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ARTIKEL/1358: European Health Forum Gastein (3) (idw)


European Health Forum Gastein
Creating a better future for health in Europe
Pressemitteilungen vom 2. Oktober 2014

17. European Health Forum Gastein vom 1. bis 3. Oktober 2014

→ Europa droht Mangel an Gesundheitspersonal
→ Undokumentierte Migranten/-innen: Menschenrecht auf medizinische Versorgung häufig verweigert
→ EHFG 2014 zur Ebola-Krise: Starke Gesundheitssysteme sind bestes Bollwerk gegen Epidemien
→ Experten fordern rasche Umsetzung von eHealth


Europa droht Mangel an Gesundheitspersonal

Europa steht eine wachsende Nachfrage nach Fachkräften im Gesundheitswesen bevor: Dem schon aus demographischen Gründen steigenden Versorgungsbedarf steht eine steigende Zahl von Angehörigen der Gesundheitsberufe gegenüber die das Pensionsalter erreichen. Die Ost-West- bzw. Süd-Nord-Migration hat das Problem in einigen west- und nordeuropäischen Ländern zwar etwas entschärft.

Doch Mobilitätsmuster verändern sich und werden schwerer vorhersehbar, so Experten auf dem European Health Forum Gastein. Regierungen von Abwanderungsländern sind gefordert, Strategien zu entwickeln, um ihre medizinischen Fachkräfte im Land zu halten. Bilaterale Abkommen zwischen Ab- und Zuwanderungsländern können in diesem Zusammenhang eine Option sein.

Bad Hofgastein, 2. Oktober 2014 - Die Aussichten sind eher düster, vor allem für west- und nordeuropäische Länder: "Sie stehen vor einem doppelten demographischen Problem, einer alternden Bevölkerung stehen gleichzeitig alternde Fachkräfte im Gesundheitswesen gegenüber", erklärte Prof. Dr. James Buchan, Queen Margaret Universität Edinburgh, auf dem European Health Forum Gastein (EHFG). Der steigende Bedarf an gesundheitlicher Versorgung fällt zusammen mit einer zunehmenden Zahl an Angehörigen der Gesundheitsberufe, die sich in den Ruhestand zurückziehen. Die Lücke wird schon bald spürbar werden - bis zum Jahr 2020 werden Schätzungen der Europäischen Kommission zufolge etwa eine Million Ärzte, Pflegepersonen und andere Angehörige anderer Gesundheitsberufe fehlen, so Prof. Buchan - und die Lücke zwischen verfügbaren Arbeitskräften und vorausgesagter Nachfrage nach Gesundheitsprofis werde weiter wachsen, es sei denn, die Politik ergreife rechtzeitig Gegenmaßnahmen.

Kein Land kann sich "sicher" fühlen

Diese Entwicklung führt naturgemäß zu einem zunehmenden Wettbewerb um qualifiziertes Gesundheitspersonal innerhalb der EU, und zu einem Teil konnten westliche und nördliche Mitgliedsstaaten Lücken bisher durch Zugänge aus Ost- und Südeuropa füllen. Die Anzahl der Ärzte/-innen und Zahnärzte/-innen aus den "neuen" EU-Staaten (EU10, z.B. Polen, Slowakei, Ungarn, etc.) ist beispielsweise in den wichtigsten Zielländern der EU15 zwischen 2003 und 2007 deutlich gestiegen. Generell zeigen aktuelle Migrationsdaten allerding, dass der Anteil emigrierender Gesundheits-Fachkräfte - geschätzt werden diese auf der Basis von Daten, die eine Auswanderungsabsicht erfassen - in den neuen EU Ländern nie bei mehr als drei Prozent der gesamten Fachkräfte übersteigt.

In einem aktuellen Bericht* haben Prof. Buchan und Kollegen die aktuellen Trends in Sachen Migration von Gesundheitspersonal umfassend aufgearbeitet. Die Richtung von Migrationsströmen und deren Veränderung sei zunehmend schwierig vorhersehbar, so die Experten. Für Länder, die sich auf Gesundheitspersonal aus anderen Ländern verlassen, um den Mangel an inländischen Fachkräften auszugleichen, kann das riskant sein, so die Expertenanalyse. "Die Mobilitätsmuster verändern sich laufend und werden immer schwerer vorhersehbar, die Migration von Angehörigen der Gesundheitsberufe gewinnt an Bedeutung, und die Rahmenbedingungen werden komplexer. Vor diesem Hintergrund kann es sich kein Land leisten, diese Mobilität zu ignorieren oder sich 'sicher' zu wähnen. Ein- und dasselbe Land kann heute von der Zuwanderung von Fachkräften im Gesundheitsbereich profitieren und morgen selbst Gesundheitspersonal an andere Destinationen verlieren", betonen die Experten.

