arzneimittelinformationssystem "AiDKlinik" wurde von der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie, des Universitätsklinikums Heidelberg gemeinsam mit der Klinikums-Apotheke und der Medizinische Medien Informations GmbH (MMI, Neu-Isenburg) in den vergangenen Jahren entwickelt und kontinuierlich erweitert. Es handelt sich um einen elektronischen Berater auf Internet Basis, der von Kliniken und Praxen genutzt werden kann. Zahlreiche relevante Patientendaten, wie Alter, Nierenfunktion, Schwangerschaft etc., werden in die Informationsverarbeitung mit einbezogen. Das Informationssystem berücksichtigt derzeit etwa 64.000 Arzneimittel und wird im Universitätsklinikum flächendeckend eingesetzt. Informationsgrundlage ist die Datenbank Pharmindex, die vom Medizinverlag Medizinische Medien Informations GmbH herausgegeben und 14-tägig aktualisiert wird.

Literatur:
T Bertsche, J Pfaff, P Schiller, J Kaltschmidt, MG Pruszydlo, W Stremmel, I Walter-Sack, WE Haefeli, J Encke
Prevention of adverse drug reactions in intensive care patients by a personal intervention based on an electronic clinical decision support system
Intensive Care Medicine, 2010
E-pub ahead of print

Weitere Informationen im Internet:
www.aidklinik.de
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Innere-Medizin-VI-Klinische-Pharmakologie-und-Pharmakoepidemiologie-.106657.0.html
www.klinischepharmazie.de


Ansprechpartner:
Dr. rer. nat. Thilo Bertsche
Leiter Kooperationseinheit Klinische Pharmazie
Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie
Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg
E-Mail: klinischepharmazie@med.uni-heidelberg.de

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten und renommiertesten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international bedeutsamen biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien und ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 7.600 Mitarbeiter und sind aktiv in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 40 Kliniken und Fachabteilungen mit ca. 2.000 Betten werden jährlich rund 550.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Derzeit studieren ca. 3.400 angehende Ärzte in Heidelberg; das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland.
www.klinikum.uni-heidelberg.de

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/pages/de/image111177
Das elektronische Arzneimittel-Informationssystem "AiDKlinik" wurde im Rahmen einer Studie auf einer Intensivstation des Universitätsklinikums Heidelberg angewendet.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution665

Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, 10.03.2010

Raute

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2010