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ETHIK/670: Ökonom für Legalisierung des Organhandels (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - Montag, 19. Januar 2009

Ökonom für Legalisierung des Organhandels


fzm - "Was ist dagegen einzuwenden, dass ein gesunder Bürger eine seiner beiden Nieren zu einem nicht unerheblichen Preis verkauft?" fragt ein Wirtschaftswissenschaftler in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) und stellt damit ein ärztliches und gesellschaftliches Tabu in Frage. Ein Nierenexperte widerspricht ihm und hofft, dass eine offene Diskussion zu diesem Thema die Akzeptanz der legalen Lebendspende unter Verwandten und Bekannten erhöht.

Ein Organhandel ist in den meisten Ländern der Erde illegal. Er wird als ethisch zutiefst verwerflich und als Form der wirtschaftlichen Ausbeutung armer Menschen betrachtet, deren Körper als Ersatzteillager missbraucht wird. Der Deutsche Ärztetag hat den Organhandel zuletzt 2007 abgelehnt mit der Begründung, "dass der menschliche Körper keine veräußerliche Ware sein kann und sein darf." Für Professor Wulf Gaertner, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Osnabrück, wäre die Legalisierung der Lebendorganspende dagegen ein Weg, um betroffenen Menschen die Wartezeit für eine Niere von derzeit drei bis fünf Jahren deutlich zu verkürzen. Vielen Patienten, die derzeit nicht rechtzeitig ein geeignetes Spenderorgan erhalten, könnte das Leben gerettet werden, glaubt der Wirtschaftsexperte. Das Risiko für den Spender sei gering. Komplikationen treten nur nach einem Prozent der Entnahmen auf. Todesfälle seien extrem selten. Einem körperlich gesunden und über die Risiken aufgeklärten Menschen, sollte es deshalb erlaubt sein, ein Organ gegen eine Geldleistung abzugeben, findet Professor Gaertner.

Dem Ökonomen schwebt ein streng überwachter Markt vor. Als Käufer würde nicht der Kranke oder seine Familie auftreten, sondern eine öffentliche Institution. Diese müsste auch die Vergabe der Organe regulieren. Niemand müsse abgewiesen werden, weil er zahlungsunfähig ist. Der Empfänger müsste das Organ nicht bezahlen. Das Geld könnte aus dem öffentlichen Gesundheitssystem entnommen werden. Professor Gaertner: Für die USA konnte gezeigt werden, dass der Spender einer Niere allein aufgrund der eingesparten Hämodialysekosten knapp 100.000 Dollar erhalten könnte.

Auch für Professor Gaertner ist die Etablierung eines Organhandels allenfalls die zweitbeste Lösung. Besser wäre es, wenn die Zahl der Lebend- und Leichenspenden so hoch wäre, dass ein Handel unnötig wäre, schreibt er. Es gebe aber keine Hinweise, dass sich die Angebotslücke verringere.

Professor Frieder Keller von der Universität Ulm befürchtet dagegen, dass die Bereitschaft zur erlaubten sogenannten gerichteten Organspende, bei der Verwandte oder Bekannte das Organ spenden, stark zurückgehen würde, wenn Nieren für Geld gehandelt werden. Auch die Ablehnungsrate von Angehörigen bei hirntoten Spendern könnte nachlassen. Die Legalisierung des Organhandels würde seiner Ansicht nach das Solidaritätsprinzip der Gesellschaft schwächen. Gegen das Argument, die Spende bleibe freiwillig, führt Professor Keller an, dass die Spender nicht nur gegen einen fremdbestimmten, sondern auch gegen einen selbstgewollten Missbrauch geschützt werden müssten. Im Gegensatz zur Prostitution sei der Verkauf des eigenen Körpers beim Organhandel unumkehrbar.

Wie Professor Gaertner wünscht sich der Nierenspezialist Keller eine offene Diskussion über den kommerziellen Organhandel. Er erhofft sich dadurch, dass mehr Menschen als bisher sich zu einer gerichteten Organspende bereit finden. Der Anteil der Lebendspender sei in Deutschland mit 20 Prozent deutlich niedriger als in Skandinavien, wo 40 bis 50 Prozent der Organe von Lebenden und häufig von nicht-verwandten Spendern kommen.


W. Gaertner:
Legalisierung der kommerziellen Lebendorganspende in Deutschland:
Pro.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (50): S. 2644

F. Keller:
Legalisierung der kommerziellen Lebendorganspende in Deutschland:
Contra.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (50): S. 2645


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Quelle:
FZMedNews - Montag, 19. Januar 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2009