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AUSLAND/2073: Wirkstoff, Symbol und Ritual - Traditionelle Heiler in Sambia (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2013

Wirkstoff, Symbol und Ritual

von Nikolai Link



TRADITIONELLE HEILER SIND DER ARBEITSMUSKEL des sambischen Gesundheitssystems; sie sehen sich gleichermaßen als Arzt und Seelsorger. Die unterschiedlichen Krankheitskonzepte verkomplizieren allerdings die Zusammenarbeit mit westlich orientierten Schulmedizinern - und die Scharlatandichte macht die Sache nicht einfacher.


Ein Problem sind die Ärzte: Es gibt zu wenige. Nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO stehen in ganz Sambia nur etwa 1.700 zur Verfügung, für eine Bevölkerung von gut 14 Millionen. Dass andererseits ein guter Teil der in Sambia ausgebildeten Ärzte mittlerweile im Ausland arbeitet, hilft bei der Problemlösung wenig.

Und dann gibt es die traditionellen Heilerinnen und Heiler. Allein die größte Organisation, die Traditional Health Practioners Association of Zambia (THPAZ), zählt um die 40.000 Mitglieder, dazu kommen verschiedene kleinere Vereinigungen wie die Zambia Herbalist United Organization (ZHOU), die immerhin noch auf 7.000 Mitglieder verweist, und ungezählte Unabhängige. Auf solche Zahlen kommt das schulmedizinische Personal nicht einmal wenn man noch Krankenpfleger, Gesundheitshelfer und Hebammen dazuzählt. Noch dazu sind die Heiler oft näher am Patienten: Während die Ärzte sich in den Zentren ballen, in der Hauptstadt Lusaka und den Bergbaustädten des Kupfergürtels, verteilen sich die Heiler in der Fläche, sind auf den großen städtischen Märkten ebenso vertreten wie in den Vorstädten, Dörfern und entlang der Überlandstraßen.


Modellprojekte zur Einbindung

Der Schluss, traditionelle Heiler in das öffentliche Gesundheitssystem einzubinden, liegt nahe, und tatsächlich existieren entsprechende Modellprojekte von Regierung und WHO. Im Wesentlichen geht es dabei um Erstberatung, Verweis an Kliniken für Fälle, die dringend schulmedizinischer und -pharmazeutischer Behandlung bedürfen - etwa Infektionskrankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose und Masern, aber auch akute Verletzungen und Wundbrand -, sowie die Überwachung der Medikamenteneinnahme: Der traditionelle Heiler, so der Plan, stellt sein Ansehen und seine Autorität in den Dienst der westlich orientierten Schulmedizin, zum Wohle des Patienten.


Wer ist "traditioneller Heiler"?

Damit sind längst nicht alle Heiler einverstanden: Immer wieder ist der Verweis auf China zu hören, wo die traditionelle Medizin sich gleichberechtigt neben den westlichen Ansätzen etabliert habe. Zusammenarbeit gerne, heißt das, aber auf Augenhöhe. Dazu gehört die vor kurzem beschlossene Bereitstellung von Mitteln zur klinischen Erforschung des pflanzlichen HIV-Medikaments "Sondashi 2000"; dazu gehören auch Konflikte wie Klagen von Medizinern, pharmakologisch eingestellten Patienten würden oft zusätzlich oder gar anstelle der verschriebenen Medikamente Kräutermischungen mit unbekannten Neben- und Wechselwirkungen verabreicht. Dazu gehört schließlich auch die Frage, was einen "traditionellen Heiler" eigentlich ausmacht. Geschützt ist der Begriff nicht, das Behandlungsspektrum liegt häufig im persönlichen Ermessen, und eine geregelte Ausbildung sucht man vergebens. Manche Heiler absolvieren eine Art Lehrzeit, oft innerhalb der Familie, manche fühlen sich von Geistern oder in Träumen berufen oder schlicht von Gott geleitet. Wieder andere leitet das schnelle Geld: THPAZ-Präsident Rodwell Vongo klagt über Scharlatane, die unseriös arbeiten und Profit vor Heilung stellen.

Tatsächlich können viele Flugblätter, auf denen Heiler für ihre Dienste werben, diesen Eindruck erwecken: Auf fotokopierten Zetteln an Wänden, Strom- und Laternenmasten der Städte bieten allerlei selbsternannte Doktoren und Professoren magische Hilfe gegen die Unzulänglichkeiten des Alltags: Dem Mann wird Peniswachstum geboten, Standfestigkeit, Durchhaltefähigkeit und Heilung von sexuell übertragbaren Krankheiten; der Frau Modelmaße, rasche Heirat und die Zurückgewinnung von Liebhabern (mitunter garantiert binnen 25 Minuten). Lottogewinne, zügige Karriere und allgemeine Gesundheit stehen beiden Geschlechtern offen. Selbstverständlich gegen Gebühr, und die Konsultation eines Heilers ist bei weitem nicht immer billiger, als ein Arztbesuch - wenn auch mitunter Zahlung in Naturalien wie Ziegen oder Hühnern möglich ist, was bei Ärzten eher selten vorkommt.

