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AUSLAND/2071: Afrika · Tage mit Konsequenzen - Die Tabuisierung der Menstruation (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2013

Tage mit Konsequenzen

von Anna Lena Schmidt



DAS THEMA MENSTRUATION ist für Frauen weltweit nicht unbedingt etwas Angenehmes. Es hat darüber hinaus gesellschaftliche und ökonomische Aspekte. Die Tabuisierung der Periode wird allerdings nur selten diskutiert.


Die Bedeutung der Bildung für Frauen für die Entwicklung einer Gesellschaft ist unumstritten. Kofi Annan, ehemaliger UN-Generalsekretär, stellte fest, dass "es kein effektiveres Entwicklungswerkzeug gibt als die Bildung der Frauen. Keine andere Strategie steigert mit so hoher Wahrscheinlichkeit die ökonomische Produktivität, senkt Mütter- und Kindersterblichkeit und verbessert die Ernährung und die Gesundheit, eingeschlossen die HIV/Aids-Prävention."

Studien belegen, dass gebildete Frauen gesünder sind, ihre Familien kleiner sind und sie ein besseres Einkommen haben. Trotz des Wissens um diese Tatsache ist es bis heute nicht ausreichend gelungen, die zahlreichen Faktoren zu beseitigen, die den Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung erschweren: Patriarchale Gesellschaftsstrukturen und stereotype Geschlechterrollen, Heirat und Schwangerschaft im jungen Alter, Eltern, welche die oft spärlichen Ressourcen deswegen nicht in die Bildung von Mädchen investieren. Dass allerdings auch die Menstruation ein ernstzunehmendes Bildungshindernis darstellen kann, wird bei weitem nicht so häufig thematisiert wie andere Faktoren. Zu oft verhindern Scham und gesellschaftliche Tabus, dass dem Thema die notwendige Aufmerksamkeit zu Teil wird.

In vielen Kulturen wird das Menstruationsblut selbst als schmutzig und oft als schädlich angesehen. Während dieser Zeit sind Mädchen und Frauen deswegen von der Teilnahme an gewissen sozialen und kulturellen Aktivitäten ausgeschlossen. So dürfen sie nicht bei der Zubereitung von Mahlzeiten helfen, aus Angst, dass sie diese "kontaminieren". Auch viele traditionelle Konzeptionen über die Menstruation halten sich hartnäckig. So darf ein Mann zum Beispiel niemals die benutzten Binden einer Frau sehen, andernfalls droht dieser Unfruchtbarkeit. Gleichzeitig sind angeblich nur die Ehe und Geburt ein sicheres Mittel, um Krämpfe und Schmerzen während der Tage zuverlässig zu lindern. So wird bereits schon jungen Mädchen vermittelt, dass die Periode etwas ist, dessen man sich schämen muss, und welches die Frau gegenüber dem Mann minderwertig macht. Dieses Verhalten fördert das Stigmatisierende und Schamhafte der Menstruation weiter.


Menstruation als Bildungshindernis

Für die meisten Mädchen und Frauen in den westlichen Industrienationen ist der Zugang zu Hygieneartikeln vollkommen selbstverständlich. Die Periode wird zwar oft als lästig empfunden, bringt deswegen aber kaum Einschränkungen mit sich. In vielen afrikanischen Ländern haben Frauen keinen oder nur erschwerten Zugang zu Hygieneartikeln wie Binden oder Tampons. Dies ist vor allem in den ländlichen Regionen der Fall. Und dann sind die hochpreisigen Produkte oft unerschwinglich. Auch sind Frauen öfter als Männer von Armut betroffen und haben seltener Zugang zu Bargeld. Finanziell besteht deswegen eine starke Abhängigkeit von den Ehemännern oder Vätern. Da die Menstruation vor Männern aber so gut wie nicht thematisiert wird, ist es schwierig, diese auf das Thema Monatshygieneartikel anzusprechen. Zum Teil benutzen manche Männer dies sogar als Druckmittel, um ihre Frauen zu bestrafen oder deren Unabhängigkeit zu beschneiden, da diese ohne die notwendigen Hygieneartikel während ihrer Periode an ihr privates Umfeld gebunden sind.

Oft haben sie keine andere Wahl, als während ihrer Menstruation zuhause zu bleiben. Zu groß ist das Risiko, sich in der Öffentlichkeit mit blutbefleckter Kleidung zu zeigen. Vor allem im schulischen Umfeld werden junge Mädchen dann zur Zielscheibe von Spott und Diskriminierung von Seiten männlicher Mitschüler. So wird die Periode zum wirtschaftlichen Faktor, da sie Mädchen und Frauen davon abhält, den Schulunterricht zu besuchen oder zur Arbeit zu gehen.

Neben der Problematik des fehlenden Zugangs zu Hygieneartikel wirkt sich auch die oft mangelhafte Sanitärsituation in vielen Schulen und Arbeitsstätten negativ aus. Wenn Toiletten überhaupt vorhanden sind, sind sie oft genug nicht nach Geschlechtern getrennt und bieten Mädchen und Frauen nicht die nötige Privatsphäre. Ein weiteres Problem sind fehlende Reinigungsmöglichkeiten wie funktionierende Wasseranschlüsse oder unzureichende Möglichkeiten einer unauffälligen Entsorgung.

Unterschiedliche Studien zeigen eine gleichläufige Tendenz auf. Nach Unesco-Schätzungen bleibt jedes zehnte Mädchen in Afrika während ihrer Menstruation der Schule fern. Kenianischen Schulmädchen gehen nach Angaben des Bildungsministeriums aufgrund ihrer Periode und mangelndem Zugang zu Hygieneartikeln monatlich schätzungsweise 3,5 Mio. Tage Schulunterricht verloren. In Simbabwe verpassen geschätzte 70 Prozent aller Mädchen aufgrund ihrer Periode mehrere Tage Unterricht im Monat. Im schlimmsten Fall kann dies langfristig zu einem nicht mehr aufzuholenden Bildungsrückstand der Mädchen führen, die als Konsequenz ihre Schulausbildung frühzeitig abbrechen müssen und keinen Abschluss erhalten.


