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FORSCHUNG/2009: Sabotage in der Zelllogistik (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2009

Sabotage in der Zelllogistik

Von Barbara Abrell


Das Bakterium Chlamydia trachomatis, das Dagmar Heuer am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin erforscht, kann Frauen unfruchtbar machen, bei Schwangeren Frühgeburten auslösen oder Kinder erblinden lassen. Sein Überleben in der Zelle sichert der Erreger durch einen Trick: Er nutzt das Verteilungszentrum der Wirtszelle für seine Zwecke und leitet die "Materiallogistik" um.


Chlamydia trachomatis ist ein heimtückischer Krankheitserreger: Er wird unter anderem bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr über die Schleimhäute übertragen und nistet sich dann in die Zellen von Gebärmutter und Eileiter ein. Dort tarnt er sich geschickt vor den Abwehrattacken des körpereigenen Immunsystems und schmarotzt im Innern der Zellen, indem er sie zwingt, seinen Hunger zu stillen. Ihre Wirkung entfalten Chlamydien dabei schleichend: Während Tetanus- oder Cholerabakterien den Körper mit Giftstoffen überschwemmen, die lebensnotwendige Zellfunktionen stören, schädigen Chlamydien Zellen und Gewebe nicht direkt, sondern lösen eine übermäßige Abwehrreaktion aus: Das körpereigene Immunsystem versucht, den Erreger durch Entzündungsreaktionen in Schach zu halten - doch gerade diese Art der Bekämpfung verursacht dauerhaft irreversible Schäden.

Da die Genitalinfektion zunächst keine oder nur wenige Symptome zeigt, merken die meisten Infizierten nichts von dem heimlichen Bakterienangriff. Der Befall bleibt unentdeckt - und somit unbehandelt. Experten gehen von weltweit bis zu 90 Millionen Neuinfektionen pro Jahr aus. Nach Angaben der "International Union against Sexually Transmitted Infections" (IUSTI) - einer Organisation, die sich seit 1923 mit den epidemiologischen Aspekten sowie der Kontrolle sexuell übertragbarer Krankheiten befasst - sollen bis zu 80 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer infiziert sein, die meisten davon in den Entwicklungsländern.


Chlamydien sind eine heimliche Seuche

Was die Zahl der Chlamydien-Infektionen anbelangt, "gibt es für Deutschland wenig belastbare Daten, nur Schätzungen", sagt Osamah Hamouda vom Robert-Koch-Institut in Berlin. Häufig veröffentlichte Zahlen, dass in Deutschland etwa zehn Prozent aller Frauen unter 25 Jahren den Erreger in sich tragen, hält der Infektionsexperte für "deutlich zu hoch gegriffen". "Wir gehen von drei bis sechs Prozent infizierter junger Frauen aus", so Hamouda. Bei einem Drittel aller Frauen, die keine Kinder bekommen können, ist der Grund eine Chlamydien-Infektion. Schwangere, die sich angesteckt haben, erleiden darüber hinaus wesentlich häufiger Eileiterschwangerschaften. Auch ihr Risiko für eine Frühgeburt steigt. Wenn der Erreger nicht frühzeitig erkannt und mit Antibiotika bekämpft wird, kann er immer wieder - unwissentlich - weitergegeben werden.

Weil sie so klein sind und sich ausschließlich obligat intrazellulär - also innerhalb von eukaryotischen Zellen - vermehren, wurden Chlamydien lange Zeit für Viren gehalten. Ein deutsches Expeditionsteam hatte 1907 auf Java erstmals Chlamydozoen ("Manteltierchen") entdeckt. Bald danach fanden die Wissenschaftler heraus, dass diese Krankheitserreger neben dem Menschen auch Säugetiere und Vögel befallen können; einige Arten leben frei in Amöben. Heute zählen Chlamydien zu den am weitesten verbreiteten Krankheitskeimen mit mindestens 13 unterschiedlichen Arten. Drei davon haben es primär auf den Menschen abgesehen.

Chlamydia trachomatis ist einer dieser humanpathogenen Keime und zentrales Untersuchungsobjekt von Dagmar Heuer. Die 33-jährige Humanbiologin, die am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin forscht, will mithilfe molekularbiologischer Techniken den Virulenzmechanismen des Erregers auf die Spur kommen. Chlamydien besitzen einen einzigartigen Entwicklungszyklus, der durch zwei unterschiedliche Stadien gekennzeichnet ist: Das infektiöse, extrazelluläre Stadium wird Elementarkörperchen (EB oder engl. Elementary Body) genannt; es ist gerade mal 0,3 Mikrometer (das sind drei zehntausendstel Millimeter) groß und zeigt keine messbare Stoffwechselaktivität. Das intrazelluläre, sich vermehrende Stadium heißt Retikularkörperchen (RB oder engl. Reticulate Body); diese Retikularkörperchen sind zirka einen Mikrometer groß und stoffwechselaktiv, aber nicht infektiös.