Tatsächlich kämpfen inzwischen auch klassische "Empfängerländer" zunehmend mit medizinischen "brain drain": Aktuelle Daten aus Österreich beispielsweise zeigen, dass nur ungefähr 60 Prozent der Absolventen/-innen eines Medizinstudiums des Jahrgangs 2013 in Österreich ärztlich tätig sind. Viele Mediziner/-innen wandern ins Ausland ab, 2013 waren in Deutschland rund 2.700 Ärzte aus Österreich tätig.

Rahmenbedingungen und Karrierechancen

Mehrere Schlüsselfaktoren seien zu berücksichtigen, so Prof. Buchan, wenn es um Migrationsmotive von Angehörigen der Gesundheitsberufe geht: "Ein besseres Einkommens ist ein, aber beileibe nicht das einzige Motiv. Man darf hier natürlich nicht zu sehr vereinfachen, denn jedem Einzelfall liegt eine unterschiedliche Dynamik zugrunde. Doch der wichtigste Ansporn, sein Land zu verlassen, sind meist schlechte oder relativ gesehen schlechte Rahmenbedingungen und Aussichten. Zu wichtigen Motiven zählen auch Karrierechancen, Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder oder die politische Stabilität des Ziellandes."

Die Regierungen betroffener Länder seien aufgerufen, die Faktoren zu analysieren, die zur Abwanderung von Angehörigen der Gesundheitsberufe führen, so Prof. Buchan. "dann kann man mit angemessenen politischen Maßnahmen darauf reagieren. Diese Länder werden vielleicht nicht immer mit den Zielländern mithalten können, was das Gehaltsniveau betrifft, doch sie können versuchen, als Strategie gegen die Abwanderung die Rahmen- und Arbeitsbedingungen insgesamt zu verbessern." Eine sinnvolle Option, so der Experte, könne es sein, die von bilateralen Abkommen mit Zielländern zu prüfen und sicherstellen, dass sich Anwerbeländer an den "WHO-Kodex für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften" halten. "So kommen Quell- und Zielländer in einen politischen Dialog, um dem sogenannten medizinischen 'Brain Drain' zu begegnen", sagte der Experte.

* Zahlen, Daten und Fakten über die Mobilität des Gesundheitspersonals in Europa:
www.euro.who.int/en/about-us/partners/observatory/studies/health-professional-mobility-in-a-changing-europe.-new-dynamics,-mobile-individuals-and-diverse-responses

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Undokumentierte Migranten/-innen: Menschenrecht auf medizinische Versorgung häufig verweigert

Das Bewusstsein für die prekäre Situation von Drittstaatenbürger ohne Aufenthaltspapiere und deren Barrieren zu einer medizinischen Versorgung schärfte die Plattforum PICUM beim European Health Forum Gastein Der offene Zugang zum Gesundheitswesen ist in Europa längst noch nicht für alle Menschen Realität.

Bad Hofgastein, 02. Oktober 2014 - Undokumentierten Migranten/-innen (UDM), also Drittstaatenangehörige ohne gültige Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland, wird das Menschenrecht auf medizinische Versorgung auch innerhalb der EU häufig verweigert oder nur eingeschränkt zuerkannt. Das betonte Lilana Keith von der "Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants" (PICUM) auf dem European Health Forum Gastein (EHFG) und rückte die oftmals prekäre gesundheitliche Situation von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus ins Bewusstsein. "Undokumentierte Migranten/-innen sind in den meisten EU-Staaten mit gesetzlichen, strukturellen und praktischen Barrieren konfrontiert, wenn sie medizinischer Hilfe bedürfen. Zusätzlich zu sehr restriktiven rechtlichen Rahmenbedingungen werden komplizierte Verwaltungsabläufe, die Verweigerung der Behandlung aufgrund von Diskriminierung oder mangelndem Bewusstsein, sowie die Furcht vor Behördenmeldungen und Abschiebungen oft zu unüberwindbaren Hindernissen beim Zugang zur gesetzlich ohnehin schon sehr eingeschränkten Gesundheitsversorgung", so Keith.

