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THERAPIE/149: Gefäßtraining bei arterieller Verschlusskrankheit - Umdenken erforderlich (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2015

Gefäßtraining
Umdenken erforderlich
Gefäßtraining ist bei arterieller Verschlusskrankheit ein integraler Bestandteil der Therapie.

Von Dr. Uwe Becker


Bis zu vier Millionen Menschen in Deutschland sind von arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine betroffen, bei Menschen über 65 sind es 20 Prozent. Viele Betroffene wissen nichts davon, da sie keine typischen Beschwerden haben oder diese für altersbedingt halten. So ist eine zielgerichtete Therapie nicht möglich, obwohl sie viele Folgeschäden - besonders an Herz und Hirn - vermeiden könnte.

Auch wenn Patienten mit typischen Beschwerden einen Arzt aufsuchen, dauert es oft lange, bis die zugrunde liegende Erkrankung korrekt erkannt und adäquat behandelt wird. Basis der Therapie ist nach wissenschaftlichen Leitlinien das aktive Gefäßtraining, also strukturierte, gezielte Bewegung und Gefäßsport. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen den Effekt dieser Therapie, der durch eine Verbesserung des Kollateralkreislaufs mit Umverteilung des Blutes, einer Verbesserung der Gehtechnik und der Koordination, aber auch durch eine Erhöhung der Schmerzschwelle und die metabolische Anpassung der Muskulatur zustande kommt.

Für die Patienten bedeutet das eine Verlängerung der Gehstrecke um das 2-3-fache der in den Studien gemessenen Gehstrecke, diese Patienten sind im Alltag also kaum noch eingeschränkt. Leider hat diese Therapie bis heute nie wirklich an Bedeutung gewonnen, weil man annahm, dass die Betroffenen diese Form der Therapie nicht akzeptieren. Zudem hatte die Funktionsdiagnostik früher eine größere Bedeutung und wurde als Basismaßnahme fast immer zuerst gewählt, da die Indikation zur arteriellen Katheter-Angiografie enger gestellt wurde und als Diagnostikum nicht so leicht zugänglich war. In angiologischen Zentren wurde sie oft gezielt in Interventionsbereitschaft für Ballondilatation und ggf. Stentimplantation durchgeführt und kam so nur für Patienten infrage, die wegen ihrer erheblichen Beeinträchtigung eine interventionelle oder als Alternative eine operative Behandlung wollten.

Das hat sich heute erheblich verändert, da die Zugänglichkeit und die geringere Invasivität der Untersuchung die Entscheidung zur Durchführung der MR-Angiografie oder für eine CT-Angiografie leichter macht, sodass sie oft als primäre Diagnostik eingesetzt wird. Leider bilden beide Untersuchungen die Hämodynamik schlecht ab. Deshalb sollte auf eine angiologische Funktionsdiagnostik nicht ganz verzichtet werden, wenn man den Patienten wirklich gerecht werden will.

Im klinischen Alltag wird heute oft nach einer MR-Angiografie oder CT-Angiografie gleich die Indikation zur sogenannten interventionellen Therapie durch Ballondilatation, evtl. mit Stentimplantation oder Gefäßoperation gestellt. Auch wenn bei den besseren Möglichkeiten der interventionellen Therapie dieses Vorgehen, insbesondere bei Veränderungen der Beckenarterien, primär berechtigt ist, kamen in den letzten Jahren Zweifel auf, ob man den Betroffenen damit hilft, denn oft verschließen sich die behandelten Gefäßareale, besonders im Oberschenkel, bald wieder. Wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Vergleichen der drei Behandlungsformen zeigen, dass die Langzeitergebnisse der Therapieformen beinahe gleichwertig sind und dass die Patienten besonders profitieren, wenn sie auch nach einer Intervention gleich das Gefäßtraining erlernen.

Leider stehen für ein wirklich strukturiertes Gefäßtraining kaum Kapazitäten zur Verfügung. Nur wenige Rehabilitationskliniken bieten dieses Training in der gebotenen Intensität an und ambulante Gefäßgruppen gibt es kaum. Anders als bei Herzkrankheiten wird Patienten mit Durchblutungsstörungen der Beine auch eine konsequente medikamentöse Therapie oft nicht verordnet. Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Schleswig-Holstein nimmt in ihre Ausbildung für ambulante Herzgruppen auch die Betreuung von Gefäßpatienten auf. Seit 2014 wird eine curriculare Ausbildung zum Gefäßtrainer für die Betreuer von Herzgruppen nach den gleichen Kriterien angeboten, wie sie die Deutsche Gesellschaft für Angiologie fordert. Ziel ist auch, die zunehmende Gründung von Gefäßsportgruppen zu fördern. Optimal ist ein Behandlungsangebot mit drei Mal wöchentlicher Bewegungstherapie von je einer Stunde Dauer. Teile davon können die Patienten nach Einweisung auch in Eigenregie absolvieren. Die LAG hofft, zu einem Umdenken und zu einem besseren Therapieangebot auch für diese Patienten beitragen zu können.


Info

4 Mio. Menschen in Deutschland sind von arteriellen Durchblutungsstörungen der Beine betroffen. Bei über 65-Jährigen beträgt der Anteil rund 20 Prozent.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2015 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2015/201506/h15064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Juni 2015, Seite 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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