Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

AUSLAND/1543: China - Geburtenkontrolle (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 111, 1/10

Geburtenkontrolle
Ein einziges Thema beherrscht Chinas staatliche Frauengesundheitsfürsorge

Astrid Lipinsky


Die Autorin analysiert Chinas Gesundheitspolitik und konstatiert ein Kontrollsystem, in welchem es kaum um die Anliegen der Frauen. Sie beschreibt auch die Kluft im Zugang zu moderner Medizin, die zwischen der einfachen Bevölkerung und dem urbanen Mittelstand.


In den vergangenen 15 Jahren traten in China so viele Frauengesundheitsgesetze in Kraft wie nie zuvor. Gesetze in China sind Texte, die modernstes internationales Politikvokabular einführen, die Blaupausen entwerfen, wie die chinesische Situation aussehen soll, und die grundlegende Politiken formulieren. So auch für die "Frauengesundheit", die deshalb wichtig ist, weil sie über die Gesundheit der zukünftigen Generation entscheidet.

Die chinesische Regierung beteiligt sich mit großem Eifer und ambitionierten Zielen an der internationalen Gesundheitspolitik. Die Lektüre der Fortschrittsberichte hinterlässt einen schalen Geschmack: Nirgendwo fragt sich die Regierung, warum es ihr nicht gelingen will, möglichst alle Geburten ins Krankenhaus zu verlegen. Verbinden nicht vielleicht Frauen das Krankenhaus mit der - auch gewaltsamen - Geburten- und Sterilisationspolitik der Regierung und meiden die vermeintlich größere Sicherheit des Krankenhauses deshalb? Kommen die hohen bereitgestellten Geldbeträge überhaupt dort an, wo die Frauen sie benötigen?


Exklusives Kontrollsystem

Die Politik und ihre Gesetze instrumentalisieren Frauen für die möglichst engmaschig vom Staat kontrollierte Gebäraufgabe. Meint denn die Regierung, den Frauen würde verborgen bleiben, dass sie sich für ihr persönliches Wohlbefinden überhaupt nicht interessiert? Beispielsweise werden unter der Überschrift "Frauengesundheit" die Erfolge bei der Verhinderung der HIV-Infektion von der Mutter auf das Kind geschildert, aber kein Satz schildert die Gesundheit der HIV-positiven Frau an sich.

1995 trat das Gesetz zum Schutz der Gesundheit von Mutter und Säugling in Kraft, 2001 wurden die zugehörigen Durchführungsbestimmungen verabschiedet. Die Fokussierung auf die Frau als Mutter ist nun wirklich nicht neu. Und dazu, den Frauen konkrete Dienstleistungsansprüche in die Hand zu geben - wie vorgeburtliche Untersuchungen -, brauchte die Regierung sechs (!!!) Jahre, nach denen schon wieder vergessen war, dass China die Gesundheit der Schwangeren besonders fördern will - der legal Schwangeren natürlich. Die Verpflichtungen, ihre Dienstleistungen anzubieten, haben die Gesundheitsinstitutionen nicht gegenüber unehelich Schwangeren, nicht gegenüber unerlaubt - also außerhalb der Quote - Schwangeren, nicht gegenüber allen, die nicht zahlen können oder wollen.


Zweiklassenfürsorge

Auch im Hinblick auf die Gesundheit zerfallen Chinas Frauen in zwei Gruppen: Die eine, meist städtische, hat Zugang zu qualitativ hochwertiger Medizintechnik, im staatlichen Gesundheitswesen oder in privaten Kliniken, wie sie möchte und zu bezahlen imstande ist. Sie kann ihr Kind in einer westlich ausgerichteten Hongkonger Klinik zur Welt bringen und Angebote in Anspruch nehmen, zum richtigen Zeitpunkt garantiert das qualitativ beste Kind mit dem gewünschten Geschlecht zu bekommen. In einer großen Auswahl von Hochglanzzeitschriften findet sie Informationen dazu, wie sie die vorgeburtliche Intelligenz ihres Kindes stimulieren könnte und auch sollte.

Die Mehrzahl der Frauen steht eher am Fließband, wo sie bei Schwangerschaft sofort entlassen wird. Wenn ihr überhaupt ein schriftlicher Vertrag vorgelegt wurde - nach Schätzungen haben 60% der ArbeitnehmerInnen in nichtstaatlichen Betrieben keinen -, steht ihre freiwillige Kündigung bei Schwangerschaft und Rückzahlung der vom Arbeitgeber in sie getätigten Investitionen drin. Ist sie in einer Behörde, stehen ihr je nach finanzieller Ausstattung umfassende Gesundheitsangebote zur Verfügung bis hin zur Fürsorge der Kolleginnen für die (seltene) Schwangere.

