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ARTIKEL/1076: Überlegungen zur Sicherung eines gerechten Gesundheitszugangs (medico international)


medico international - rundschreiben 03/09

Globaler Solidarausgleich

medico-Debatte: Überlegungen zur Sicherung eines gerechten Gesundheitszugangs

Von Katja Maurer


Nicht erst der Finanzcrash hat das Versprechen, privatisierte Gesundheitsdienste könnten die Gesundheitskatastrophe in den Armutsregionen lösen, ad absurdum geführt. In der Krise aber konnte man das mit klaren Worten aussprechen, so die WHO-Direktorin Margaret Chan Anfang 2009 in Istanbul: "Der Markt kann soziale Probleme nicht lösen. Öffentliche Gesundheit kann das aber sehr wohl." Weil heute immer mehr Menschen privat für ihre Gesundheit aufkommen müssen, würden jährlich 100 Millionen unter die Armutsgrenze fallen.

"Etwas ist furchtbar schiefgegangen", erklärte Chan. Und belässt es bei Andeutungen, was gemeint ist. Die Tatsache nämlich, dass Institutionen wie Weltbank und WHO bewusst auf eine Strategie der Privatisierung von Gesundheitsdiensten gesetzt haben. Diese Strategie ist gescheitert, so die britische Hilfsorganisation Oxfam: Das Wachstum des privaten Sektors in armen Ländern gehe direkt auf Kosten des öffentlichen Gesundheitswesens und untergrabe dessen "Kapazitäten, die Ärmsten zu versorgen".

Ähnlich hart die Kritik an den ambivalenten Wirkungen privater Initiativen wie der Gates-Stiftung. 3 Milliarden Dollar gibt sie jährlich für Gesundheitsprojekte, Forschung und Lobby-Aktivitäten aus. 40 Prozent gingen an internationale Organisationen, von der übrigen Summe 80 Prozent an US-amerikanische Einrichtungen, so eine Studie des britischen Medizinjournals "Lancet". Mit ihrem Etat kann die Stiftung maßgeblich Einfluss auf die Weltgesundheitspolitik nehmen. Als private Stiftung aber ist sie niemand rechenschaftspflichtig. