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GESCHICHTE/499: Kiel - Zerstörung der Kliniken und medizinischen Institute im 2. Weltkrieg (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2009

Kieler Hochschulmedizin im Krieg
Zerstörung der Kliniken und medizinischen Institute im 2. Weltkrieg

Von Karl-Werner Ratschko


Am 7. Mai 1945 wurde Kiel von der 46. Infanteriebrigade der 15. schottischen Division besetzt. Im Hafen befanden sich zu diesem Zeitpunkt 350 deutsche Schiffe, überfüllt mit zehntausenden von teilweise verwundeten und kranken Flüchtlingen und Soldaten. Es gab keine Lebensmittel, kein Wasser, keine medizinische Versorgung. Kiel war so stark zerstört, dass an eine Unterbringung der Flüchtlinge in der Stadt nicht zu denken war.(1) Der vorliegende Bericht schließt an eine Darstellung der Geschichte der Akademischen Heilanstalten der Christian-Albrechts-Universität im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt 3/2008, S. 56-61, an.(2)


Vorgeschichte

Das 1862 fertig gewordene Krankenhaus für Chirurgie und Innere Medizin war der Anfang der stärker fachlich ausgestalteten Akademischen Heilanstalten.(3) Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs folgte eine immer stärker werdende Differenzierung der medizinischen Fächer und damit verbunden eine rege Bautätigkeit. Durch das Ansteigen der Studentenzahlen und der Kieler Bevölkerung war jeder Neubau bei Bezug schon wieder zu klein, Folge waren ständige Um- und Ergänzungsbauten. Die Akademischen Heilanstalten in Kiel waren am Ende der Weimarer Republik nicht nur Stätte praktischer Ausbildung für Medizinstudenten, sondern auch unentbehrlicher Bestandteil der stationären Versorgung der Bevölkerung Kiels und seiner weiteren Umgebung. Hieran änderte sich auch in den Jahren nationalsozialistischer Herrschaft nicht viel. Planungen für Neu- und Erweiterungsbauten wurden wegen der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen nicht realisiert.

Kiel mit seinem Werftgelände und unmittelbar benachbarten militärischen Anlagen von der Krupp Germaniawerft in der Hörn bis zu den unterirdischen Ölbunkeranlagen in Mönkeberg war für die alliierten Bombenangriffe ein wichtiges Ziel. So war die Marinestadt schon zu einem frühen Zeitpunkt nach Beginn des Krieges ein Luftschutzort erster Ordnung mit einer Vielzahl von Luftschutzanlagen. Nur hatte man leider vergessen, trotz ihrer unmittelbaren Nähe zu militärischen Anlagen, auch für die Kliniken und medizinischen Institute der Universität Bunker und Schutzräume zu bauen.


Bomben auf Krankenhäuser und medizinische Institute

Am 7./8. April 1941 wurden beim ersten schweren Angriff auf Kiel auch die Kliniken und Institute in Mitleidenschaft gezogen. Die Reaktion der besonders betroffenen Klinikdirektoren (A. W. Fischer, Chirurgie; E. Philipp, Frauen; E. Rominger, Kinder) war bemerkenswert. Unverzüglich wurde damit begonnen, in der Provinz Ausweichkrankenhäuser einzurichten, um für die Patienten den Stress der Luftalarme und die Gefahr durch Bombardierungen zu vermindern. Nachteil dieser Auslagerung von Betten war die Aufsplitterung der einzelnen Krankenhäuser, die durch den Transport der oft gerade erst frisch operierten Patienten zu erwartenden Gefährdungen und die besonders unter den ohnehin erschwerten Arbeitsbedingungen erheblichen organisatorischen Belastungen. Der Klinikbetrieb wurde in beschädigten Häusern und in Bunkern fortgeführt. Teilzerstörungen wurden so schnell wie möglich zumindestens provisorisch repariert.(4) Die Kosten der Einrichtung und des Betriebs sicherer Unterbringungsmöglichkeiten in der Provinz beliefen sich 1941 auf 140.000 RM (Reichsmark), in den Folgejahren etwa auf 250.000 RM. Ihre Übernahme sollte Provinzbürokratien und drei Reichsministerien(5) beschäftigen, ohne dass bis zum Kriegsende eine Lösung gefunden werden konnte.

