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THERAPIE/136: Stottern - Wörter wie Steine (Gehirn&Geist)


GEHIRN&GEIST 3/2013
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Stottern
Wörter wie Steine

Von Jasmin Andresh



In neun von zehn Fällen beginnt Stottern vor dem sechsten Lebensjahr. Dann ist es wichtig, das Problem schnell und wirksam anzugehen - denn je jünger ein Kind ist, desto besser kann es die Störung bewältigen. Dabei helfen eine Reihe bewährter Techniken.


AUF EINEN BLICK

Blockade ade

1. Als Ursachen des Stotterns gelten organische sowie funktionelle Veränderungen im Gehirn.

2. Je früher Kinder mit einer spezifischen Therapie beginnen, desto besser die Heilungschancen.

3. Als wirksam haben sich vor allem die Methoden des »Fluency Shaping«, die Stottermodifikation und das Lidcombe-Programm erwiesen.


Wann es begann, weiß der 17-jährige Quirin nicht mehr genau. Nur, dass das Stottern in der Grundschule schon da war. Mit acht schickten ihn seine Eltern einmal pro Woche zu einer Logopädin. Die las ihm Texte vor und sprach mit ihm darüber. An Quirins Problem änderte das nichts: Nach wie vor kamen ihm die Worte nur stockend über die Lippen.

Seine Eltern hatten richtig gehandelt, als sie professionelle Hilfe suchten. Doch wie viele andere hatte der Junge das Pech, keine wirksame Stottertherapie zu erhalten. Oft fällt das nicht auf: Von den rund fünf Prozent aller Kinder, die ohne erkennbare Ursache zu stottern beginnen, sprechen 70 bis 80 Prozent auch ohne äußeres Zutun bis zur Pubertät wieder flüssig. Eine wirksame Behandlung in der Kindheit könnte die Chance auf eine lebenslange Stotterfreiheit aber noch erhöhen: »Stotternde Kinder brauchen so früh wie möglich eine spezielle Maßnahme«, bekräftigt die Phoniaterin und Professorin Katrin Neumann an der Universitätsklinik Bochum. »Bei den Drei- bis Sechsjährigen können wir mit der richtigen Herangehensweise bis zu 90 Prozent heilen.« Mit jedem weiteren Lebensjahr dagegen sinke die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind das Stottern überwinde, erklärt Neumann. Nach der Pubertät seien vollständige Heilungen extrem selten.

Das Stotterproblem begrenzt sich nicht auf den sprachlichen Bereich. Auch die soziale und emotionale Entwicklung eines Kindes leiden, wenn es sich nicht ohne Hemmungen ausdrücken kann. Das zeigt sich spätestens im Kindergarten und noch mehr in der Schule: »Im Unterricht will man einfach nichts mehr sagen«, erzählt Quirin. »Werde ich drangenommen, ist das ein ziemlich blödes Gefühl, und wenn ich dann an einem Wort hängen bleibe, komme ich mir manchmal richtig idiotisch vor.«

Immerhin ist der Jugendliche in seiner Klasse gut integriert. Ja, hier und da gebe es Hänseleien von den Mitschülern. Doch die seien eher »kumpelhaft« gemeint, findet Quirin: »So, wie einer mit Pickeln eben auch den einen oder anderen Spruch abkriegt.« Viele andere Stotterer aber fühlen sich stark gehandikapt und ziehen sich von anderen zurück. Kein Wunder, dass sich die Sprechstörung später oft negativ auf Ausbildung, Beruf, Einkommen und soziale Aktivitäten auswirkt.

Trotz allem spielen Kinderärzte das Problem häufig herunter. »Das wächst sich aus«, heißt es dann. Diese Erfahrung machten auch die Eltern der kleinen Sophie*: Als das Mädchen zweieinhalb war, begann es zu stottern, hörte aber sechs Wochen später ebenso abrupt wieder damit auf. Dann dauerte es wiederum einige Wochen, bis das Stottern massiv zurückkehrte. Das Stottern kam und ging. Sophies Mutter erkundigte sich, sprach einen befreundeten Sprachheillehrer und den Kinderarzt an. Die rieten ihr abzuwarten. Doch als Sophie sechs war, war das Stottern zu ihrem ständigen Begleiter geworden. (* Name geändert)

Aber wie muss eine Behandlung aussehen, die Kindern wirklich hilft? Die Therapiesituation in Deutschland ist äußerst verwirrend. Von Hypnose über Atem- und Entspannungsübungen, Akupunktur bis hin zu elektronischen Redeflusshilfen - was ein Sprachtherapeut empfiehlt, hängt oft von seinen persönlichen Vorlieben ab. Dabei können die meisten auf spektakuläre Fälle verweisen, in denen Patienten mit der betreffenden Methode plötzlich wieder flüssig reden konnten.

