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MELDUNG/155: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 08.07.10 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen


→  Ultrakurze Strahlungsblitze für die Biomedizin
→  Minimal-invasive Lungentransplantation erfolgreich durchgeführt
→  Falscher Adresscode mit fatalen Folgen
      Die zellulären Mechanismen schwerer Neurodegenerationen

Raute

Munich-Centre for Advanced Photonics (MAP) - 07.07.2010

Ultrakurze Strahlungsblitze für die Biomedizin

Auf dem Forschungscampus Garching wird in den kommenden Jahren das Centre for Advanced Laser Applications (CALA) errichtet. Hauptanliegen der universitären Forschung ist die Entwicklung von Verfahren zur grundlegenden Verbesserung der Heilungschancen von Krebspatienten. Dazu werden neuartige Röntgenstrahl-basierte, diagnostische und Teilchenstrahl-basierte, therapeutische Methoden in einer kompakten Quelle zusammengeführt. Die Quelle wird durch ultrakurze Laserpulse angetrieben. Die Max-Planck-Gesellschaft unterstützt das Projekt mit komplexer Lasertechnologie.

In den kommenden Jahren erhalten die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und die Technische Universität München (TUM) auf dem Forschungscampus Garching b. München ein neues Centre for Advanced Laser Applications, kurz CALA. Dem Projekt hat nun der Wissenschaftsrat grünes Licht gegeben. Unterstützt wird CALA von der Max-Planck-Gesellschaft, die eines ihrer Lasersysteme zur Verfügung stellt.

Aufbauend auf den Ergebnissen, die im Exzellenzcluster "Munich-Centre for Advanced Photonics" (MAP) erzielt wurden, wird CALA die Schwerpunktsetzung der beiden Münchner Universitäten bezüglich innovativer Höchstleistungs-Lasertechnologie und deren Anwendung in der Biomedizin durch die Entwicklung laserbasierter brillanter Quellen von Röntgen- und Teilchenstrahlen intensivieren. Im Vordergrund stehen dabei die Erforschung neuartiger Verfahren zur biomedizinischen Bildgebung mit Röntgenstrahlen zur Krebs-Früherkennung und, darauf abgestimmt, die lokale Tumortherapie mit lasererzeugten Protonen- und Kohlenstoffionenstrahlen. Darüber hinaus ist die ultraschnelle Strahlenbiologie ein weiterer Forschungsschwerpunkt. Ziel ist ein besseres Verständnis der primären Prozesse bei der Therapie mit Ionenstrahlen und deren Optimierung.

Licht ist das Werkzeug des 21. Jahrhunderts. Schon heute gilt die Photonik als Schlüsseltechnologie mit zahlreichen vielversprechenden Perspektiven in technischen und medizinischen Bereichen. Das neue Centre for Advanced Laser Applications wird dazu beitragen, das enorme Potential des Lichts weiter auszuschöpfen.

CALA wird in zwei Abschnitten gebaut. Im ersten wird ein von der LMU finanzierter Forschungsbau mit 500 m² Nutzfläche am nördlichen Ende des Forschungscampus Garching bis 2011 errichtet. Der zweite Bauabschnitt beinhaltet eine Erweiterung auf dann insgesamt 2600 m². Diese Baumaßnahme soll Ende 2013 abgeschlossen sein. Die Kosten für die Erweiterung des Forschungsbaus und dessen Geräteausstattung belaufen sich auf 63 Mio Euro. Sie werden vom Bund und dem Land Bayern gemeinsam zu gleichen Teilen getragen.

Initiiert wurde das CALA-Projekt von Prof. Ferenc Krausz, Lehrstuhlinhaber für experimentelle Physik (Laserphysik) an der LMU und Direktor am Max-Planck Institut für Quantenoptik. Gemeinsam haben er und Prof. Franz Pfeiffer, Lehrstuhlinhaber für Angewandte Biophysik am Department für Physik der TUM, Prof. Michael Molls, Leiter der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie am Klinikum rechts der Isar der TUM, und Prof. Maximilian Reiser, Direktor des Instituts für Klinische Radiologie am Klinikum der LMU, mit Unterstützung von zahlreichen Kollegen beider Münchner Universitäten, das Konzept für CALA erarbeitet. Prof. em. Klaus Witte wurde die Projektleitung übertragen.

