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ETHIK/828: Stellungnahme - Humanbiobanken für die Forschung (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 5 - Juli 2010 - 02/10

Stellungnahme

Humanbiobanken für die Forschung


Am 15. Juni hat der Deutsche Ethikrat seine zweite Stellungnahme verabschiedet, in der er klare gesetzliche Regelungen für die Forschung mit Biobanken fordert. Die wichtigsten Punkte der Stellungnahme werden hier vorgestellt.


Humanbiobanken sind Sammlungen von Proben menschlicher Körpersubstanzen (z. B. Gewebe, Blut, DNA), die mit personenbezogenen Daten und insbesondere gesundheitsbezogenen Informationen über die Spender elektronisch verknüpft sind.

Sie haben einen Doppelcharakter als Proben- und Datensammlungen. Die meisten derzeit existierenden Biobanken sind Forschungsbiobanken, also Einrichtungen, die Proben und Daten humanen Ursprungs sammeln und sie entweder für die Eigenforschung nutzen oder Dritten für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Sie sind häufig für die Nutzung zu verschiedenen und teilweise sich erst künftig ergebenden Forschungszwecken konzipiert.

Durch die langfristige Verknüpfung vielfältiger medizinisch relevanter Daten spielen Biobanken bei der Erforschung der Ursachen und Mechanismen zahlreicher Erkrankungen und ihrer Behandlung eine zentrale Rolle und sind für die biomedizinische Forschung ein unverzichtbares Hilfsmittel.

Biobanken werfen ethische und rechtliche Fragen auf, die vom Schutz individueller Rechte bis hin zur globalen Regulierung von Forschungsinfrastrukturen reichen. Das im Februar 2010 in Kraft getretene Gendiagnostikgesetz regelt diese Fragen nicht. Daher gelten für Forschungsbiobanken bislang in Deutschland nur allgemeine rechtliche Vorschriften.

In den letzten Jahren hat die Entwicklung in diesem Bereich außerdem an Dynamik gewonnen. Es werden nicht nur ständig weitere Biobanken etabliert, sondern auch ihre Nutzung nimmt neue Formen und Dimensionen an.

Zu den neuen Entwicklungen gehören die quantitative Ausweitung, die Steigerung des Informationsgehaltes, die wachsende Re-Identifizierbarkeit von Spendern, steigende Trends bei der Vernetzung, Internationalisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung sowie die Ausweitung der Nutzungszwecke und Zugriffe durch Dritte. Diese zunehmende Dynamik hat den Deutschen Ethikrat dazu veranlasst, sich erneut mit der Thematik zu befassen, nachdem sich sowohl der Nationale Ethikrat als auch die Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernen Medizin« des Deutschen Bundestages in früheren Stellungnahmen zu Biobanken geäußert hatten.

Angesichts der wachsenden Herausforderungen hält es der Deutsche Ethikrat für erforderlich, spezifische Regelungen für Humanbiobanken zu schaffen.

Bisherige Konzepte zum Schutz der Spenderinteressen basierten maßgeblich auf der informierten Einwilligung der Spender. Aufgrund der strukturellen Besonderheiten von Biobanken kann der individuellen Einwilligung jedoch nur eine schwache Schutzfunktion zukommen, da sie vor dem Hintergrund begrenzter Informationen gegeben werden muss. Deshalb sollte das Einwilligungskonzept ergänzt werden durch institutionelle und prozedurale Regelungen, die der Biobankforschung zugleich objektive Grenzen setzen wie auch Freiräume schaffen.

In seiner Stellungnahme schlägt der Deutsche Ethikrat ein Fünf-Säulen-Konzept für die gesetzliche Regulierung von Biobanken vor, das darauf abzielt, für die Interessen und Persönlichkeitsrechte der Spender einen adäquaten Rechtsrahmen zur Verfügung zu stellen, für die Biobankforschung mehr Rechtssicherheit zu schaffen und die Forschung gleichzeitig zu erleichtern.


Fünf-Säulen-Konzept

Die erste und wichtigste Säule dieses Konzepts ist die Einführung eines Biobankgeheimnisses. Es soll die Verarbeitung und Übermittlung von Proben und zugehörigen Daten während ihrer gesamten Existenz auf die Zwecke wissenschaftlicher Forschung begrenzen und ihre Unzugänglichkeit gegenüber allen forschungsexternen Dritten garantieren. Den Kern des Biobankgeheimnisses bilden entsprechend den Regelungen, die für Ärzte gelten, eine Schweigepflicht und ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Betreiber, Mitarbeiter und Nutzer von Biobanken sowie ein Verbot des Zugriffs auf Proben und Daten für alle Personen und Institutionen außerhalb des Wissenschaftsbereichs, einschließlich des Staates.

Die zweite Säule des Konzepts betrifft die Festlegung der zulässigen Nutzung von Biobankmaterialien und -daten. Wie bisher sollte die Einwilligung der Spender grundsätzliche Voraussetzung für die Verwendung der Proben und Daten in Biobanken sein. Spender sollen aber auch die Möglichkeit haben, ihre Proben und Daten ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Forschungsprojekt oder eine bestimmte Forschungsrichtung zeitlich unbegrenzt für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung zu stellen.