Eine einfache Elternberatung reicht auf jeden Fall nicht aus, um eine messbare Verbesserung der Sprechflüssigkeit zu erzielen. Vielmehr muss über einen längeren Zeitraum hinweg intensiv mit dem Kind zusammengearbeitet werden. Zu diesen so genannten direkten Verfahren zählt beispielsweise das relativ bekannte Fluency Shaping. Hier erlernen die Betroffenen eine ganz neue, zunächst verfremdete Sprechweise. Ein weicher Stimmeinsatz und ein verlangsamtes rhythmisches Sprechen bewirken, dass die Stimmlippen kontrolliert in Schwingung geraten. So verkrampft der Sprecher nicht, und das Stottern reduziert sich. Mit viel Übung kann die zunächst unnatürlich klingende Sprechweise so perfektioniert werden, dass Außenstehenden daran fast nichts mehr auffällt.

Für Kinder ab sechs Jahren entwickelten Therapeuten in Kassel zusammen mit Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Frankfurt am Main in den vergangenen Jahren das Programm FranKa. Es bedient sich einer speziellen Software: Die Kinder bekommen am Computer angezeigt, ob sie weich und leise genug in die Worte »hineinschwingen« und nicht zu schnell sprechen. Nach dem einwöchigen Intensivkurs folgen im ersten halben Jahr drei Auffrischungen an je einem Wochenende (siehe auch GuG 3/2012, S. 40). Zu Hause üben die Kinder am Computer mit Sprechspielen und in verschiedenen Alltagssituationen, angeleitet durch die Eltern. Hinsichtlich der Wirksamkeit lieferte 2009 eine kleine Studie mit 20 Neun- bis Zwölfjährigen erste positive Hinweise.


Spielerische Redeübungen

Eine ganz andere Strategie verfolgt das australische Lidcombe-Programm, benannt nach dem Vorort, in dem die University of Sydney liegt. Hierbei werden die Eltern quasi zu Sprechtrainern ausgebildet. In der ersten Stufe leitet sie ein Therapeut darin an, wie sie zu Hause mit ihrem Kind üben sollen, etwa täglich mittels eines geführten Memory-Spiels. Wendet das Kind das Gelernte gut an und spricht flüssig, loben die Eltern es oft und ausdrücklich: »Das ging aber schön«, um das Erlebnis positiv zu verstärken.

Erst später machen sie dem Kind hin und wieder auch bewusst, wenn es nicht so gut klappt: »Jetzt hat's aber gehoppelt.« Der Therapeut schaut sich das Training einmal wöchentlich an und gibt Tipps (zum Beispiel das Kind mehr reden zu lassen oder mehr zu loben). Dann kommt Stufe zwei: Das strukturierte Spiel wird reduziert, und die Übungen werden in Alltagssituationen überführt. Beginnt das Kind wieder stärker zu stottern, kehrt man zur ersten Phase zurück. Die Wirksamkeit des verhaltenstherapeutischen Trainings ist im englischsprachigen Raum gut belegt. 2008 konnten Christina Lattermann, Katrin Neumann und Harald Euler an der Universität Frankfurt diese auch bei deutschsprachigen Vorschulkindern bestätigen.

Zu den direkten Verfahren gehört außerdem die Stottermodifikation, in leichter Abwandlung auch Non-Avoidance- oder Nicht-Vermeidungs-Ansatz genannt. Hier geht es zunächst nicht um die Sprechflüssigkeit, sondern darum, die Angst vor dem Stottern abzubauen. Für Kinder gibt es das Programm KIDS (Kinder dürfen Stottern), das drei Bausteine umfasst. Auch hier werden die Eltern kontinuierlich miteinbezogen. Am Anfang müssen zunächst einmal Tabus aus dem Weg geräumt werden: Häufig versuchen die Kinder aus Scham, das Stottern zu verhindern oder zu unterdrücken. Das aber führt zu einer erhöhten Muskelspannung und damit zu noch stärkerem Stolpern. Die Kinder erspüren unter Anleitung, was eigentlich bei ihrem Stottern passiert, und werden ermutigt, das Stottern zuzulassen.