Ob eine Zelle befallen ist oder nicht, lässt sich bereits unter dem Lichtmikroskop erkennen: Im Inneren ihrer Wirtszellen bilden Chlamydien nämlich kugelige Einschlüsse, in denen sie sich teilen. Im Verlauf der Infektion wächst dieser Schutzraum und beherbergt schließlich bis zu 1000 Bakterien. Bereits 24 Stunden nach der Infektion sind diese Einschlusskörper fast ebenso groß wie der Zellkern. "Es ist erstaunlich, wie schnell sich diese Einschlüsse bilden und wie viel Platz sie in der Zelle einnehmen können, ohne dass die Zelle stirbt", sagt Dagmar Heuer. Am Institut werden die Bakterien in Laboren der Sicherheitsstufe 2 in großen Brutschränken bei 35 Grad kultiviert. Dort wachsen sie in sogenannten HeLa-Zellen. Diese stammen ursprünglich von Epithelzellen eines Zervixkarzinoms (Gebärmutterhalskrebs), die 1951 der Patientin Henrietta Lacks (daher das Kürzel HeLa) im Johns-Hopkins-Hospital in den USA entfernt wurden. Die behandelnden Ärzte wollten einige dieser Krebszellen auf ihre Bösartigkeit hin untersuchen. Dabei ließ sich ein Teil der Zellen aus der Gewebeprobe so gut vermehren, dass sie seitdem häufig in der Forschung eingesetzt werden.

Mithilfe dieser Zellkulturen lässt sich das Verhältnis zwischen dem bakteriellen Parasiten Chlamydia trachomatis und seiner menschlichen Wirtszelle besonders gut studieren. Dagmar Heuer interessiert dabei vor allem, wie die Krankheitserreger in den Zellen ihren Nährstoffhunger stillen. Denn als obligat intrazelluläre Bakterien besitzen sie nur eingeschränkte Stoffwechselkapazitäten. Um wachsen und sich vermehren zu können, müssen sie wichtige Stoffwechselprodukte - darunter Zucker und vor allem Fette für den Einbau in die Membran - von ihrer Wirtszelle beziehen.

Wie sie das machen, verrät eine Serie von digitalen Einzelaufnahmen, die Heuers Kollege Volker Brinkmann am Computer quasi zu einem Film zusammengesetzt hat: Zu erkennen sind darauf HeLa-Zellen mit ihren Einschlusskörpern. Da die Zellmembranen das Licht stärker brechen als die Umgebung, heben sie sich deutlich vom Cytoplasma ab. "In leuchtendem Grün sieht man den Golgi-Apparat", erklärt Brinkmann. Die Forscher haben das Transport- und Verteilungszentrum der Zelle mit GFP (engl. green fluorescent protein), einem ursprünglich aus einer Qualle stammenden, grün fluoreszierenden Protein markiert. GFP ist mittlerweile ein gängiges und überaus erfolgreiches Werkzeug in der Zellbiologie - für seine Entdeckung und Entwicklung haben Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Y. Tsien deshalb 2008 auch den Nobelpreis für Chemie erhalten.


Materialströme in der Zelle umgeleitet

"Den Chlamydien gelingt es, dieses Verteilungszentrum der Zelle für ihre Zwecke zu nutzen und die Materiallogistik der Zelle umzuleiten", erklärt Dagmar Heuer. Der Golgi-Apparat besteht aus einem Stapel von flachen membranumschlossenen Zisternen. Die eine Seite dieser Zellorganelle, quasi die Eingangsseite, ist zum Endoplasmatischen Retikulum (ER) hin orientiert; die andere - die Ausgangsseite - zur Plasmamembran. Das ER schnürt permanent kleine membranumhüllte Bläschen, sogenannte Vesikel, ab, die mit Proteinen und Lipiden befüllt sind. Diese werden vom Golgi-Apparat aufgenommen und wandern dann in neuen Transportbläschen durch den Membranstapel, wobei sie unterschiedliche Veränderungen erfahren. Auf der der Plasmamembran zugewandten Seite verlassen sie dann das Golgi-System wieder über Vesikel und werden - nun mit entsprechenden "Adressetiketten" versehen (sogenannte Targeting-Proteine an der Oberfläche der Vesikel) - zu bestimmten Orten in der Zelle dirigiert oder aus der Zelle hinaustransportiert.

