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UMWELT/842: Verkehrsabgase und Luftverschmutzung - eine Gefahr für die Gesundheit (Securvital)


Securvital 3/2019 - Juli-September
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Bessere Luft
Was gegen Feinstaub und Abgase zu tun ist

von Norbert Schnorbach


Verkehrsabgase und Luftverschmutzung sind eine Gefahr für die Gesundheit. Nicht nur Ozon und Stickoxide belasten die Luft in den Großstädten. Vor allem die Gefährdung durch Feinstaub müsste verringert werden.


Anfang des Jahres fanden einige Lungenärzte viel Aufmerksamkeit in den Medien mit der Behauptung, Verkehrsabgase seien nicht sonderlich ungesund. Das waren willkommene Schlagzeilen für die Autoindustrie ebenso wie für autofreundliche Verkehrspolitiker. Alles halb so wild, hieß es, die Luftqualität sei doch in Ordnung, nächstes Jahr werde alles besser, neue Grenzwerte seien unnötig und Autoabgase weniger schlimm als Rauchen.

Doch nun stellt sich immer klarer heraus, dass das Gegenteil richtig ist. Die Verharmlosung der Luftschadstoffe durch die Lungenärzte war "wissenschaftlicher Unfug", sagt Professor Johannes Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. Die Luftverschmutzung sei ohne jeden Zweifel eine große Gesundheitsgefahr. Sie verstärke zudem andere Risikofaktoren, die dafür verantwortlich sind, dass viele Menschen früher sterben.

"Unsere Forschungen zeigen eine viel höhere Krankheitsbelastung durch Luftverschmutzung als bisher angenommen", urteilt auch Professor Thomas Münzel, Experte für Herz-Kreislauf-Krankheiten in Mainz. "Der europäische Grenzwert für Feinstaub, der bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt liegt, ist viel zu hoch und eine Reduktion auf die von der WHO geforderten elf Mikrogramm pro Kubikmeter ein absolutes Muss."

Weil die politische Debatte so hohe Wellen schlug, bat Bundeskanzlerin Angela Merkel um eine objektive Beurteilung durch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, einen Zusammenschluss von 1500 renommierten Wissenschaftlern. Deren Stellungnahme, im April veröffentlicht, brachte größere Klarheit in die Auseinandersetzung. Die zentralen Feststellungen sind: Die Gesundheitsgefahr durch Feinstaub ist größer als bisher angenommen. Verkehrsabgase schädigen die Atemwege. Sie verstärken Herz-Kreislauf-Krankheiten und können Lungenkrebs verursachen.

Die Wissenschaftler der Leopoldina fordern weiter gehende politische Maßnahmen, um die Konzentration von Schadstoffen in der Luft zu reduzieren, vor allem beim Feinstaub. Dabei helfen vereinzelte lokale Dieselfahrverbote allerdings wenig. Vielmehr sei eine umfassende und nachhaltige Verkehrswende nötig, heißt es im Untersuchungsbericht der Leopoldina über "Stickstoffoxide und Feinstaub in der Atemluft".

Feinstaubrisiko

Darüber hinaus warnen die Wissenschaftler vor dem hohen Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, weil diese den Klimawandel und die damit zusammenhängenden Gesundheitsprobleme verschärfen.

"Die Luft in Deutschland ist besser geworden, aber noch nicht gut genug, besonders in einigen großen Städten."
Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts

Das Umweltbundesamt (UBA) bestätigt diese Ergebnisse. Beim Stickstoffdioxid, das im Zentrum der Debatte über Dieselmanipulationen und Fahrverbote steht, sollten die EU-Grenzwerte zum Schutz der Bevölkerung unbedingt eingehalten und keinesfalls aufgeweicht werden, mahnt die UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Die aktuellen Feinstaubmengen durch Autoverkehr, Industrieemissionen, Landwirtschaft und Holzverbrennung seien sogar ein noch größeres Risiko für die Gesundheit. Das müsse dringend reduziert werden, fordert die UBA-Präsidentin.

Dauer-Smog

Noch einen konkreten Schritt weiter will die Weltgesundheitsorganisation WHO gehen. Sie arbeitet daran, die internationalen Grenzwerte zu verschärfen, und weist auf die globale Dimension des Problems hin: Weltweit leben 90 Prozent aller Menschen in schlechter Luft. Sieben Millionen sterben jedes Jahr an den direkten und indirekten Folgen, stellte die WHO in einem kürzlich veröffentlichten Bericht fest.

Bei den politischen Zielen der Weltgesundheitsorganisation stehen Maßnahmen gegen Luftverschmutzung und Klimawandel in den nächsten vier Jahren ganz weit oben auf der Prioritätenliste. "Die größte Bürde tragen die ärmsten und am stärksten benachteiligten Menschen weltweit", erklärte der Generalsekretär der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus. In vielen Millionenstädten mit Dauer-Smog liege die Schadstoffbelastung weit über den verantwortbaren Richtwerten.

Besonders schlimm sei es in den Ballungsräumen in Asien, Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten. Weniger schlecht sei die Luftqualität in Ländern mit hohen Einkommen, in Europa, USA, Kanada und Australien, aber auch hier verkürze die verschmutzte Luft die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen um bis zu zwei Jahre.

Kürzere Lebenserwartung

Die gesundheitlichen Auswirkungen des Feinstaubs stehen seit einiger Zeit verstärkt im Fokus der Wissenschaft. Das medizinische Fachmagazin "The Lancet" kam vor zwei Jahren zu dem Urteil: "Luftverschmutzung ist einer der großen Killer unserer Zeit". Weltweit würden jährlich 6,4 Millionen Todesfälle durch Luftschadstoffe verursacht, sehr viel mehr als durch Aids (1,2 Millionen), Tuberkulose (1,1 Millionen) und Malaria (0,7 Millionen).