Die Kundschaft strömt dennoch zuhauf, evidenzbasierte Medizin und wissenschaftliche Wirkungsstudien treten hinter Leidensdruck und Mundpropaganda zurück. Virenlast, Infektions-Wege, internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - in Sambia oft nachrangig.


Krankheit als allgemeines Ungleichgewicht

Körper und Seele, Individuum und Gemeinschaft, Religion und Magie, Geister und Ahnen - für viele traditionelle Heiler in Sambia hängt alles mit allem zusammen, und ihre Patienten teilen diese Ansicht. Der Priester und Ethnologe Bernhard Udelhoven, seit über 20 Jahren für die Afrikamissionare in Sambia aktiv, hat beobachtet: "Die oftmals technokratischen Erklärungen Westlicher Medizin für Krankheiten lassen den Patienten und seine Umgebung oft unbefriedigt zurück. In Sambia gehen viele anders mit Krankheit um, sehen sie weniger als Wirkung einer körperlichen Ursache denn als Manifestation eines allgemein gestörten Gleichgewichts." Dementsprechend stehen auch nichtkörperliche Malaisen auf dem Behandlungsplan der Heiler: Liebeskummer, Eheprobleme, Pechsträhnen, mangelnder Geschäftserfolg - aber auch Besessenheit und Hexereiverdacht.

Die Gleichsetzung des traditionellen Heilers mit dem europäischen "Kräuterweiblein", das bei Bauchweh die richtigen Blätter und Wurzeln aufbrüht, führt in die Irre: Zwar verfügen viele Heiler über profunde Pflanzenkenntnisse, aber ihre Herangehensweise unterscheidet sich fundamental von spezialisierter westlicher Medizin: Wirkstoff, Symbol und Ritual, vulgo Heilpflanze, Talisman und Geistaustreibung, stehen gleichberechtigt nebeneinander, Diagnose und Behandlung erfassen nicht nur den körperlichen, sondern auch den spirituellen Zustand des Patienten.


Die Rolle der Kirchen

Das bringt die Kirchen auf den Plan: Um das körperliche Wohl mag sich die Medizin kümmern, bei Seelenheil und Geisterfragen werden ihre Belange berührt - zumal viele Heiler sich auf göttliche Eingebung berufen und gemeinschaftliches Gebet oder Choralsingen oft Teil des Behandlungsplans ist. Ausgerechnet die katholische Kirche, im säkularen Westeuropa von vielen wegen ihrer Exorzismus-Riten belächelt, sucht Verständigung: Im "Faith &Enconter Centre" (FENZA) von Lusaka erforschen der deutsche Afrikamissionar Bernhard Udelhoven und der sambische Ethnologe Patrick Mumbi, was Krankheitsperzeption und Behandlungsmethoden der traditionellen Heiler für die Praxis der Seelsorge bedeuten. Udelhoven hat festgestellt: "Die Heiler kennen ihre Nachbarschaft oft sehr genau, beobachten das Sozialleben aufmerksam und widmen sich ihren Fällen mit großer Empathie. Häufig können unausgesprochene soziale Konflikte gelöst werden, indem man sie als Folge des Einflusses böser Mächte deklariert, bevor man sie behandelt." So müsse niemand persönliche Verantwortung anerkennen, durch Intervention des Heilers werde ein Ausgleich gefördert und durch öffentliche Rituale die Rehabilitation des vermeintlich Schuldigen gefördert. Wichtig dabei, so Udelhoven: "Traditionelle Heiler regen oft Aussöhnungsprozesse an. Das ist mitunter schmerzhaft und kostet Überwindung, aber langfristig ist es nachhaltiger, als Probleme einfach wegzubeten." Dass die konkurrierenden Pfingst- und Freikirchen eher auf gemeinschaftliches "wegbeten" setzen, muss er nicht dazusagen.

Am FENZA, so die Idee, redet man nicht über-, sondern miteinander: Udelhoven hat einen regelmäßigen Gesprächskreis etabliert, in dem sich ausgewählte Heiler auch untereinander austauschen. In geschlossenem Rahmen diskutiert man anhand ausgewählter Themen und Fälle Problemperzeptionen, Behandlungsmöglichkeiten, Alternativen. "Mitunter öffnet das auch konkrete Perspektiven für die kirchliche Seelsorge", sagt Udelhoven. Grundsätzlich gehe es aber vor allem darum, Kultur zu verstehen und Zugang zu Problemwelt und Erklärungsmustern der Einheimischen zu finden.

Zugänge, die der auf westlich orientierte Medizin beschränkte Diskurs oft vermissen lässt: Trance, Tänze und Geister als Heilmittel? Aberglaube statt Medizin? Ein Heiler, der in Europa studiert hat, wendet ein: "Ich habe von Hypnotherapie gelesen, von Tanz- und Gesangstherapie, von Tiefenpsychologie und psychosomatischen Krankheiten. Das kann ich hier niemandem erzählen. Müssen wir eure Worte und eure Schubladen benutzen, um anerkannt zu werden?"

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2013, S. 26 - 27
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2014