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ETHIK/858: Patientenverfügungen - Stellungnahmen Betroffener (Locked-in-Syndrom e.V.)


LIS - Locked-in-Syndrom e.V.
Tagung Rheinsberg "10 Jahre LIS e.V." - März 2010

Stellungnahmen Betroffener zu Patientenverfügungen

Diskussionsbeiträge der Podiumsdiskussion am 28. März 2010


Patientenverfügungen/Patiententestamente wurden durch Betroffene auf einer Veranstaltung anlässlich des 10-jährigen Bestehens von LIS e.V. diskutiert. Sie leiden an den Folgen des Locked-in-Syndroms (LIS), einer sehr schweren neurologischen Erkrankung, die oft tödlich endet und in der Regel zu schwerster, lebenslanger Behinderung führt. Andere Betroffene sind an Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) Erkrankte, die beatmet werden mussten. In beiden Fällen kann die Lebensqualität durch kommunikative und technische Hilfen wesentlich gebessert werden.

Es zeigt sich, dass die Diskussion von Patientenverfügungen durch Menschen, die schwer erkrankt sind, zu einer völlig neuen Sichtweise führt.


Patientenverfügung - Diskussionsbeiträge von Betroffenen

Inhalt: Beiträge zur Podiumsdiskussion


Teil I - Podiumssitzung am 28.03.2010

Es moderierte Prof. Dr. Andreas Zieger - Evangelisches Krankenhaus Oldenburg

Teilnehmer: Prof. Andreas Zieger, Prof. Nils Birbaumer
- Betroffene des Locked-in Syndroms: Dr. Karl-Heinz Pantke, Friedemann Knoop, Sarah Giersberg
- ALS-Betroffene: Angela Jansen, Oliver Jünke


Zieger:

Guten Morgen meine Damen und Herren. Ich habe von Herrn Dr. Pantke die Einladung erhalten, heute Morgen durch diese Veranstaltung zu führen.

Ihnen allen ist das Thema bekannt, nämlich die Patientenverfügung. Wir möchten mit dieser Veranstaltung erreichen, dass die Betroffenen, um die es geht, zu Wort kommen, jedoch an der Entstehung des Patientenverfügungsgesetzes nicht wesentlich beteiligt waren. Dieses Gesetz ist ohne ihre Mitwirkung entstanden. Was eigentlich dem erklärten Ziel, nämlich die Patientenautonomie - ihre Autonomie - zu stärken, zuwider läuft.

Nach der Frage, "Wem nutzen Patientenverfügungen?" würde ich dann später gern die zweite Frage mit Ihnen behandeln "Welche Konsequenzen hat das für Sie, für uns?", und drittens "Welche Möglichkeiten bestehen, mit diesem Gesetz umzugehen?"

Was brauchen Sie von den Gesunden, was können wir zusammen tun, um missbräuchliche Anwendungen dieser Patientenverfügung zu verhindern? Das wären meine drei Fragen, die wir heute beantworten sollten.

In Absprache mit Herrn Dr. Pantke möchte ich die Veranstaltung eröffnen mit einer kurzen Vorstellungs- und Begrüßungsrunde, und ich bitte hiernach die die hier im Podium sind, kurz etwas zu sagen zu der Frage, wem nützen Patientenverfügungen?

Frau Jansen: - ALS-Betroffene -

Ich habe eine notariell beglaubigte Patientenverfügung. Ich spreche es jedem nicht an Krankheit beteiligten Mensch schlicht ab, eine solche Verfügung ohne so schwer betroffen zu sein, im geringsten Maße beurteilen zu können. Eine Einschätzung der eigenen Situation ist glaubwürdig und tragfähig nur in der tatsächlichen Situation möglich. Nutzen tun sie dann auch nur dann, wenn sie sich auch daran halten.

Zieger:

Recht schönen Dank, und als nächstes bitte ich Frau Giersberg zu Wort - wird von der Mutter verlesen:

Ich bin die Mutter von Sarah Giersberg und möchte ihr Statement verlesen.

Als ich noch gesund war (mit 19 Jahren, jetzt bin ich 24) hätte ich auch eine Patientenverfügung wie die meisten Menschen verfasst: ich möchte nicht lange Zeit im Koma liegen und kein Schwerstpflegefall sein oder dauerbeatmet werden. Wenn ich dies geschrieben hätte, wäre das mein Todesurteil gewesen. Wie lang ist den "nicht lange Zeit" oder ab wann wird man denn nicht mehr beatmet, sondern dauerbeatmet?

Heute hat sich meine Meinung grundlegend geändert. Ich kann mich jetzt auch an den kleinen Dingen des Alltags erfreuen. Zuallererst: ich hatte eine Hirnblutung im Stammhirn, bin nach der OP ins Locked-in Syndrom gefallen und war dann ein wirklich kompletter Schwerstpflegefall. Ich habe die allerschlechtesten Prognosen bekommen. Allerdings besitze ich das unschätzbar hohe Glück, dass sich bei mir "besonders hässliche Symptome" vollständig zurückgebildet haben: Ich sabbere nicht mehr, bin diverse Spastiken, Magensonde, Trachealkanüle los, ja sogar das frei Laufen werden ich wieder erlernen. Im letzten Monat habe ich mind. 10 Ausfallschritte nach hinten gemacht und nicht hingefallen. Die 4 Jahre davor habe ich keinen einzigen gemacht, ich hatte es vollkommen verlernt. Ein gesunder Mensch würde jetzt sagen: "Ist doch nichts Besonderes, die mach ich doch jeden Tag". Aber ich freu mich jedes Mal wie ein kleines Kind. Meiner Meinung nach ist ein gesunder Mensch, der noch nie in seinem Leben auf einen Rollstuhl angewiesen war, gar nicht in der Lage, zu verstehen, dass ich lieber das Risiko eingehe, mehrmals böse zu stürzen, als den Rollstuhl zu nehmen.

Am Anfang habe ich wahrlich wie ein "richtig hoffnungsloser Fall" gewirkt. Aber in 15 Jahren vielleicht merkt man mir meine Behinderung nicht mehr auf den ersten Blick an. Da frage ich mich wirklich: Woher nimmt ein so genannter "kompetenter Experte" (der natürlich nicht behindert ist) das Recht, mal eben so über meine komplette Zukunft zu entscheiden?!

In meinen Augen hat kein Mensch das Recht, einen anderen Menschen die Hoffnung auf solch ein Glück (wie ich es zum Beispiel habe) zu nehmen und sei die Ausgangslage noch so aussichtslos. Ich hab doch gezeigt, dass diese Hoffnung durchaus berechtigt ist! Womit wir bei der Frage wären, ob mein Leben "lebenswert" ist oder nicht. Bei einem gesunden Menschen würde man sich solch eine Frage tunlichst verbitten, von daher finde ich sie einfach nur überaus dreist und anmaßend.

Zieger:

Ja, vielen Dank - das sind deutliche Worte. Gibt es noch Fragen zu diesem Statement?

Jünke:

Mein Name ist Oliver Jünke, ich bin 41 Jahre alt. Ich habe ALS! Z. Z. werde ich mittels einer Maske beatmet. Bei fortschreitender Erkrankung ist eine Beatmung über eine Trachealkanüle unumgänglich, dieses habe ich innerhalb einer Patientenverfügung im Vorfeld schriftlich fixiert und durch einen Notar beglaubigen lassen.

Ich bin froh, dass ich eine Patientenverfügung gemacht habe. Somit habe ich die Entscheidung meiner Familie abgenommen, damit die Entscheidung so getroffen wird, wie ich möchte.

Im Augenblick lässt das Gesetz nur eine beglaubigte Patientenverfügung zu.

Zieger:

Schönen Dank! Wir kämen dann zu Herrn Friedemann Knoop - LIS-Betroffener. Es ist verabredet, dass ich stellvertretend für ihn sein Statement verlese.

Als mich der Schlaganfall mit Locked-in Syndrom ohne Vorzeichen traf, war ich gerade auf dem Weg zur Arbeit. Das Erstaunlichste war und ist, dass ich während der gesamten Zeit weder überrascht noch beunruhigt war, bzw. bin. Auch dann nicht, als ich im Krankenhaus wieder aus der Bewusstlosigkeit aufwachte und langsam zu registrieren begann, dass ich nichts mehr bewegen konnte. Ich habe mich von der materiellen Welt regelrecht verabschiedet und mich ganz der geistigen gewidmet. Das ist heute, 15 Jahre danach, ebenfalls noch so. Ziehe ich das Fazit über diese Zeit, komme ich zu dem Ergebnis, alles richtig gemacht zu haben. Ich habe mein Leben völlig umgekrempelt. Standen Wein, Weib und Gesang und natürlich Arbeit vor dem Schlaganfall im Mittelpunkt meines Lebens, habe ich mich jetzt wohl oder übel auf rein geistige Tätigkeiten beschränken müssen. Dazu gehört vor allem Lesen und Schreiben von Artikeln aller Art. Hat sich auch mein Leben von Grund auf geändert, bin ich ganz und gar nicht sauer darüber. So komisch es klingen mag, komme ich erst jetzt dazu, das zu tun, was ich schon immer gern tun wollte: Artikel schreiben. Trotzdem wäre es mir nicht im Traum eingefallen, dass mein Körper einmal solche gravierenden Schwächen zeigen würde. Nun ja, die Medizin hat viel an mir herum gedoktert, viel geirrt und manches Problem ganz gut gelöst.

Das Fazit: Ich kann meinen rechten Arm wieder so einsetzen, dass ich das, was ich gern tue, allein verrichten kann. Wohl bemerkt: Noch. Ob ich mein jetziges Leben als lebenswert empfinde? Nun, wie ich bereits schrieb, ist es mir wieder möglich, meiner Lieblingsbeschäftigung selbständig nachzugehen. So lange ich dies noch kann, empfinde ich das Leben durchaus als lebenswert. Geht mir auch noch die geistige Seite verloren, wüsste ich nicht, worauf ich mich dann noch zurückziehen könnte. So weit ist es jedoch noch nicht.

Zieger:

Und wir haben auch Herrn Dr. Pantke in unserer Runde, und ich bitte auch Sie um ihr Statement.

Dr. Pantke: - LIS-Betroffener und Vorsitzender des LIS e.V. -

Vielen Dank Prof. Zieger.

Vor der Erkrankung hätte ich natürlich keine Sekunde gezögert eine Erklärung zu unterschreiben mit dem Inhalt, dass ich weder beatmet noch künstlich ernährt werden möchte. Mit Eintritt der Erkrankung hat sich das völlig geändert. Meine Sichtweise auf die Dinge ist komplett eine andere geworden. Ich bin aus meiner eigenen Erfahrung und den Erfahrungen anderer Patienten, die ich sammeln durfte - als Vorsitzender des Vereins LIS e.V. - zu dem Schluss gekommen: man klammert sich um so mehr an das Leben desto weniger vom Leben noch in einem steckt. Ich halte diese Patientenverfügung für ein überaus ungeeignetes Instrument. Niemand kann zu Zeiten bester Gesundheit vorhersagen, wie er sich als kranker Mensch entscheidet. Insbesondere widerspricht sie geradezu den Menschen, für die sie gemacht sein sollen. Ansonsten schließe ich mich Frau Giersberg an. Sie gibt lediglich die Meinung eines gesunden Menschen wieder, der niemals eine ernsthafte Krankheit hatte. Für mich spiegelt sich in dieser ganzen Geschichte auch eine ganz gehörige Portion an Zeitgeist wider. Es ist einfach modern, alles - auch den eigenen Tod - einer Planung zu unterziehen.

Zieger:

Vielen Dank, Herr Dr. Pantke. Wir haben Herrn Prof. Birbaumer in unserer Runde, und ich möchte Sie bitten, dass Sie auch kurz etwas dazu sagen.

Birbaumer: (Prof. an der Universität Tübingen)

Eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen, was meine Vorredner gesagt haben. Im Heft steht, dass ich prinzipiell Patientenverfügungen in den Papierkorb werfe. Das ist auch so. Ich muss aber dazu sagen, dass natürlich alle, die hier im Raum sind, eben mit Problemen des Schlaganfalls, des Locked-in Syndroms und vollkommener Lähmung zu tun haben - und ich wüsste nicht, ob ich genauso handeln würde, wenn ich jetzt Oberarzt auf einer Krebsstation wäre, oder wenn ich in einer Alzheimer-Betreuungsstätte wäre. Für diese Gruppen habe ich mir das Problem noch nicht überlegt. Für unsere Gruppe - so wie wir hier sitzen - (auch wenn es nicht gesetzestreu ist) kann man das Ding ruhig in den Papierkorb werfen, weil wir wissen, dass die Lebensqualität in der Regel hoch ist und weil wir wissen, dass der Ausgang der Erkrankungen, von denen wir hier reden, unklar ist. Damit erübrigen sich, so glaube ich, Patientenverfügungen.

Zieger:

Schönen Dank für diese klaren Worte. Ich will auch meinen persönlichen Anteil an dieser Veranstaltung nicht verhehlen, da ich sagen kann, dass sich mit dem Nachdenken über Sinn und Unsinn der Patientenverfügung auch mein Leben als Gesunder verändert hat. Ich muss sagen, gerade durch die Schriften und die klaren Argumente von Ihnen als Betroffene, und in dieser Selbsthilfegruppe Zusammengeschlossene, hat sich für mich noch einmal die Diskussion, die wir haben in der Deutschen Wachkoma Gesellschaft, deutlich verstärkt und erweitert. Denn gerade für Sie, so sehe ich das als gesunder Arzt, ist ja der Widerspruch viel eklatanter, und Sie sind angewiesen auf die Fürsorge anderer Menschen bis dahin, dass bestimmte Kommunikationsmöglichkeiten erforscht, entwickelt werden, dass Ihr Wille auch zu Wort kommt. Und ich halte es persönlich für - gelinde gesagt - skandalös, wenn nicht sogar für diskriminierend, - auch wenn Sie nur eine kleine Gruppe sind, und es gibt ja gar nicht viele vom Locked-in Syndrom Betroffene in Deutschland -, dass diese Minderheit im Gesetzgebungsprozess ausgeschlossen blieb, wie auch die 4000 Angehörigen von Wachkoma-Patienten, die sich gern hätten zu Wort gemeldet im Gesetzgebungsprozess, ignoriert und unterdrückt worden ist. Das ist ein schwerer Verstoß in unserer Demokratie, weil bekanntlich die Einbrüche in die Demokratie meist dann beginnen, wenn ökonomischer Druck ist und wenn eine Interessengruppe sich über die andere aufschwingt. Die Dominanz der Gesunden über die Schwachen und Kranken. Und eben das haben Sie schon damals in einer internationalen Resolution festgestellt, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Nach dieser Befragungsrunde möchte ich dazu übergehen, dass die Befragung, lieber Herr Dr. Pantke, die ja unter der Mitgliedschaft Ihres Vereins durchgeführt wurde - es sind ja Ergebnisse eingetroffen - jetzt verlesen werden. Danach ist geplant, einen etwa 10minütigen Film zu zeigen, und je nach dem, wie wir danach weiterkommen, würde ich gerne - wie gesagt - die beiden anderen Fragen "Welche Konsequenzen sind es, die sich daraus ergeben?" und "Was muss man tun, damit man diese Konsequenzen abmildert oder verhindert?" auch im Sinne ihres Patientenwillens, behandeln. Und die Frage der Konsequenzen möchte ich natürlich dann auch in den Saal geben, und die Aussprache erweitern.

Wir haben ein paar eingetroffene Antworten der Befragung gesichtet und Herr Dr. Pantke hat vorgeschlagen, dass sozusagen aus Gründen die wir nachempfinden können, dass wir eben zeitlich begrenzt sind, nur die Antworten zur dritten Frage, die da war: "Empfinden Sie Ihr Leben als lebenswert?", anhand der vorgelegten Dokumente heute hier behandeln werden. Herr Knoop hatte zu dieser Frage für sich schon etwas gesagt.

Sonja Ufer - LIS-Betroffene - aus Berlin hat im Februar 2010 dazu geschrieben:

Warum empfinde ich mein Leben als lebenswert?
Abgesehen von allen persönlichen Umständen, wer irgendeine Möglichkeit findet, anderen zu helfen, findet sein Leben sinnvoll. Selbst wer nur Hilfe braucht, hilft anderen "gut" zu sein.

Zieger:

Ich glaube, es wird deutlich, dass ein menschliches Leben nur in Zusammenhängen mit anderen möglich ist, dass wenn Menschen sich begegnen, immer zwei Menschen, die nach Autonomie streben, sich begegnen. Und in einer demokratischen Gesellschaft kann es nur darum gehen, dass die beiden selbstbestimmten Individuen ihr Verhältnis im Dialog, ihr Interessenverhältnis, ausbalancieren, damit der Grad an Fremdbestimmung, den man sich dabei zumutet, möglichst gering ist. Ein Leben ohne Fremdbestimmung ist genauso wenig möglich wie ein Leben in absoluter Selbstbestimmung. Das ist die Relativität des menschlichen Zusammenlebens.

So, die Antwort von Kirsten Sowka zu dieser 3. Frage, sie antwortet für ihre Mutter - LIS-Betroffene:

Nein, sie findet ihre Leben nicht als lebenswert (die letzte Aussage war vor ein paar Jahren noch anders), was mir zeigt, dass sie doch entweder resigniert hat und/oder in einer tiefen Depression steckt - man darf auch ihr Alter (72 Jahre) nicht vergessen. Sie ist nunmehr seit 8 Jahren in diesem Zustand und die Nähe zum physiologischen Ende ändert vielleicht auch Einstellungen/Denkweisen.

Zieger:

Gut, kommen wir zu einem dritten Statement von Marianna Battaglia - LIS-Betroffene - zu dieser dritten Frage:

Leben egal wie, es ist immer lebenswert. Ich möchte nie sterben!

Zieger:

In dieser Antwort erkenne ich eine tiefe Sehnsucht, die uns alle hier verbindet, die wir hier zusammen sind - Gesunde wie Kranke wie auch immer - Männlein, Weiblein, Deutsch nicht Deutsch. Wir sind als Menschen verwundbar, und wir sollten uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es nur eine Sicherheit gibt in unserem Leben, nämlich, dass wir einmal sterben müssen. Trotzdem treibt uns die Leidenschaft nach einem guten langen Leben, und da liegt ein entscheidendes, verbindendes Moment für unsere Gesellschaft.

Gut, dann komme ich zu einem Statement von Friedemann Knoop, das hatte ich schon vorgelesen, und es gibt noch ein FAX von Heinrich Scheuermann, welches ich ganz vorlesen werde, das ist etwas allgemeiner: - Frau, LIS-Betroffene -

Sehr geehrter Herr Doktor Pantke,

meine Frau hatte 2000 in der Benjamin-Franklin eine Einblutung in der rechten Gehirnhälfte.
Bis wir von Ihnen erfuhren, dass sie alles aufnimmt. Die Pflegekräfte und Familie behandelten sie als Koma-Patient. Nachdem ich vom LS erfuhr begannen wir sie wie einen Gesunden zu behandeln und sprachen mit ihr ganz normal.
Nachdem unser Arzt mir riet, sie doch sterben zu lassen, wuchs und wuchs mein Zorn. Ich hätte keinen inneren Frieden mehr gefunden.

Ich pflege sie jetzt seit 10 Jahren. Sie ist jetzt 92 und ich 87 Jahre alt. Sie antwortet jetzt durch kaum merkbare Signale mit einer Hand, mit den Augen und ganz geringen Veränderungen in der Mimik. Bei der Pflege ist sie voll bemüht behilflich zu sein.
Wir sind dabei glücklich und in keiner Weise depressiv.

Mit freundlichen Grüßen

Zieger:

Das ist alles sehr, sehr bemerkenswert, es gibt uns allen hier, tiefe Einblicke und ich gebe zu bedenken, was Gesunde - die sich nicht vorstellen können, wie es ist, krank zu sein - mit diesen Zeugnissen quasi geschenkt bekommen, Einblicke in die Tiefendimension menschlicher Existenz. Da ist auch etwas stark Verbindendes, nämlich die Erkenntnis, die wir nicht nur mit unserer Vernunft, mit unserer Ratio erfassen können, sondern auch mit unseren Gefühlen, dass wir eigentlich zusammen gehören!

