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RECHT/629: Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz - Verhandlungen und Proteste (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2019

TSVG
Verhandlungen und Proteste

von Dirk Schnack


Das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz bestimmt seit Wochen die Diskussion im ambulanten Sektor.


Niedergelassene Ärzte und Berufsverbände haben in den vergangenen Wochen ihre Kritik am geplanten Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG) bundesweit verstärkt. Erster Höhepunkt war ein bundesweiter Protesttag am 23. Januar. Auch Ärzte in Schleswig-Holstein halten die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplanten Regelungen für problematisch, berieten am Protesttag aber nur intern in der Ärztegenossenschaft darüber. Nach einer Sitzung mit Vertretern von Berufsverbänden und Praxisnetzen machten diese in einer Mitteilung deutlich, dass sie etwa die geplanten Vorgaben für erweiterte Sprechstunden ablehnen. "Durch direkte Durchgriffsregelungen auf das Praxismanagement werden uns Ärzten nötige Freiräume zur Organisation einer patientenorientierten Versorgung genommen", sagte Dr. Axel Schroeder aus dem Vorstand der Ärztegenossenschaft Nord. Der Urologe aus Neumünster nannte Budgetierung und Bedarfsplanung als Ursachen der von der Politik kritisierten Wartezeiten.

Deutlich wurde in Bad Segeberg, dass die niedergelassenen Ärzte ohnehin schon lange Arbeitszeiten zu bewältigen haben und sich diese Zeit für die Patienten auch nehmen wollen. "Die 50 Stunden sind nicht unser Problem. Die Extra-Zuschläge oder Aufschläge für offene Sprechstunden sind das Problem", sagte Burkhard Sawade vom Dachverband der Netze. Er forderte deshalb, die restriktiven Budgetvorgaben für Praxen abzuschaffen: "Nur so wird man dem aktuellen vermehrten Versorgungsbedarf gerecht werden können." In der gemeinsamen Mitteilung fordern die Ärzte aus Schleswig-Holstein Spahn auf, "vom Dogma der Budgetierung abzurücken". Sie mahnen: "Es gilt, gemeinsam mit der Ärzteschaft Lösungsansätze für eine schrittweise Budgetablösung zu finden, bevor das Gesetz im Mai in Kraft tritt."

Zuvor hatte rund die Hälfte aller Praxen in Schleswig-Holstein einen offenen Brief der KV Schleswig-Holstein an Spahn und an Bundestagsabgeordnete unterstützt, mit dem sie ihren Unmut über das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ausdrücken. Der Vorstand der KV hat die Unterschriftenliste bei einem Gespräch in der Berliner Landesvertretung an Bundestagsabgeordnete der Großen Koalition übergeben.

Das Gespräch in Berlin nutzten KV-Vorstand Dr. Monika Schliffke und Dr. rer. nat. Ralph Ennenbach, um ihre Kritik zu erläutern. Insbesondere die von Spahn angestrebte Ausweitung der Mindestsprechstundenzeit auf 25 Stunden pro Woche spielte dabei eine Rolle. Fakt ist nach Angaben des Vorstands, dass die Niedergelassenen im Durchschnitt mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten und häufig mehr Sprechstunden leisten als sie müssten. Die Ärzte befürchten außerdem, dass die zahlreichen Regelungsmaßnahmen im Gesetzentwurf Ärzte aus der Selbstständigkeit vertreiben könnten - durch frühzeitigen Ruhestand und Abkehr des interessierten Nachwuchses. Sie verwiesen auch auf Nachteile für die Patienten, sollte das Gesetz in Kraft treten: Für die intensive Behandlung chronisch kranker Patienten stünde weniger Zeit zur Verfügung, fremdbestimmte Termine schränkten die freie Arztwahl ein, machten das Verhältnis zwischen Arzt und Patient unpersönlich und störten Organisationsabläufe in den Praxen. Als Lösung empfahl die KVSH eine "grundsätzliche Umkehr in der Gesundheitspolitik" mit entbudgetierten Grundleistungen und Verzicht auf bürokratische Vorgaben.