Bis zu vier Millionen UDM in Europa

Schätzungen des Forschungsprojektes "Clandestino" zufolge lebten 2009 zwischen 1,9 und 3,8 Millionen Menschen als Drittstaatenangehörige ohne gültige Aufenthaltspapiere in den damals 27 EU-Staaten, das sind 7 bis 13 Prozent aller Nicht-EU-Bürger und 0,4 bis 0,8 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Eine Studie der Europäischen Grundsrechtsagentur FRA zeigte, dass 2011 in 19 der damals 27 Mitgliedsstaaten UDM nur Anspruch auf medizinische Notvallversorgung hatten, und in elf von diesen Staaten mussten sie sogar diese vollständig aus eigener Tasche bezahlten. Gemäß einer in zehn europäischen Länder erhobenen Studie von Médecins du Monde (Ärzte der Welt; MdM) hatten 65 Prozent der UDM, die Hilfe in MdM-Einrichtungen suchten, keinen Anspruch auf Kostenübernahme durch Sozialversicherung oder öffentliche Hand, sie mussten also die vollen Kosten medizinischer Leistungen selbst tragen. Mit 66 Prozent hatten zwei Drittel aller Schwangeren ohne gültige Aufenthaltspapiere keinen Zugang zu einer Schwangerschafts-Untersuchung und -Betreuung.

Fehlende Informationen, Angst vor Abschiebung

"Migranten/-innen ohne regulären Aufenthaltsstatus suchen zumeist wegen der rechtlichen und administrativen Hürden nur dann medizinische Hilfe, wenn sie ernsthaft erkrankt sind", erklärte Llana Keith. Dies stehe im Widerspruch zum Prinzip und Ziel eines öffentlichen Gesundheitssystems, eines auf Solidarität und Gleichheit fußenden sozialen Zusammenhalts und der ärztlichen Ethik. "Zudem belastet es Frontline-Serviceeinrichtungen, die sich trotz aller Einschränkungen um eine angemessene Versorgung bemühen und führt letztlich zu Mehrkosten für das Gesundheitswesen: einerseits Verwaltungskosten und andererseits Kosten, die entstehen, wenn Patienten/-innen letztlich teure Notfallversorgung benötigen."

Manche Länder bieten mehr Versorgung

Manche EU-Staaten ermöglichen UMD freien Zugang zu weiterführenden medizinischen Leistungen. In manchen Fällen sind dies nur spezifische Angebote wie Diagnostik und Therapie von Infektionserkrankungen. In anderen ist der Zugang zur Primärversorgung sichergestellt, manchmal sogar zu weiteren Versorgungsstufen. In Großbritannien etwa steht UDM die ärztliche Grundversorgung, die Notfallmedizin sowie die Versorgung bei übertragbaren Krankheiten offen - hier stehen aktuell allerdings massive Restriktionen zur Diskussion. Portugal bietet Drittstaatenangehörigen ohne Papiere freien Zugang zum gesamten nationalen Gesundheitssystem, allerdings erst ab einer Aufenthaltsdauer von mindestens 90 Tagen. Zu jenen Ländern, die ihre Gesundheitseinrichtungen weitestgehend auch für UDM offen halten, zählen Frankreich, Belgien, die Niederlande und Italien.

Schweden verbessert Zugang

"Trotz des negativen ökonomischen und politischen Klimas quer durch Europa gibt es doch auch eine Reihe von positiven Entwicklungen, die aufzeigen, dass die medizinische Versorgung für Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere nicht nur wichtig im Sinne grundlegender Menschenrechte und der öffentlichen und individuellen Gesundheit ist, sondern dass sie auch sozialen und ökonomischen Nutzen bringt." So mussten etwa UDM in Schweden bis vor kurzem für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen einschließlich der Notfallversorgung die vollen Kosten bezahlen, sodass etwa eine Schwangere ohne regulären Aufenthaltsstatus rund 5.000 Euro aufbringen musste, um ihr Kind in einem öffentlichen Krankenhaus - ohne Komplikationen - zur Welt bringen zu können. Eine 2013 in Kraft getretene Reform gewährt nun allen UDM Zugang zu Versorgungsleistungen, die nicht aufgeschoben werden können, einschließlich dentaler und Schwangerschafts-Vorsorge, Verhütungsberatung und sexualmedizinische Dienste.