"Der europäische Grenzwert für Feinstaub, der bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt liegt, ist viel zu hoch."
Prof. Thomas Münzel, Kardiologe an der Uni Mainz

Eine neuere Studie über die Verhältnisse in Europa stellte Prof. Johannes Lelieveld vor kurzem im Fachmagazin "European Heart Journal" vor. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Feinstaub für zahlreiche Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen verantwortlich ist und ein größeres Gesundheitsrisiko darstellt als bislang angenommen. Die Gesundheitsgefahr durch Feinstaub sei grundsätzlich vergleichbar mit Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen. Vor allem der Vergleich mit Tabakrauch ist aufschlussreich: Mehr als 100.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr an den Folgen des Rauchens - und etwa genauso viele an den Folgen der dreckigen Luft, schätzt Prof. Lelieveld. Mit einem Unterschied: "Rauchen ist individuell vermeidbar, Luftverschmutzung hingegen nicht".

Tausendstel Millimeter

Besonders fatal ist, dass die Feinstaubgefahr für den Menschen umso größer ist, je kleiner die Partikel sind. Die Wissenschaftler haben drei Feinstaub-Kategorien im Visier. Partikel unter 10 Mikrometer (ein Mikrometer entspricht einem Tausendstel Millimeter) schweben milliardenfach in der Atemluft. Die Schleimhäute filtern sie meist schon heraus, bevor sie die Bronchien und die Lunge erreichen.

Gefährlicher ist die Kategorie der Mini-Feinstäube unter 2,5 Mikrometer, die bis in die feinsten Lungenbläschen gelangen. Sie können Entzündungen, Bronchitis und Asthma auslösen und Herzinfarkte und Schlaganfälle wahrscheinlicher machen, wobei die genauen Mechanismen zurzeit noch erforscht werden. Am verhängnisvollsten ist die Kategorie der Ultra-Feinstäube, die kleiner sind als ein Mikrometer. Sie werden mit jedem Atemzug tief in die Lunge eingeatmet. Von dort gelangen sie weitgehend ungehindert in den Blutkreislauf des Menschen und können offenbar Giftstoffe bis ins Gehirn transportieren.

Es gibt noch großen Forschungsbedarf, welche Auswirkungen das auf die Gesundheit haben kann, zumal Feinstaub in unterschiedlichster Größe und Zusammensetzung auftritt. Der größte Teil des Feinstaubs in der Luft stammt nach Angaben des Umweltbundesamts aus Industrie und Straßenverkehr. Hinzu kommen Heizungsanlagen, insbesondere Holzheizungen und Kaminöfen. Eine beträchtliche Quelle ist auch die Massentierhaltung in der Landwirtschaft. Das dort entstehende Ammoniakgas kann sich durch Anlagerung anderer Moleküle in Feinstaubpartikel umwandeln. Der UBA-Experte Dr. Marcel Langner gibt deshalb den Rat an Verbraucher: "Weniger gefahrene Kilometer und weniger Fleischkonsum bedeuten automatisch weniger Feinstaub".

Ultrafeine Gefahren

Saubere Luft ist "ein lebenswichtiges öffentliches Gut", betont die Leopoldina. Weil die menschliche Gesundheit in hohem Maße von Umwelt und Klima abhängt, gehöre "der Kampf gegen Luftverschmutzung zu den vorrangigen Aufgaben einer verantwortungsvollen Umwelt- und Gesundheitspolitik." Die Wissenschaftler empfehlen eine ganze Reihe von Maßnahmen. Dazu gehören schärfere Grenzwerte für Feinstaub und schnellstmögliche Software-Updates bei Dieselfahrzeugen. Außerdem mehr Elektrofahrzeuge, Modernisierung von Bussen, höhere Benzinpreise und eine Wende in der Verkehrspolitik, die emissionsarme Mobilität wie Fahrradfahren stärker fördert.

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Verkürzte Lebenszeit


Die Berechnungen sind kompliziert und ergeben nur einen statistischen Durchschnittswert. Aber sie machen erschreckend deutlich, welche Folgen die Luftverschmutzung für die Gesundheit hat: 800.000 Lebensjahre gehen in Deutschland pro Jahr wegen schwerer Krankheiten und vorzeitigem Tod durch Luftschadstoffe verloren, schätzt die internationale Studie "Global Burden of Disease" (www.healthdata.org).

Umgerechnet auf die Bevölkerung und die Lebenserwartung bedeutet das: Der Dreck in der Luft verkürzt das Leben jedes Einzelnen im Durchschnitt um fast ein Lebensjahr. Prof. Johannes Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz (www.mpic.de), berechnet das Risiko der Luftverschmutzung noch höher: Sie koste jeden Europäer im Durchschnitt fast zweieinhalb Lebensjahre.
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Einen Lichtblick gibt es: Verbesserungen sind machbar. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Luftqualität in Deutschland nach Angaben der Leopoldina nicht schlechter, sondern langfristig besser geworden. Effizientere Filtertechnik in Kraftwerken, die Einführung von bleifreiem Benzin und Katalysatoren für Autos und bessere Heizungssysteme haben den Schadstoffgehalt der Luft insgesamt gesenkt. In diese Richtung könne also durchaus noch mehr getan werden, fordern die Wissenschaftler.

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Quelle:
Securvital 3/2019 - Juli-September, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2019

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