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SOZIALES/034: Ungeklärter Aufenthaltsstatus belastet Ärzte und Patienten (idw)


Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
Medizin / Kommunikation, 26.07.2017

Ungeklärter Aufenthaltsstatus belastet Ärzte und Patienten


Berlin - In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt über eine Millionen Ausländer mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. Viele sind Geflüchtete aus Krisenregionen, denen aufgrund erlittener traumatischer Erlebnisse eine Psychotherapie zuteilwird oder werden sollte. Doch ihre Unsicherheit über das Bleiberecht erschwert den Behandlungserfolg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM) setzt sich daher für deutlich zügigere Entscheidungen über den Aufenthaltsstatus ein, um die knappen Ressourcen der Helfer bestmöglich einsetzen zu können und ohnehin traumatisierte Flüchtlinge vor möglichen Schäden durch einen frühzeitigen und ungeplanten Therapieabbruch zu schützen.

Fast ein Drittel der Geflüchteten leidet unter psychischen Belastungen in Form von Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Depression. "Vielen dieser Menschen hilft eine Psychotherapie sehr gut, um die schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten und sich erfolgreich in unsere Gesellschaft zu integrieren", sagt die DGPM-Expertin Professor Dr. med. Yesim Erim, Leiterin der Abteilung für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin am Universitätsklinikum Erlangen. Beispielsweise zeigte ein 22-jähriger Afghane, der vor vier Jahren nach Deutschland kam und stationäre sowie ambulante Psychotherapie erhielt, deutliche Verbesserungen seiner PTBS. Doch sein Ablehnungsbescheid machte die vielen Stunden Therapiearbeit zunichte.

"Der Erfolg unserer Arbeit basiert auf größtmöglichem Vertrauen, Sicherheit und positiven Perspektiven für den Patienten. Fallen diese Anker weg, ist eine erfolgreiche Therapie aussichtslos. Bei von Abschiebung bedrohten Patienten sind diese Gegebenheiten nicht existent und die Arbeit wird ineffektiv, ja sogar absurd und zynisch", kritisiert Professor Erim. Denn ein Teil der Arbeit sei es, dem Patienten mithilfe von stabilisierenden therapeutischen Maßnahmen, dem Aufbau einer Tagesstruktur sowie darauf aufbauender Aktivitäten eine positive Einstellung nahezubringen. Gerate er wieder in seine alte, politisch wie gesellschaftlich unsichere Umgebung, sei dies natürlich auch psychotherapeutisch meist ein drastischer Rückschlag und die therapeutische Arbeit dann umsonst, wenn nicht sogar schädlich.

Die DGPM fordert daher von allen politischen Entscheidungsträgern einen bestmöglichen Umgang mit personellen und finanziellen Ressourcen. Aktuelle Untersuchungen, die unter Leitung von Professor Erim an der Universität Erlangen durchgeführt wurden, zeigen, dass nahezu 70 Prozent der professionellen und ehrenamtlichen Helfer, die mit Geflüchteten zusammenarbeiten, unter dem mangelnden Handlungsspielraum aufgrund gesetzlicher Regulierungen leiden. Darunter sind neben der Verunsicherung und Inaktivität in der Wartezeit auf die Aufenthaltsbewilligung beispielsweise Probleme bei der Wahl des Wohnortes, wiederholte Verlegungen, erschwerte Zusammenführung von Familien, lange Wartezeiten auf Integrationskurse, räumliche Entfernung von Wohnort und Kurs etc. zu subsumieren. "Viele ehrenamtliche Helfer und Lehrer von Integrationskreisen berichten über den Verlust der Zuversicht und depressive Reaktionen bei sich und ihren Schützlingen, wenn nach dem ersten mühseligen Ankommen in Deutschland eine Abschiebung droht", sagt Erim. Um weiterhin die Motivation fremden Menschen helfen zu wollen zu fördern, sollte die Bundesregierung Prozesse anstoßen, die die Zeit der Unsicherheit für Flüchtlinge und deren Helfer auf ein Minimum beschränken", fordert Professor Erim. Die Aussicht auf Therapieerfolg sei für Mediziner, Therapeuten und neben- und hauptamtliche Helfer die entscheidende Motivation für die tägliche Arbeit mit den Flüchtlingen. "Es ist geradezu unverantwortlich, Menschen, denen durch die Arbeit mit Asylsuchenden selbst eine so genannte sekundäre Traumatisierung droht, den Sinn ihrer Arbeit zu rauben", so Erim.

Professor Dr. med. Harald Gündel, Mediensprecher der DGPM aus Ulm, berichtet, dass seit 2014 an den psychosomatischen Universitätskliniken die Versorgungsstrukturen für Geflüchtete kontinuierlich ausgebaut werden. Neben den bestehenden Traumaambulanzen und Beratungsangeboten für Geflüchtete in Dresden, Düsseldorf und am evangelischen Krankenhaus in Bielefeld wurden in Erlangen, Gießen, Heidelberg, München, Münster, Tübingen und Ulm Sprechstunden in den Ambulanzen und Vor-Ort-Sprechstunden in großen Flüchtlingsunterkünften etabliert. Gündel betont, dass die psychotherapeutisch-psychosomatische Arbeit mit den Flüchtlingen Ärzte häufig in eine Zwickmühle bringt: "Wie ist damit umzugehen, wenn ein Flüchtling psychotherapeutische Hilfe braucht, wir aber gleichzeitig wissen, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Deutschland bleiben und eine Therapie abschließen kann? Dieses Dilemma kann in erster Linie auf politischer Ebene und in enger Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern gelöst werden." Aus Sicht der DGPM müsse das Ziel sein, in einem festgelegten und knappestmöglichen Zeitrahmen den Aufenthaltsstatus der in Deutschland Ankommenden zu klären - im Sinne der Patienten und Helfer.


Quellen:

Statistisches Bundesamt, Zahlen zum Aufenthaltsstatus der Asylanten:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/AuslaendischeBevolkerung/Tabellen/AufenthaltsrechtlicherStatus.html
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28454191

Grimm T, Georgiadou E, Silbermann A, Junker K, Nisslbeck W, Erim Y.Psychother Psychosom Med Psychol. 2017 Apr 28. doi: 10.1055/s-0043-100096. [Epub ahead of print] German.
https://www.thieme-connect.de/DOI/DOI?10.1055/s-0043-100096

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http://www.dgpm.de

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http://idw-online.de/de/institution76

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
Medizin - Kommunikation, 26.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2017

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