In Spanien hingegen kämpfen einzelne Regionalverwaltungen gegen eine auf nationaler Ebene restriktiver gewordene Gesetzeslage an. Bestand bis September 2012 für UDM annähernd der gleiche Zugang zum Gesundheitswesen wie für alle Personen mit gewohnheitsmäßigem Aufenthalt im Land, wurde seither die Zugänglichkeit auf Notfälle, Schwangere und Kinder eingeschränkt. Allerdings setzt derzeit nur Kastilien-La Mancha das bundesweite Gesetz vollständig um, in anderen Regionen wird UDM über die nationalstaatlichen gesetzlichen Vorgaben hinausgehender Zugang zu Gesundheitsdiensten ermöglicht. In Andalusien und Asturien haben UDM den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung wie Staatsbürger. Lilana Keith: "Die Verbesserung des Zugangs zur medizinischen Versorgung für undokumentierte Migrantinnen und Migranten bleibt eine dringende Aufgabe in Europa. Es gibt viele gelungene Beispiele, an denen man sich orientieren kann. Wir brauchen auf diesem Gebiet eine Gesundheitspolitik, die gerecht und pragmatisch ist."

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EHFG 2014 zur Ebola-Krise: Starke Gesundheitssysteme sind bestes Bollwerk gegen Epidemien

Die Ebola-Krise ist ein Ausdruck lang anhaltender und zunehmender Ungleichheiten beim Zugang zu Gesundheitsleistungen, betonten Gesundheitsexperten auf dem EHFG 2014. Die Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern sind zu schwach, um den Herausforderungen durch Ebola gewachsen zu sein. Jetzt ist massive Akuthilfe erforderlich, mittelfristig brauchen diese Länder robustere und effizientere Gesundheitssysteme und Public Health-Überwachungssysteme, damit sie im Fall einer neuerlichen Epidemie schneller und wirksamer reagieren können. In einer globalisierten Welt kann sich Ebola ohne geeignete Gegenmaßnahmen zu einer geopolitischen Krise entwickeln.

Bad Hofgastein, 2. Oktober 2014 - "Die Ebola-Epidemie bedeutet aus Public Health-Sicht ein klares Gebot zum Handeln. Ungelöst kann daraus eine geopolitische Krise entstehen." Das ist eine der Kernaussagen eines offenen Briefs, in dem 44 Gesundheitsexperten aus 15 Ländern, darunter EHFG-Präsident Prof. Dr. Helmut Brand, die EU-Regierungen auffordern, im Kampf gegen Ebola "alle verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren". Prof. Brand: "Zum Beispiel soll es Angehörigen von Gesundheitsberufen ermöglicht werden, auf freiwilliger Basis vorübergehend im Ebola-Gebiet Hilfe zu leisten zu können." Die EU-Regierungen sollen in Partnerschaft mit Ländern Westafrikas und der UNO eine aktive Rolle dabei spielen, dass die Unterstützungsmaßnahmen in den nächsten Monaten transparent und wirksam durchgeführt werden. Die Aktivitäten sollen sowohl die humane als auch die wirtschaftliche Entwicklung in der Region fördern.

Ebola müsste keine Epidemie sein

"Zahlreiche aktuelle Analysen und Kommentare gehen davon aus, dass sich Ebola rasch und wirksam beherrschen ließe, wäre die Krankheit nicht in drei westafrikanischen Staaten ausgebrochen, sondern beispielsweise in einem EU-Land", so Dr. Armin Fidler, Chefberater für Gesundheitsfragen der Weltbank. "Für diesen Befund spricht einiges." In Ländern mit einem gut entwickelten Gesundheitssystem würden Menschen unter Infektionsverdacht rasch und konsequent isoliert werden. Gesundheitsdienstleister wären angemessen ausgestattet, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Ärzte und Pflegepersonen würden bestmögliche Behandlungen anbieten zum Beispiel gegen das Austrocknen, gegen beeinträchtigte Leber- und Nierenfunktion, gegen Blutungen und einen gestörten Elektrolythaushalt. Verseuchte Materialien würden sachgerecht entsorgt werden, und es gäbe ausführliche Information für die Öffentlichkeit über die Krankheit, deren Übertragung und das richtige Verhalten bei einer Ebola-Epidemie.