Als dritte Säule des Konzepts empfiehlt der Ethikrat die Einbeziehung von Ethikkommissionen erstens für den Fall, dass mit personenbezogenen Proben und Daten gearbeitet werden soll oder eine Rekontaktierung nen Proben und Daten gearbeitet werden soll oder eine Rekontaktierung von Spendern beabsichtigt ist, und zweitens zur periodischen Bewertung der Aktivitäten von thematisch und zeitlich nicht begrenzten Biobanken.

Die vierte Säule betrifft die Qualitätssicherung. Durch angemessene Organisationsstrukturen und Verfahrensabläufe sowie durch eine Systemevaluation aller thematisch und zeitlich nicht eng begrenzten Biobanken sollen die Rechte der Spender geschützt werden.

Als fünfte Säule seines Regelungskonzeptes fordert der Ethikrat eine Reihe von Maßnahmen, die die Transparenz von Zielen und Verfahrenweisen einer Biobank garantieren sollen. Hierzu gehören insbesondere die vollständige Dokumentation und regelmäßige Veröffentlichung der Biobankaktivitäten und die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Biobankregisters.


Internationale Schutzstandards

Der Ethikrat empfiehlt zudem, international verbindliche Schutzstandards anzustreben, und unterbreitet in seiner Stellungnahme eine Reihe von Vorschlägen für die Sicherung des Biobankgeheimnisses beim Austausch von Proben und Daten mit Kooperationspartnern im Ausland. Dazu gehören die vertragliche Verpflichtung der Partner auf die Einhaltung des Biobankgeheimnisses und ein strafprozessuales Verwertungsverbot für Informationen isses und ein strafprozessuales Verwertungsverbot für Informationen aufgrund ausländischer Zugriffe auf Proben und Daten im Inland, sofern ein solcher Zugriff nicht auch im Inland in rechtmäßiger Weise hätte erfolgen dürfen. Außerdem sollten die Referenzlisten, mit deren Hilfe pseudonymisierte Biobankproben und -daten den jeweiligen Spendern zugeordnet werden können, nicht ins Ausland weitergegeben werden dürfen.


Was zählt als »Biobank«?

In seiner Stellungnahme arbeitet der Deutsche Ethikrat mit einer breiten Definition von Humanbiobanken für die Forschung, die jede Sammlung umfasst, welche die folgenden drei Kriterien erfüllt:

a) es handelt sich um eine Sammlung von erbsubstanzhaltigem
menschlichen Material mit dazugehörigen Daten.

b) Ihre Proben sind mit personenbezogenen Angaben und weiteren, insbesondere gesundheitsbezogenen Informationen elektronisch verknüpft.

c) Ihre Proben und Daten werden für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung gesammelt, aufbewahrt oder verwendet.

Obwohl bei einem derart weiten Verständnis schon die Ansammlung weniger Proben, die z. B. im Rahmen einer thematisch begrenzten Qualifikationsarbeit untersucht und unmittelbar danach vernichtet werden, eine »Biobank« darstellt, hat sich der Ethikrat für diese breite Definition entschieden, um zu vermeiden, dass die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Regelung für Biobanken allein von der Zahl der gesammelten Proben oder einem anderen willkürlichen Kriterium abhängt. Denn die einleitend skizzierten Herausforderungen an den Spenderschutz sind bei z. B. internationaler Verknüpfung jeweils kleiner Materialsammlungen die gleichen wie bei schon je für sich großen Biobanken. Des Weiteren sind subjektive Merkmale, z. B. die geplante Verwendungsdauer, nur eingeschränkt als Abgrenzungskriterium tauglich, weil sich Absichten und Pläne schnell ändern können.

Der Ethikrat empfiehlt daher, die genannte weit gefasste Definition von »Biobanken« als Gegenstand gesetzlicher Regelungen zu verwenden, bei den Rechtsfolgen jedoch - wie im Fünf-Säulen-Konzept vorgeschlagen - nach den spezifischen Herausforderungen verschiedener Biobanken mit unterschiedlicher Regulierungstiefe zu differenzieren. Die Frage, ob eine Biobank im Sinne der gesetzlichen Regelung vorliegt oder nicht, entscheidet dann nicht darüber, ob bestimmte Biobanken völlig ungeregelt bleiben.


Ergänzendes Votum

In einem ergänzenden Votum sprechen sich vier Ratsmitglieder dafür aus, thematisch und zeitlich eng begrenzte Sammlungen, bei denen keine Weitergabe von Proben und Daten zu anderweitiger Verwendung geplant ist, gar nicht in die vorgeschlagenen Regelungen einzubeziehen, weil sie befürchten, dass es ansonsten für solche Projekte trotz der empfohlenen differenzierten Regelungstiefe zu erheblichem zusätzlichen Regulierungs- und Verwaltungsaufwand kommen könnte. Sie halten die bereits geltenden Bestimmungen zum Daten- und Spenderschutz bei Entnahme von Proben für begrenzte Sammlungen für hinreichend.    (Sc)


INFO

Frühere Empfehlungen

Nationaler Ethikrat
Biobanken für die Forschung. Stellungnahme. Berlin: 2004. Auch online im Internet:
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/NER_Stellungnahme_Biobanken.pdf

Enquete-Kommission Recht und Ethik der Modernen Medizin
Schlussbericht. Berlin: 2002. Auch online im Internet:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/090/1409020.pdf


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Quelle:
Infobrief Nr. 5 - Juli 2010 - 02/10, Seite 1 - 2
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2010