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GESCHICHTE/525: 25 Jahre Friedensnobelpreis für die IPPNW (IPPNWforum)


IPPNWforum | 124 | 10
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

25 Jahre Friedensnobelpreis für die IPPNW

Interview mit Ehrenvorstandsmitglied Prof. Dr. Ulrich Gottstein


forum: Am 11. Oktober 1985 verkündete das Nobelpreiskomitee, dass die IPPNW den Friedensnobelpreis erhalte. Hat die Entscheidung Sie überrascht?

Ulrich Gottstein: Bereits ein Jahr zuvor erhielt die IPPNW einen herausragenden internationalen Preis, den UNESCO-Friedenspreis. Bei den großen internationalen Organisationen wie der WHO, dem Weltkirchenrat, aber auch beim Papst und der katholischen US-Bischofskonferenz, dem Internationalen Roten Kreuz und dem Weltärztebund hatten wir einen guten Ruf. Und dies obwohl wir uns erst vier Jahre zuvor gegründet hatten.

Ich gehörte seit Oktober 1981 zum Kreis der Mitstreiter von Prof. Bernard Lown und zum erst später gewählten Vorstand der internationalen IPPNW. Wir telefonierten regelmäßig. Daher wusste ich seit 1984, dass die IPPNW als eine von sehr vielen Kandidaten für den Friedensnobelpreis gehandelt wurde. Die Wahrscheinlichkeit erschien uns aber sehr gering. Daher war die öffentliche Bekanntgabe für uns eine große Überraschung und Freude, die uns nicht triumphieren ließ, sondern zum notwendigen weiteren Engagement ermutigte.

forum: Wie haben Sie die Verleihung des Preises in Oslo am 10. Dezember 1985 erlebt?

Gottstein: Der Dezember 1985 in Oslo war bitter kalt, aber die Stimmung unter den IPPNW-Delegierten aus etwa 60 Nationen sehr gut. Am 9. Dezember gab die Stadt Oslo einen offiziellen Empfang im Rathaus. Auf Bitten des internationalen IPPNW-Vorstands und der Norwegischen Sektion hielt ich die Dankrede im Namen der gesamten internationalen IPPNW. Am Tag darauf wurde der Friedensnobelpreis in der Aula der Universität Oslo sehr feierlich - im Beisein des Königs und des diplomatischen Korps - an die IPPNW verliehen. Die USA, Großbritannien und Deutschland hatten zu der Verleihung nur stellvertretende Botschafter entsendet. Die beiden Co-Präsidenten Lown und Tschasow nahmen die Urkunde und eine Plakette entgegen. Am folgenden Tag fanden die "Nobel Lectures" statt, die Lown und Tschasow hielten. Anschließend gab es einen feierlichen Fackelzug vor der Universität und durch die Straßen Oslos.

forum: Wie reagierte die deutsche Bundesregierung?

Gottstein: Heiner Geißler und Bundeskanzler Kohl hatten beim Nobelpreiskomitee interveniert, um die Verleihung an die IPPNW zu verhindern, was natürlich mit Entrüstung abgelehnt worden war. In späteren Interviews und einem Live-Fernseh-Streitgespräch im ZDF mit mir erklärte Geißler u.a., man hätte den Friedensnobelpreis lieber an die Bundeswehr oder die NATO verleihen sollen, nicht an eine Ärztebewegung mit Mitgliedern auch aus den Ostblock-Ländern, die von der Sowjetunion dominiert seien. Außerdem habe der Verein einen Co-Präsidenten Tschasow, der als Vize-Gesundheitsminister in der Sowjetregierung sitze und sich in einer Sammel-Unterschrift aller Moskauer Akademiemitglieder gegen politische Ansichten von Sacharow ausgesprochen habe.

forum: Was waren die Folgen der Verleihung für die deutsche Sektion und die internationale IPPNW?

Gottstein: Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises stieg unsere Mitgliederzahl in Deutschland zügig auf 10.000 an. Als das internationale IPPNW-Direktorium 1987 in Moskau von Gorbatschow zu einem über zweistündigen Gespräch eingeladen wurde, erklärte uns der damalige sowjetische Präsident, dass die Aufklärungsarbeit der IPPNW sein Denken zur Notwendigkeit der Beendigung des Atomwaffenwettrüstens und ðtestens und zur Dringlichkeit kontinuierlicher Abrüstung ganz wesentlich beeinflusst habe. 1985 hatte Gorbatschow nach intensiver Lobbyarbeit durch die IPPNW ein einseitiges sowjetisches Atomtest-Moratorium verkündet.

Das Interview führte Angelika Wilmen.


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Quelle:
IPPNWforum | 124 | 10, Dezember 2010, S. 27
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion: IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2011