Ebola ist Ausdruck anhaltender Ungleichheiten

Dass Ebola in einem funktionierenden Gesundheitssystem wohl rasch und wirksam kontrolliert werden könnte, zeigt das Beispiel des Marburg-Virus, einer Ebola ähnlichen, ebenfalls hämorrhagisches Fieber auslösenden Erkrankung: Als dieses im Jahr 1967 in Deutschland und dem damaligen Jugoslawien ausbrach, betrug die Todesrate bei infizierten Personen 23 Prozent. In den Ländern der Sub-Sahara waren es seither 86 Prozent. "Der Unterschied ist, dass Deutschland und Jugoslawien funktionierende Gesundheitssysteme und ausreichend Ressourcen für die Behandlung hatten", so Dr. Fidler. "Die Länder Westafrikas, die jetzt mit Ebola kämpfen müssen, haben beides nicht.

Die Ebola-Krise ist ein Ausdruck lang anhaltender und zunehmender Ungleichheiten beim Zugang zu Gesundheitsleistungen. Das Gesundheitssystem in diesen Ländern ist zu schwach, die Behandlungskosten sind zu hoch und Gesundheitsdienstleister zu rar."

Ein Beispiel: Liberia hat einen Arzt pro 70.000 Bewohner, Sierra Leone einen Arzt pro 45.000 Bewohner. Eine Analyse von Mitte September zeigte, dass rund 70 Prozent der Patienten mit eindeutigen Ebola-Befunden verstorben sind. Berücksichtigt man jedoch nur die Patienten in Krankenhäusern, so lag die Rate der Todesfälle deutlich niedriger - was die Annahme erhärtet, dass eine rasche Therapie wesentliche Vorteile bringt. Für eine wirksame Kontrolle von Ebola wird es also entscheidend sein, ob es gelingt, die Übertragungsorte ausreichend zu kontrollieren und den Anteil der behandelten Patienten deutlich zu steigern. Derzeit liegt die Behandlungsquote Schätzungen zufolge in Liberia bei weniger als 50 Prozent und in Sierra Leone bei 40 Prozent (Stand Ende September).

Die Agenda ist klar: Akut müssen zusätzlich Gesundheitsdienstleister eingesetzt und angemessen unterstützt werden. Dann benötigen die betroffenen Länder mehr mobile Laboratorien, Kliniken und Schnelltests, aber auch mehr Kommunikation über die Krankheit, ihre Verbreitung und ihre Behandlung. "Mittelfristig brauchen diese Länder robustere und effizientere Gesundheitssysteme und Public Health-Überwachungssysteme, damit sie im Fall einer neuerlichen Epidemie schneller und wirksamer reagieren können", so Dr. Fidler. "Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es eines koordinierten und entschlossenen Vorgehens durch internationale Organisationen und wohlhabende Länder, das der Herausforderung durch Ebola entspricht. Und es bedarf eines ausreichenden Investments in die Gesundheitssysteme dieser Region, und eines besseren Verständnisses dafür, dass Gesundheitsinvestitionen etwas Sinnvolles sind." Ein Beispiel: Die Pro-Kopf-Aufwendungen für Gesundheit betragen in Deutschland pro Jahr 4.459 US-Dollar, in Uganda nur 44 Dollar. Eine Konsequenz davon ist, dass die Menschen in Deutschland im Durchschnitt 80 Jahre alt werden, in Uganda 54 Jahre.

Entwicklungshilfemittel im Gesundheitsbereich, so der Experte, würden oft für kurzfristig wirksame oder allgemein leicht nachvollziehbare Projekte und Maßnahmen zweckgewidmet, zum Beispiel Impfprogramme oder HIV/AIDS. Dr. Fidler: "So wichtig solche Projekte sein mögen, aber auf diesem Weg entstehen keine nachhaltigen Gesundheitsstrukturen, und die nächste Epidemie kann wieder ungehindert zuschlagen. Wir machen uns daran letztlich mitschuldig, wenn wir als unterstützende Länder die Mittel nicht in den Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme stecken."

