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UMWELT/815: Anstieg von Schilddrüsenunterfunktion bei Neugeborenen in Japan nach Fukushima (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 750-751 / 32. Jahrgang, 5. April 2018 - ISSN 0931-4288

Folgen von Fukushima
Anstieg von Schilddrüsenunterfunktion bei Neugeborenen in Japan nach Fukushima

Von Alfred Körblein*


Jahresdaten der Prävalenz von Schilddrüsenunterfunktion (angeborene Hypothyreose) bei Neugeborenen in einer Studienregion bestehend aus der Präfektur Fukushima und fünf benachbarten Präfekturen weisen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima einen statistisch signifikanten Anstieg auf mit Maximum im Jahr 2014. Vergleichsregion ist Japan ohne die Studienregion.

Hintergrund

Angeborene Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) tritt bei etwa einem von 3000 Neugeborenen auf. Wenn die Krankheit nicht erkannt und behandelt wird, kommt es zu einer Verzögerung des Wachstums und zu einer Verringerung der Intelligenz, die sich umso gravierender auswirkt, je später die Behandlung beginnt. In Deutschland, wie auch in den meisten entwickelten Ländern, werden Neugeborene routinemäßig auf den Gehalt an Thyreotropin (TSH) im Trockenblut untersucht. Erhöhte TSH-Werte weisen auf eine verminderte Produktion von Schilddrüsenhormon hin. Die Tests sollten während der ersten drei Lebenstage durchgeführt werden.

Im Jahr 2013 sorgte eine amerikanische Studie für Aufsehen, die nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima einen signifikanten Anstieg von angeborener Hypothyreose bei Neugeborenen in den fünf U.S.-Pazifikstaaten Hawaii, Alaska, Washington, Oregon und Kalifornien ermittelt hatte [1]. Zwar gab es Kritik an den Methoden [2], jedoch bestätigte meine Reanalyse der Daten die Hauptaussage der Studie [3].

Kürzlich erhielt ich Jahresdaten der Prävalenz von Schilddrüsenunterfunktion bei Neugeborenen in einigen höher radioaktiv belasteten Präfekturen Japans, sowie für ganz Japan. Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu prüfen, ob in der Folge der Reaktorkatastrophe von Fukushima auch in Japan ein Anstieg der Prävalenz von Schilddrüsenunterfunktion nachweisbar ist.


Daten und Methoden

Die jährliche Anzahl von Neugeborenen mit diagnostizierter Schilddrüsenunterfunktion und die Anzahl der untersuchten Neugeborenen für die Jahre 2000 bis 2016 wurden von dem in Berlin lebenden japanischen Journalisten Masao Fukumoto beschafft und mir zur Auswertung übergeben. Für die Analyse der Daten wird ein Studiengebiet definiert, bestehend aus den Präfekturen Fukushima, Miyagi, Gunma, Tochigi, Ibaraki und Chiba; als Kontrollgebiet dient der Rest von Japan.

Für die Auswertung wird aus rechentechnischen Gründen nicht die Prävalenz, also der Quotient aus der Anzahl kranker (K) zur Zahl aller untersuchten Neugeborenen (N) verwendet, sondern die sogenannten Chancen, englisch odds, wobei Chance der Quotient aus der Anzahl kranker (K) zur Zahl gesunder (N-K) Neugeborener ist. Für sehr kleine Prävalenzen ist der Unterschied zwischen Prävalenz und Chance vernachlässigbar.

Im Folgenden wird geprüft, ob das Chancenverhältnis in den Jahren nach Fukushima höher ist als zuvor. Dazu wird eine varianzgewichtete lineare Regression der Logarithmen der odds ratios mit einer Dummy-Variable d1216 für die Jahre 2012 bis 2016 durchgeführt und geprüft, ob sich der Schätzwert für d1216 von Null unterscheidet. Die Signifikanz des Effekts von d1216 wird durch einen zweiseitigen t-Test bestimmt. Ein p-Wert kleiner als 0,05 wird als statistisch signifikant angesehen.

Ergebnis

Das Hauptergebnis der Studie ist ein Anstieg der Hypothyreose-Prävalenz in der Studienregion in den Jahren 2012 bis 2016 um 35 Prozent (95% CI: 14%, 61%), p = 0,002. Ein Maximum der Prävalenz zeigt sich im Jahr 2014, in diesem Jahr ist die Prävalenz in der Studienregion um 58 Prozent höher als in der Kontrollregion. Deshalb wird zusätzlich eine explorative Analyse mit einem Modell mit glockenförmigem Zusatzterm durchgeführt (siehe Abbildung unten). Erwartungsgemäß passt das Modell besser zu den Daten als die Stufenfunktion; die Summe der Fehlerquadrate sinkt von 22,2 (df = 15) auf 16,9 (df = 13). Die Erhöhung in den Jahren 2012 bis 2016 entspricht 104 zusätzlichen Neugeborenen mit angeborener Hypothyreose.


Grafik: Prävalenz von Schilddrüsenunterfunktion bei Neugeborenen um Fukushima und der Prävalenz im restlichen Japan

Die Tatsache, dass die Hypothyreose-Prävalenz erst 2 bis 3 Jahre nach der Katastrophe von Fukushima ein Maximum annimmt, schließt einen direkten Effekt von radioaktivem Jod auf die fötale Schilddrüse aus; die Halbwertszeit von Jod-131 beträgt nur 8 Tage. Auch wenn der Ursache-Wirkungszusammenhang noch ungeklärt ist: der Peak im Jahr 2014 ist so auffällig, dass er kaum mit Zufall erklärt werden kann.

Mein besonderer Dank gilt Masao Fukumoto für die Anregung zu dieser Studie und die Beschaffung der Daten.


Dr. Alfred Körblein,

alfred.koerblein@gmx.de


Anmerkungen

[1] Mangano JJ and Sherman JD: Elevated airborne beta levels in Pacific/West Coast US States and trends in hypothyroidism among newborns after the Fukushima nuclear meltdown. Open Journal of Pediatrics 2013, 3, 1-9. doi: 10.4236/ojped.2013.31001. Verfügbar unter:
http://file.scirp.org/pdf/OJPed_2013030716594887.pdf

[2] Steve Wing: Letter to the Editor of Open Journal of Pediatrics. Verfügbar unter:
http://fukushimavoice-eng2.blogspot.de/2013/07/steve-wing.html

[3] Alfred Körblein: Letter to the Editor of Open Journal of Pediatrics. Verfügbar unter:
http://fukushimavoiceeng2.blogspot.de/2013/05/aletter-to-editor-regardingcongenital.html


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_18_750-751_S05-06.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, April 2018, Seite 5 - 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2018

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