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BILDUNG/697: Die Zukunft des Medizinstudiums hat in Lübeck schon begonnen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2010

Kammerversammlung
Die Zukunft des Medizinstudiums hat in Lübeck schon begonnen

Von Dirk Schnack


Das Studium ist besser als sein Ruf. Hohe Auszeichnung für Dr. Bärbel Mahler. Präsident Dr. Franz-Joseph Bartmann stellt Ärzte auf Ende der PKV ein.


Zu viel Ballast und zu wenig Praxis im Medizinstudium, mangelnde Vorbereitung auf das Berufsleben, zu viele Medizinstudenten brechen ihr Studium ab - die Liste der vermeintlichen Probleme ist lang, es scheint einiges schief zu laufen bei der Medizinerausbildung in Deutschland. Die Kammerversammlung nahm dies zum Anlass, sich in ihrer jüngsten Sitzung intensiv mit dem Thema Medizinstudium auseinander zu setzen und sich von kompetenten Referenten informieren zu lassen.

Einer von ihnen war Prof. Jürgen Westermann aus Lübeck. Er berichtete nicht vom sturen Auswendig lernen oder von multiple choice-Tests, sondern von einem Medizinstudium, das den Studenten Lust aufs Lernen vermittelt, ihnen genügend Freiräume lässt und keine vorschnellen Festlegungen erfordert. Das ist für viele junge Studenten Realität an der Uni Lübeck. Beste Bewertungen in bundesweiten Vergleichstests bestätigen, dass das Medizinstudium in der Hansestadt empfehlenswert ist. Und anschließende Äußerungen aus den Reihen der Kammerabgeordneten zeigten, dass die Lübecker Uni damit nicht das Rad neu erfinden musste, sondern dass Ärzte auch in anderen Zeiten und an anderen Studienorten ihr Medizinstudium genossen haben.

Dr. Henrik Herrmann aus dem Kammervorstand räumte nach Westermanns Vortrag ein, sich am liebsten noch einmal in den Hörsaal setzen zu wollen. Ist die Zukunft der Medizinerausbildung in Deutschland also gar nicht so düster, wie sie manchmal dargestellt wird? Westermann nannte Fakten aus Lübeck: Eine Abbrecherquote von nur fünf Prozent, eine Durchfallquote von zehn Prozent, eine Studiendauer von 14 Semestern (bei 13 Semestern Regelstudienzeit und einer Quote von 60 Prozent der Studenten, die ein Auslandssemester einlegen). Zum reinen Lernerfolg, den Lübecks Studenten vorweisen können, kommt eine Atmosphäre auf dem Campus hinzu, die Westermann Recht zu geben scheint. In Lübeck wird berücksichtigt, dass junge Menschen nicht sechs Jahre lang ausschließlich studieren können, sondern auch leben wollen. Dazu brauchen sie Freiräume, die ihnen offenbar nicht an allen Standorten gelassen werden. Westermann sieht diese Freiräume aber als entscheidend an in einer der wichtigsten Lebensphasen der angehenden Mediziner. Zugleich unterstrich er, dass bei allen Optimierungsmöglichkeiten das Studium in Deutschland gut ausgebildete Ärzte hervorbringe: "Wir streiten uns auf ganz hohem Niveau, was den Studiengang Medizin in Deutschland angeht. Die deutschen Ärzte werden im Ausland mit Kusshand genommen - doch nicht, weil sie so schlecht ausgebildet sind."

Eines der Länder, in denen deutsche Ärzte gerne arbeiten, ist die Schweiz. Dort sammelt man inzwischen erste Erfahrungen mit dem in Deutschland kritisch verfolgten Modell des Master/-Bachelor Studiums. Die Medizinische Fakultät der Universität Zürich bietet ein solches Studium an, Dr. Christian Schirlo stellte es den Kammerabgeordneten vor. Vorbehalte gegen die Umsetzung des Bologna-Prozesses bestehen in Deutschland vor allem, weil man befürchtet, dass Medizin damit auf ein Fachhochschulniveau abgesenkt werden könnte - was Schirlo ebenfalls nicht anstrebt: "Wir wehren uns heftigst gegen den Schmalspurmediziner", stellte der Gast klar. Schirlo skizzierte das in Zürich eingeführte Modell, das nach sechs Jahren Studium zur eidgenössischen Prüfung in Humanmedizin führt und damit zur Berechtigung, die Weiterbildung zu beginnen. Im ersten Studienjahr werden natur- und humanwissenschaftliche Grundlagen gelegt. Im zweiten Studienjahr geht es um medizinisches Basiswissen und ärztliche Grundfertigkeiten, das Jahr steht unter dem Motto "Der gesunde Mensch". Im dritten Jahr folgen unter dem Motto "Der kranke Mensch" Grundlagen der klinischen Medizin. Nach diesen drei Jahren besteht die Möglichkeit, mit dem Bachelor of Medicine zu beenden und mit diesem Abschluss eine Tätigkeit außerhalb der Versorgung anzustreben. Die bisherigen Erfahrungen zeigen laut Schirlo aber, dass dieser Abschluss weitgehend ohne Relevanz ist, weil die Studenten sich mit dem Bachelor nicht begnügen, sondern weiter studieren. Im vierten Studienjahr werden die Grundlagen der klinischen Medizin vertieft, bevor im fünften Jahr zehn Monate lang praktische Erfahrungen gesammelt werden. Das abschließende sechste Jahr steht dann unter dem Motto "Hinführung zum ärztlichen Handeln", bevor der Master of Medicine verliehen wird. Im Studium legen die Eidgenossen Wert auf fächerübergreifenden Unterricht und interdisziplinäre Lerninhalte. Frontalunterricht wird abgelöst durch Kurse, Praktika, und E-Learning Module. Am Krankenbett lernen Kleingruppen. Die Studenten können außerdem Module aus verschiedenen Bereichen der klinischen Medizin wählen. Die bisherigen Erfahrungen sind laut Schirlo gut, er verschwieg aber nicht, dass die Umsetzung von Bologna auch in der Schweiz umfangreiche Diskussionen ausgelöst hat - diese sei aber auch Stimulus für Anpassungen und Qualitätsentwicklungen in der medizinischen Ausbildung gewesen. "Bologna in der Medizin stärkt die akademische/universitäre Medizin", bilanzierte Schirlo.

Am Ende herrschte weitgehend Konsens darüber, dass gute Leistungen der Medizinstudenten in verschiedenen Systemen möglich sind, wenn diese Systeme ausreichend mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201010/h10104a.htm

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Oktober 2010
63. Jahrgang, Seite 20 - 22
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2010