Die chirurgische Klinik wurde 1941 durch Sprengbomben erheblich beschädigt. Teile der Frontmauern wurden fortgerissen, Bomben detonierten im Innern auf der Flurdecke im Lehrflügel. Im Herbst 1941 wurde am Ostende der Klinik mit dem Bau eines Operationsbunkers begonnen, der ab 1943 in seinem oberen Geschoss auf der Höhe des Kellergeschosses der Klinik eine vollständige Operationsabteilung enthielt. Der Operationsbetrieb kam nicht einen Tag zum Erliegen.(6) Im August 1944 brannte der obere Stock der chirurgischen Klinik vollständig aus. Viele Patienten waren anfangs nur in Neustadt i. H. und Haffkrug, gegen Ende des Krieges auch in Schleswig untergebracht.

Eine Doktorarbeit aus dem Jahre 1951 gibt Hinweise zur Qualität der chirurgischen Versorgung vor dem Krieg im Vergleich zu 1945/46. Bei etwa gleich großer Patientenzahl lag die Sterblichkeit 1937/38 bei 5,7 und 1945/46 mit 7,8 Prozent nur geringfügig höher. Nicht unerwartet war ein Ansteigen der Sterblichkeit der septischen Allgemeininfektionen auf fast das Dreifache sowie der chirurgischen Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes(7) auf etwa das Doppelte festzustellen.(8) Ergebnisse, die bei den katastrophalen Versorgungsverhältnissen zu Respekt vor den Leistungen von Ärzten und Pflegepersonal führen müssen, auch wenn o. a. Arbeit aus heutiger Sicht methodisch nicht unbedingt zufrieden stellen kann.

Erste Schäden durch Brandbomben trafen schon im Februar 1941 das alte Direktorhaus der Frauenklinik. Die anfangs kleine Ausweichstation für Wöchnerinnen und ihre Säuglinge im 80 km entfernten Grömitz bot eine sichere Unterbringung. Der Bau eines Bunkers für die Frauenklinik in Kiel wurde Ende 1941 bewilligt und in Angriff genommen, wegen Materialmangels allerdings nicht fortgeführt. Im Januar 1944 gab es empfindliche Schäden an der Klinik, die eine Verlegung des Kreißsaales vorübergehend in das Städtische Krankenhaus Kiel erforderlich machte. Nach Zerstörung des Haupthauses am 22. Mai 1944 erfolgte eine Erweiterung in Grömitz um zunächst 74 Betten, die Entbindungsräume wurden in den Operationsbunker der Chirurgischen Klinik verlegt. Auf engstem Raum wurden bis Ende September 1944 hier 200 Entbindungen und über 300 große Operationen durchgeführt. Zerstörungen weiterer großer Teile der Klinik im Juli/August 1944 führten zur Verlegung des Entbindungs- und Operationsbetriebes in das Erdgeschoss des Marine-Hochbunkers in Kiel-Wik. Ab 28. September 1944 fanden hier alle Geburten und Operationen statt. Zweimal in der Woche gingen Transporte mit frisch entbundenen oder operierten Frauen nach Grömitz. Bis zum Transport waren die Frauen in dreifach übereinander gestellten Feldbetten untergebracht. Diese Zustände hielten teilweise bis 1949 an: In vier Jahren fanden im Bunker allein 1537 kleine vaginale Eingriffe, 635 Laparotomien, 425 plastische und 142 große vaginale Operationen statt. 2592 Fehlgeburten wurden behandelt und 1474 Frauen bis Mitte 1946 entbunden. Zu Beginn des Jahres 1945 waren nach der zeitweisen Übersiedlung der Medizinischen Fakultät auch noch 50 bis 80 Betten in Schleswig zu betreuen.

Bis Mai 1946 war der Südflügel der Frauenklinik für Geburtshilfe wieder provisorisch hergerichtet, im Mai 1948 war durch weitere Baumaßnahmen die Räumung des Bunkers möglich und ein Hörsaal stand zur Verfügung. Weitere Baumaßnahmen bis 1956 führten dann zu einem wieder ohne Einschränkungen nutzbaren Klinikbau.(9)

Wegen der Luftkriegsgefahren wurde ein großer Teil der Kinderklinik im Jahre 1941 in das leerstehende Herrenhaus des Gutes Behl bei Plön verlegt, hinzu kam für an Tuberkulose erkrankte Kinder das LVA-Heim "Stilles Tal" in der Nähe. In Kiel verblieben die Poliklinik und zwei Stationen. Am 22. Mai 1944 wurde die Kinderklinik mit allen vier Häusern am Lorentzendamm völlig zerstört. Neun Kinder, eine Ärztin, zwei Schwestern und der Gärtner kamen dabei ums Leben. Bis zu deren restlosen Zerstörung befand sich die Kinderklinik anschließend in der evakuierten Privatklinik Dr. Koreuber und wurde dann nach Plön in das Hotel "Zur Post" verlegt.

