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AUSLAND/2254: Österreich - Zwei Lesarten zur "Würde am Ende des Lebens" (ALfA LebensForum )


ALfA LebensForum Nr. 113 - 1. Quartal 2015
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Zwei Lesarten zur "Würde am Ende des Lebens"

Von Stephan Baier


In Österreich gibt es einen breiten Konsens für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Die weltanschauliche Bruchlinie durch Regierung, Parlament und Bioethikkommission wird an der Kontroverse um die Suizidbeihilfe sichtbar.

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Die parteienübergreifende Ablehnung der Euthanasie schien in Österreich - nicht zuletzt aus historischen Gründen - ein unerschütterbarer Konsens. Doch der gerät nun ins Wanken, denn spätestens seit die am Bundeskanzleramt angesiedelte Bioethikkommission sich des Themas annahm, ist es dem freien Spiel der parteipolitischen und ideologischen Kräfte ausgeliefert. Dabei begann alles mit ganz viel gutem Willen: Die zur christdemokratischen Parteienfamilie Europas zählende ÖVP wollte in den Koalitionsverhandlungen Ende 2013 den Weg dafür bereiten, das Verbot der Euthanasie in Österreichs Bundesverfassung zu verankern. Im Regierungsübereinkommen mit der Sozialdemokratie heißt es wörtlich: "Sterbebegleitung, Hospiz- und Palliativversorgung können bis zuletzt ein hohes Maß an Lebensqualität ermöglichen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen auch in Zukunft ein würdevolles Sterben ermöglichen. Zugleich soll ein nachhaltiges Bekenntnis zum Verbot der Tötung auf Verlangen abgegeben werden."

Weil eine einfachgesetzliche Regelung eben nicht "nachhaltig" ist, wurden im Dezember 2013 zwei politisch besetzte Expertengremien zeitgleich damit beauftragt, die "Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen" zu untersuchen: die am Bundeskanzleramt angesiedelte Bioethikkommission und eine parlamentarische Enquete-Kommission. Diese präsentierten nun ihre Erkenntnisse: Für eine Straffreistellung der Suizidbeihilfe unter bestimmten Bedingungen sprach sich Österreichs Bioethikkommission mit großer Mehrheit aus. Die "Tötung auf Verlangen" soll, ebenso wie die "Verleitung zum Suizid", dagegen weiter strafbar sein. Bisher ist die Mitwirkung an der Selbsttötung eines Menschen in Österreich - wie in den meisten Ländern der Europäischen Union - verboten und strafbar.

Wörtlich heißt es nun in der im Februar veröffentlichten Stellungnahme der Bioethikkommission: "Die Verleitung zum Suizid sollte weiter unter Strafe stehen, um zu gewährleisten, dass vulnerable Menschen keinem Druck ausgesetzt werden können. Es erscheint aber angebracht, für Angehörige und persönlich nahestehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidenden Person beim Suizid Hilfe leisten." Darüber hinaus soll nach Ansicht der Mehrheit in der Bioethikkommission auch "die Hilfeleistung durch Ärzte beim Suizid in bestimmten Fällen entkriminalisiert werden". Dies solle dem Patienten ermöglichen, "offen mit dem Arzt zu sprechen, ohne gleich fürchten zu müssen, aufgrund akuter Selbstgefährdung zwangsweise untergebracht zu werden". Die straffreie Hilfeleistung beim Suizid solle "in allen Fällen auf volljährige und einwilligungsfähige Personen begrenzt sein und deren ernsthaftes Verlangen einfordern". Diese Sicht wird in der Bioethikkommission von 16 Mitgliedern mitgetragen.

Eine Minderheit von acht Mitgliedern - darunter die Moraltheologen Matthias Beck (Wien) und Walter Schaupp (Graz), der Wiener Krebsforscher Lukas Kenner sowie die katholische Lebensrechtlerin und Juristin Stephanie Merckens - formulierte ein abweichendes Votum. Vulnerable Personen müssten vor Fremdbestimmung geschützt werden, heißt es darin. "Bei Angehörigen oder betreuenden Ärzten der suizidwilligen Personen kann ein solcher Suizidwunsch zu gravierenden Gewissenskonflikten führen, nicht zuletzt aufgrund von Unkenntnis der geltenden Rechtslage." Die Minderheit in der Bioethikkommission spricht sich dafür aus, "die Entwicklung Von verbindlichen Richtlinien für die Strafverfolgungsbehörden in Fällen des Verdachts auf Suizidbeihilfe zu prüfen".