Tumor-Erkennung mit lasergetriebenen Röntgenstrahlen

Die klassische Röntgenbildgebung stößt bei der Untersuchung von Weichteilgewebe, beispielsweise bei der Früherkennung der häufigsten Krebserkrankungen wie Brust-, Prostata- und Lungenkrebs physikalisch bedingt an ihre Grenzen. Neuartige Bildgebungsverfahren, die statt der Absorption des Röntgenlichts dessen Wellencharakter ausnutzen, liefern deutlich bessere Ergebnisse, insbesondere das Phasenkontrastverfahren, das ein beachtliches Potential für Dosisreduktion besitzt und das CALA intensiv erforschen wird (Spezialgebiet von Prof. Pfeiffer). Die Anforderungen an die Brillanz der Röntgenquelle werden bisher nur von Synchrotronquellen erfüllt, die jedoch wegen ihrer Größe und hohen Kosten nicht für klinische Anwendungen in Frage kommen. CALA strebt daher die Entwicklung kompakter Röntgenquellen ähnlicher Brillanz an, die auf verschiedenste Weise von moderner Hochleistungs-Lasertechnologie Gebrauch machen. Die konventionelle Erzeugung von Röntgenstrahlung beruht auf einem Zweistufenprozess, der erstens die Erzeugung und Beschleunigung von Elektronen und zweitens deren Nutzung zur Generierung von Röntgenstrahlen umfasst. Moderne Hochleistungslaser, wie sie in CALA entwickelt werden, bringen in beiden Schritten große Vorteile. Zunächst wird CALA die Bright X-Ray Source (BRIX) verwirklichen. Die in einem konventionellen Linearbeschleuniger erzeugten und in einem Speicherring zirkulierenden Elektronenpulse werden an fokussierten Lichtpulsen in einem Überhöhungsresonator rückgestreut. Dabei entsteht gut gebündelte, schmalbandige Röntgenstrahlung im gewünschten Energiebereich, deren Brillanz die von herkömmlichen Quellen um mehr als zwei Größenordnungen übersteigt und für die Früherkennung und präzisen Abbildung von Kleinsttumoren geeignet ist. Auf diesem Gebiet haben LMU-Physiker hervorragende Expertise.

Alternativ können die Elektronenpulse auch durch Bestrahlung kleiner gasförmiger Wasserstofftargets mit nur wenigen Lichtzyklen langen Petawatt-Laserpulsen erzeugt werden. Die damit erzielbaren Elektronenenergien ermöglichen Röntgenpulse für zukünftige klinische Anwendungen in der Humandiagnostik.

Die lasererzeugten Elektronenpulse können auch in einer periodischen Permanent-Magnetfeldstruktur (Undulator) zur Erzeugung von Röntgenpulsen verwendet werden. Diese Röntgenpulse dauern nur wenige Femtosekunden, sie eignen sich für erste Experimente zur ultraschnellen Strahlenbiologie. Die Weiterentwicklung der Quelle zielt auf einen laserbasierten Röntgenlaser, dessen Pulse mit Hilfe von Teilchenpulsen molekulare Strahlenbiologie in Echtzeit ermöglicht.

Tumortherapie mit Teilchenstrahlen

Zur Strahlentherapie von Tumoren werden gegenwärtig überwiegend ultraharte Röntgenstrahlen eingesetzt. Seit einigen Jahren steigt das klinische Interesse, als Alternative zur Röntgenstrahlung hochenergetische Protonen und Kohlenstoffionen zu verwenden. Damit lassen sich wesentlich bessere Dosisverteilungen mit deutlich geringerem Risiko für Nebenwirkungen erreichen. Allerdings ist die nötige Beschleuniger- und Strahlführungstechnik vor allem bei Einsatz von Kohlenstoffionen sehr aufwändig, so dass schon allein aus Kostengründen die Teilchentherapie bisher nur an wenigen Zentren weltweit verfügbar ist.

Dies könnte sich durch den Einsatz laserbasierter Teilchenbeschleunigung ändern, die deutlich kompaktere Strahlungsquellen und Applikationssysteme verspricht. Der von CALA verfolgte Beschleunigungsmechanismus beruht auf dem enormen Lichtdruck, den ein scharf fokussierter, einige Lichtzyklen langer Petawatt-Puls auf eine Diamantfolie von nur wenigen Nanometer Dicke (eine Spezialität der LMU-Physik) ausübt und diese sehr effizient als quasineutrales Plasmapaket auf die gewünschte Energie beschleunigt. Durch magnetische Absonderung der Elektronen bleibt ein reiner Kohlenstoffionenstrahl übrig. Durch Anreicherung der Diamantfolie mit Wasserstoff können auch Protonenstrahlen erzeugt werden. Der wesentliche Unterschied zu konventionell erzeugten Teilchenstrahlen liegt in der hohen Gesamtzahl der Ionen pro Puls (1012 gegenüber 107 bis 1010) und der kurzen Pulsdauer (Femtosekunden gegenüber Sekunden).

