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AUSLAND/2110: Kenia - Option B+ für alle HIV-positiven Schwangeren? Aidsexperten sehen Grenzen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Mai 2014

Kenia: Option B+ für alle HIV-positiven Schwangeren?
Aidsexperten sehen Grenzen

Von Miriam Gathigah


Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Mit Option B+ kommen Frauen, unabhängig von der Zahl ihrer CD4-Zellen, in den lebenslangen Genuss einer antiretroviralen Therapie
Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Nairobi, 26. Mai (IPS) - Kenias Gesundheitssektor sieht sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. So fehlt es dem ostafrikanischen Land an Fachkräften, und immer wieder streikt das Gesundheitspersonal für bessere Arbeitsbedingungen. Entsprechend kontrovers wird derzeit diskutiert, ob die systemischen Gesundheitsprobleme die landesweite Einführung lebenslanger Antiviraltherapien (ARTs) für HIV-positive Schwangere und stillende Mütter, und zwar unabhängig von deren CD4-Zellzahl, ratsam machen.

Option B+ wird seit 2012 von der Weltgesundheitsorganisation auch für die ressourcenarmen Länder zur Prävention der Mutter-Kind-Übertragung des HIV-Virus (PMTCT) empfohlen. Bisher kamen schwangere Frauen nur dann in den Genuss einer lebenslangen ART, wenn ihre CD4- oder Helferzellen, die für die Bekämpfung von Infektionen so wichtig sind, unter 350 lagen. Im Rahmen der bisherigen Optionen A und B werden die antiviralen Medikamente nur während Schwangerschaft und Stillzeit verabreicht.

Wie John Ong'ech, stellvertretender Direktor des Nationalen Kenyatta-Krankenhauses (KNH) in der Provinz Nairobi, erklärt, wird das im letzten Jahr aufgekommene Thema im Land kontrovers diskutiert. Bisher wird Option B+ nur in zwei größeren Kliniken, am KNH und am Moi-Hospital in der Provinz Rift Valley sowie an einigen wenigen Missions- und Bezirkskrankenhäusern praktiziert.

"Es gibt diejenigen, die der Meinung sind, dass es zunächst wichtiger wäre, die gravierenden Defizite im Gesundheitssystem zu beseitigen", erläutert Ong'ech. "Um den Patientinnen Option B+ anbieten zu können, brauchen wir zusätzliches Fachpersonal, das die Frauen auf einige Details wie die Toxizität der Medikamente hinweist. Erst danach können die Pflegekräfte übernehmen."

2013 hatten fast 20.000 HIV-positive Schwangere Zugang zu Option B+. Weitere 55.860 sollen laut dem HIV/Aids-Programm (UNAIDS) in den Genuss der lebenslangen und 100-prozentigen Versorgung kommen.


Fachkräftemangel

Auch Maurice Okoth, Arzt am Zentrum zur Prävention von Mutter-Kind-Übertragungen in der Provinz Nyanza, ist der Meinung, dass es im Rahmen von Option B+ bei weitem nicht allein damit getan ist, Frauen den Zugang zu den Medikamenten sicherzustellen. "Die Kliniken müssen den Behandlungsverlauf aufzeichnen und zudem nachhaken, wann und warum Frauen mit den Therapien in Verzug geraten. Das ist angesichts des gegenwärtigen Personalmangels nahezu unmöglich."

Kenia verfügt derzeit über 36.000 Krankenschwestern im privaten und öffentlichen Klinikbereich. Der Bedarf liegt jedoch den offiziellen Angaben zufolge bei mindestens 80.000 zusätzlichen Pflegekräften.

Ong'ech teilt die Bedenken seines Kollegen. "Wenn es bei den Patientinnen, die wir behandeln, zu Unverträglichkeiten kommt, brauchen wir ihnen Option B+ gar nicht erst zu verschreiben, weil sich dadurch ihre Situation nur verschlimmern würde", sagt er.

Dem Leiter für medizinische Dienste, Simon Mueke, zufolge haben sich die Streiks im Gesundheitssektor negativ auf die PMTCT-Programme ausgewirkt. Im Dezember 2011 gingen die Ärzte für eine bessere Bezahlung auf die Straße. Im März 2012 folgten die Krankenschwestern und legten für zwei Wochen die Arbeit nieder. Fünf Monate später folgte ein fast dreiwöchiger Ärztestreik.

Auch 2013 Jahr kam es zu Arbeitsniederlegungen. Sollte die Regierung dem Ruf von Ärzten und Schwestern nicht nachkommen, mehr Personal einzustellen, werden in diesem Jahr weitere Proteste folgen. Vor diesem Hintergrund ist es laut UNAIDS nicht verwunderlich, dass die Reichweite der PMTCT 2011 und 2012 um 20 Prozent zurückgegangen ist.


Kosten- und Logistikfaktor

Doch der Fachkräftemangel und die Streiks sind nicht die einzigen Probleme. Bisher haben die Preise für die antiretroviralen Medikamente einen Anteil an den gesamten Therapiekosten von unter 30 Prozent. Die Kosten für die neue, festdosierte Einzeltablette liegen bei 180 US-Dollar pro Patientin und Jahr. Allerdings geht das Gesundheitsministerium davon aus, dass die Preise in Zukunft sinken werden.

"Es sind die Gesundheitsdienste selbst, die mit einem Kostenanteil von 70 bis 80 Prozent zu Buche schlagen", erläutert Okoth. "Wir brauchen mehr Labordienste und Viruslast-Tests, um sicherzustellen, dass die Behandlung bei den Frauen anschlägt."

Die großen Entfernungen zwischen den Patientinnen und den Gesundheitsstationen sind eine weitere Schwierigkeit. In Kisumu in der Provinz Nyanza beträgt die durchschnittliche Entfernung 5,8 Kilometer. In Mandera in der Nordostprovinz sind es etwa 20 Kilometer.

Doch Maya Harper, Landesdirektorin von UNAIDS, verteidigt Option B+ als kosteneffiziente Maßnahme. "Auf lange Sicht wird sie sich weniger belastend auf das Gesundheitssystem und auf arme Frauen auswirken", ist sie überzeugt. "Frauen immer nur dann mit Antiviralen zu behandeln, wenn sie schwanger sind, ist viel kostenaufwendiger."

Doch jenseits aller Infrastrukturprobleme ist die Stigmatisierung von HIV-Infizierten nach wie vor eine der größten Herausforderungen im Kampf gegen Aids, wie Dave Muthama von der Elizabeth-Glaser-Kinder-Aidsstiftung betont. Hinzu kommt die Armut. "Viele Mütter halten sich nicht an ihre PMTCT-Kontrolltermine, weil sie die Zeit nicht für bezahlte Tätigkeiten nutzen können", sagt er.

Muthama zufolge erfordert die Prävention einer Mutter-Kind-Übertragung soziale Strukturen zur Unterstützung HIV-positiver Mütter. Helfen würde seiner Meinung, wenn die Gesellschaft die gleichen Gefühlsphasen ihrer HIV-positiven Mitglieder - Verweigerung, Zorn, Akzeptanz und Bewältigung - durchlaufen würde. Dann hätte sie für die Opfer der Aidskrise mehr Verständnis. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/05/divided-opinions-feasibility-kenyas-option-b-roll/

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IPS-Tagesdienst vom 26. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2014