Weitestgehend einig sind sich die Mitglieder der Bioethikkommission dagegen beim Nein zur Tötung auf Verlangen. Die Kommission plädiert für "die Beibehaltung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen entsprechend den derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen". Zur Begründung heißt es in der Stellungnahme: "Damit sollen vulnerable Gruppen auch mit den Mitteln des Strafrechts hinreichend geschützt werden." Lediglich der in Krems "Ethik in der Medizin" lehrende frühere Dekan der Wiener Philosophischen Fakultät, Peter Kampits, sprach sich dafür aus, "für Angehörige und persönlich nahe stehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie eine Tötung auf Verlangen gegenüber einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung leidenden Person vornehmen". In bestimmten Fällen solle auch die Tötung auf Verlangen durch Ärzte "entkriminalisiert" werden, meint Kampits.

Auch innerhalb der parlamentarischen Enquete-Kommission mit dem Titel "Würde am Ende des Lebens" gab es zwei konträre Auffassungen darüber, wie diese Würde gesichert werden sollte: Die Vorsitzende der Enquete-Kommission, die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gertrude Aubauer, sprach sich mehrfach öffentlich gegen eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung aus, während ihr Stellvertreter, SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim, die gegenteilige Position einnahm und dafür plädierte, keine "Nachdenkverbote in diesem Bereich" zuzulassen. Im Gegensatz zur Bioethikkommission ließ es die parlamentarische Enquete-Kommission am Ende jedoch nicht auf eine Mehrheitsfeststellung ankommen, sondern zielte auf den Konsens. Sie diskutierte am 23. Januar zwar die "Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Verankerung strafrechtlicher Normen, insbesondere des Verbots der Tötung auf Verlangen und eines sozialen Grundrechts auf würdevolles Sterben", vermied dann aber jegliche Empfehlung an Regierung und Parlament.

Im Anfang März veröffentlichten Abschlussbericht heißt es nun lediglich, diese Themen seien "umfassend beleuchtet" worden und es habe ein "Meinungsspektrum im Rahmen der Erörterungen" gegeben. Aber: "Es handelt sich hierbei um eine rein rechtspolitische Entscheidung." Die parlamentarische Enquete-Kommission zitierte zwar die Empfehlung 1418 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus dem Jahr 1999, die unter anderem das Verbot der vorsätzlichen Tötung von Todkranken und Sterbenden bekräftigt, enthält sich aber - mangels Einigkeit in der Sache - einer eigenen Empfehlung an die Politik.

Nicht umstritten war in der österreichischen Bioethikkommission wie auch in der Enquete-Kommission des Parlaments der Ruf nach einem Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung. Diese solle "bundesweit flächendeckend ausgebaut werden", so die Bioethikkommission. Der Zugang zu "Palliative Care am Lebensende" dürfe nicht vom Wohnort oder von den finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen abhängen. Die Enquete-Kommission forderte gar einen "Hospiz- und Palliative Care Stufenplan bis 2020", kritisierte, dass die Hospiz- und Palliativversorgung österreichweit erst zu 50 Prozent gedeckt sei, Wies mit konkreten Zahlen auf fehlende Betten, Palliativteams und Gelder hin, machte Vorschläge für die Finanzierung wie für die Weiterbildung von Ärzten, Gesundheitspersonal, Psychiatern und Seelsorgern. Die Enquete-Kommission zeigte sich stolz auf den erreichten Konsens zu 51 Empfehlungen, doch beruht dieser Konsens eben darauf, dass das strittige Thema einfach ausgeklammert wurde. Gelöst wurde die Frage der Suizidbeihilfe damit nicht. Im Gegenteil: Jetzt ist das Thema dem offenen Schlagabtausch der parteipolitischen Kräfte ausgeliefert.

Kritik am Mehrheitsvotum der Bioethikkommission kam von der Ärztekammer: Es gebe "zeitlose ethische Bindungen, die die Aufgabe der Ärzteschaft nicht in der Herbeiführung des Todes kranker Menschen sehen", meinte deren Präsident, Artur Wechselberger. Leben zu beenden widerspreche dem ärztlichen Berufsethos und dürfe nicht Bestandteil ärztlichen Handelns werden. Pflicht des Arztes sei es, Leben zu erhalten und Sterbende palliativmedizinisch zu begleiten. Für das Behindertenberatungszentrum "Bizeps" ist die Empfehlung der Bioethikkommission ein "Rückfall in eine überwunden geglaubte Phase menschenverachtender Philosophie und ein offener Schlag ins Gesicht von Menschen, die sich in der letzten Phase ihres Lebens befinden".