Der Strahltransport vom primären (Folie) zum sekundären Target (Patient) und insbesondere die Entwicklung eines kompakten 3D-Bestrahlungsapparates, ist eine weitere Aufgabe, die intensiver Bearbeitung bedarf.

CALA wird zunächst die Realisierbarkeit laserbasierter Teilchentherapie am Kleintiermodell erforschen. Das längerfristige Ziel ist die Übertragung der dabei entwickelten Methoden auf die Anforderungen der Humanmedizin.

Ein weltweit einzigartiges Forschungszentrum

Aufgrund des einzigartigen Spektrums an Röntgen- und Teilchenstrahlquellen wird CALA dem Ensemble an Exzellenzclustern im Münchener Raum, sowie der LMU und der TUM in den Bereichen Biochemie, Physik und Materialwissenschaften neue Forschungsfelder eröffnen. CALA wird darüber hinaus hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen und aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale mit weltweitem Zuspruch rechnen dürfen.

Kooperationspartner von CALA:
Ludwig-Maximilians-Universität, München (LMU)
Technische Universität, München (TUM)
Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ), Garching
Siemens Health Care, Erlangen

Weitere Informationen finden Sie unter
www.munich-photonics.de
Homepage des Exzellenzclusters

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/pages/de/image120098
Der Hochleistungslaser Lightwave Synthesizer liefert Laserblitze im Terawatt-Bereich. Das System wurde am Max Planck Institut für Quantenoptik in Garching entwickelt. Diese Technologie wird im zukünftigen Centre for Advanced Laser Applications (CALA) angewendet.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution1240

Quelle: Munich-Centre for Advanced Photonics (MAP), Christine Kortenbruck, 07.07.2010

Raute

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 07.07.2010

Universitätsmedizin Mainz führt erfolgreich minimal-invasive Lungentransplantation durch

Minimal-invasive Operationstechnik deutlich schonender als herkömmliches Verfahren

(Mainz, 07. Juli 2010, tr) Erstmals in Rheinland-Pfalz hat die Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universitätsmedizin Mainz eine Lungentransplantation in minimal-invasiver Technik erfolgreich durchgeführt. Diese relativ junge Methode hat den Vorteil, dass sie deutlich schonender ist als herkömmliche Verfahren und sie den Heilungsprozess erheblich beschleunigt. Zudem leiden die Patienten wegen der geringeren Wundfläche an weniger postoperativen Schmerzen und der Aufenthalt auf der Intensivstation kann verkürzt werden.

Die Lungentransplantation ist ein akzeptiertes Therapieverfahren für Patienten in Endstadien von Lungenerkrankungen, wie der Blählunge oder der Mukoviszidose. Zu diesem Zeitpunkt können medikamentöse Therapien den Patienten keinen Nutzen mehr bieten. Sie sind auf eine Sauerstoffzufuhr angewiesen und extrem leistungseingeschränkt. In Deutschland werden im Jahr circa 270 Lungen transplantiert. In diesem Jahr wurden an der Universitätsmedizin Mainz bisher fünf Lungen transplantiert.

"Um das Leben unseres Patienten zu retten, mussten beide Lungenflügel durch eine gesunde Spenderlunge ersetzt werden. Normalerweise wird dazu der Brustkorb großflächig durch einen 'schwalbenflügel'-artigen Schnitt über etwa 70 Zentimeter geöffnet. Der Brustkorb klappt dann geradezu auf und die Organe im Brustkorb liegen direkt vor den Augen und Händen des Chirurgen", erläutert Univ.-Prof. Christian-Friedrich Vahl, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax und Gefäßchirurgie, die herkömmliche Operationstechnik bei einer Lungentransplantation.