Gut, ich darf dann bitten, dass der Film gezeigt wird, und wie gesagt, danach die öffentliche Runde - vorher noch eine Wortmeldung:

Jünke:

Ich möchte über mein Leben selber entscheiden, deshalb habe ich alles notariell bestätigen lassen und ich hoffe, dass meine Angehörigen das auch umsetzen. Ohne passende Verfügung ist das Leben nicht so möglich wie ich das möchte. Mein Leben ist im Augenblick sehr lebenswert und ich setze alles daran, dass es auch so bleibt.

Zieger:

Und damit das Leben für sie lebenswert bleibt, brauchen Sie die Fürsorge und das unbedingte Kümmern der Gesunden. Wir haben in Deutschland eine gute Gesetzgebung, deren konsequenter Einsatz und Anwendung, insbesondere auch hinsichtlich des Teilhabegebotes (SGB IX), notwendig ist. Ziel jeder Behandlung, jeder Rehabilitation, ist nicht die Heilung, die ist auch erstrebt, sondern die Teilhabe, trotz schwerer Behinderung in der Gesellschaft leben, und dabei soll die Gesellschaft auch dem Willen folgen.

Dr. Pantke:

Der Film den wir jetzt sehen werden, handelt von einer Dame, die Opfer des Locked-in Syndroms ist. (Frau Anama Fronhoff - LIS-Betroffene -)

Moderatorin:

Für eine Krankenschwester der Intensivstation sind Menschen, die an Maschinen hängen, sehr nah aber sehr weit weg. Wenn so eine Frau sehr jung ist, das Leben genießt, Motorrad fährt, dann stellt sich beim Anblick dieser Patienten unwillkürlich die Frage, ob so ein Leben noch lebenswert ist.

Die ehemalige Intensivkrankenschwester Anama Kristin Fronhoff wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie sich einmal selbst diese Frage stellen würde.

Vor fast zehn Jahren wurde sie in die Notaufnahme eingeliefert nachdem sie den ganzen Tag starke Kopfschmerzen hatte. Diagnose: Hirnstamminfarkt, was bedeutet, dass das Gehirn zwar weiter Signale sendet, der Körper sie aber nicht mehr empfangen kann. Dem Notarzt konnte die Krankenschwester damals noch zuflüstern, dass sie nicht intubiert werden möchte und der Arzt hat sich Gott sei dank nicht an diese Bitte gehalten.

Sprecherin:

Träumen kann sie allein, denken auch, für alle andere braucht sie Hilfe. Seit einem Schlaganfall ist ihr Körper völlig gelähmt, im Kopf aber ist sie völlig klar. Deshalb stand für sie von Anfang an fest, sie will nicht ins Pflegeheim, sondern in einer eigenen Wohnung leben. Ohne Pflege rund um die Uhr geht es zwar nicht, aber auch das organisiert sie selber. Sie bestimmt wen sie wann um sich haben möchte.

Christian Tiede, Student (Pflegender)

Menschlich muss man absolut mit einander klarkommen und das sehe ich als einen wesentlichen Faktor von diesem Job, von dieser Arbeit. Also ich sehe es weniger als Pflegeaufgabe, das kann man alles lernen, es ist alles individuell. Das hat man mir alles erklärt, aber die Herausforderung ist sicher für beide Seiten, dass man miteinander klarkommt.

Sprecherin:

Mit Menschen klarkommen, das hat Anama Kristin Fronhoff gelernt. Früher, als Krankenschwester einer Intensivstation. Sie war kerngesund, liebte Pferde, Motorradfahren und reisen. Vor neun Jahren - mit 33 Jahren - war dieses Leben schlagartig zu Ende. Mitten in einer Meditationsübung fiel sie um, Diagnose: Hirnstamminfarkt, ein besonders schwerer Schlaganfall, der jeden treffen kann. Monate lag sie im Koma, hing an Maschinen. Beim Aufwachen, der Schock - LIS Gefangen im eigenen Körper bei vollem Bewusstsein. Sie war komplett gelähmt, konnte nicht alleine atmen, schlucken oder sprechen. Die erste Zeit beschreibt sie selbst als grausam. Nichts konnte sie tun, sich noch nicht einmal umbringen. Nach etwa zwei Jahren begann sie ihren Zustand zu akzeptieren und für ihr neues Leben zu kämpfen. Heute kann sie sogar wieder den Kopf bewegen und leise sprechen.

Der Glaube ans Leben, ihre Freunde und ihre Tiere geben ihr Kraft. Ein Hund und zwei Katzen leben bei ihr. Sie haben keine Berührungsängste, sind immer da.

Zehn Frauen und Männer wechseln sich mit der Pflege ab. Die meisten sind Studenten. Das Sozialamt zahlt, die Koordination übernimmt Anama Fronhoff selbst. Dabei hilft ihr der Computer. Sie hat eine eigene Website, mailed mit Freunden. Mit einem Sensor in der Brille und einer speziellen Kopfmaus kann sie ohne Hilfe der Hände schreiben.

Ihr Tor zur Außenwelt, ein Stück Freiheit in einem Alltag voller Abhängigkeiten. Für mehr Selbständigkeit ist sie bereit, täglich etwas zu tun, Logopädie, Krankengymnastik - heute ist es Ergotherapie -. Einen Teil des Verlorenen wieder zu erobern, dabei unterstützt sie Brigitte Gebauer seit acht Jahren. Das Gehirn muss neue Wege finden, weil die alten abgestorben sind und das ist harte Arbeit.

Frau Gebauer:

Als ich Kristin kennen gelernt habe, konnte sie sich überhaupt nicht bewegen und da war die Überlegung gewesen, mach ich mit ihr Krankengymnastik oder experimentieren wir es aus und stellen fest was möglich ist. Ergebnis: Ergotherapie, soviel wie möglich mit dem eigenen Körper machen.

Sprecherin:

Was heute wieder möglich ist, davon hätten die Frauen damals nicht zu träumen gewagt. Die alten Fotos sieht sie sich kaum noch an, ihr altes Leben ist weit weg.

Frage der Moderatorin:

Anama trauerst Du manchmal deinem alten Leben noch nach? Mit eigener Stimme NÖ

Sprecherin:

Das was ich jetzt habe, ist ein neues Leben.

Tiede: - Student

Ich kann schon sagen, dass ich eine gewisse Begeisterung für meine Chefin auf menschlicher Ebene entwickelt habe. Ich bin beeindruckt von der Lebensfreude und merke das auch, dass es ihr Spaß macht. Ich würde ungern irgendwo arbeiten, wo man den ganzen Tag schlecht drauf ist.

Sprecherin: Vor dem Schlaganfall fühlte sie sich oft getrieben, suchte ihr Glück in Äußerlichkeiten, heute freut sie sich über kleine Dinge. Sie sagt von sich selbst, dass sie erkannt hat, was wirklich wichtig ist im Leben. Sie sei zur Ruhe gekommen, nicht nur äußerlich, sondern auch im Inneren.

Auf den ersten Blick bin ich behindert und das sieht man auch, aber vom Wesen her bin ich weitaus zufriedener als viele so genannte Gesunde.

Als Intensivschwester hat sie sich früher gefragt, ob so ein Leben noch lebenswert ist: Die Antwort hat sie gefunden!

Moderatorin:

Die ganze Redaktion ist tief beeindruckt von Anama!

Ein Punkt hatte leider keinen Platz mehr in der Sendung - Anama hat einen ziemlich nervenaufreibenden Kampf mit den Krankenkassen hinter sich - um Therapieeinheiten, medizinisch und technische Hilfsmittel.
Zwei Jahre hat sie um eine Computer-Kopfmaus gekämpft. Krankenkassen erst einmal abgelehnt mit der Begründung "nur Leute die arbeiten brauchen so etwas".
Anama zog vor Gericht, ein Richter kam sogar zu ihr nach Hause und sie bekam die Kopfmaus.

Also Hartnäckigkeit lohnt sich!

Infos dazu unter: www.frautv.de

Zieger:

Ja, schönen Dank für diesen sehr eindrucksvollen Beitrag!

Für mich sind, außer dem starken Willen und die damit verbundene Werthaltung dieser jungen Frau, noch andere Aspekte hinzugekommen, dass der junge Mann etwas sagt, was auch einer tiefen Wahrheit, die oft vergessen wird, entspricht -, nämlich er sagt "meine Chefin". Er versteht sich als Assistent und steht im Dienst dieser jungen Frau. Er muss das tun, was sie ihm sagt. Therapie im ursprünglichen Sinne meint denn auch "dienen", und nicht nur einfach behandeln. Und es ist kaum nachzuvollziehen - da muss man lange, lange drüber nachdenken -, was an vielen glücklichen Momenten, über die sie uns ja verbal und auch körpersprachlich Auskunft gibt, dieser jungen Frau vergeben worden wäre, wenn sozusagen das Instrument der Patientenverfügung als Mittel des Therapieabbruchs oder Tötung auf Verlangen angewendet worden wäre - gnadenlos - !

Gibt es unmittelbar zu dem Film und zu Ihren Eindrücken Statements?

Pantke:

Ich möchte nur ganz herzliche Grüße von der Frau Anama Fronhoff ausrichten. Sie konnte leider nicht hier zu diesem Termin kommen, sie lebt in Köln und das wäre zeitlich für sie nicht möglich gewesen. Aber ihre herzliche Grüße an diese Runde!

Zieger:

OK, dann würde ich vorschlagen, das wir mit einem lauten Applaus herzliche Grüße nach Köln an Frau Fronhoff senden. Und Herr Dr. Pantke, wenn sie diese Grüße bitte weitergeben aus diesem Plenum heraus?

Wir sollten in ein Gespräch kommen, und ich möchte die Aussprache wieder mehr zum Saal hin öffnen. Ich möchte Sie bitten, entweder zum Film oder zu dem bisher Gesagten oder auch insbesondere der nächsten Frage "Welche Konsequenzen sind zu befürchten"?, etwas zu sagen. Ich möchte zu Wortmeldungen aufrufen. Für die Gäste, die nicht fließend Deutsch verstehen und sprechen, hat Prof. Birbaumer sich angeboten, zu übersetzen.