Dahin ist nun der jahrelange Schein einer einhelligen Ablehnung der Suizidbeihilfe seitens der Politik. Die Aufspaltung der Bioethikkommission in Mehrheit (16) und Minderheit (8) wie die Unfähigkeit der Enquete-Kommission, zu einer klaren Empfehlung zu kommen, machen den Dissens offenbar. Und auch die Regierungsparteien stehen sichtbar auf gegensätzlichen Seiten: Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner sagte, er sei "eher skeptisch". Seine Partei wolle "nicht Liberalisierung um jeden Preis". Noch deutlicher äußerte sich Justizminister Wolfgang Brandstetter "Ich bin davon überzeugt, dass es ein Fehler wäre, hier Lockerungen vorzunehmen." Dadurch würde "der psychologische Druck auf pflegebedürftige Personen sehr stark". Brandstetter warnte mit Blick auf Belgien und die Niederlande vor Änderungen der Gesetzeslage in Österreich. Dagegen forderten mehrere SPÖ-Politiker, darunter Justizsprecher Jarolim, die Empfehlungen der Bioethikkommission ernsthaft zu diskutieren. Eine Verankerung des Euthanasie-Verbots in der Verfassung lehnt die SPÖ ausdrücklich ab.

Die Gesundheitssprecherin der "Grünen", Eva Mückstein, sieht ihre Partei durch das Mehrheitsvotum in der Bioethikkommission bestätigt: "Eine Trennung von Verleitung, die weiter unter Strafe stehen soll, und Hilfestellung erscheint mir sinnvoll." Letztere solle "in genau umschriebenen Ausnahmefällen" durch Angehörige, Nahestehende und Ärzte möglich sein. Von der parlamentarischen Enquete-Kommission ist die Grün-Politikerin folgerichtig enttäuscht, denn - so ihre Begründung - "es kann schreckliche Ausnahmesituationen geben, in denen Menschen aufgrund unerträglichen Leidens aus dem Leben scheiden möchten - begleitet und in der Nähe ihrer Liebsten". Auch die laizistische "Initiative Religion ist Privatsache" begrüßte die neue Offenheit der Bioethikkommission für den "assistierten Suizid" euphorisch und attackierte die parlamentarische Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" als "PR-Veranstaltung des Hospizverbandes, Von Palliativmedizinern und Kirchenvertretern".

Sankt Pöltens Bischof Klaus Küng - in Österreichs Bischofskonferenz für Fragen der Bioethik zuständig - nannte die Empfehlungen der Bioethikkommission "alarmierend". Der "Mitwirkung beim Selbstmord die Türe zu öffnen" sei gefährlich und "eine erste massive Aufweichung des Lebensschutzes in Bezug auf das Ende des Lebens". Der Arzt müsse Sterbenden beistehen durch Schmerzlinderung, Sedierung, Erleichterung der Atmung und andere begleitende Maßnahmen, meinte Bischof Küng, der auch selbst Mediziner ist. Die Bitte, sterben zu wollen, sei "fast immer ein dramatischer Hilfeschrei, den man mit mehr Fürsorge und bestmöglichem medizinischen Beistand beantworten muss, nicht aber mit Beihilfe zum Selbstmord". Töten könne "niemals Ausdruck von Liebe und Mitgefühl sein". Bischof Klaus Küng fordert nun, "alles daranzusetzen, dass der vorhandene Konsens in Österreich, Euthanasie konsequent abzulehnen, nicht unterminiert wird".

Ein deutliches Nein kommt auch vom Präsidenten des Katholischen Familien-Verbands, Alfred Trendl: "Über Leben und Tod zu entscheiden steht uns schlicht nicht zu." Trendl würdigte die Stellungnahme der Ärztekammer, "die sich ihres Berufsethos erinnert und die Empfehlungen der Bioethikkommission ebenfalls ablehnt". Es sei zu befürchten, dass durch die Möglichkeit eines assistierten Suizids der Druck auf Schwerkranke und Menschen mit Behinderung steigen könnte, ihre Existenzberechtigung rechtfertigen zu müssen. Die Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, warnte: "Wer die Selbstbestimmung unheilbar kranker und intensiv pflegebedürftiger Menschen schützen will, der darf gerade diese Tür nicht öffnen, auch nicht einen kleinen Spalt. Denn so wird es erst möglich, auf direkte oder subtile Weise Sterbenskranken zu signalisieren, dass sie den Mitmenschen und der Gesellschaft einen 'Dienst' erweisen würden, wenn sie 'freiwillig' vorzeitig aus dem Leben scheiden." Die Erfahrung lehre, "dass findige Geschäftemacher ganz schnell rechtliche Schlupfwinkel finden, um ihre Suizidbeihilfe-Dienste anbieten zu können". Als Vorwand diene "dann immer die vorgebliche 'Selbstbestimmung' des Patienten".


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Hannes Jarolim, SPÖ
- Lukas Kenner
- Artur Wechselberger
- Bischof Klaus Küng
- Wolfgang Brandstetter, ÖVP
- Peter Kampits

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 113, 1. Quartal 2015, S. 17 - 19
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015

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