Diese Vorgehensweise ist zwar unter chirurgisch technischen Gesichtspunkten sehr bequem, weil das gesamte Operationsgebiet vor den Augen des Operationsteams liegt, kann aber auch Nachteile für den Patienten haben. Denn: Gerade Patienten, die auf eine Lungentransplantation warten, sind in der Regel sehr geschwächt, oft seit Monaten bettlägerig und auf ihre verbliebene Atemmuskulatur angewiesen. Vielfach müssen die Patienten während der Wartezeit künstlich beatmet werden, so dass die Atemmuskulatur durch fehlendes Training an Kraft verliert.

Für den aktuellen Eingriff wählte der Leiter der Sektion Thoraxchirurgie der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Dr. Ömer Senbaklavaci, daher eine minimal-invasive Vorgehensweise. Nach aufwändiger Vorbereitung setzte er in der rund fünfstündigen Operation auf jeder Seite des Brustkorbes einen nur jeweils etwa zehn Zentimeter langen Schnitt, statt diesen großflächig zu öffnen. Diese kurzen Öffnungen sind ausreichend, um die defekte Lunge zu entfernen und die gesunde Spenderlunge in den Brustkorb einzubringen. Mit den in Mainz üblichen minimal-invasiven Instrumenten ersetzte das Operationsteam dann nacheinander die Lungenlappen.

"Bei einem minimal-invasiven Eingriff ist natürlich das chirurgische Trauma viel geringer und vor allem wird die Atemhilfsmuskulatur nicht unnötigerweise durchtrennt. Da auch das Brustbein intakt bleibt, profitieren diese Patienten maximal von dem stabilen Brustkorb", beschreibt Dr. Ömer Senbaklavaci die Vorteile der minimal-invasiven Operationstechnik. "Auch eine solche gewebeschonende Vorgehensweise darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Lungentransplantation nur mit einem höchst erfahrenen interdisziplinären Behandlungsteam aus Lungenchirurgen, Pneumonologen, Intensivmedizinern, Anästhesisten und Pflegepersonal gelingen kann. Dies ist in Mainz der Fall", ergänzt Univ.-Prof. Dr. Christian-Friedrich Vahl.

Der transplantierte Patient hat sich rasch von der schweren Operation erholt und konnte schon zwei Tage nach der Operation ohne Hilfe von Geräten wieder selbstständig atmen. Bereits nach einer Woche verlegten ihn die Mainzer Thoraxchirurgen von der Intensiv- auf eine Allgemeinstation und dort denkt er bereits jetzt über seinen Reha-Aufenthalt nach. Einen vorsichtigen Blick in die Zukunft wagt auch Thoraxchirurg Dr. Senbaklavaci hinsichtlich der Anwendung der minimal-invasiven Operationstechnik bei Lungentransplantationen: "Wenn Patienten nicht voroperiert sind und es keinen Anhalt für 'Verklebungen' im Brustkorb gibt, dürfte dieses schonende Verfahren in Mainz bald Standard werden."

Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Christian-Friedrich Vahl und Dr. Ömer Senbaklavaci
Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
E-Mail: christian.vahl@unimedizin-mainz.de
senbak@htg.klinik.uni-mainz.de

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen sowie zwei Einrichtungen der medizinischen Zentralversorgung - Transfusionszentrale - gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet.
Weitere Informationen im Internet unter
www.unimedizin-mainz.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution1431

Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dipl.-Betriebswirtin (FH) Caroline Bahnemann, 07.07.2010

Raute

Ludwig-Maximilians-Universität München - 06.07.2010

Falscher Adresscode mit fatalen Folgen - Die zellulären Mechanismen schwerer Neurodegenerationen

Ein Forscherteam um Professor Christian Haass und Dr. Dorothee Dormann, LMU München und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), konnte erstmals zelluläre Mechanismen identifizieren, die zu einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder zu einer Frontotemporalen Demenz (FTD) führen. ALS ist eine schwere Erkrankung des Nervensystems mit zunehmender Muskelschwäche und Lähmungen, während das Absterben von Nervenzellen im Stirnhirn bei Patienten mit FTD Veränderungen der Persönlichkeit sowie Sprach- und Gedächtnisstörungen verursacht.