Für die Hals-Nasen-Ohrenklinik war im westlichen Anbau des alten Hauptgebäudes, das 1928 von der Inneren Medizin geräumt worden war, nach Umbauten Platz geschaffen worden, für die Unterbringung der Hautklinik bot sich der östliche Teil des Gebäudes an, der 1930 bezogen wurde. Sie wurden im Krieg stark zerstört, die Ohrenklinik konnte nach notdürftigen Reparaturen 1945 die nach Schleswig verlagerte Klinik wieder aufnehmen.


Wie eine Mondlandschaft wirkt das zerstörte Universitätsklinikum im April 1945.

Abb.: S. 58
Wie eine Mondlandschaft wirkt das zerstörte Universitätsklinikum im April 1945. Die teilweise schwer erkennbaren Gebäude und Ruinen können anhand der Skizze s. u. zugeordnet werden. Das Foto wurde am 04.04.1945 von der amerikanischen Luftaufklärung erstellt, veröffentlicht in Jensen, J. (Hg.), Kriegschauplatz Kiel, Luftbilder der Stadtzerstörung 1944/45, Neumünster 1989, 39.

1942 brannte der Dachstuhl der Augenklinik völlig aus, die Etage darunter wurde schwer beschädigt. Die klinischen Patienten wurden zunächst in die Frauenklinik, dann in die Chirurgie aufgenommen. Dort wurden im Bunker auch die Operationen durchgeführt. Die Poliklinik fand ebenfalls im Bunker der Chirurgen in einem winzigen Raum Unterkunft. Vier Wochen nach der Wiederherstellung der Klinik gab es neue schwere Bombenschäden, im Februar 1944 wurde die Klinik nach Neustadt verlegt, im April war auch der Hörsaal zerstört. Es folgte eine kaum glaubhafte Odyssee: Bei Kriegsende wurde die Augenklinik nach Schleswig-Stadtfeld verlegt. Im November 1945 wurde sie dort mit Frist von wenigen Stunden auf die Straße gesetzt, konnte dann im Marinelazarett Bordesholm (in einer ehemaligen Druckerei der Inneren Mission) unterkommen. Weitere Stationen der Klinik waren das ehemalige Kloster und das Amtsgericht Bordesholm. Die Poliklinik blieb zunächst im Bunker der Chirurgie, dann fand sie Platz in einem Haus in Bordesholm. Nach Wiederaufbau mit insgesamt 100 Betten konnte die Klinik im November 1948 wieder genutzt werden.(10)

Im Mai 1944 wurden das Untersuchungsamt des Hygiene-Instituts, im August 1944 der Hörsaal, Kurssaal und die Tierställe zerstört. Weitergearbeitet wurde im Marinesanitätsamt in Kiel-Wik. Nach einem Zwischenaufenthalt in der Prosektur des Städtischen Krankenhauses, die ihrerseits im April 1945 zerstört wurde, fand die weitere Arbeit im Milchhygienischen Institut statt, das kurz vor Kriegsende auch noch einen schweren Bombenschaden erlitt. Dieser Schaden wurde gleich nach Kriegsende behelfsmäßig beseitigt. Die Funktionsfähigkeit des Hygienischen Instituts und besonders auch des angeschlossenen Medizinaluntersuchungsamtes hatte aus Gründen der Seuchenprävention und -bekämpfung besondere Priorität.

Abb. S. 59:
Die Zeichnung stammt aus dem Landesbauamt Kiel II, veröffentlicht in Hofmann, E., Jaeger, R., Schmidt-Künsemüller, F. A. (Bearb.), Allgemeine Entwicklung der Universität, 2. Teil, Neumünster 1965, Abb. 15 nach S. 192