Bis 2003 ging China davon aus, dass der Staat junge Leute auf Regierungskosten vor der Heirat auf ihre Gesundheit untersuchen müsste. Im Hinterkopf stand dabei natürlich die größtmögliche Vermeidung kranker, behinderter Kinder. Ohne Gesundheitszeugnis also keine Hochzeit. Diese Bescheinigung braucht man seit den neuen Eheregisterbestimmungen (2003) nicht mehr, und freiwillig nimmt das Angebot kaum jemand wahr.

Am schönsten zeigt die 2005 revidierte Fassung des chinesischen Frauenrechtsschutzgesetzes, dass der Staat sich nur für bestimmte Gesundheitsaspekte interessiert, nicht für andere:

Vom Staat geförderte Frauengesundheit
Voreheliche Gesundheitsuntersuchung
Schwangerschaft und Geburt
Verhütung,ausgewählte Verfahren, Abtreibung
Sterilisation

Nicht geförderte Frauengesundheit
Psychische Gesundheit (Arbeitsverlust, sexuelle Gewalt, Vergewaltigungsfolgen)
Umweltschäden
Altersprobleme - Frauen jenseits des gebärfähigen Alters


Das Pech der einen...

Frauengesundheit in China? Frau hat halt Pech gehabt, wenn sie in einer der privaten, ungesicherten Fabriken einen Arbeitsunfall hat und der Arbeitgeber lieber Pleite macht, als die Behandlungskosten zu zahlen und eine lebenslange Rente; Pech gehabt, wenn sie einen Verkehrsunfall hat und nicht Netzwerke, Öffentlichkeit, Status, Verwandte genug, um die verantwortliche Seite zur Zahlung zu zwingen; Pech gehabt, wenn es ihr akut schlecht geht - z. B. mit dem Blinddarm -, sie aber kein Geld hat, um die Aufnahmegebühr fürs Krankenhaus zu zahlen, und auch niemanden, der das für sie tut; Pech gehabt, wenn sie HIV-positiv ist, aber die teuren internationalen Hilfsprogramme nicht in ihr Dorf reichen und sie sich den Medikamentencocktail nicht leisten kann.


Der Luxus der anderen...

Andererseits lassen sich die wohlhabenden städtischen Einzelkind-Töchter mit 15 die erste Schönheitsoperation bezahlen, und spätestens wenn sie die Universität abschließen, haben sie keine Augenfalte mehr, eine hübsche Nase, die Brustgröße, die gerade in Mode ist. China hat Fünfsterne-Kliniken mit internationalem Standard, weltbekannte ÄrztInnen und schicke Drogenentzugs-Institute: für wenige, aber es sind bei 1,3 Milliarden Gesamtbevölkerung trotzdem viele und es ist ein boomender Markt.

Die chinesische Regierung lobt sich für den Import des Konzepts der "reproduktiven Rechte" nach China. Soviel Selbstbestimmtheit nutzt aber der Dorffrau mit der krebskranken Tochter nichts, die alles Verkäufliche zu Geld gemacht hat, jeden Bekannten und Verwandten angepumpt hat und trotzdem die anstehenden Bestrahlungen nicht mehr bezahlen kann. Ihre Tochter wird sterben; die Beerdigung wird sehr klein sein, weil kein Geld mehr im Haus ist. Die Frau wird auch ihren Mann in die Kohlengruben schicken, wo der Sohn, dem sie die Schule nicht mehr bezahlen konnte, schon seit Monaten schuftet. Das Land ist verpachtet, das Haus verkauft, die Familie zerstreut, der Grabhügel schon fast zwischen anderen verschwunden. Vielleicht versucht sie selbst es als Haushaltshilfe. Wenn sie bei AusländerInnen unterkommt, werden die ihr vielleicht helfen, Sohn und Mann in die Stadt zu holen. Von der Tochter werden sie nichts wissen, und auch nicht von den Schulden, die sie abarbeitet.


Lese- und Webtipps:

Lipinsky, Astrid: Düstere Aussichten. Wie Chinas Kontrollsucht den Kindern mehr schadet als nutzt. In: Bielefeldt, Heiner; Deile, Volkmar; Hamm, Brigitte; Hutter, Franz-Josef; Kurtenbach, Sabine; Tretter, Hannes (Hrsg.): Kinder und Jugendliche. Jahrbuch für Menschenrechte S. 189-200 (Duisburg 2010)
Schönheitsideale und ideale Schönheit. Online 24-06-2008:
www.univie.ac.at/revisited/wordpress/?p=40
www.china-guide.de/china/China-A-Z/gesundheitswesen.html
China fördert Gesundheit von Frauen. Online 21-07-2008:
http://gesundheitsnews.imedo.de/news/10788-china-will-gesundheit-von-frauen-fordern
Weltgesundheitsorganisation (WHO), Länderbericht China:
www.who.int/countries/chn/en/


Zur Autorin:

Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien mit den Schwerpunkten Gender und Recht. Sie lebt in Wien.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 111, 1/2010, S. 16-17
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2010