Im zweiten Baustein geht es darum, die Angst gezielt zu überwinden, etwa indem man das Stottern absichtlich herbeiführt (Pseudostottern). Die Kinder befassen sich dabei auch mit den verschiedenen Arten des Stotterns: Blockaden heißen zum Beispiel Steinwörter; Frosch- oder Hüpfwörter sind solche mit Wiederholungen, und Schlangenwörter dehnen sich gern. Dann lernen die Kinder, Steinwörter in weniger anstrengende Hüpfwörter umzuwandeln und das Stottern nicht zu bekämpfen, sondern locker und anstrengungsfrei damit umzugehen. So verlieren sich meist auch verzweifelte Versuche, das Stocken mit Auf-den-Tisch-Schlagen oder sekundenlangem Schweigen zu überwinden. Schließlich üben die Teilnehmer noch einen weichen Stimmeinsatz, der dem Stottern weniger Angriffsfläche bietet.

Um eine Stottertherapie empfehlen zu können, muss ihre Effektivität wissenschaftlich solide belegt sein. Erst kürzlich hat ein Team um Katrin Neumann und den Psychologen Harald Euler am Universitätsklinikum Bochum damit begonnen, die Wirksamkeit von Stottertherapien im deutschsprachigen Raum zu vergleichen. Die Forscher werteten dafür Angaben von 88 Betroffenen aus, die insgesamt 260 Behandlungen durchlaufen hatten. Wegen der begrenzten Zahl der Studienteilnehmer ließen sich nicht zu allen angebotenen Therapien aussagekräftige Ergebnisse gewinnen. Eine Bewertung war jedoch immerhin für fünf verschiedene Verfahren möglich: die Stottermodifikation, das Fluency Shaping, die Atemtherapie (nach Del Ferro), die Hypnosetherapie (nach Greifenhofer) sowie »unspezifische« logopädische Therapien. Letztere umfassten gemischte Techniken wie Atem-, Entspannungs-, Stimm- oder Lautübungen sowie Vorlesen.


Den Gruppeneffekt nutzen

Von den untersuchten Methoden konnten nur das Fluency Shaping und die Stottermodifikation als erfolgreich bezeichnet werden. Beide waren in etwa gleich wirksam. Die anderen drei Therapieformen hatten auf das Stottern keinen nennenswerten Effekt. Die Studie zeigte zudem, dass Gruppen- besser als Einzeltherapien abschneiden: Die Teilnehmer können einander Stütze und Vorbild sein oder auch zeigen, was nicht hilft, vermuten die Forscher.

Ein mehrwöchiger Blockkurs oder eine Intervalltherapie an mehreren Wochenenden erwies sich außerdem als erfolgversprechender als eine nur einmal wöchentlich durchgeführte Maßnahme. Kein Wunder, meint Neumann, schließlich bedürfe die Heilung des Stotterns einer Umstellung im Gehirn (siehe »Was das Gehirn gegen das Stottern tut«, unten): »Eine dreiviertel Stunde pro Woche, nicht gerechnet den Ausfall durch Krankheit oder Urlaub, ist dafür einfach zu wenig.« Die Forscherin plädiert dafür, spezielle Behandlungszentren zu organisieren. Therapeuten, die Stotternde behandeln, müssten sich in den zertifizierten Stottertherapien ausbilden lassen. Das könnten auch niedergelassene Logopäden sein. »Aber wir sollten den Patienten nur noch Intensiv-, Intervallkurse oder eine Kombination aus beidem anbieten.«

Laut Neumanns und Eulers Auswertung hatten 72 Prozent der Befragten als Erstes eine unspezifische logopädische Therapie erhalten. Bei den bis acht Jahre alten Kindern waren es sogar 84 Prozent. Die beiden laut dieser ersten Auswertung wirksamen Behandlungen durchliefen die meisten dagegen erst im Alter von 20 bis 30 Jahren. »Das ist schade - denn so verpassen wir die Phase, in der wir Stottern am besten heilen können«, kritisiert die Expertin.

Auch Quirin erlernte erst mit zwölf die Stottermodifikation. Seine Redestörung ist dadurch nicht verschwunden. Aber er hat gelernt, damit umzugehen. Mit Hilfe einer Logopädin erarbeitete er, wann er besonders stark stottert und was dann bei ihm passiert. So stellte er sich seinen Ängsten, zum Beispiel beim Telefonieren, und konnte nach einem dreiviertel Jahr in solchen Situationen viel gelassener bleiben. Manchmal gibt es Phasen, in denen der Jugendliche wenig bis gar nicht stottert. Dann vernachlässigt er gern mal seine Sprechübungen, wohl wissend, dass die Quittung nicht lange auf sich warten lassen wird.