Lageplan der Universität nach dem Stande von 1945:
1 Universitätshauptgebäude
2 Universitätsbibliothek
3 Chemisches Institut
4 Anatomisches Institut
5 Physikalisches Institut
6 Zoologisches Institut
7 Physiologisches Institut
8 Kunsthalle
9 Seeburg - Studentenheim
10 Boots- und Fechthalle
11 Augenklinik
12 Personalgebäude und Wäschemagazin
13 Kuratorialdienstgebäude
14 Anthropologisches Institut und Institut für Physikochemische Medizin
15 Frauenklinik
16 Direktorwohnhaus
17 Villa Klein-Elmeloo
18 Hauptverwaltung
19 Personalwohnhaus
20 Hals-Nasen-Ohrenklinik
21 Hautklinik und Isolierhaus
22 Hauptküche
23 Wirtschaftsgebäude und Kesselhaus
24 Ärztecasino
25 Außenstation der Chirurgischen Klinik
26 Pharmakologisches Institut
27 Gewächshäuser
28 Botanisches Institut
29 Gärtnerhaus
30 Hygieneinstitut
31 Chirurgische Klinik
32 Pathologisches und Gerichtsärztliches Institut
33 Inspektorwohnhaus
34 Historisches Seminar
35 Mineralogisches Institut
36 Medizinische Klinik
37 Fliegeruntersuchungsstelle
38 Germanistisches und Nordisches Institut
39 Universitätssportplatz
40 Waschanstalt
41 Zahn- und Kieferstation, Homiletisches Seminar und Institut für Politik
42 Häuser Fleckenstraße 26-32
43 Kinderklinik
44 Seminargebäude
45 Geologisches Institut



In der Nacht vom 28./29. April 1942 wurde das Anatomische Institut durch einen Bombenangriff dadurch schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass der gesamte linke Flügel des Instituts einschließlich des großen Hörsaals vollkommen vernichtet wurde. Durch bessere Ausnutzung der Räume und Ersatzbeschaffung des zerstörten Inventars gelang es dem Anatomen Freerksen die Funktionsfähigkeit des Instituts wieder herzustellen.(11) Am 5. Juni 1944 jedoch bat der exponierte Nationalsozialist, Mitglied der NSDAP seit 1932, Gaudozentenführer usw. den Rektor, ihn von seinem Amt als Prorektor zu entbinden. Als Grund gab er an, dass das Anatomische Institut beim letzten Bombenangriff derart schwere Bombenschäden davongetragen habe, dass nur eine radikale Umstellung des Betriebes die Weiterführung der Arbeit möglich mache. Dadurch müsste er häufig einige Tage von Kiel abwesend sein.(12) Im Personal- und Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1944/45 ist er nur noch in seinen Lehrstuhl- und Direktorfunktionen und als Mitglied des Senats der Universität zu finden. Für den Institutsdirektor Freerksen kam es noch schlimmer: Am 14. September 1944 teilte er dem Kurator mit, dass das Anatomische Institut in der Nacht vom 26. zum 27. August 1944 durch Brandbomben total zerstört worden sei. Am 17. September folgt die Mitteilung, dass das Institut nach seiner Totalzerstörung seinen wissenschaftlichen Forschungsbetrieb in der Landwirtschaftlichen Schule in Lensahn fortführe.(13)

Das Physiologische Institut wird ebenfalls im August 1944 vollständig zerstört und nach Mohrkirchschwesterholz bei Kappeln verlegt. Der Institutsdirektor Holzlöhner, überzeugter Nationalsozialist seit 1932, seit März 1945 auch Rektor der Universität, 1942 in Dachau an Menschenversuchen mit tödlichem Ausgang beteiligt, beging am 14. Juni 1945 Selbstmord.

Das Esmarchhaus, dem ehemaligen Direktorhaus der Chirurgie, in dem die Institute für Physikochemie und Anthropologie untergebracht waren, wurde 1944 zerstört. Der Anthropologe Weinert verlegte seinen Dienstsitz aus eigener Machtvollkommenheit gleich nach Göttingen. Das Pathologische Institut blieb bis auf die Prosektur weitgehend unzerstört. Das Pharmakologische Institut wurde durch einen Blindgänger, der bis in den Keller durchfiel, ernsthaft beschädigt, konnte aber weiter genutzt werden.


Das Ende

Die Folgen der Zerstörungen und die daraus resultierenden Maßnahmen für die Versorgung der Patienten sind schwer zu fassen, da durch Improvisationskunst und hohe Einsatzbereitschaft viele Mängel einigermaßen überbrückt werden konnten. Hinzu kam jedoch ein chronischer Ärztemangel. Die durch Einberufungen verminderte Zahl der planmäßigen Ärzte konnte in einem gewissen Umfang durch (weibliche) "Hilfsassistenten" (gemeint sind Ärztinnen) und verstärkte Inanspruchnahme von medizinischem Assistenzpersonal behelfsmäßig ausgeglichen werden. Allerdings waren auch viele ambulant tätige Ärzte zum Wehrdienst einberufen, sodass "Hilfsassistenten" knapp waren. Hinzu kam erhöhter Personalbedarf durch Aufteilung von Klinikbereichen in verschiedene, weit auseinander liegende Klinikstandorte. Der Transport der Patienten über schlechte Straßen in wenig komfortablen Fahrzeugen war eine weitere Belastung. Patienten mussten auch nach frischen Eingriffen über weite Wege mit ungeeigneten Transportmitteln in unzulänglich ausgestattete Krankenhäuser transportiert werden.