Dombek: - Gast aus München (Sohn ist betroffen)

Ich bin tief beeindruckt vom Lebenswillen und was die Patientenverfügung eigentlich bedeutet, nämlich "Ja zum Leben".

Was ich nicht verstehe ist, warum wird so ein Gesetz von Laien im Bundestag beschlossen? Warum werden keine Experten eingebunden? Unverständlich ist mir, dass sie sagten: Das Gesetz - ich übertreibe mal ein bisschen - ist eigentlich schlampig. Deshalb verstehe ich nicht, wie schon vorher erwähnt, dass so ein Gesetz - wo es ja letztlich um Leben und Tod geht, - nicht die entsprechenden Experten, also die Menschen, die die Erfahrung haben mit Kranken - beteiligt werden. Warum wird denn so ein Gesetz von Leuten im Bundestag, die letztendlich von diesen ganzen Dingen keine Ahnung haben, gemacht? Die müssen doch Experten heranziehen um zu vermeiden, dass man hinterher feststellt, dass das eine schlampige Sache ist. Das ist für mich unverständlich.

Kühn: (Vorstandsmitglied LIS e.V.)

Ich will noch etwas Ergänzendes dazu sagen. Ich rede jetzt nicht über das Sozialgesetz, sondern über die neue Gesetzgebung, die letzten Sommer geändert worden ist, über die Handhabung der Patientenverfügung. Wir haben alle einzelnen Abgeordneten angeschrieben mit dem entsprechenden Statement, was wir ja schon vor ein paar Jahren formuliert haben. Dazugelegt haben wir unsere Broschüren mit den Aussagen der Betroffenen, die wir eben auch gehört haben, mit der Bitte, uns anzuhören, - (als das Verfahren noch im Gange war) - uns eine Chance zu geben. Wir haben sehr wenig Resonanz gefunden, nur sehr wenige Politiker haben uns zurück geschrieben. Das Infamste war, wie ich fand, ein bestimmter Anruf - der recht arrogant war und uns praktisch aufklären wollte. Und ein Skandal ist: Es hat natürlich "Expertenrunden" gegeben mit den Vertretern - die waren sehr wohl ausgesucht - um ein gewisses Ergebnis zu erzielen. Wir waren eigentlich nur die Bremser im Lauf. Das Thema stand mehrmals auf der Tagesordnung und wurde immer wieder verschoben. Wir bekamen auch keine Informationen, wann denn nun endlich abgestimmt wird, um unsere Briefe zum richtigen Zeitpunkt an die Stimmberechtigten heranzutragen. Ich habe also angerufen. Dies alles finde ich schon sehr bedenklich. Es unterstützt eigentlich ihre Aussage.

Frage ist jetzt - ich bin kein Jurist - müsste man jetzt nicht eigentlich eine Patientenverfügung verfassen, in der man alles festlegt, alle Therapiemöglichkeiten auszuschöpfen, also kein Therapieverzicht macht.

Zieger:

Ich möchte das erst einmal offen lassen, und werde nicht gleich darauf antworten, sondern ich möchte erst weiter wahrnehmen und bitte dazu um weitere Wortmeldungen.

Pantke:

Als Antwort auf die Frage von dem Herrn, warum das Thema nur so einseitig wahrgenommen wird, möchte ich hinzufügen, die Menschen, um die es geht können oft nicht gut oder gar nicht sprechen, können eigentlich auch nicht gehört werden. In unserer Gesellschaft - das ist so ein bisschen ein Problem - wer nicht sprechen kann, den hört man nicht, und den nimmt man auch gar nicht für voll. Oft wird er als geistig behindert eingestuft, und kommt dann eh in so einer Diskussionsrunde nicht zu Wort. Hinzu kommt, dass Krankheit und Tod zu den Themenbereichen gehören, die immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Dadurch erklärt sich die Dominanz des gesunden Blickwinkels über den eines kranken Menschen.

Zieger:

Danke schön. Weitere Fragen aus dem Podium?

Dann möchte ich - ohne dass ich selbst die Frage beantworte im Moment - aus einer aktuellen Publikation "Patientenverfügung und Ethik - Beiträge zur guten klinischen Praxis", aus dem Jahrbuch "Ethik in der Klinik", herausgegeben von Andreas Frewer und weiteren Lehrstuhlinhabern für Medizinische Geschichte und Ethik an der Universität Erlangen zitieren. Ich lese einmal vor, was die gesunden Experten da schreiben, und ich lese das ganz bewusst vor, weil ich Chancen zu einer Verständigung sehe:

"Insgesamt zeigt das Jahrbuch "Ethik in der Klinik" 2009, dass die Debatte um die Vorausverfügungen noch lange nicht abgeschlossen ist. Der Patientenwille (- ihr Wille -!) ist von zentraler Bedeutung. Hat aber auch im Einzelfall seine Grenzen bei der Erhebung, Interpretation oder Anwendung. Das Grundproblem, ob im Entscheidungskonflikt Voluntas - der Wille - oder eher Salus aegroti suprema lex -(1) oder eher das Wohlergehen das oberste Gebot der Ärzte ist, als vorrangige Maxime und oberste Richtschnur für die Betreuung gelten soll, wird weiterhin differenzierte ärztliche, pflegerische Kompetenz und eine breite gesellschaftliche Diskussion erfordern. Die Einschätzung dann weiter - Die Verabschiedung des Gesetzes ist eine wichtige Etappe für die Stärkung des Patientenwillens und die Rechtssicherheit im Gesundheitswesen...." Und schließlich noch: "Die Integration der Patientenverfügung in das bürgerliche Gesetzbuch ist erst der Anfang einer Entwicklung, die in einer deutlichen Stärkung der Patientenperspektive für die klinischen Praxis münden muss...."

(1) Salus aegroti suprema lex: Das Wohlergehen der Kranken ist das höchste Gesetz

Sie merken, wie sich alles reibt, aber ich hoffe, sie erkennen auch, dass in diesen Zeilen, die sicherlich sehr bewusst formuliert sind, ohne dass in diesem dicken Jahrbuch nur ein Betroffenenbericht zu finden ist, also die Subjektperspektive, die Sicht der Betroffenen, leider völlig fehlt und das ist der Makel an der Wissenschaftlichkeit dieses Buches...

Wir können nun sehr gern darüber sprechen: Welche Konsequenzen hat die Patientenverfügung, gerade auch für Sie und für andere Mitbürgerinnen und Mitbürger in der heutigen Zeit? Wir haben etwas vom Zeitgeist gehört und wir haben gehört, wie schwierig die Entwicklungen im Nachhinein zu betrachten sind. Frau Kühn sie wollen etwas sagen?

Kühn:

Die so genannte Patientenverfügung ist eine Pervertierung des freien Willens eines Menschen, weil der Mensch im voraus in einer veränderten Lebenssituation auf sein Recht zur Entscheidung verzichtet, in dem er sich einseitig festgelegt hat, und sich physisch dezimiert.

Hinzu kommt auch noch, dass er andere dazu verpflichtet - vielleicht gegen seinen Willen in der veränderten Situation, in der er momentan nicht in der Lage ist, sich zu äußern - den Tod zu überantworten. Diese Gesetzesgebung ist nicht zu Ende gedacht.

Zieger:

Ich kann Ihnen da nur zustimmen, aber es gibt jetzt eine Wortmeldung.

Jansen:

Wenn solche Verfügungen als Ausdruck meines Willens nicht gelten, dann ist der ganze Vorlauf für das Gesetz bis hin zu Erlassung eine Farce und eine Verschwendung von Steuergeldern, und verstößt letztendlich ja auch gegen das Grundgesetz.

Zieger:

Ich möchte das noch verstärken, mit einem Zitat aus der Metamorphose, Band 3, 2005. Dort hat Günter Müller geschrieben: "Mit dieser Verfügung, die einem Selbstmord gleichkommt, wird der Versuch unternommen, die Sterbehilfe zu legalisieren und gleichzeitig, angesichts leerer Kassen, Kosten zu sparen."

Das sind sehr drastische Aussagen! Unser Grundgesetz beinhaltet das Verbot der aktiven Sterbehilfe.

Weitere Meldungen dazu? Welche Konsequenzen sind aus dem Patientenverfügungsgesetz zu erwarten, zu befürchten? Und ich höre eine Wortmeldung

Jünke:

Nur wer einen starken Willen hat, lebt länger, und wer Lebensfreude ausstrahlt und gutes Personal hat, der kann lange leben, und das darf nicht von den Kosten abhängen.

Birbaumer:

Ich darf vielleicht hinzufügen, die Kosten, die LIS-Patienten verursachen, sind verschwindend verglichen mit den Kosten, die z. B. chronische Kopfschmerzpatienten und andere Erkrankungen, mit denen wir zu kämpfen haben, verursachen. Das Argument, dass die hier Anwesenden oder Beatmeten furchtbar viel kosten, ist falsch.

Das muss man immer wieder sagen. Die Kosten, einen Menschen am Leben zu erhalten bei 24stündiger Pflege, der künstlich ernährt und beatmet wird, sind außerordentlich gering, verglichen mit den Kosten, die wir in anderen Bereichen des Gesundheitswesen haben. Also das Argument können Sie ruhig unter den Tisch kehren. Wir dürfen nicht generalisieren von Patienten mit dem Locked-in Syndrom oder im Wachkoma auf die Versorgung anderer chronisch-kranker Patienten, vor allem Alzheimer und Demenzen.