An anderen Standorten in Deutschland war der Ton etwas schärfer. In Hamburg hatten sich auf Einladung eines Aktionskomitees aus Vertretern von Berufsverbänden rund 300 Ärzte und Psychotherapeuten im Ärztehaus eingefunden, um gegen das TSVG zu protestieren. Dort wurden u. a. Eingriffe in die Selbstverwaltung, zu erwartende Mehrarbeit, höherer Aufwand, Überwachung des Versorgungsauftrags als Folgen des Gesetzes kritisiert und die in Aussicht gestellten Mehreinnahmen als nicht angemessen bezeichnet. Die Stimmung im Ärztehaus schwankte zwischen Unverständnis und Empörung, als Dr. Dirk Heinrich als Vorsitzender der KV-Vertreterversammlung und anschließend Vertreter mehrerer Berufsgruppen die zu erwartenden Folgen des Gesetzes verdeutlichten. Heinrich bezeichnete Teile des Gesetzes als "Willkür", Hausärztin Dr. Silke Lüder bezweifelte, dass Spahn mit seinen "populistischen Ideen" bei der Bevölkerung Unterstützung findet, und Psychotherapeutin Hanna Guskowski bewertete das Gesetz als "Zumutung" für die Patienten.

Diese ablehnende Haltung zog sich quer durch die Fachgruppen. Dermatologe Dr. Jan Ter-Nedden sieht als Konsequenz des TSVG, dass die Praxisorganisation umgestellt werden muss. Kinderarzt Dr. Stefan Renz rechnet damit, dass die Terminservicestellen für zahlreiche Buchungen durch Patienten sorgen, die dann nicht eingehalten werden: "Die Termine werden verpulvert."

Wie aber sollten Ärzte auf einen Gesetzentwurf reagieren, den sie in großen Teilen ablehnen? Hamburgs Hausärztechef Dr. Frank Stüven riet zu einem konstruktiven Austausch mit dem Ziel, mehr Zeit für die Patienten zu erhalten. Dafür machte er drei Vorschläge:

  • Entlastung der Wartezimmer, indem arbeitsunfähige Arbeitnehmer sich für die erste Woche keine Bescheinigung mehr vom Arzt holen müssen.
  • Anreize für eine bessere Patientensteuerung schaffen, um unnötige und vorschnelle Konsultationen zu vermeiden.
  • Weil die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen weiterhin die Kapazitäten übersteigen wird, muss eine Eigenbeteiligung eingeführt werden - nicht mit einer Zahlung am Arzttresen, sondern in Form eines Selbstbehaltes, der von den Krankenkassen je nach Inanspruchnahme am Jahresende wieder ausgezahlt werden kann.

Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung gibt es aber auch die Bereitschaft, sich mit anderen Mitteln zu wehren, darunter auch "ziviler Ungehorsam", wie ein Teilnehmer anregte. Die Vorschläge reichten von Boykott-Aufrufen bis zur kollektiven Rückgabe der Zulassung. Weil solche Schritte genauso schwer umzusetzen sind wie die angeregte Klage gegen das TSVG, wollen die Ärzte und Psychotherapeuten weiter politisch Stimmung machen. Unterstützt wurden die Befürworter dieser Haltung von FDP-Gesundheitspolitiker Dr. Wieland Schinnenburg. Der Zahnarzt und Hamburger Bundestagsabgeordnete sieht hierin den Weg mit den größten Erfolgsaussichten: "Es geht nur über politischen Druck. Sie müssen mit Ihren Patienten reden."


1. Mai
Diesen Tag strebt das Bundesgesundheitsministerium für das Inkrafttreten des TSVG an. Die abschließende Lesung soll in der dritten Märzwoche stattfinden. Für den 13. Februar war eine weitere Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages anberaumt. Bei der ersten Anhörung war das Gesetz nach Wahrnehmung von Mitglied Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) bei den Experten "durchgefallen".


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201902/h19024a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Februar 2019, Seite 18
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2019

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