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POLITIK/2003: Krankheit als Geschäft (7) - Von Altnazis zu Klinikkonzernen ... Was das Ende der DDR im Gesundheitswesen bedeutete (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 45 vom 8. November 2019
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Krankheit als Geschäft
Teil VII: Von Altnazis zu Klinikkonzernen: Was das Ende der DDR im Gesundheitswesen bedeutete

von Richard Corell und Stephan Müller


Bis zum Sieg der Konterrevolution in der Sowjetunion und der DDR um 1990 hatte die BRD ein extrem rückständiges Gesundheitssystem. Reaktionäre Ärztefunktionäre und Kirchenfürsten besetzten die Schlüsselstellungen. Die niedergelassene Ärzteschaft betrachtete sich als Kleinunternehmer, die Regierung schützte diese Kleinunternehmer davor, sich in ambulanten Zentren zusammenschließen zu müssen. Solche Zentren hatten sich in vielen Ländern bewährt, auch in der DDR. Aus Sicht reaktionärer Gesundheitspolitiker waren solche Praxiszentren oder Polikliniken damit kommunistisches Teufelswerk. Die Ärztefunktionäre waren schon durch ihre früheren Nazi-Karrieren als Antikommunisten bewährt. Hans Joachim Sewering zum Beispiel, der bis in die 90er Jahre im Vorstand der Bundesärztekammer und als Präsident des Deutschen Ärztetages die Standespolitik prägte, war 1933 in die SS eingetreten; ihm wurde vorgeworfen, dass er an Euthanasiemorden beteiligt gewesen sein soll.

Die Kirchen, die sich mit den Kommunen die Trägerschaft der Kliniken teilten, behielten zwei Privilegien, die ihr reaktionäres Biotop begünstigten: Sie durften ihr Personal nach Religionszugehörigkeit aussuchen, beispielsweise geschiedene Eheleute aussortieren, und durften Betriebsräte verbieten. Private Kliniken waren bis 1990 die Ausnahme. Mit der Liquidierung der DDR fiel auch die Anti-DDR-Prämie für Ärzteverbände und Kirchen.

In der Groß-BRD ab 1990 war eine "Reform" des reaktionären Gesundheitssystems der Alt-BRD überfällig, das während des "kalten Kriegs" mehr oder weniger bei Bismarck in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts stehengeblieben war. Der "freie Markt" sollte helfen.

Der Ruf des Kapitals nach neuen Märkten war so laut, dass die durchaus auch vom eigenen politischen Personal vorgebrachten Bedenken hintðangestellt wurden. Nach dem Boom durch die Öffnung des Wilden Ostens für Kapitalcowboys aller Art kam die Krise Ende der 90er Jahre.

Um die Ware Gesundheit auf den Markt zu bringen, muss sie messbar sein: Sie braucht einen Stückpreis. Dazu wurde das System der "Fallpauschalen" nach "Diagnosis Related Groups" (DRG) eingeführt. Alle zu behandelnden Gesundheitsstörungen wurden klassifiziert und nach Aufwand zu ihrer Behandlung normiert. Das sollte vor allem die Krankenhäuser in den Wettbewerb bringen und so die Beiträge für die Krankenkassen - letztlich ein Lohnbestandteil - senken. Der "Stern" schreibt ganz richtig: "So bereitete CSU-Seehofer die Einführung der Fallpauschalen vor, die Grüne Andrea Fischer vollzog sie, die SPD-Frau Ulla Schmidt zementierte sie."

2003, im Zug der Agenda-Gesetze, wurde die Krankenhausfinanzierung reformiert: Die Kliniken bekamen von den Krankenkassen die Behandlung nun nach DRG-Fallpauschale ersetzt. Der Staat soll weiter die Ausrüstung finanzieren. Damit war festgelegt: Ein "gutes" Krankenhaus arbeitet profitabel und finanziert seine Modernisierung selbst, ein "schlechtes", "ineffizientes" erwirtschaftet nicht genug Profit, um moderne Maschinerie zu kaufen, mit der wieder hohe Fallpauschalen abgerechnet werden können. In dieser Logik liegen wenig rentable Häuser dem Staat auf der Tasche, sie können geschlossen oder verkauft werden - und das bedeutet: Der Staat steigt hier aus der Daseinsvorsorge aus.

Clevere Klinikchefs erkannten: Wenn Krankenhäuser sich auf die Fälle mit den besten Profitmargen spezialisieren und für Investitionen starke Kapitalpartner mitbringen, lässt sich die öffentliche Hand gern von der Last der Daseinsvorsorge befreien. Schnell fanden sich Banken, die die Privatisierung von Kliniken finanzierten. Private Krankenhausgruppen wie Asklepios, Helios und die Rhön-Kliniken entstanden. Der durch die Schuldenbremse erhöhte Druck auf "unprofitable", das heißt besonders auf nicht-spezialisierte Kliniken der Allgemeinversorgung, wuchs. Der freie Markt erzwingt Konzentration. Die im Konzentrationsprozess entstehenden Großkonzerne arbeiten auf eine Monopolstellung hin, um Extraprofite abzuschöpfen. Hier zeigt sich, was Lenin aufgezeigt hat: Die Monopolkonzerne nehmen einen größeren direkten Einfluss auf den Staatsapparat. Die reformistische Sozialdemokratie behauptet, so ließe sich eine vernünftige Volkswirtschaft planen. Tatsächlich lenken die Klinikkonzerne möglichst viel des gesellschaftlich produzierten Reichtums in die eigene Gewinnbilanz.

Aus Sicht des ideellen Gesamtkapitalisten ist das eine widersprüchliches Ergebnis: Einige sehr große Kapitale haben profitiert. Auf der anderen Seite ist die Gesundheitsversorgung am Zusammenbrechen und keinesfalls kostengünstiger als in vergleichbaren Ländern.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 51. Jahrgang,
Nr. 45 vom 8. November 2019, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2019

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