Zieger:

Ich danke für diese klaren Worte und für die Differenzierung, und ich danke insbesondere für die Beiträge der Betroffenen selbst. Wir haben auch gehört, wie wichtig die technische Hilfe ist. Es gibt eine weitere Wortmeldung im Plenum:

Sorger:

Ich möchte noch auf etwas hinweisen, was mir in letzter Zeit durch den Kopf geht. Ich finde, dass die Menschen noch viel mehr informiert werden müssen. Natürlich kann man niemanden zwingen, sich zu informieren. Außerdem gibt es oftmals auch eine starke Abwehr: Man möchte sich nicht unbedingt mit den Tod beschäftigen im täglichen Leben. Auch fehlt die Zeit meistens dazu. Wobei mir auch noch einmal klar geworden ist, dass Information Mangelware ist, ist folgendes Beispiel, wobei es nicht um einen Extremfall, wie dem Locked-in Syndrom, geht, sondern um das nicht Aufgeklärtsein im Falle eines ganz normalen Schlaganfalles: Kürzlich erlitt ein Mitglied aus meiner Familie einen Schlaganfall und einige Angehörige haben in diesem Falle gezweifelt, ob noch Bewusstsein vorlag - und das obwohl die entsprechende Person letztendlich nur eine Aphasie hatte - sie sich also nur nicht auf natürliche Weise verständlich machen konnte. Was ich damit sagen möchte: Es gibt zwar - Gott sei Dank - relativ wenig Locked-in Patienten, aber eigentlich kann man auch sagen, dass jeder Patient, bei dem wir nicht restliche, alternative Kommunikationsmittel (z.B. Kommunikation durch Handdrücken) zu verwenden versuchen, von uns ja quasi in ein "funktionelles" Locked-in Syndrome versetzt wird. Um das zu verhindern, ist einfach mehr Information notwendig, z.B. von Ärzten und vom Pflegepersonal. Oftmals fehlt leider dafür die Zeit im Klinikalltag.

Zieger:

Schönen Dank, gibt es weitere Meldungen aus dem Plenum?

Ludwig:

Ich will mal so anfangen. Ich wurde vor Jahren betroffen durch unseren Sohn. Er hatte einen Unfall, war schwer Schädel-Hirn geschädigt und acht Wochen in einer Akutklinik, eineinhalb Jahre lag er im Wachkoma. Wir haben als Familie die Frage nach dem Sterben, nach einer Patientenverfügung nicht gestellt. Wir waren nur auf eine Sache aus, was können wir tun, um ihn zu helfen?

Dabei sehe ich das Problem der Patientenverfügung heute genauso. Wir haben ja mit der Patientenverfügung sehr starke Diskussionen gehabt, z. B. zum Thema Wachkoma. Ich bin der Auffassung, dass wir - heute viel über das unwerte Leben, über fehlende Leistungen, Dienstleistungen im Gesundheitswesen geredet haben, um Menschen nachdenklich machen. Ich muss meine Patientenverfügung einfach herrichten, um dann nicht leiden zu müssen. Herr Zieger hat den Teilhabegedanken von Menschen mit dem Locked-in Syndrom, von Menschen im Wachkoma, also allgemein neurologischer Erkrankter, in seinen Diskussionen in den Vordergrund gestellt. Wenn wir das mehr in den Vordergrund stellen in unserer Diskussion, dann würde sicherlich die Diskussion über die Patientenverfügung nicht vordergründig bleiben.

Wir müssen mit dem Gedanken, den wir in dieser Runde diskutieren, weitaus mehr in die Öffentlichkeit gehen, Kräfte bündeln, einfach verbandsübergreifend, bestimmte Dinge politisch zu argumentieren. Und mein Vorschlag geht auch dahin, Herr Dr. Pantke, dass LIS als Verband, wir als SHV Verband bestimmte Dinge auf den Punkt bringen müssen, um es politisch aktiv nach vorn zu tragen. Ich stelle mich dafür zur Verfügung. Was hier gesagt worden ist von all den Patienten, ob in schriftlicher Form oder von den hier Anwesenden, hat mich natürlich bestärkt, dass diese Geisteshaltung von den Betroffenen eine ganz andere Art ist, als das, was wir als Gesunde immer so empfinden.

Und einen letzten Gedanken, dass ist eine richtige Kritik, die ich hier anbringen möchte an die Mediziner: Mir fällt auf, dass gerade die Neurologen (außer Prof. Zieger) in den Rehabilitationseinrichtungen ein fehlendes Potential feststellen. Sie meinen: wir brechen die Reha ab, kommt es zu solche Auswüchsen. Da brauchen wir keine Therapie mehr, Geldverschwendung. Diese Dinge müssen wir aufgreifen.

Ich finde es gut, dass diese Patientenverfügung noch einmal aufgegriffen wird. Wir werden keine Chance haben, dieses noch einmal auf den politischen Weg zu bringen wie wir uns das vorstellen. Es gibt aber einen Grund, warum wir nicht gehört werden. Die Lobby, die die großen karitativen Verbände haben, haben wir natürlich nicht. Die reden immer mit dem Oberbegriff "Behinderung". Unsere neurologisch Erkrankten, die ja bei vollem Bewusstsein sind, wie die LIS-Patienten, müssen auf den Weg gebracht werden, durch die richtige Teilhabe. Die haben es verdient, dass man sich ihnen zuwendet. Nicht durch Streicheleinheiten, professionell betrachtet, sondern durch Aufmerksamkeit und Zuwendung. Man muss hier nicht diskutieren über den Ist-Stand von Nichtkönnen, sondern den Stand, was müssen wir tun?

Vielleicht mache ich einen letzten Vorschlag: Die Statements, wenn sie freigegeben sind, auf die homepage zubringen, so dass andere Menschen, die ebenso betroffen sind, erfahren können, welche Meinungen es dazu gibt. Ein richtiges Entfachen einer Diskussion von unten heraus nach oben. Ich persönlich sage, mit ihren Worten Herr Professor, die Patientenverfügung kann in den Papierkorb.

Wenn es um den Tod geht, wie bei Krebskranken im Endstadium, da kann man drüber nachdenken, was man tut, um palliativ zu versorgen. Da ist eine ganz andere Richtung, die will ich jetzt nicht diskutieren. Da ist es sinnvoll, aber ansonsten sage ich, lassen sie uns weiter diskutieren und noch vorne orientieren und die Fehler, die diese Diskussionen gezeigt hat, einfach beseitigen helfen, gegenüber alle den professionellen Dienstleistern bis hin zu den Politikern, die am wenigsten verstehen worüber wir hier diskutieren. Danke schön!

Zieger:

Ja, danke schön für die sehr klaren Worte. Ich glaube, wir sind auch schon in den dritten Punkt eingestiegen, was denn eigentlich zu tun ist?

Ich hätte da die Frage angeschnitten, und das haben Sie ja auch, Herr Ludwig, eben angedeutet, dass Instrument "Patientenverfügung" ist für Sie nicht tauglich. Ich habe also selbst auch keine Patientenverfügung nur eine Vorsorgevollmacht. Für den Fall der Fälle!

Das Patientenverfügungsgesetz jetzt allerdings ist Bedingung unseres Zusammenlebens in Deutschland geworden, das ist Fakt, es ist da. Es gibt ein Bürgerliches Gesetzbuch, dem alle unterworfen sind. Die Frage ist jetzt, wie man mit diesem Gesetz leben kann und das gute Zusammenleben unter Menschen organisiert wird. Und würde die Hypothese aufstellen, dass es vielleicht eines der besten Mittel ist, die möglichen Instrumentalisierungen dieses Gesetzes zu vermeiden, und trotz aller Abgründe das gute Zusammenleben organisieren. Es sind sehr viele Vorschläge gemacht worden, ich will das gleich auch vertiefen. Obwohl es das Gesetz gibt, gilt es, den Widerstand - der auch hier im Raum ist - wahrzunehmen. Aber die Empörung darüber nicht durch Energien zu verschleudern, dieses Gesetz ändern oder abschaffen zu wollen, sondern, obwohl es das Gesetz gibt, ein anderes Zusammenleben zu organisieren, welches frei ist von Behindertenfeindlichkeit, welches öffentliche Informationen verbreitet, welches durch Verknüpfung und Netzwerkbildung die vielen, vielen zerstreuten unter der Behindertenfeindlichkeit lebenden Initiativen verknüpft und die Lobbyarbeit stärkt. Denn Politik in Deutschland wird über Lobbyarbeit gemacht. Und welche dabei nicht den Aspekt vergisst, dass jeder Tag, der gelebt wird - das hat ja auch der Filmbeitrag gezeigt - wichtig für unser Leben ist. Sich nicht im politischen Kampf verbrauchen, sondern mit nahen Freunden - so wie Sie hier verbundene Gesunde gefunden haben - sagen: "Ja wir sind bereit uns miteinander auszutauschen, das bessere Leben und das gute Leben" und dabei immer die Erfahrung der Betroffenen, wichtig für Wissenschaft und Ausbildung, einzubeziehen!

Kühn:

Vor der Gesetzesänderung im Sommer 2009, in der beschlossen wurde, dass ein voraus verfügtes Statement eines Patienten über Behandlungsverzicht vom Arzt durchgeführt werden muss, egal wie sinnvoll oder unsinnig es ist, konnte jeder Mensch davon ausgesehen, dass bei einem Unfall oder einer Einlieferung in ein Krankenhaus sein Leben erhalten wurde. Die jetzt in Mode gekommene Patientenverfügung gab es meistens nicht und eine Welle von Selbstmorden, von am Leben erhaltenen Menschen, auch nicht. Die meisten Menschen arrangierten sich mit ihrer veränderten Lebenssituation und fanden andere Lebensschwerpunkte.

Dieser Sachverhalt hat sich durch die Gesetzesänderung auf fatale Weise umgekehrt; es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Ärzte, die Menschen zum Weiterleben verhelfen sollten, ja bisher per Gesetz dazu verpflichtet waren, werden nun zum Töten durch unterlassene Hilfeleistung verpflichtet, sofern eine entsprechende Vorausverfügung vorgelegt wird.

In meinen Beratungsgesprächen erfahre ich, dass Angehörige, besonders wenn sie ältere Menschen ins Krankenhaus einliefern, als erstes gefragt werden, - manchmal, bevor überhaupt eine Diagnose gestellt wurde bzw. eine Behandlung begonnen wurde -, ob der Patient denn keine Verfügung geschrieben habe, oder will der denn überhaupt behandelt werden, das lohne sich doch nicht mehr. Die Angehörigen und der Patient geraten dann in einen Rechtfertigungszwang am Leben bleiben zu wollen und es kommt häufig zu einem Vertrauensbruch.

