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AUSLAND/2172: Asien - Schweres Geschütz gegen Kinderlähmung, vielerorts Fortschritte erkennbar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Oktober 2014

Asien: Schweres Geschütz gegen Kinderlähmung - Vielerorts Fortschritte erkennbar

von Mallika Aryal, Kanya D'Almeida und Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Kind in Pakistan erhält orale Polio-Schutzimpfung
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Katmandu/Colombo, Peshawar, Pakistan, 27. Oktober (IPS) - Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2018 soll Polio auf der ganzen Welt besiegt sein. Um dies zu erreichen, fährt die Globale Initiative zur Ausrottung von Polio (GPEI) schweres Geschütz auf. Keine Kosten werden gescheut, um möglichst alle Kinder gegen die Kinderlähmung zu immunisieren.

Südostasien wurde in diesem Jahr für Polio-frei erklärt. In den elf Staaten der Region - Bangladesch, Bhutan, Südkorea, Indien, Indonesien, auf den Malediven, in Myanmar, Nepal, Osttimor, Sri Lanka und Thailand - leben etwa 1,8 Milliarden Menschen. Das entspricht einem Viertel der Weltbevölkerung.

Im Kampf gegen die ansteckende Viruserkrankung, die das Nervensystem angreift und binnen Stunden zu Lähmungen führen kann, arbeiten Regierungen der Region eng mit Gemeindeaktivisten und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Laut GPEI konnten im Laufe von 17 Jahren etwa 7,5 Milliarden Kinder geimpft werden. Und dies nicht nur in den Städten, sondern auch in entlegenen ländlichen Gebieten. In diesem Zeitraum wurden in den Ländern etwa 189 landesweite Immunisierungskampagnen durchgeführt, bei denen mehr als 13 Milliarden Dosen des oralen Polio-Impfstoffes (OPV) verabreicht wurden.


Sri Lanka, Malediven, Bhutan und Nepal erfolgreich gegen Polio

Besonders entschlossenen Ländern wie Sri Lanka, den Malediven und Bhutan ist es gelungen, die Kinderlähmung bereits vor etwa 15 Jahren zu besiegen. Indien, wo sich die Krankheit lange Zeit hartnäckig gehalten hatte, registrierte den letzten Fall im Januar 2011. Düster ist die Lage jedoch in Afghanistan und Pakistan sowie im westafrikanischen Nigeria. Die dortigen Entwicklungen laufen den Anstrengungen zur weltweiten Ausrottung von Polio bis 2018 zuwider.

Da die Krankheit in mehreren asiatischen Staaten fortbesteht, fürchten Länder wie Nepal mit rund 27 Millionen Einwohnern um ihre hart erkämpften Fortschritte. "Die Sorge, dass Polio wiederkehren könnte, ist omnipräsent", meint Shyam Raj Upreti, Leiter der Impfabteilung der Behörde für Kindergesundheit in Nepal.

Der Himalaja-Staat hat kürzlich als erstes Land Südasiens den Inaktivierten Polio-Impfstoff (IPV) in das Routine-Immunisierungsprogramm aufgenommen. Er besteht aus abgetöteten, intramuskulär gespritzten Poliomyelitis-Viren, die die Krankheit nicht mehr auslösen können. "Die Polio-Schluckimpfung ist zwar das wichtigste Instrument zur Bekämpfung der Krankheit. Neue Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass der IPV bei 14 Wochen alten Kindern den Schutz vor dem Polio-Virus verstärkt", erläutert Upreti.

Den Erfolg der Kampagnen in seinem Land führt der Experte auf die hohe gesellschaftliche Akzeptanz der Immunisierungsmaßnahmen zurück. Freiwillige weibliche Helfer, die auch mit den Ärmsten der Armen in Kontakt stünden, spielten eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung der Nepalesen für das Thema.


Impfdichte in Nepal verdoppelt

Zwischen 1984 und 2011 nahm die Impfdichte in Nepal um mehr als das Doppelte von 44 auf 90 Prozent zu. Laut Ashish KC, einem für das Weltkinderhilfswerk UNICEF in Nepal tätigen Experten, wurden die Immunisierungsprogramme auch während des etwa zehnjährigen Bürgerkriegs zwischen maoistischen Rebellen und Regierungstruppen fortgesetzt. Der Konflikt forderte 13.000 Menschenleben.

"Uns war damals klar, dass wir multisektoral vorgehen mussten. Deshalb haben wir die Impfungen dezentralisiert organisiert. Das hat uns den Zugang zu unseren Zielgruppen erleichtert", berichtet er. "Die Immunisierung wurde Teil unserer Entwicklungspläne. Sie geht über den Gesundheitsaspekt hinaus."

Eine ähnliche Haltung ist auf den Philippinen zu erkennen, wo die Regierung kürzlich beschlossen hat, den IPV in den nationalen Gesundheitsplan zu integrieren. Die Philippinen sind somit das bisher größte Entwicklungsland, das diesen Schritt getan hat.