Gesundheitliche Konsequenzen

Doch nicht nur auf die Bildung kann die Periode einen negativen Einfluss haben. Der erschwerte oder fehlende Zugang zu Monatshygieneartikeln kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Der Mangel an Alternativen zwingt viele Frauen, ungeeignete Materialien zu gebrauchen, um sich während ihrer Periode mindestens notdürftig zu schützen. So werden schmutzige Lumpen, Kuhdung oder Blätter, Maiskolben und sogar Kieselsteine genutzt. Dies ist nicht nur unhygienisch und kann zu Infektionen führen, sondern spielt auch bei der Verbreitung von HIV/Aids eine Rolle.

Durch das Einführen von ungeeigneten Gegenständen kann es zu Verletzungen im Intimbereich kommen, welche im Folgenden eine Infektion mit dem HI-Virus begünstigen. So führt diese aus der Not heraus geborene Art des Umgangs mit der Menstruation dazu, die Frauen gesundheitlich verwundbarer zu machen. Durch die fehlende Aufklärung und die Tabuisierung entsteht zudem ein großer psychischer Leidensdruck. Nicht nur in den Elternhäusern, sondern auch in schulischen Einrichtungen bekommen Mädchen oft gar keine oder nur unzureichende Informationen zum Thema Menstruation vermittelt. Als Konsequenz finden sich viele während ihrer Pubertät, die ohnehin einen schwerwiegenden und schwierigen Umbruch im Leben darstellt, mit ihrer ersten Periode vollkommen allein gelassen.

Ohne das Wissen um die Veränderungen und Abläufe im eigenen Körper empfinden sie die Menstruation als furchteinflößendes Ereignis oder betrachten sie sogar als Strafe. Sie haben kein Bewusstsein dafür, dass es sich um einen ganz natürlichen biologischen Vorgang und nichts Unreines handelt. Jungen und Männer werden erst recht nicht über das Thema Menstruation aufgeklärt. Statt sich aktiv damit auseinanderzusetzen halten sie eher an tradierten Mustern fest.


Nachhaltige Monatsartikel als Lösungsansatz

All diese Faktoren führen letztendlich auf verschiedenen Ebenen zu einer Entmachtung der Frauen. Es gibt unterschiedliche Lösungsansätze, um der Problematik zu begegnen. In Simbabwe machen sich Politikerinnen und Aktivistinnen bereits seit Jahren dafür stark, Monatshygieneartikel von der Steuer zu befreien, um so den Zugang für Frauen aus ärmeren Bevölkerungsschichten zu verbessern. Sie setzen sich auch dafür ein, sanitäre Anlagen in öffentlichen Einrichtungen mit Binden und Tampons auszustatten, so wie es mit Kondomen schon seit Jahren erfolgreich praktiziert wird. Auch die Erstellung von Informationsbroschüren, deren Übersetzung in traditionelle Landessprachen wie Shona und deren Verteilung in den Schulen soll die Aufklärungssituation unter jungen Mädchen und Frauen verbessern.

Ein weiterer möglicher Lösungsansatz ist die Verwendung von nachhaltigen Monatshygieneartikeln. Dies sind vor allem auswaschbare und wiederverwendbare Binden aus Baumwolle, die jahrelang genutzt werden können. Auch Menstruationstassen, die sogenannten Diva Cups, bieten die Möglichkeit eines einfachen und vor allem diskreten Umgangs mit der Menstruation. Diese bestehen aus Latex und werden ähnlich wie Tampons verwendet. Im Gegensatz zu diesen können die Tassen aber gesäubert, ausgekocht und wiederverwendet werden.

Unternehmen betreuen Projekte in verschiedenen afrikanischen Ländern, in denen wiederverwendbare Binden in lokalen Beschäftigungsinitiativen hergestellt und günstig an bedürftige Mädchen und Frauen vertrieben oder gespendet werden. Auch in Europa und den USA finden die nachhaltigen Monatshygieneartikel immer stärkeren Anklang. Hier steht allerdings der ökologische Aspekt im Vordergrund, sowie der Wunsch, ein natürliches Verhältnis zum eigenen Körper herzustellen.

All diese Maßnahmen können die Situation von Frauen verbessern und ihr Selbstbewusstsein stärken. Der leichtere Zugang zu Binden und Tampons sowie das Nutzen von nachhaltigen Monatshygieneartikeln sind aber nur eine Seite der Medaille. Vor allem muss langfristig daran gearbeitet werden, das Thema Menstruation zu entmythisieren. Gesellschaftliche und kulturelle Tabus müssen gelöst werden. Dies ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Ausschluss der Frauen von Bildung und Beruf relevant, sondern auch in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Mädchen und Frauen muss vermittelt werden, dass die "Tage" nichts sind, dessen man sich schämen oder das man verstecken muss.

Die Tabuisierung beruht vor allem auf mangelnder Aufklärung. Es reicht allerdings nicht, diese nur auf die Mädchen und Frauen zu beschränken. Auch Jungen und Männer müssen in diese mit einbezogen werden, um Berührungsängste abzubauen. Nur so kann langfristig dazu beigetragen werden, dass die Periode als das anerkannt wird, was sie ist: ein notwendiger biologischer Prozess und die Grundlage der weiblichen Fruchtbarkeit, die schließlich in jeder Kultur hochgeschätzt wird.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2013, S. 30 - 31
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2014