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POLITIK/1933: Debatte um Organspenden - Widerspruch nötig? (Securvital)


Securvital 1/2019 - Januar-März
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Debatte um Organspenden
Widerspruch nötig?

von Norbert Schnorbach


Die Zahl der Organspenden ist niedrig. Das soll nun ein Gesetz ändern. Einige Politiker wollen eine viel weitergehende Regelung, um Organspenden zum Normalfall zu machen.


In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Organspenden stark zurückgegangen, nachdem eine Reihe von Skandalen mit manipulierten Patientendaten und Wartelisten Schlagzeilen machte. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) gab es im letzten Jahr nur noch 797 Spender, in diesem Jahr ist wieder mit einer leichten Steigerung zu rechnen. Gesundheitsminister Jens Spahn will nun mit neuen gesetzlichen Vorgaben die Zahl der Organspenden in Deutschland erhöhen.

Das neue Gesetz sieht vor allem Veränderungen in den Krankenhäusern vor. Sie sollen mehr Geld für Organspenden bekommen. Transplantationsbeauftragte in den Kliniken würden dann von anderen Aufgaben befreit werden, um sich stärker um Organspenden zu kümmern. Sie sollen ein Zugangsrecht zu Intensivstationen erhalten und über Patienten informiert werden, die nach Einschätzung von Ärzten Spender sein könnten. Außerdem sollen mobile Ärzteteams geschaffen werden, um Organspenden auch in kleinen Kliniken ohne eigene Experten zu erleichtern. "Das Hauptproblem bei der Organspende ist nicht die Spenderbereitschaft", meint Spahn. Vielmehr müsse die Organisation in den Kliniken verbessert werden.

Zustimmungsprinzip

Über diese Gesetzesinitiative hinaus wird über grundsätzliche Fragen der Organspende diskutiert. Bisher gilt in Deutschland das Prinzip, dass eine Organspende nur mit vorheriger Zustimmung des Spenders oder gegebenenfalls der Angehörigen durchgeführt werden darf. Für die Zustimmungserklärung gibt es den offiziellen Organspendeausweis. Umgekehrt kann auch die ausdrückliche Ablehnung mit dem Nichtspenderausweis oder einer Patientenverfügung dokumentiert werden. In einigen europäischen Ländern wird anders verfahren. Dort gilt die umgekehrte Regelung: Jeder gilt automatisch als Organspender, sofern er nicht ausdrücklich widersprochen hat. Dort sind die Organspenderzahlen meist höher als in Deutschland, aber es stellt sich die Frage, ob ein solcher staatlicher Eingriff in den privatesten Bereich des Menschen immer zulässig ist, wenn er sich nicht aktiv dagegen wehrt.

Im Bundestag soll in den nächsten Monaten eine Grundsatzdebatte über beide Positionen stattfinden. Einige Gesundheitspolitiker wie Minister Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) setzen sich dafür ein, dass künftig jeder als Spender gelten soll, der nicht widerspricht ("Widerspruchsregelung"). Dagegen hat eine fraktionsübergreifende Initiative von Abgeordneten aus CDU, CSU, SPD, Grünen, Linken und FDP das Ziel, das bisherige Recht beizubehalten, wonach Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt sind ("Zustimmungslösung"). Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind, ob das Transplantationsverfahren vertrauenswürdig ist und ob ein Spender wirklich tot ist, bevor Herz und Nieren entnommen werden. Nach geltender Gesetzeslage dürfen Organe erst entnommen werden, wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander in einem dreistufigen Verfahren den Hirntod festgestellt haben, demzufolge die Aktivitäten des Gehirns 0unwiederbringlich erloschen sind. In Deutschland gilt der Hirntod als entscheidendes Kriterium, in anderen Ländern reicht bereits der Herzstillstand.

Allerdings ist der zentrale Begriff Hirntod umstritten und missverständlich. Auch nach ärztlich festgestelltem Hirntod sind nicht alle Lebensfunktionen beendet. Herzschlag, Stoffwechsel, Wundheilung und viele andere Körperprozesse können weiterhin aktiv sein. Sogar eine Schwangerschaft lässt sich unter Umständen fortführen. Hirntote werden zum Zwecke der Organspende ärztlich überwacht auf der Intensivstation, mit Medikamenten versehen und gegebenenfalls künstlich beatmet, um die Organe bis zur Entnahme "am Leben" zu erhalten.

Eine Frage der Würde

Ob das Erlöschen der Hirnfunktion oder der Herzstillstand als endgültiger Tod anzusehen ist, bleibt auch unter Experten umstritten. Es gibt wohl keine einfachen Antworten darauf, wo genau die Grenzen zwischen Leben und Sterben liegt. Mediziner und Philosophen sehen das als existenzielles Dilemma und auch als eine Frage der menschlichen Würde. Wer den eigenen Körper auch nach dem Tod unversehrt lassen möchte oder beim Sterbeprozess nicht auf der Intensivstation sein will und deshalb eine Organspende ablehnt, handelt keineswegs ethisch verwerflich.

Der Deutsche Ethikrat (www.ethikrat.org) empfiehlt eine offene gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema. Die Haltung zur Organspende sei so individuell wie die persönliche Einstellung zum Sterben und zum Tod. Eine moralische Pflicht zur Organspende könne es jedenfalls nicht geben, weder dafür noch dagegen. Jeder Mensch sei in dieser Entscheidung frei. Die Mitglieder des Deutschen Ethikrats sind sich auch nicht einig bei der Frage, ob ein ärztlich festgestellter Hirntod tatsächlich mit dem Tod gleichzusetzen ist.

Vor diesem Hintergrund äußern sich auch Ärzteorganisationen kritisch gegen eine "Automatisierung" der Organspende. "Die Widerspruchslösung ist in der Lage, das restliche Vertrauen vieler Menschen in die Transplantationsmedizin gänzlich zu zerstören", fürchtet der Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK). Auch naturheilkundliche und anthroposophische Mediziner haben deutliche Vorbehalte gegen die Organspendepraxis. Die Initiative "Kritische Aufklärung über Organtransplantation" (www.initiative-kao.de) hat eine Petition gegen die "ungewollte Organentnahme" gestartet und hält die Druckvorlage für einen Nichtspenderausweis bereit.

"Widerspruch gegen die Organentnahme":
Download auf www.initiative-kao.de

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Wie denken Sie darüber?
Zum Thema Organspende gibt es eine öffentliche Debatte mit sehr unterschiedlichen Meinungen.

Wollen Sie mitteilen, wie Sie darüber denken? Bitte schreiben Sie an: leserbrief@securvita.de, Redaktion SECURVITAL, Postfach 10 55 09, 20038 Hamburg.


Der offizielle Organspendeausweis ist bei Krankenkassen erhältlich (Download auf www.bzga.de)

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Quelle:
Securvital 1/2019 - Januar-März, Seite 28 - 29
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2019

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