Bei mit Chlamydien infizierten Zellen zerfällt der Golgi-Apparat in kleinere Einheiten, die sich - wie man Dank GFP erkennen kann - entlang des Einschlusskörpers aufreihen. "Die vom Golgi-Apparat abgeschnürten kleinen Lipidvesikel werden in die Einschlusskörper aufgenommen und von den Chlamydien in die eigene Membran eingebaut", sagt Heuer. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Bakterien ein wichtiges an der Oberfläche des Golgi-Apparates befindliches Protein enzymatisch aufspalten, das Golgin-84. "Wenn man die Spaltung von Golgin-84 blockiert, dann kommt es auch nicht zum Zerfall des Golgi-Apparates", erklärt Heuer. "Die Bakterien können nicht die notwendigen Lipide akquirieren und nicht reifen, das heißt, die Umwandlung in die infektiösen Elementarkörperchen ist blockiert." Der Entwicklungszyklus bricht ab.

Umgekehrt konnten Heuer und ihre Kollegen Anette Rejman Lipinski, Alexander Karlas und Nikolaus Machuy den Zerfall des Golgi-Apparates auslösen, indem sie das für Golgin-84 kodierende Gen stumm schalteten. Die Chlamydien vermehrten sich in diesen Zellen rasant. Und die infizierten Zellen entließen deutlich mehr infektiöse Partikel in die Umgebung, die wiederum viele gesunde Zellen infizierten. Um das Golgin-Gen stumm zu schalten, nutzten die Forscher die Methode der RNA-Interferenz. Dabei wird die entsprechende Boten-RNA mittels homologer RNA-Schnipsel abgefangen: Die beiden RNA-Einzelstränge paaren sich zu einem funktionslosen Doppelstrang; die Boten-RNA wird schließlich enzymatisch abgebaut. Damit fehlt den Proteinfabriken in der Zelle, den Ribosomen, die Bauanleitung - das Protein kann nicht mehr hergestellt werden.


Hoffnungsvoller Ansatz für neue Medikamente

Diese Arbeit sei ein Meilenstein bei der Untersuchung des Infektionsprozesses von Chlamydia trachomatis, betont Thomas Meyer, Direktor der Abteilung "Molekulare Biologie" am Berliner Max-Planck-Institut. Immerhin wurde sie ja auch im renommierten Fachmagazin NATURE publiziert. "Vielleicht gelingt es in Zukunft, auf diesem Wege die Krankheitserreger mithilfe von Medikamenten gezielt auszuhungern", hofft der Infektionsbiologe.

Zwei Faktoren, die den Zerfall des Golgi-Apparates unterbinden, konnten Heuer und ihr Team im Rahmen ihrer Studie bereits identifizieren. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Hemmstoffe für Enzyme, Protease-Inhibitoren, wie die Wissenschaftler sie nennen. Diese blockieren die von den Chlamydien ausgelöste Fragmentierung des Golgi-Apparates und unterbinden so die Versorgung der Bakterien mit den für sie wichtigen Lipiden. Die beiden Hemmstoffe wurden jetzt erstmals für eine mögliche Anwendung gegen Chlamydien patentiert. Die Wissenschaftler testen zurzeit ihre Wirkungsweise in Tiermodellen; möglicherweise lassen sich die Substanzen zu neuen Medikamenten weiterentwickeln.

Derweil versuchen Heuer und ihr Team, weitere Faktoren zu identifizieren, die eine Chlamydieninfektion beeinflussen. 1500 humane Gene haben die Berliner im Rahmen eines "Screenings" untersucht, "mit 50 konnten wir weiterarbeiten", sagt Machuy. Diese Gene wollen die Forscher in den kommenden Jahren genauer unter die Lupe nehmen. Kein leichtes Unterfangen, denn Chlamydien entziehen sich nicht nur geschickt dem körpereigenen Immunsystem, sondern auch dem Zugriff der Forschung: Aufgrund ihres obligat intrazellulären Lebensstils lassen sich die Bakterien bisher nicht genetisch manipulieren.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Chlamydien (in dieser nachkolorierten rasterelektronischen Aufnahme grün) nisten sich im Inneren menschlicher Wirtszellen ein. In einem Einschlusskörper können sich bis zu 1000 Erreger befinden.

Bildunterschrift 2:
Mittels GFP können die Forscher den Zerfall des Golgi-Apparats in mit Chlamydien infizierten Zellen verfolgen.

Bildunterschrift 3:
Das Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin (von links nach rechts): Volker Brinkmann, Dagmar Heuer, Annette Rejman Lipinski und Nikolaus Machuy unten: Die Forscher lassen die Bakterien in sogenannten HeLa-Zellen wachsen. Hier kontrolliert Dagmar Heuer die Zellkulturen unter dem Mikroskop.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2009, Seite 60 - 63
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2009