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GIFT/194: So tötet die Biowaffe Rizin - Wirkung des Pflanzengifts Rizin aufgeklärt (idw)


IMBA / Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH - 01.12.2011

So tötet die Biowaffe Rizin

Rätsel gelöst mit neuer, revolutionärer Technologie


Forscher am IMBA in Wien identifizieren ein Protein, mit dem das als Biowaffe verwendete Pflanzengift Rizin tötet. Möglich wurde die Entdeckung durch eine neue, revolutionäre Technologie, die Stammzell-Biologie und moderne Screeningmethoden verknüpft. Die wissenschaftliche Arbeit erscheint heute in der Zeitschrift Cell Stem Cell.

Im August dieses Jahres gingen Horrormeldungen durch die Presse: Die Terrororganisation Al Kaida plante offenbar Bomben mit dem Gift Rizin zu bauen und bei Anschlägen in Einkaufszentren, Flughäfen oder U-Bahn-Stationen einzusetzen. Rizin als biologischer Kampfstoff hat seit dem ersten Weltkrieg grausame Tradition. Es gilt als eines der stärksten Pflanzengifte der Welt, bereits kleinste Mengen sind tödlich. Gelangt das Gift ins Blut des Opfers, führt es nach zwei bis drei Tagen zum Tod.

Wirkung des Pflanzengifts Rizin aufgeklärt

Noch gibt es kein Gegengift. Jetzt aber konnte Ulrich Elling, Wissenschaftler in der Gruppe von Josef Penninger am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW, das Eiweißmolekül "Gpr107" identifizieren. Dieses Protein in den Zellen des Opfers ist essenziell für die tödliche Wirkung von Rizin oder anders gesagt: Zellen, die Gpr107 nicht besitzen, sind immun gegen das Gift. Elling ist optimistisch: "Nach unseren Erkenntnissen könnte man rasch ein Gegengift entwickeln, indem man etwa ein sogenanntes "small molecule" bastelt, welches das Protein Gpf107 gezielt blockiert."

Neue Technologie ermöglicht Screening des gesamten Säugergenoms

Wonach andere seit Jahrzehnten fieberhaft gesucht hatten, fanden die IMBA Forscher in wenigen Wochen. Diesen raschen Erfolg ermöglichte eine neue, bahnbrechende Methode in der Genetik, die Ulrich Elling und Josef Penninger maßgeblich mitentwickelt haben. Sie erlaubt erstmals, das komplette Säugetiergenom in einem sinnvollen Zeitrahmen auf Mutationen zu screenen. Bisher konzentrierte man sich bei Säugetieren, wie Mäusen, auf eine einzelne Mutation. Man verwendete RNA-Interferenz oder züchtete die passende Knock-out Maus, um die Auswirkungen zu studieren. Während RNA-Interferenz nicht in allen Fällen funktioniert, dauert die Züchtung einer Knock-out Maus zwei Jahre und ist sehr arbeitsaufwändig.

Für Josef Penninger ist die neue Technologie daher eine Revolution in der Biomedizin: "Wir haben es geschafft, Hefegenetik, bei der aufgrund des einfachen Chromosomensatzes sofort eine Gen-Mutation möglich ist, mit Stammzellbiologie zu verbinden. Ewig suchen wir Forscher schon nach so einem System!"

Millionen Gen-Mutationen können die Wissenschaftler nun gleichzeitig in kurzer Zeit nachstellen und ihre Auswirkungen erforschen. Genau das tat auch Ulrich Elling, als er die Giftwirkung von Rizin entschlüsselte: Er testete das Gift an vielen tausend verschiedenen Mutationen in Maus-Stammzellen und stellte fest, dass alleine 49 verschiedene genetischen Mutationen in einem einzigen Protein vorhanden waren: Gpr107. Eine Mutation in diesem Protein sicherte offensichtlich den Zellen das Überleben.

Kombination mit Stammzellforschung bringt breites Anwendungsspektrum

Das unglaubliche Potenzial der neuen Methode wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass Stammzellen die Fähigkeit haben, sich in jede beliebige Körperzelle zu verwandeln. Josef Penninger ist begeistert: "Es gibt unendlich viele mögliche Anwendungen! Das beginnt bei grundlegenden Fragen, zum Beispiel 'Welche Gene sind für die Funktion einer Herzmuskelzelle überhaupt notwendig?'. Oder man stellt angewandte Fragen, wie wir im Fall der Giftwirkung von Rizin."

Die nächsten Projekte, an denen Penningers Team bereits konkret arbeitet: Wie entwickeln sich Resistenzen gegen Chemotherapien?, ein Schlüsselthema in der Krebsforschung - und: Wie können sich Nervenzellen bei einer Querschnittslähmung regenerieren?


Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit erscheint am 2. Dezember 2011 in der wissenschaftlichen Zeitschrift Cell Stem Cell mit dem Titel: "Forward and Reverse Genetics through Derivation of Haploid Mouse Embryonic Stem Cells." (Elling et al.). Die Arbeit wurde von einem internationalen Konsortium aus Österreich, Kanada, Deutschland und den USA unter der Leitung von IMBA durchgeführt. Spezieller Dank geht an William Stanford vom Sprott Centre for Stem Cell Research, Ottawa Hospital Research Institute, Harald von Melchner und Frank Schnütgen, Universität Köln, Joseph Ecker, San Diego, und Johannes Zuber und Alex Stark, IMP, Wien.


IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie
Mag. Evelyn Devuyst, Kommunikation
evelyn.devuyst@imba.oeaw.ac.at
http://www.imba.oeaw.ac.at

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

http://idw-online.de/de/image157710
Ulrich Elling, Wissenschaftler in der Gruppe von Josef Penninger am IMBA, mit Kollegin an der Arbeit im Labor.

http://idw-online.de/de/image157711
Foto eines einfachen (haploiden) Chromosomensatzes aus einer der Maus-Stammzelle, gewonnen mit der neuen Methode.



Erklärungen:

Das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) ist ein Forschungsinstitut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Screening: Systematische Reihenuntersuchung auf das Vorliegen definierter Kriterien.

RNA-Interferenz: Mechanismus in Zellen, mit dem Gene zielgerichtet stillgelegt werden können.

Knock-out Maus: Maus, in deren Erbgut gezielt ein oder mehrere Gene deaktiviert wurden. Die genetische Veränderung zeigt sich oft im Verhalten oder Erscheinungsbild. Diese Mäuse eignen sich als Modelle, um menschliche Krankheiten zu studieren.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/de/institution1270


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH
Mag. Evelyn Devuyst, 01.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2011