Aus einer Pressemitteilung des Pharmakonzerns 'Sanofi Pasteur', der eng mit der Regierung in Manila zusammenarbeitet, geht hervor, dass das Beispiel des selbst an Polio erkrankten ehemaligen Premierministers Apolinario Mabini y Maranan (1864-1903) vielen Philippinern die Folgen von Kinderlähmung vor Augen geführt hat. Mabini war nur wenige Monate im Amt. Im Mai 1899 trat er im Zusammenhang mit erfolglosen Bemühungen, den Krieg mit den USA zu beenden, zurück.

Mike Watson, stellvertretender Leiter der Impfabteilung bei Sanofi Pasteur, würdigt die Bemühungen von Regierung und Zivilgesellschaft, Polio zu bekämpfen. Auf einer Veranstaltung zum Thema Polio Anfang Oktober in Manila wurde beschlossen, jedes Jahr etwa zwei Millionen Kindern zu immunisieren. "Den IPV zu den Verteilungsstellen auf den kleineren Inseln zu befördern, ist eine logistische Herausforderung. Die Philippinen haben aber bereits gezeigt, dass sie ein solches Problem gut lösen können", sagt Watson.

Starke Netzwerke von Gesundheitsarbeitern auf Gemeindeebene haben das Land im globalen Kampf gegen Polio auf die Zielgerade gebracht. Ungefähr 120 Staaten, die bisher keine IPV verwenden, sollen dies im Rahmen der internationalen Polio-Ausrottungsbemühungen bis spätestens Ende 2016 getan haben.

Etwa 5.700 Kilometer von den Philippinen entfernt sind in Pakistan jedoch weiterhin Tausende Kinder in Gefahr, sich mit dem Polio-Erreger zu infizieren. Hunderte sind bereits erkrankt und müssen mit den Folgen leben. Im Juni hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO ein Ausreiseverbot für alle Pakistaner empfohlen, die keinen Impfnachweis vorlegen könnten.


Taliban verbieten Schluckimpfungen mit Gewalt

Seit die radikalislamischen Taliban 2012 ein Verbot von Polio-Schluckimpfungen ausgesprochen haben, wurden mehr als 800.000 Kinder nicht immunisiert, wie Vertreter der pakistanischen Gesundheitsbehörden erklären. Allein 2014 wurden in dem südasiatischen Land 206 Fälle von Lähmungen aufgrund von Ansteckungen mit dem besonders aggressiven wilden Poliovirus bekannt. Mitte Oktober wurden den Behörden binnen nur einer Woche 19 neue Erkrankungen gemeldet.

"Pakistan verzeichnet die meisten Fälle von den drei Ländern der Welt, in denen die Kinderlähmung endemisch ist", sagt Elias Durry, der für die Polio-Bekämpfung zuständige Nothilfekoordinator der WHO in Pakistan.

Besonders gravierend ist die Lage in den nördlichen Stammesgebieten, in denen die Taliban mit Gewalt und Einschüchterungstaktiken die Durchführung von Schluckimpfungen verhindern. Den selbsternannten Gotteskriegern zufolge sind die OPV Versuche der westlichen Welt, die muslimische Bevölkerung zu sterilisieren.

"In den von Kämpfen erschütterten Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) wurden 138 Fälle registriert, in der angrenzenden Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) weitere 43", berichtet Pervez Kamal, der Leiter der Gesundheitsbehörden in den FATA. In Nord-Waziristan sind 69 Infektionen bekannt, in den Bezirken Khyber und Süd-Waziristan 49 beziehungsweise 17 Fälle. Erst kürzlich starb ein 18-monatige altes Mädchen an Polio. Sein Vater erklärte gegenüber IPS, dass militante Taliban die Immunisierung der Tochter verhindert hätten.


Impfungen in Vertriebenenlagern

Eine Militäroffensive der pakistanischen Armee gegen die Taliban im Norden des Landes hat Gesundheitsarbeitern jedoch überraschend den Zugang zu Hunderttausenden Menschen in den Stammesgebieten verschafft. Nachdem etwa eine Million Einwohner von Nord-Waziristan vor Luftangriffen nach Khyber Pakhtunkhwa geflohen waren, konnten Kinder unter anderem in den Vertriebenenlagern in Bannu und Lakki Marwat geimpft werden.

Nach Angaben von Altaf Bosan, Leiter des nationalen Impfprogramms in Pakistan, müssten etwa 34 Millionen Kinder unter fünf Jahren gegen Polio immunisiert werden. Allein in diesem Jahr seien aber etwa 500.000 Kinder nicht geimpft worden, weil sich die Eltern an das Verbot der Taliban gehalten hätten. Die Regierung forderte daraufhin die religiösen Führer im Lande auf, die Familien von der Notwendigkeit der Impfungen zu überzeugen. Laut der WHO werden fast 80 Prozent aller weltweit auftretenden Fälle von Kinderlähmung aus Pakistan gemeldet. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/asia-so-close-and-yet-so-far-from-polio-eradication/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2014