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MELDUNG/563: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 22.06.12 (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilungen

→  Zentrum für Seltene Erkrankungen in Ulm gegründet
→  Mit molekularen "Klebern" gegen krankmachende Enzyme
→  Wie passt sich das Gehirn an die Umwelt an? Forscher in Saarbrücken und Peking suchen Antworten



Universitätsklinikum Ulm - 21.06.2012

Zentrum für Seltene Erkrankungen in Ulm gegründet

Mit einer gelungenen Gründungsfeier und in Anwesenheit von Prof. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, eröffnete heute, 21. Juni, die Ulmer Universitätsmedizin ihr neues Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE Ulm). Ziel des neuen Anlaufpunktes ist u.a. eine verbesserte regionale und überregionale Betreuung von Patientinnen und Patienten, die durch interdisziplinäre Sprechstunden und eine generell enge Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachrichtungen in Bezug auf Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge, aber auch Forschungs- und Fortbildungsseminaren für Ärzte erreicht werden soll.

"Bei seltenen Erkrankungen ist es besonders wichtig, dass Forschung und medizinische Versorgung gemeinsam nach Therapiemöglichkeiten suchen", sagte Bundesministerin Annette Schavan, "denn nur wenn es gelingt, das Expertenwissen über Disziplinen und Ländergrenzen hinweg auszutauschen, können daraus Therapieerfolge entstehen."

Eine Krankheitshäufigkeit von weniger als 1:2.000 wird als seltene Erkrankung eingestuft. Da es aber rund 7.000 seltene Krankheiten gibt, und diese zudem oftmals einen chronischen Verlauf nehmen, sehen sich Menschen eben doch sehr häufig mit seltenen Erkrankungen konfrontiert. Schätzungen gehen von rund vier Millionen Betroffenen allein in Deutschland aus. "Oftmals ist bei seltenen Erkrankungen die Diagnosedauer von etwa 15 Jahren viel zu lang", erläutert Prof. Dr. Frank Lehmann-Horn, Hertie-Seniorforschungsprofessor und Vorstandsmitglied des neuen ZSE Ulm. "Hinzu kommt, dass für eine endlich erkannte seltene Erkrankung oftmals keine spezifischen Therapien zur Verfügung stehen. Zwei wichtige Faktoren, die Betroffenen eine gezielte Krankheits- und Lebensbewältigung sehr schwer machen - hier ist das gesamte familiäre und berufliche Umfeld gefordert, an das wir uns mit unseren interdisziplinären Angeboten ebenfalls wenden werden."

Insbesondere die Wichtigkeit eines breitgefächerten Angebots mit fundierter Forschung und Behandlung einerseits und psychosozialer Hilfestellung andererseits unterstrichen die weiteren Redner auf der Gründungsfeier, zu denen Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner und Prof. Dr. Klaus-Michael Debatin, Vizepräsident für Medizin an der Universität Ulm und Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, sowie Dr. Steve Groft vom National Institute of Health, Washington, DC, gehörten.

Eva Luise Köhler sprach als Vertreterin der Eva Luise & Horst Köhler Stiftung und Schirmherrin der ACHSE e.V. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen). Sie betonte, dass die Gründung des neuen Zentrums dazu beitrage, die Forschung weiter voranzutreiben. Schließlich könne die Entschlüsselung seltener Krankheiten zum Verstehen grundlegender Prozesse beitragen, die auch Ursache für weitaus häufigere Erkrankungen sein können.

Prof. Dr. Reinhard Dengler, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V., wies in seinem Schlusswort darauf hin, dass seltene Erkrankungen weniger im Fokus von Politik, Krankenkassen und der Öffentlichkeit stehen, als z. B. ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall. Deshalb sei eine Bündelung der Kräfte und ein Zusammenschluss zu größeren Verbünden sinnvoll.

Das ZSE Ulm ist Teil des vor rund zweieinhalb Jahren gegründeten "Netzwerks Seltene Erkrankungen Baden-Württemberg". In Ulm stehen nun in diesem Rahmen Experten aus folgenden Fachrichtungen zur Verfügung (Auszug):

  • Dermatologie (z.B. Kollagenosen, komplexe Dermatosen)
  • Neurologie, Humangenetik, Neurochirurgie, Neurophysiologie (z.B. degenerative oder entzündliche Erkrankungen des (Zentral-)Nervensystems, seltene Anfallserkrankungen, Phakomatosen, neuronale Kanalopathien)
  • Kinder- und Jugendmedizin (z.B. angeborene Immundefekte)
  • Klinik für Innere Medizin III, Transfusionsmedizin, Kinder- und Jugendmedizin (Hämatopoiese-Defekte)
  • Humangenetik, Klinik für Innere Medizin I (genetische Tumorerkrankungen)
  • Klinik für Innere Medizin II (Kardiomyopathien und Rhythmusstörungen)
  • Orthopädie, Allgemein- und Viszeralchirurgie, Kinder- und Jugendmedizin, Humangenetik, Department für Zahnheilkunde, Klinik für Innere Medizin I (z.B. seltene Erkrankungen im Kindesalter, seltene Diabetesformen, Osteo-Zahndysplasien, Mukoviszidose, seltene Adipositasformen)