Im Verlauf des Jahres 1944 war der Schaden an den Gebäuden der Universität derart umfangreich, dass der Universitätsbetrieb ab Herbst in Kiel nicht mehr fortgeführt werden konnte. Wie dem Bericht des Rektors Predöhl vom 18. September 1944 zu entnehmen ist(14), musste sich die Universität zu einer Verlagerung des gesamten Lehr- und Forschungsbetriebs, auch "der Medizin" entschließen. Vorgesehen war hierfür zunächst in Anknüpfung an die vorhandenen Schwerpunkte der "Osten des Gaus". Die Medizin sollte in den Bereich Neustadt und Grömitz, die Philosophische Fakultät und die Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät in den Lübecker Raum. Für die Medizin gab es jedoch Schwierigkeiten, da sich Neustadt nicht als geeignet erwies. Es bot sich als neue Lösung die "Landesirrenanstalt in Schleswig" an. Die höchst problematische Schleswiger Lösung hätte sogar ermöglicht, die gesamte Universität mit Ausnahme des Instituts für Weltwirtschaft, das in Ratzeburg untergekommen war, an einen Ort zu evakuieren. Da der Raum in Schleswig jedoch nicht im notwendigen Umfang für die Universität freigegeben wurde, bestand dann die Absicht, wenigstens die Kliniken nach Schleswig und die theoretischen Institute der Medizin und der Naturwissenschaft nach Rendsburg zu verlegen. Auch dieser Weg erwies sich in den damaligen chaotischen Zeiten als nicht realisierbar, sodass das eilige Ausweichen der Universität in greifbare Unterkünfte jeglicher Art als letzte Möglichkeit blieb. So gab es z. B. Kliniken in Schleswig, Neustadt, Grömitz, Behl und medizinische Institute in Mohrkirchschwesterholz, Lensahn, im Kieler Institut für Milchwirtschaft, in Göttingen. Die Fortführung von Forschung und Lehre war nach den verheerenden Angriffen im Januar, April und Juli/August 1944 eigentlich nicht mehr möglich, wurde jedoch noch weiter provisorisch durchgeführt bis durch einen Ministerialerlass des Reichserziehungsministeriums vom 12.10.1944 die Universität geschlossen wurde. Die Patientenversorgung war hierdurch jedoch nicht betroffen.

Die letzte Fakultätssitzung vor der Kapitulation des Nordabschnitts des Rest-Reiches am 5. Mai 1945 fand am 20.04.1945 statt. Laut Protokoll wurde mitgeteilt, dass Holzlöhner zum Rektor ernannt worden sei, es folgte eine wissenschaftliche Aussprache über eine Habilitationsarbeit, der Leiter der zahnärztlichen Station Bichlmayr hatte einen Antrag auf Zulassung von Studierenden zur Zahnheilkunde beantragt u. Ä. Zur Evakuierung findet sich im Protokoll folgende Anmerkung: "Bericht über die Evakuierung nach Schleswig, die weiter gute Fortschritte macht".(15) Tage später wurde Kiel von den ersten Voraustrupps der britischen Truppen erreicht, Mitte Mai auch Schleswig. Der Krieg endete auch für die Universität in einem beispiellosen Durcheinander von Elend, Not und Zerstörung.


Vortrag (gekürzt) am 4. Dezember 2008 anlässlich der Mitgliederversammlung der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung Kiel e. V.


Literatur beim Verfasser oder im Internet unter www.aerzteblatt-sh.de

Dr. Karl-Werner Ratschko M. A., Havkamp 23, 23795 Bad Segeberg


Haben Sie Interesse an einer Mitgliedschaft oder Spende an die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung Kiel e. V.?

Wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle der o. g. Gesellschaft, Brunswiker Str. 2, 24105 Kiel, Tel. 0431/880-5721, Fax 0431/880-5727, E-Mail medmuseum@med-hist.uni-kiel.de, Internet www.med-hist.uni-kiel.de


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200901/h090104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2009
62. Jahrgang, Seite 56 - 61
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2009