"Epidemien wie Ebola dürfen in einer globalisierten Welt nicht als rein regionales Problem gedacht werden", so Prof. Brand. "Zum einen kann die Krankheit schnell nicht nur in Nachtbarländer, sondern auch in andere Teile der Welt exportiert werden, auch nach Europa und die USA. Je später internationale Hilfe eintrifft und wirksam wird, desto höher wird dieses Risiko. Zum andern kann eine Epidemie wie Ebola ökonomisch schwache Länder, die außerdem schwere kriegerische Konflikte hinter sich haben, besonders stark und nachhaltig destabilisieren. Das kann durchaus auch internationale Auswirkungen haben."

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Experten fordern rasche Umsetzung von eHealth

Den Nutzen eines integrierten Gesundheitsmanagements mittels Informations- und Kommunikationstechnologien diskutierten Experten/-innen beim European Health Forum Gastein. eHealth-Angebote könnten zu Qualitäts- und Effizienzsteigerungen im Gesundheitswesen beitragen, einem breiten Einsatz würden aber noch Hürden entgegenstehen. Gefordert wurden ein rascher Einsatz verfügbarer Lösungen und eine verstärkte Standardisierung auf europäischer Ebene.

Bad Hofgastein, 2. Oktober 2014 - "Es ist dringend nötig, verfügbare Lösungen im Bereich von eHealth und Telemedizin umzusetzen. Die Zeit des Zögerns solte vorbei sein." Das war die Botschaft von Pēteris Zilgalvis, Leiter der Abteilung "Health and Wellbeing" in der DG CONNECT der Europäischen Kommission, auf dem European Health Forum Gastein (EHFG). eHealth könne ein entscheidender Motor zur Steigerung von Qualität, Kosteneffizienz, Produktivität und Wachstum im Gesundheitswesen sein, so Zilgalvis: "Angesichts der zunehmenden Häufigkeit chronischer Erkrankungen, der hohen Kosten von Gesundheitsdienstleistungen bei wachsender Nachfrage und gleichzeitig zunehmender Ressourcenknappheit ist Telemedizin ein Schlüsselfaktor für ein zukunftsweisendes Gesundheitswesen. eHealth kann zur treibenden Kraft für die Implementierung innovativer Modelle und Produkte werden, die Chancengleichheit im Zugang zu Gesundheitseinrichtungen ebenso wie deren Management verbessern." Zilgalvis forderte Reformwillen zur entschlossenen Umsetzung des eHealth-Aktionsplans 2012-2020 der EU ein.

Interoperabilität gefordert

Dieser unterstreicht die Notwendigkeit eines hohen Maßes an Standardisierung und Interoperabilität der verschiedenen Informations- und Kommunikationssysteme von Gesundheitsdiensten auf rechtlicher, organisatorischer, begrifflicher und technischer Ebene. "Der Mangel an national und international festgelegten Standards behindert die Optimierung der Potenziale von eHealth. Eine leistungsfähige Infrastruktur braucht Interoperabilität und ein koordiniertes Datenmanagement. Die Implementierung von eHealth-Innovationen ist aber nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch des Bewusstseins, des Denkens und der Handlungsbereitschaft der Akteure im Gesundheitswesen", sagte Zilgalvis.

"Der verstärkte und vor allem vernetzte Einsatz von Informationstechnologien wird seitens der Gesundheitsbehörden auf mehreren Ebenen unterstützt, weil vor allem Verbesserungen in der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit erwartet werden", so Dr. Peter Brosch vom österreichischen Gesundheitsministerium. Er sieht die Errichtung des künftig österreichweit zum Einsatz kommenden elektronischen Gesundheitsaktes "ELGA" als zentrales eHealth-Projekt, das beispielgebend für den sektorenübergreifenden Einsatz moderner IT ist. Bereits bei der Konzeption von ELGA sei die Nutzung internationaler Standards festgelegt worden, was die Interoperabilität der Systeme auch für die Zukunft sicherstelle.

"Die Verfügbarkeit technologischer Lösungen ist zumeist nicht das Problem," so Dr. Brosch. "Sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene muss gleichrangig zur technischen die rechtliche und die semantische Interoperabilität sichergestellt werden. Neben dem Datenschutz sind die Frage der eindeutigen Personen-Identifikation und eine Reihe damit verknüpfter rechtlicher Aspekte kritische Punkte für die künftigen Nutzung von eHealth."