Quirin wünscht sich einen anderen Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit: »Ich will kein Mitleid. Aber ich hätte gerne, dass Stotterern mit noch mehr Verständnis begegnet wird. Wenn in Comedy-Sendungen über jemanden gelacht wird, der stottert, finde ich das nicht lustig. Weil ich weiß, wie sich ein Mensch mit diesem Problem fühlt.«

*

Was das Gehirn gegen das Stottern tut

Neurowissenschaftler konnten nachweisen, dass zwischen den Gehirnen stotternder und nicht stotternder Erwachsener anatomische und funktionelle Unterschiede bestehen. Offenbar kommunizieren bei den Betroffenen wichtige Sprachareale der linken Hirnhälfte nicht richtig miteinander (siehe auch GuG 3/2012, S. 40). Bei stotternden Kindern ist die Datenlage allerdings noch dünn. Die amerikanische Neurologin Soo-Eun Chang untersuchte 2008 die Gehirne von neun- bis zwölfjährigen Jungen, die stotterten oder aber in jüngeren Jahren eine Zeit lang gestottert hatten. In beiden Gruppen fanden sich hirnanatomische Auffälligkeiten, die das Risiko zu stottern erhöhen könnten. Warum die Störung bei vielen Kindern wieder verschwindet und bei anderen nicht, ist leider noch unklar.

Viele charakteristische neuronale Veränderungen entstehen wohl erst nach jahrelangem Stottern: So sind beispielsweise bei erwachsenen Stotterern beim Sprechen bestimmte Regionen der rechten Hirnhälfte überaktiv, wahrscheinlich um die Störung zu kompensieren (siehe linkes Bild oben: Areale 1, 2 und 3). Sogar eine rechtsseitige Volumenzunahme im Gehirn wurde beobachtet. Einem Team um Katrin Neumann von der Universität Frankfurt gelang es, eine Wirkung der Fluency-Shaping-Methode nachzuweisen: Die Überaktivierung in der rechten Hirnhälfte verringerte sich durch die Therapie, und die Aktivität während des Sprechens verschob sich insgesamt wieder mehr in die linke Hemisphäre.

Wie Stottertherapien auf das kindliche Gehirn wirken, ist unbekannt. Möglicherweise normalisieren sie nicht nur die Hirnaktivität, so Soo-Eun Chang, sondern verhindern auch die feste »Verdrahtung« der Sprechstörung im Gehirn.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafiken der Originalpublikation:

Beim Sprechen werden Bereiche im oberen Schläfenlappen (dunkelblau: Hören und Verstehen) sowie im motorischen Kortex (pink: Steuerung der Artikulationsorgane) in beiden Hirnhälften aktiv. Davon abgesehen ist vor allem die linke Hirnhälfte gefordert, insbesondere das linke untere Stirnhirn (grün: Sprachplanung und -kontrolle). Hier finden sich bei Stotterern anatomische Veränderungen (rote Pfeile). Vermutlich als Kompensationsversuch kommt es zu Überaktivierungen in der rechten Hirnhälfte (Areale 1 bis 3), die sich durch eine Fluency-Shaping-Therapie teilweise wieder normalisieren.

(Chang, S.-E. et al.: Brain Anatomy Differences in Childhood Stuttering. In: Neuroimage 39, S. 1333-1344, 2008;
Kell, C.A. et al.: How the Brain Repairs Stuttering. In: Brain 132, S. 2747-2760; 10.1093/brain/awp185, 2009;
Neumann, K. et al.: Cortical Plasticity Associated With Stuttering Therapy. In: Journal of Fluency Disorders 30, S. 23-39, 2005)

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Die fünf größten Irrtümer über die Störung

Nr. 1: »Stottern ist psychisch bedingt.«
Falsch! Das gewöhnliche Stottern wird heute als hirnorganische oder hirnfunktionelle Störung mit vorwiegend genetischen Ursachen betrachtet. Eine Psychotherapie allein ist daher nicht geeignet, das Stottern zu beheben. Entgegen landläufiger Annahmen sind die Betroffenen auch nicht ängstlicher oder gehemmter veranlagt als andere Menschen. Solche Symptome sind nicht Ursachen, sondern eher Folgen des Stotterns.

Nr. 2: »Man darf bei Kindern das Stottern nicht beachten.«
Früher hieß es, man dürfe mit einem Kind nicht über sein Stottern reden oder das Problem in seinem Beisein thematisieren. Dahinter steckte die Annahme, man mache es so erst darauf aufmerksam und verfestige dadurch die Störung. Doch schon Zweijährige merken mitunter selbst, dass etwas nicht stimmt, wenn sie stottern. Wird das Thema in solchen Fällen tabuisiert, schließt ein Kind daraus, sein Stottern sei etwas, wofür man sich schämen müsse.