Leider leistet diese Gesetzesänderung auch solchen Ärzten Vorschub, die, wie eine Umfrage in der Zeitschrift für Neurologie zeigte, schwer betroffene Menschen, hier Menschen mit dem Locked-in Syndrom, dem Tode überantworten wollen, ungeachtet von Umfrageergebnissen unter Locked-in Patienten, die sich zu fast Einhundert Prozent für das Leben entschieden haben.

Anderseits wird es Angehörigen leicht gemacht, einen kostenintensiven, sich nicht äußern könnenden Patienten, für den sie vielleicht einen teuren Heimplatz finanzieren müssen, auf galante Weise los zu werden in dem behauptet wird, der Patient habe ja schon immer gesagt, dass er zu sterben wünsche; oder sie glauben tatsächlich im Sinne des Angehörigen zu handeln, da sie sich nicht vorstellen können, wie man mit einer schweren Behinderung weiter leben kann. Es ist also klar zu sehen, Missbrauch ist auch in Deutschland vorprogrammiert, wie er in Holland schon lange stattfindet. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen nun auch hier nur aus ökonomischen Gründen zu Tode kommen.

Auch gibt die umgekehrte Situation, dass Angehörige ihren Patienten liebevoll umsorgen, ihn selbst verständlich nicht sterben lassen wollen und weil sie ihn so gut versorgen auch merken, dass er sich trotz schwerer Krankheit geborgen fühlt, dann taucht eine Patientenverfügung auf und gegen den Willen und die Überzeugung der Angehörigen, muss dieser Mensch zum Sterben gebracht werden.

Ich glaube es ist nun wichtig, eine Verfügung zu erklären, in der man explizit den Willen zum Weiterleben statuiert und auf Behandlungsverzicht nicht eingeht, dies ist natürlich nicht erwünscht, denn ein Recht auf optimale Behandlung hängt vom Kostenfaktor ab. Der "freie Wille" bezieht sich lediglich auf's Verzichten.

Wie kam es nun überhaupt zu einer solchen Gesetzesänderung? Begründet und initiiert ist diese Gesetzesänderung in erster Linie von der Europäischen Union und vom ökonomischen Denken in den europäischen Gesellschaften: wir haben eine Alterspyramide und die vielen alten Menschen müssen versorgt werden. Unter dem Deckmantel der "Selbstbestimmung" versucht man den Bürger zur Unterschrift unter sein vermeintlich selbstbestimmtes Ableben zu bewegen, ohne zu berücksichtigen, dass der Unterschreibende sich mittels seiner Unterschrift das Recht und die Freiheit zur Selbstbestimmung unter veränderter Daseinsform freiwillig nimmt, sich also mit Kant gesprochen, in eine selbstverschuldete Unmündigkeit besitzt und zwar endgültig ohne Rückkehr.

Meines Erachtens haben viele Abgeordnete gar nicht richtig begriffen, was sie beschlossen habe. Bei der Geschwindigkeit, mit der Gesetze im Bundestag verabschiedet werden, wäre ich auch überfordert den einzelnen Sachgebieten gerecht zu werden. Die Stimmberechtigten haben nicht die Zeit, genügend Fantasie zu entwickeln, sich die Tragweite ihrer einzelnen Entscheidungen vorzustellen. Dem gesellschaftlichen mainstream und der oben beschriebenen Huldigung des vermeintlichen Selbstbestimmungsrechts des Bürgers, sind sie gefolgt und glauben fortschrittlich und "im Sinne Europas" zu handeln, denn dort ist Egalität im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners gefragt. Aber ist das auch zum Wohle der Europäischen Menschen?

So genannte Expertenrunden werden oft im Vorfeld entsprechend zusammengesetzt um ein gewisses Ziel zu erreichen. Gegenstimmen außerhalb dieser Runden, die von erfahrenen Minderheiten erhoben werden, laufen in Gefahr überhört zu werden. Jedenfalls haben wir es versucht: Zehn Tage vor der entscheidenden Abstimmung haben wir jedem einzelnen Abgeordneten durch einen persönlichen Brief nicht nur die Ansicht unserer schwerstbetroffenen Menschen kund getan, sondern auch auf die Missbrauchsgefahr, welche diese Gesetzgebung in sich birgt, hingewiesen.

Jünke:

Das kann ich nur bestätigen, dass es zuwenig Hilfe gibt, anhand eigener Erfahrung und der Anfragen die wir bekommen, und wie Hilflosigkeit sich wider spiegelt. Und sie ist sehr wichtig.

Zieger:

Ja, schönen Dank.

Ich möchte den Gedanken von ihnen aufgreifen - Frau Kühn -. Mit der Verabschiedung des Gesetzes ist eine jahrelange, fast jahrzehntelange Diskussion zu einem vorläufigen Abschluss gekommen, obwohl die Autoren des Klinischen Jahrbuchs sagen, da sei noch ein erheblicher Diskussionsbedarf und das Problem bleibe weiter offen. Aber, in der Tat, das ist ein Wechsel in der Einstellung.

Für mich als klinisch tätiger Arzt muss ich nach dem Gesetz dem Patientenwillen folgen, und ich muss zugleich mit meinem vielen Nichtwissen umgehen wie eine Erkrankung ausgeht. Wir können den Verlauf eines Locked-in Syndroms nicht vorhersagen. Wir können den Verlauf eines Komas, eines Wachkomas, individuell nicht vorhersagen. Dass der Arzt selbst in einen ethischen Konflikt gerät, auch wenn er dann noch unter Kostendruck gesetzt wird - in Institutionen ist das heute gang und gäbe - dass er sich dann hinter dem Kostenfaktor verstecken kann, und gar nicht mehr als Mitbürger in Erscheinung tritt, sondern als Funktionär von abstrakten Gesetzgebungen, bei denen er nicht durchschauen kann, in wessen Interessen er da eigentlich handelt, ist zu einem großen Problem geworden. Es wird nur von wenigen erkannt, dass sich im Patientenverfügungsgesetz das Recht des Stärkeren über den Schwachen (den Kranken, Abhängigen) niedergeschlagen hat. Ärzte können jetzt häufiger sagen, dass es für diese Behandlung keine Behandlungsoptionen gibt, weil sie "allgemeinärztlich" wissen, dass die Prognose schlecht ist: Deshalb biete ich diese Therapie gar nicht mehr an... Das erfüllt mich mit tiefster Unruhe. Solche Aussagen treten immer häufiger auf. Ich will keine Panik machen, aber ich denke, man muss schon der Realität ins Auge sehen, sich innerlich sortieren, auf welche Seite man sich schlägt, und was man zusammen tun will für gute Netzwerke für das gute Zusammenleben.

Ich möchte das an einem Beispiel erläutern: Von einer Uniklinik in Nordrhein-Westfalen haben mich seit Januar bis jetzt zwei Hilfesuchende angerufen, deren Angehörige mit einer akuten Basilaristhrombose eingeliefert und mit einer Thrombolyse behandelt waren. Als alles Akutmedizinische dann gemacht war, und es wegen einer Schluckstörung um die definitive Tracheostomaversorgung ging, um die Geretteten im LIS zu schützen vor dem Verschlucken und der Aspirationspneumonie, da haben die Ärzte plötzlich aufgehört.

Die Angehörigen haben entsetzt bei mir nachgefragt: ist das jetzt - heute - die moderne Medizin? Und in einem mühsamen Prozess der Begleitung, des Angebotes, den Ärzten eine zweite Meinung abzugeben, musste ich erfahren, das ein Patient bereits verstorben war und ich überhaupt nicht mehr helfen konnte. Der zweite Patient ist mit unsäglichen Mühen in Form von bis zu 10 SMS pro Tag, die mich sogar im Ausland, wo ich gerade war, erreicht haben, schließlich doch in eine Frührehaeinrichtung verlegt wurde. Als der Patient dann aber im Rehazentrum ankam, wurde er postwendend zurückgeschickt, weil er sofort eine Pneumonie bekommen hatte. Er kam dann mit Mühen in die Akutklinik zurück. Das Vertrauen hatte nun gelitten, er wurde dort liegengelassen, die Ärzte wollten ihn sterben lassen. Wir haben durchgesetzt, dass der Chef sich persönlich um diesen Fall kümmert. Obwohl die Akutklinik noch gar nicht abgeschlossen war, kam er dann in eine andere Rehaklinik. Dort sind schon wieder diese Tendenzen aufgetreten, ihn sterben zu lassen, obwohl nur das Tracheostoma richtig versorgt werden musste. Nach den Schilderungen der Rat suchenden Angehörigen - ich kann da nicht mehr richtig objektiv sein - hat ihr kranker Lebensgefährte mehrfach signalisiert, er möchte leben, sie möchte bitte alles tun für ihn. Er hat keine Patientenverfügung. Und sie kommt jetzt in diesem Dilemma immer mehr zu der Erkenntnis, ihren Beruf aufzugeben und ihren Lebensgefährten nach Hause zu holen und dort ein Team zu organisieren. Also, ein Stückchen Einblick in die grausame Realität der modernen Medizin von heute.

Zoeger:

Ich möchte folgendes dazu sagen. Ich bin betroffene Ehefrau. Mein Mann hat vor sieben Jahren eine Hirnblutung gehabt. Als das Ereignis auf uns zukam, hatte mein Mann keine Patientenverfügung - ich selber habe bis heute keine Patientenverfügung - deshalb kann ich das auch nachvollziehen, was sie gerade gesagt haben. Es war im Jan. 2003 als es ihm passiert ist - mit der Hirnblutung. Das war natürlich auch Thema für uns, es hat uns schneller ereilt als wir etwas unternehmen konnten. Ich bin im Schnellverfahren zum Betreuer meines Mannes geworden, weil er im künstlichen Koma lag. Er konnte seinen Willen nicht artikulieren. Ich muss heute sagen, nach mehr als sieben Jahren als Betreuerin meines Mannes, dass diese Patientenverfügung sicherlich ein Thema ist, aber wir können sie in die Tonne klopfen. Mittlerweile stehe ich auf dem Standpunkt, dass eine Vorsorgevollmacht wichtig ist. Der Patientenwille wird verschoben auf Angehörige, z.B. auf mich als Ehefrau oder andere. Wir haben das alles in der Familie durch mit der Mutter meines Mannes. Wo Ärzte zu mir gesagt haben - mein Mann kann ja nicht, weil er selbst betreut wird von mir, tun sie was, machen sie eine Vorsorgevollmacht und das haben wir auch getan. Und ich muss sagen, auch dort können bestimmte Dinge festgeschrieben werden. Ich muss feststellen, dass ich für mich selber noch keine passende Lösung gefunden habe. Ich denke, es besteht in dieser Hinsicht Handlungsbedarf. Ich empfinde, aus der momentanen Sicht, die Vorsorgevollmacht als einzige Lösung.