"Der Fokus wurde lange Zeit zu sehr auf den technologischen Aspekt gelegt, während die organisatorischen Herausforderungen und das Change Management vergessen wurden. Die Frage nach der Einbettung von Telemedizin in moderne Versorgungsstrukturen ist jedoch entscheidend", betonte eHealth-Experte Peeter Ross von der estnischen eHealth Foundation. Die Organisationskultur von Gesundheitseinrichtungen müsse fit gemacht werden für eHealth, was zugleich Hand in Hand gehe mit einer Stärkung der Patientenzentriertheit.

Einbettung in Alltagspraxis

"Die größte Herausforderung besteht in der Einbettung von eHealth in die alltägliche Praxis der Gesundheitsdiensteanbieter. eHealth muss ein Ausbildungsschwerpunkt in allen Gesundheitsberufen werden", so Heleen Riper, Professorin für eMental-Health und klinische Psychologie an der VU Universität Amsterdam. Vorreiter wie Großbritannien, Dänemark, Schweden, Niederlande oder Deutschland müssten zu Zugpferden für andere EU-Staaten werden, der EU komme eine Schlüsselrolle bei der systematischen Etablierung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen zu.

Auch wenn Sorgen über die Speicherung von Gesundheitsdaten ernst genommen werden müssten, dürfe das erforderliche hohe Maß an Datenschutz und -sicherheit nicht in Skepsis gegenüber eHealth-Innovationen an sich umgemünzt werden, ist Prof. Riper überzeugt: "Die digitalen Möglichkeiten sind längst Teil unserer Lebenswelt, sich dagegen zu verschließen wäre anachronistisch. eHealth muss als Chance zur Stärkung der Eigenverantwortung und Autonomie der Patienten/-innen begriffen werden."

Besserer Zugang, mehr Chancengleichheit

Dass Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen soziale Ungleichheiten und Barrieren schaffen oder verstärken würden, glaubt Kommissionsexperte Zilgalvis nicht: "Wir sehen vor allem den positiven Trend eines verbesserten Zugangs zur Gesundheitsversorgung. Telemedizin, ein wichtiger Teilbereich von eHealht, ermöglicht auch Personen, die in größerer Entfernung zu Gesundheitseinrichtungen wohnen, ein regelmäßiges Monitoring ihrer chronischen Krankheiten und erspart den Betroffenen mühsame Wege. Vitalparameter und deren Schwankungen können erfasst, Hospitalisierungen, Routinekontakte und Aufenthaltsdauer in Gesundheitseinrichtungen können reduziert und die autonome Lebensführung der Patienten/-innen kann gestärkt werden." Prof. Riper ergänzte: "Paneuropäische Studien zeigen eindeutig die Wirksamkeit von eMental-Health etwa bei der Behandlung von Depressionen, zeigen Vorteile durch den niedrigschwelligen Zugang, aber auch kostendämpfende Effekte".

Die Europäische Kommission fördert zahlreiche telemedizinische Projekte. So befasst sich etwa das "Mastermind"-Projekt mit dem Einsatz von Telemedizin bei der Behandlung von Depressionen, "United4Health" umfasst eine Untersuchung von 12.000 Patienten/-innen mit Blick auf Telemedizin-Services bei Diabetes, COPD und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und greift zugleich auf die Ergebnisse des früher gestarteten "Renewing Health"-Projekts zurück.

"Wir brauchen ein Anreizsystem für die unterschiedlichen Stakeholder und einen klaren Durchführungsplan. Es ist besser, einzelne eHealth-Leistungen schrittweise umzusetzen, als die Implementierung mit Verweis auf die Komplexität des Ganzen zu verzögern", so Peeter Ross von der estischen eHealth Foundation.

Raute

"Electing Health - The Europe We Want" ist das Motto des diesjährigen EHFG. Rund 600 Teilnehmer/-innen aus mehr als 50 Ländern nutzen Europas wichtigste gesundheitspolitische Konferenz in Bad Hofgastein zum Meinungsaustausch über zentrale Fragen europäischer Gesundheitssysteme. Die zukünftige Richtung der europäischen Gesundheitspolitik ist das Schwerpunktthema des Kongresses.

EHFG Press Office
Dr. Birgit Kofler
B&K Kommunikationsberatung GmbH
Email: press@ehfg.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1762

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
European Health Forum Gastein, Dr. Birgit Kofler, 02.10.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2014

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