Eines aber ist beiden Erkrankungen gemein: Proteine, die normalerweise wichtige Aufgaben im Zellkern erfüllen, sammeln sich im Zellkörper an - und führen dort zu krankhaften Ablagerungen. Das Team um Haass konnten zeigen, dass bereits bekannte genetische Mutationen die "Adressaufkleber" der Proteine gewissermaßen unleserlich machen, so dass die Moleküle am falschen Bestimmungsort ankommen. "Diese Ergebnisse tragen wesentlich dazu bei, die Entstehungsmechanismen der ALS wie auch der Frontotemporalen Demenz besser zu verstehen", sagt Haas. Nun wollen die Forscher untersuchen, ob die typischen Krankheitssymptome durch die Ablagerungen im Zellkörper oder aber durch den Funktionsverlust der Proteine im Zellkern entstehen. (The EMBO Journal online, 6. Juli 2010)

Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) führt eine irreversible Schädigung der für die Bewegung zuständigen Motoneurone zu einer progressiven und schnell voranschreitenden Muskelschwäche, was Störungen beim Gehen, Sprechen und Schlucken sowie eine Atemlähmung verursacht. Bei der Frontotemporalen Demenz, der nach der Alzheimerschen Erkrankung zweithäufigsten Demenz, bewirkt der massive Abbau von Nervenzellen im Stirnhirn schwere Veränderungen der Persönlichkeit und häufig auch Gedächtnisstörungen. Etwa zehn Prozent der ALS-Patienten leiden unter familiärer ALS, die dominant vererbt und an alle Nachkommen weitergegeben wird. Mutationen des TDP-43-Gens auf Chromosom 1 und dem FUS-Gen auf Chromosom 16 sind bei einer kleinen Zahl der Fälle wichtig. "Diese Proteine scheinen aber bei sehr viel mehr Fällen eine Rolle zu spielen - wie auch bei der Frontotemporalen Demenz", sagt Professor Christian Haass von der LMU München und vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Beim gesunden Menschen befindet sich die Mehrzahl dieser Moleküle im Zellkern der Neurone und hilft dort bei der Übertragung genetischer Information in Proteine. In den Nervenzellen von ALS- oder FTD-Patienten sammeln sich die Proteine aber im Zellkörper und bilden dort krankhafte Ablagerungen. "Bislang war unbekannt, warum derartige Stress-Körnchen entstehen", so Haass. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Instituts für Neuropathologie in Zürich, dem Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena und dem Vancouver General Hospital in Vancouver (Kanada) untersuchte sein Team deshalb, welche zellulären Mechanismen das FUS-Protein bei ALS im Zellkörper akkumulieren lassen. Dabei konnten die Wissenschaftler erstmals nachweisen, dass die bereits bekannten genetischen Defekte den "Adresscode" von Proteinen betreffen: Bei ALS ist dieses Signal so stark verändert, dass die FUS-Proteine statt in den Zellkern in den Zellkörper und damit an den falschen Bestimmungsort gelangen.

Die Forscher konnten zudem einen Zusammenhang zwischen der Schwere der genetischen Beeinträchtigung und dem Erkrankungsalter sowie dem Schweregrad von ALS beobachten. Eine späte Form beginnt im Alter von über 40 Jahren, während eine frühe Form bereits im Alter von unter 30 Jahren zum Ausbruch kommt. "Uns gelang der Nachweis, dass der genetische 'Adresszettel' bei früh erkrankten Patienten nahezu unlesbar ist", so Haass. "Ist das Signal noch teilweise lesbar, tritt die Erkrankung spät auf und verläuft auch milder. Wir konnten auch zeigen, dass die fehlgeleiteten Proteine im Zellkörper offenbar dann verklumpen, wenn sie Hitzestress oder Alterungsprozessen ausgesetzt sind." Die Ergebnisse lassen die Entstehungsmechanismen von ALS wie auch FTD besser verstehen. Weiterführende Studien sollen nun klären, ob die Symptome durch die Ablagerungen im Zellkörper oder durch den Funktionsverlust der Proteine im Zellkern entstehen. (CA/suwe)

Ansprechpartner:
Professor. Christian Haass
LMU und Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
E-Mail: chaass@med.uni-muenchen.de
Web: www.biochemie.abi.med.uni-muenchen.de/index.html

Publikation:
"ALS-associated fused in sarcoma (FUS) mutations disrupt Transportin-mediated nuclear import"
Dorothee Dormann, Ramona Rodde, Dieter Edbauer, Eva Bentmann, Ingeborg Fischer, Alexander Hruscha, Manuel E. Than, Ian R. A. Mackenzie, Anja Capell, Bettina Schmid, Manuela Neumann, Christian Haass
The EMBO Journal online, 6. Juli 2010
DOI: 10.1038/emboj.2010.143

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution114

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 06.07.2010

Raute

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010