Nr. 3: »Wenn Kinder stottern, sind die Eltern schuld.«
Zu Unrecht plagen sich manche Eltern mit dem Gedanken, durch ihr Verhalten das Stottern des Kindes befördert zu haben. Wie Untersuchungen zeigten, haben weder der sprachliche Umgang noch eine zu strenge oder zu unbekümmerte Erziehung einen Einfluss auf das Auftreten der Störung. Allenfalls durch die Weitergabe ihrer Gene leisten die Eltern ihren Beitrag: Es gilt als sicher, dass es eine erbliche Veranlagung zum Stottern gibt.

Nr. 4: »Ich helfe einem Stotternden, indem ich seine Sätze beende.«
Wichtig im Umgang mit stotternden Kindern ist vor allem, ihnen genügend Zeit zu geben: Lassen Sie das Kind ausreden, beenden Sie nicht seine Sätze, und ermahnen Sie es nicht, sich beim Sprechen besser zu konzentrieren. Wenn die Worte besonders schwer über die Lippen kommen, können tröstende Worte helfen. Eltern sollten auch mit Erziehern, Lehrern und Verwandten darüber sprechen, welche Reaktionen sinnvoll sind und welche das Kind eher verunsichern.

Nr. 5: »Mit seinem Stofftier spricht mein Kind normal, es kann also!«
Bei Kindern wechseln häufig Phasen starken Stotterns mit solchen ab, in denen sie nahezu fließend sprechen. Oft stottert ein Kind auch weniger, wenn es mit Vertrauten, einem Haustier oder sich selbst redet. Durch kommunikativen Druck, bei besonderer Anstrengung, Müdigkeit oder Aufregung kann die Symptomatik hingegen zunehmen. Neurophysiologisch lässt sich das damit erklären, dass die betreffenden Hirngebiete nicht komplett ausfallen, sondern durch die Umstände beeinflussbar sind. Auch beim Singen oder beim Aufsagen von Versen stottern Betroffene oft nicht, da hier andere Hirnregionen beteiligt sind als beim normalen Sprechen.


Jasmin Andresh ist Diplombiologin und freie Medizin- und Wissenschaftsredakteurin in Steinbach im Taunus. Bei ihren Recherchen beeindruckte sie, wie selbstbewusst und positiv Kinder mit ihrem Stottern umgehen können.


Guter Rat
Die Kosten logopädischer und psychotherapeutischer Behandlungen übernehmen die Krankenkassen, bei längerfristiger Betreuung greifen auch Sozialhilfemaßnahmen. Bei ausgeprägtem Stottern hat das Kind Recht auf eine Eingliederungshilfe. Weitere Informationen bei der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe: www.bvss.de


Literaturtipps

Lattermann, C., Neumann, K.: Stotternde Schüler - ratlose Lehrer: Anregungen zur Unterrichtsgestaltung. In: PädForum 3, S. 159-162, 2005 Liefert konkrete Tipps für den Umgang mit stotternden Kindern
Natke, U.: Stottern. Erkenntnisse, Theorien, Behandlungsmethoden. Huber, Bern 2010
Empfehlenswertes Fachbuch für Betroffene, Ärzte und Therapeuten

DVD-Tipp
BVSS (Hg.): Stottertherapie für Kinder. Ein Aufklärungsfilm für Eltern. DVD, 90 Minuten, Demosthenes, Köln 2012
Stellt die wichtigsten Therapieansätze vor

Quellen
Euler, H.A. et al.: The Effectiveness of Stuttering Treatments in Germany. Eingereicht bei Journal of Fluency Disorders
Lattermann, C. et al.: A Randomized Control Trial to Investigate the Impact of the Lidcombe Program on Early Stuttering in German-Speaking Preschoolers. In: Journal of Fluency Disorders 33, S. 52-65, 2008
Neumann, K., Euler, H.A.: Neuroimaging in Stuttering. In: Guitar, B. (Hg.): Treatment of Stuttering: Established and Emerging Interventions. Lippincott, Williams, Wilkins, Baltimore 2009, S. 355-377

Weitere Literaturhinweise im Internet:
www.gehirn-und-geist.de/artikel/1180957

© 2013 Jasmin Andresh, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
GEHIRN&GEIST 3/2013, Seite 64 - 69
Herausgeber: Dr. habil. Reinhard Breuer
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2013