Weitere Informationen
Kontaktstelle ZSE Ulm, Albert-Einstein-Allee 11, 89081 Ulm,
Telefon 0731-500 23870, Fax 0731-8800 9573
Ansprechpartnerin ist Sonja Merlak. Sie beantwortet Fragen rund um das ZSE Ulm und vermittelt Termine in Bezug auf Spezialsprechstunden.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1093

Quelle: Universitätsklinikum Ulm, Jörg Portius, 21.06.2012

Raute

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 21.06.2012

Mit molekularen "Klebern" gegen krankmachende Enzyme

Mainzer Wissenschaftler haben einen neuen Angriffspunkt zur Blockierung des Eiweiß-spaltenden Enzyms Taspase1 identifiziert. Dabei spielt das "Aneinanderkleben" einzelner Taspase1-Enzyme eine zentrale Rolle, um deren tumorfördernde Eigenschaften zu verhindern. Taspase1 ist beispielsweise in Krebszellen von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren vermehrt vorhanden, spielt aber auch bei Leukämien und anderen soliden Krebsarten eine Rolle. Die Ergebnisse der von Univ.-Prof. Dr. Roland Stauber an der Hals-, Nasen-, Ohren-Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz durchgeführten Studie sind kürzlich in der Fachzeitschrift "The FASEB Journal" (Bier et al., 2012) erschienen.

Eiweiß-spaltende Enzyme, so genannte Proteasen, spielen nicht nur bei wichtigen Prozessen im gesunden Körper - wie beispielsweise der Blutgerinnung - sondern auch bei Erkrankungen wie Krebs, Alzheimer und Infektionskrankheiten eine zentrale Rolle. Gegen einige dieser "krankmachenden" Enzyme gibt es bereits Wirkstoffe, die mit unterschiedlichem Erfolg in der Klinik eingesetzt werden. Ein Vertreter aus dieser Eiweißfamilie - die Protease Taspase1 - bereitet den Forschern jedoch besonderes Kopfzerbrechen. "Derzeit gibt es noch kein Medikament, welches in der Lage ist, Taspase1 zu inhibieren. Auch fehlten über die genaue Funktion dieses Enzyms bisher detaillierte Erkenntnisse", so Professor Stauber.

Bereits vor fast 10 Jahren fanden die Forscher erste Hinweise darauf, dass Taspase1 in Krebszellen von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren vermehrt vorhanden ist. Damals war nicht bekannt, welche Rolle diese Protease spielt, und wie sie in Tumorzellen funktioniert. Neue Erkenntnisse belegen die Bedeutung von Taspase1 neben Leukämien auch für andere solide Krebsarten. Dabei scheint Taspase1 durch die Spaltung verschiedener anderer Eiweiße Kontrollmechanismen gesunder Zellen außer Kraft zu setzen und somit die Krebsentstehung entscheidend zu begünstigen. Nach umfangreichen Forschungsarbeiten, welche unter anderem durch die Stiftung Tumorforschung Kopf-Hals, die Deutsche Krebshilfe, die Thyssen Stiftung sowie inneruniversitäre Mittel unterstützt wurden, gelang es den Forschern, neue Einsichten in die genaue Funktionsweise dieses Enzyms zu gewinnen. "Bisher hat man angenommen, dass zwei Taspase1-Enzyme zusammenkommen müssen, um aktiv zu werden und andere Eiweiße in Zellen zu spalten", erklärt Professor Stauber. "Unsere Arbeiten deuten nicht nur darauf hin, dass bereits ein Taspase1-Molekül ausreicht, sondern dass wir umgekehrt durch das 'Aneinanderkleben' zweier Taspase1-Enzyme sogar deren tumorfördernde Eigenschaften blockieren können."

Damit haben die Mainzer Wissenschaftler einen völlig neuen Angriffspunkt zur Entwicklung möglicher Wirkstoffe gegen Taspase1 aufgedeckt. "Wir sind nun auf der Suche nach chemischen Substanzen, die als molekulare Taspase1-'Klebstoffe' wirken.", so Professor Stauber weiter. Im Rahmen der Initiative "Chemische BioMedizin" setzen die Forscher dabei auf den Reichtum von Mutter Natur. "Naturstoffe aus Pilzen und marinen Schwämmen stellen eine besondere Quelle möglicher neuer Wirkstoffe dar. Die Evolution hat die chemischen Stoffe in lebenden Organismen gleichsam bereits vorgetestet, so dass wir vergleichsweise reelle Chancen haben, geeignete Stoffe zu finden", beschreibt Professor Stauber die nächsten Schritte. "Bei dieser Suche nach der ,Stecknadel im Heuhaufen' ist die Robotik-Plattform des Mainz Screening Center eine wertvolle Hilfe."

Originalveröffentlichung
Bier, C., Knauer, S. K., Wünsch, D., Kunst, L., Scheiding, S., Kaiser, M., Ottmann, C., Kramer, O. H., and Stauber, R. H. (2012).
Allosteric inhibition of Taspase1's pathobiological activity by enforced dimerization in vivo.
The FASEB J. fj.11-202432.

Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Roland H. Stauber
Molekulare und Zelluläre Onkologie/Mainz Screening Center
Hals-, Nasen-, Ohren-Klinik und Poliklinik - Plastische Operationen
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Langenbeckstr. 1, 55131 Mainz
E-Mail: roland.stauber@unimedizin-mainz.de

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet.
Weitere Informationen im Internet unter
www.unimedizin-mainz.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1431

Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dr. Renée Dillinger-Reiter, 21.06.2012

Raute

Universität des Saarlandes, Friederike Meyer zu Tittingdorf, 21.06.2012

Wie passt sich das Gehirn an die Umwelt an?

Forscher in Saarbrücken und Peking suchen Antworten

Wie speichert das menschliche Gehirn Informationen ab, etwa wenn eine neue Sprache erlernt wird? Wie kann man Patienten helfen, deren räumliche Wahrnehmung gestört ist? Und beeinflussen kulturelle Unterschiede die Art und Weise, wie das Gehirn seine Leistungen vollbringt? Mit solchen Fragen beschäftigen sich seit vier Jahren Wissenschaftler eines internationalen Graduiertenkollegs der Universität des Saarlandes. Die Saarbrücker Forscher arbeiten dabei eng mit Psychologen an der renommierten Chinese Academy of Sciences in Peking zusammen.

Nach einer umfänglichen Evaluation hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dieses Kolleg jetzt bis 2017 verlängert und wird weitere rund 3,7 Millionen Euro für die Doktoranden der Psychologie und Neuroradiologie zur Verfügung stellen.

"In mehreren Forschungsprojekten beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Gedächtnisleistungen und andere kognitive Prozesse durch die Lebensumwelten innerhalb und über Kulturen hinweg beeinflusst werden", erläutert Axel Mecklinger, Professor für Experimentelle Neuropsychologie der Saar-Uni und Sprecher des Graduiertenkollegs. In diesen Projekten kommen deshalb auch verstärkt moderne neurowissenschaftliche Verfahren wie die Elektroenzephalographie und die funktionelle Magnetresonanztomographie zum Einsatz. Zum Beispiel geht es dabei um die Frage, wie sich in beiden Kulturen verschiedene Faktoren wie Motivation, Persönlichkeitsstruktur des Kindes oder der elterliche Einfluss auf den schulischen Erfolg auswirken. Auch die Veränderbarkeit kognitiver Strukturen und ihre neuronalen Grundlagen werden erforscht. Dabei wird beispielsweise untersucht, ob man das Erlernen einer neuen Sprache verbessern kann, indem man gezielt jene Gedächtnisprozesse trainiert, die in der Zielsprache besonders gefordert werden. "Die Wissenschaftler interessiert hierbei auch, wie sich solche Prozesse über die Lebensspanne verändern. Was ändert sich, wenn sich Kinder, Jugendliche oder Erwachsene neues Wissen aneignen?", erläutert Mecklinger.

Bei den künftigen Forschungsprojekten sollen verstärkt auch krankhafte Veränderungen im Gehirn und psychische Erkrankungen einbezogen werden. "Wenn wir besser verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert, können wir geschädigte Hirnregionen möglicherweise durch gezieltes Training reaktivieren. Dies ist nicht nur für Schlaganfall-Patienten wichtig, die häufig mit Sprachverlusten zu kämpfen haben, sondern auch bei Tumoren oder nach Unfällen, wenn etwa die Wahrnehmung des Raumes gestört ist", erklärt der Psychologie-Professor. Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Forschern erlaubt neue Einsichten, da unterschiedliches Verhalten von Menschen, die in der westlichen und fernöstlichen Kultur sozialisiert wurden, auch auf unterschiedliche kognitive Mechanismen schließen lassen. Ein Beispiel sind traumatische Erlebnisse. "China weist viele Erdbebenregionen auf, in denen die Menschen mit posttraumatischen Belastungen zurechtkommen müssen. Hier könnten neue Forschungsprojekte ansetzen, mit denen man dann auch Menschen helfen könnte, die andersartige traumatische Erlebnisse hatten", nennt Mecklinger als Ziel.

Alle Saarbrücker Doktorandinnen und Doktoranden des internationalen Graduiertenkollegs verbringen einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in China und mehrere chinesische Psychologen forschen außerdem für längere Zeit in Saarbrücken. Die Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft fließen komplett an die Universität des Saarlandes. Die Psychologen der Saar-Uni betreuen die Forschungsvorhaben und koordinieren das Kolleg. In dem deutsch-chinesischen Graduiertenkolleg mit dem Titel "Adaptive Minds: Neural and Environmental Constraints on Learning and Memory" haben bisher mehr als zwanzig Doktoranden und vier Postdoktoranden erfolgreich unterschiedliche Forschungsprojekte bearbeitet.

Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Axel Mecklinger
Lehrstuhl für Experimentelle Neuropsychologie
Mail: mecklinger@mx.uni-saarland.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution8

Quelle: Universität des Saarlandes, Friederike Meyer zu Tittingdorf, 21.06.2012

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2012