Jünke:

Meine Freundin ist froh, dass ich eine Verfügung habe. Damit ist der Druck von ihr weg und sie kann entscheiden wie es möchte.

Zieger:

Da ist jetzt ein ganzer Fächer aufgemacht. Die Frage, die ich an Sie hätte: Bestehen mit dem Instrument Patientenverfügung wirklich Möglichkeiten, seinen eigenen Willen auf unbedingten Lebenserhalt, ohne Therapieabbruch, ohne Euthanasie, ohne Töten auf Verlangen durchzusetzen? Welche Chancen eröffnen sich mit einer Vorsorgevollmacht? Und vielleicht sagen sie auch gleich noch, was das Instrument ist, da wir das hier auch einmal vorstellen. Wäre das, was Sie gesagt haben, nicht eine Verschiebung des Patientenwillens? Und wir haben ja jetzt auch ein aktuelles Statement dazu gehört. Wäre das eine Möglichkeit, das Leben zu sichern, oder, ist das eine Verschiebung? Ich würde Sie bitten, dieser Frage einmal nachzugehen, denn der Einstieg in diese Runde war: Leben mit dem Patientenverfügungsgesetz. Das ist einfach Realität.

Pantke:

Ich möchte auf die Frage antworten, wie man quasi mit diesem Gesetz leben kann. Ich spüre in diesem Gesetz eine ganz gehörige Portion an gesellschaftlicher Strömung. Um weiter zu antworten, möchte ich etwas ausholen. Vor 30 Jahren lebten alle Menschen mit einem Bein im Sarg und niemand hat von Patientenverfügungen geredet. Ich erinnere daran, damals schwebten ganz schreckliche Bedrohungen über alle Menschen, es handelte sich um diese unsäglichen Mittelstreckenraketen, die wieder abgeschafft wurden. Gott sei Dank! In dieser Zeit hat kein Mensch von Patientenverfügung geredet. 30 Jahre später sind diese schrecklichen Bedrohungen verschwunden und viele reden auf einmal von Patientenverfügungen. Warum ich das Ganze erzähle? Ich verknüpfe damit die Hoffnung, dass vielleicht in 10 oder 20 Jahren auch das Thema Patientenverfügung, so wie es z. Z. diskutiert wird, auch wieder völlig aus dem Bewusstsein verschwunden. Alle waren solidarisch und empfanden die Bedrohung gleichermaßen - Alte und Junge, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde -. Gleichzeitig hat eine Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft stattgefunden. Ein Prozess, der immer weiter fortschreitet. Kranke und Sterbende werde immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ein eigenes Gesetz für diesen Personenkreis muss her. Aber wie können wir mit diesem Gesetz leben? Fordern Sie, ich möchte alle lebensverlängernden Maßnahmen, auch wenn die Prognosen noch so negativ sind. Das ist Ihr Leben, lassen Sie sich es nicht durch ein Gesetz nehmen!

Birbaumer:

Ich möchte, Herrn Dr. Pantke, noch dazu sagen, durch die Patientenverfügung wird nichts geändert, z. B. an der Tatsache, dass sich 95 Prozent aller ALS-Patienten angeblich dafür entscheiden, nicht beatmet zu werden. 95 Prozent aller ALS-Patienten versterben, bevor sie beatmet werden. Wir sind gerade dabei herauszufinden wie, und geraten dabei in einen Sumpf: ein Mittelding der Sterbehilfe, Euthanasie, Achtlosigkeit, Dummheit. Der übliche Sumpf, den wir bei Menschen eben finden, in der Neurologie genauso wie überall. An der faktischen Problematik wird durch ein Gesetz wenig ändert. Und jetzt zum Zeitgeist - was Herr Dr. Pantke meinte - der Zeitgeist ist nicht neu, wie alle Umfragen unter Neurologen zeigen. Die Mehrheit geht den alten chronisch Kranken und unheilbaren Patienten aus dem Weg und möchte sie möglichst schnell vom Tisch haben. Und vor allem unsere jungen Medizinstudenten, die ich ja seit vielen Jahren unterrichten muss, tun alles, um dem aus dem Weg zu gehen. Meistens passiert das nicht bewusst, nicht alle sind solche Kollegen wie Herr Prof. Zieger, das ist eine Minderheit - sie lernen kurativ tätig zu sein. Sie lernen zu behandeln und zu heilen und es hat sich bis heute die Erkenntnis nicht durchgeschlagen, dass der Arzt heute in unserer Gesellschaft Sterbebegleiter ist, der uns so zu sagen ein "schmerzhaftes Leben" etwas angenehmer zu machen hat. Und das ist seine Hauptfunktion, alte kranke Menschen zu versorgen oder junge chronisch kranke Menschen zu versorgen. Die Medizin hat das zwar erkannt, aber die Interessen der Industrie und auch die Interessen der Karrieren sind anders. Und eine der wichtigsten Aufgaben solcher Verbände, wie dieser hier, ist alles zu tun, politisch darauf hinzuwirken, dass sich in der Ausbildung der Mediziner, der Krankenschwestern usw. diese Erkenntnis in der Ausbildung niederschlagen muss. Medizin ist nicht kurativ, sondern begleitet und erleichtert. Wenn das bei den jungen Ärzten angekommen wäre, dann hätten wir weniger Probleme. Und das wiederum bedeutet, dass man stärker an die Öffentlichkeit gehen muss, wie z. B. durch Theaterstücke z.B. von Schlingensief. Ich wünsche mir sehr viel aggressiveres Auftreten ihres Verbandes an all diesen Fronten in der Öffentlichkeit. Wenn eine Krankenkasse einem unserer ALS-Patienten ein Kommunikationsinstrument verweigert, schreib ich denen einen Brief, in dem steht "Wenn sie bis in einem Monat das Instrument nicht geliefert haben, dann komme ich mit meinem Patienten ins ZDF und werde dann dort dem Patienten die Luft abdrehen oder irgend einen anderen demonstrativen Akt vollbringen". Bisher hat die Krankenkasse unmittelbar darauf bezahlt. Ich möchte sie jetzt nicht zu illegalen Handlungen anstiften, aber wir müssen doch sehr viel aggressiver und sehr viel öffentlichkeitswirksamer vorgehen. So eine Runde wie hier ist natürlich schön für uns alle, beruhigt uns alle, aber es wäre besser wir würden alle vor dem Parlament sitzen mit unseren Patienten und dann die Diskussion dort führen in der Öffentlichkeit. Aber auch in den Hörsälen, Rehaeinrichtungen, Ausbildungsstätten gehört diese Diskussion.

Wir sollten die Mediziner dazu zwingen im ersten Semester einen Locked-in Patienten zu sehen, stattdessen lernen sie wie ein Knochenbruch zu heilen ist, was im Prinzip auch jeder Handwerker erledigen könnte.

Zieger:

Obwohl wir zeitlich noch nicht am Ende sind, war das ja schon fast ein gutes Schlusswort, aber ich mag noch nicht daran glauben. Es ist natürlich auch eine gewisse Ratlosigkeit im Raum und ich würde noch einmal nach Wortbeiträgen fragen, denn es besteht hier wirklich eine gute Gelegenheit, Meinungen auszutauschen und über das hochbrisante und zugleich auch sehr erdrückende Thema. Wenn wir merken, wir werden diskriminiert, Sie(!) werden diskriminiert und kriminalisiert, dann darf die Energie nach außen zu gehen - Prof. Birbaumer hat von Aggression gesprochen - dann müssen wir aggressiver auftreten.

Pantke:

Ich möchte das aufgreifen was Prof. Birbaumer gesagt hat und zwar das Erstaunliche ist, dass ausgerechnet die Leute, denen viel Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, durch so ein Instrument, wie die Patientenverfügung, weiter ins Abseits rangiert werden soll.

Jansen:

Ich halte dieses Gesetz insofern für eine Unterstützung des Systems für Sparmaßnahmen, denn es erlaubt unbefragt, über vermeintlich kostenintensive Pflegefälle entscheiden zu dürfen, kosten sparend zu entscheiden.

Zieger:

Ich denke, dass das Erscheinen der Patientenverfügungsdiskussion verknüpft werden muss mit dem Zeitgeist, mit ökonomischem Druck, mit europäischen Entwicklungen, mit der Globalisierung. Denn woher kommt der ökonomische Druck? Der deutsche Markt muss sich dem globalisierten Markt anpassen, so wird es uns immer gesagt. Und die vielen Schulden, die wir jetzt machen müssen, und wie in Griechenland, von uns mitbezahlt werden sollen, führen natürlich letztendlich zu einer riesigen Umverteilungsmaschinerie. In den USA und in den benachbarten europäischen Ländern, in denen Sterbehilfe legalisiert ist, war die Patientenverfügung der Einstieg in die Legalisierung der Sterbehilfe. Auch bei der letzten Veranstaltung von LIS e. V. zur Patientenverfügung ist das aus verschiedenen Blickwinkeln dargelegt worden. Das ist die Chance, die wir wahrnehmen müssen, nämlich darüber aufzuklären, dass mit der Gesetzesverabschiedung der nächste Schritt zur Öffnung von aktiver Sterbehilfe nun auch in Deutschland signalisiert worden ist. Auch wenn alle sagen, aktive Sterbehilfe nicht zu wollen, sind es eben doch andere Faktoren, nicht die inneren Einstellungen, sondern auch der äußere Zwang und ökonomische Druck, der wie eine Maschine, größer wird. Was kann man machen, mit dem kleinen Leben, das jeder von uns hat. Leben unter diesen Bedingungen, mit der Dominanz des Stärkeren über den Schwächeren, das heißt jede Menge Fremdbestimmung, unter der das Fürsorgeprinzip den Bach runtergehen kann? Was kann man da machen als Betroffener oder als kundiger Mensch, Wissenschaftler? Wir wissen hier alle im Raum, Lebensqualität ist hier mehrfach bekundet und bezeugt, nicht nur über LIS e. V., sondern auch international in der wissenschaftlichen Literatur. Trotzdem wird das nicht wahrgenommen, weil offenbar der Sog, der Zwang, der Druck, die Faszination, Leben nach Nützlichkeitsprinzipien durchökonomisieren zu wollen, groß ist. Ich könnte jetzt einen großen Bogen schlagen zum Dritten Reich - dort war ja Nützlichkeitsethik die Staatsideologie. Und es gibt Analysen von schlauen Rechtsphilosophen und Juristen, die sagen, so etwas wiederholt sich, nun auf europäischer Ebene in einem viel größeren Ausmaß. D. h., wir sind möglicherweise mit diesem kleinen Symptom "Patientenverfügungsgesetz" in einem großen Prozess, dem wir uns als Menschen stellen müssen, der zunehmenden Veränderung des Menschseins in ein anderes Menschenbild - in dem wieder brutaler miteinander umgegangen wird. Und wir dürfen hoffen, auch das lehrt die Geschichte, - Herr Dr. Pantke hat die Erfahrung der Friedensbewegung aufgezeigt -, dass es auch wieder andere Phasen gibt. Für mich ist die Frage, was kann ich tun, wenn ich in eine schier aussichtslose Lage komme: leben mit den Bedingungen dieser Grausamkeiten, die uns beschert werden mit dem Patientenverfügungsgesetz und dessen Folgen. Ich möchte aber doch einmal fragen: Sind in diesem Instrument selbst nicht doch auch möglicherweise, Ansätze vorhanden, dass ich dieses Instrument selbst widerständig dazu benutze, in dem ich verfüge: Ich will überleben? Ich verfüge hiermit, dass ich kein Organ spenden will. Ich verfüge hiermit, dass die soziale Gesetzgebung, die ich auch als Mitbürger genießen darf, konsequent angewandt wird: Integration und Teilhabe, statt Ausgrenzung, Ausschluss und womöglich selbst verfügte Vernichtung. Ich meine also die Möglichkeit, das Instrument durch die Beteiligung der Betroffenen und Schwachen wieder zu dem zu machen, was es ursprünglich vorgegeben hat zu stärken, nämlich den Patientenwillen, die Stärkung der Schwachen und Selbstbestimmung. Das ist die eine Dimension. Die andere Dimension, die wir hatten, ist Einflussnahme auf die ärztliche Ausbildung. Das ist ungeheuer wichtig, dass Sie als LIS-Erfahrene mit jungen Ärzten ins Gespräch kommen. Laden Sie junge Ärzte ein in ihre Selbsthilfegruppen, ein vielleicht blauäugiger Vorschlag. Ich kann sagen, an der Uni Greifswald gibt es in der klinischen Medizin - in der Vorklinik im 2. Semester - das Wahlfach Integrative Medizin. Dort werde ich regelmäßig eingeladen, damit die jungen Studenten etwas erfahren über Körpersprache, Koma, verschiedene Bewusstseinszustände und wie man dort mit der leiblichen Existenz dieser schwachen Menschen sinnvoll umgehen kann, ohne immer gleich alles nach Nützlichkeit zu bewerten oder wegmachen, ungeschehen machen oder gar töten zu wollen. Als Wissenschaftler und Lehrender habe ich mir Gedanken gemacht, was von meiner Grundhaltung, von meinem Wissen und von meinen Erfahrungen - wobei ich viel gelernt habe durch die Patienten und ihre Angehörigen - in das Curriculum der Ärzteausbildung eingebracht werden kann. Und noch ein Drittes: Leider sind Ärzte als "normale" Gesunde auch dem unterworfen, dass sie durch ihre alltägliche Arbeit am Patienten Kosten verursachen. Ärzte werden in den Einrichtungen, die unter Kostendruck stehen, immer mehr als Kostenverursacher wahrgenommen und nicht mehr als Menschen mit Erfahrungen und Personen, die sich für das Wohlergehen der Schwachen und Kranken einsetzen. Auch Ärzte werden in dieser ureigensten, wichtigen mitmenschlichen Funktion des ärztlichen Beraters und des Heilkundigen zunehmend nicht mehr wertgeschätzt. Das ist auch wieder Ausdruck des Zeitgeistes, ein Verfall der Sitten, ein Kulturbruch, und insofern kann ich nur zustimmen: Patientenverfügungen, die auf Dominanz des Stärkeren über den Schwächeren beruhen, sind ein Symptom des Paradigmawechsels. Dagegen können wir nur unser Leben setzten und versuche, mit den uns vorhandenen Kräften, die wir vielleicht noch besser verknüpfen sollten, aufzuklären, uns mitzuteilen in Publikationen, Betroffene und Wissenschaftler gemeinsam. Seit ich mich um das Thema "Wachkoma" oder "Locked-in" kümmere, habe ich viel mehr erfahren über die Breite und Tiefe menschlichen Lebens. Und eben auch die Erkenntnis, dass eine humane Medizin nicht nur naturwissenschaftlich und heilkundlich sein kann, sondern multiple Perspektiven braucht, insbesondere nicht nur die objektive Dritte Personperspektive, sondern den Subjektstatus, die Erste Personperspektive. Ihre Binnenperspektive als Betroffene und Experten des LIS ist wichtig, in die Wissenschaft aufgenommen zu werden. Und dann gibt es noch die Zweite Personperspektive - Ich und Du in Interaktion - teilnehmendes Verstehen, verstehendes Begleiten im Dialog. Forschen als sozialer Gegenstand, als gemeinschaftliches Tun. Ganz selten einmal Thema. Worin kann eine neue Kraft liegen, eine geistige Kraft, die uns zusammen schmiedet und gemeinsam weiter vorgehen lässt? Im Moment sehe ich eine Chance durch die konsequente Umsetzung des Teilhabegebotes, das im Sozialgesetzbuch IX festgeschrieben ist. Der partizipative Ansatz der Teilhabe kann als eine heilsame Bewegung genutzt werden, sich konsequent für das "Gut Mensch Sein" einzusetzen. Aber nicht nur in Deutschland, sondern die Weltgemeinschaft in Form der Weltgesundheitsorganisation hat sich mit der Hereinnahme des sozialen Modells in die Medizin für ein solches integriertes Verständnis entschieden. Und mit der EU-Behindertenkonvention sind die Menschenrechte der Schwachen und Kranken in Richtung Förderung, Integration und Partizipation abgesteckt. Teilhabe für Schwerstkranke und Sterbende so human verstanden, bedeutet, diese Menschen nicht zu vernachlässigen, sondern palliative Versorgung und Hospizarbeit zu gewähren. Das ist die beste Antwort auf jegliche Bestrebungen nach Therapiebegrenzung aus Kostengründen und nach aktiver Sterbehilfe.

Dort sind Förderfaktoren zu finden und nicht nur Barrieren, und einseitig fragwürdige Instrumente zur Lebensregulation, wie wir es durch das Patientenverfügungsgesetz erleben. Über die Veröffentlichungen von LIS e.V. im Internet und die von LIS ja schon angestrengte Internationalisierung, wie hier auf der Tagung gestern zu spüren war, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung unternommen.

Pantke:

Ich möchte dem nur ein ganz kurzes Statement hinzufügen, was unterstreicht, was Prof. Zieger gesagt hat. Für mich macht sich die Güte einer Gesellschaft bzw. Demokratie darin aus, wie geht diese mit ihren Randgruppen um?! Und sobald Tendenzen spürbar sind, dass man die am besten völlig ins Abseits drängen möchte, dann ist das für mich ein ganz, ganz schlechtes Zeichen.

Schlusswort Zieger:

Ich hoffe, wir haben gemeinsam mehr Erkenntnisse bekommen, wir haben auch das Gefühl für ein gutes Zusammenleben dabei entwickeln können, obwohl wir in Abgründe und auf schlimme Vorgänge schauen mussten. Ich darf mich ganz herzlich bedanken bei allen, die Statements abgegeben und sich aktiv an der Veranstaltung beteiligt haben und bei den Referenten. Und ich darf mich bei ihnen bedanken für das zahlreiche Erscheinen und das große Interesse an diesem zentralen, wichtigen Problem des Menschseins, über das wir gemeinsam beraten haben. Und da dies ja nun die Abschlussveranstaltung dieser Tagung ist, wünsche ich Ihnen allen, dass die Vermehrung der Erkenntnisse die wir hier hatten, dazu beiträgt, dass sie nicht aufgeben, sondern sich selbst treu bleiben und sich mit anderen Menschen um das gute Zusammenleben kümmern. Und in diesem Sinne möchte ich Herrn Dr. Pantke doch um ein Schlusswort bitten.

Schlusswort Pantke:

Vielen Dank Herr Prof. Zieger. Da ich um ein Schlusswort gebeten worden bin, muss ich das wohl abhalten. Ich werde es mehr allgemein machen. Ich möchte mich bei allen Referenten und Mitarbeitern bedanken, die zum Gelingen dieser sehr schönen Veranstaltung beigetragen haben. Dieses Dankeschön ist verknüpft mit der Bitte, dass man vielleicht eine derartige Veranstaltung in einigen Jahren wiederholen kann. Aber jetzt habe ich genug geredet. Ich möchte diese Veranstaltung schließen, und mich auch noch einmal bei den hier Sitzenden bedanken, und sie nach Haus entlassen.


Weitere Informationen zum Locked-in-Syndrom e.V. unter: www.locked-in-syndrom.org


*


Quelle:
LIS - Locked-in-Syndrom e.V.
Geschäftsstelle im Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH)
Vereinsvorsitzender: Dr. Karl-Heinz Pantke
Herzbergstr. 79, Haus 30, 10365 Berlin
Telefon: 030/34 39 89 75, Fax: 030/34 39 89 73
E-Mail: pantkelis@arcor.de
Internet: www.locked-in-syndrom.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010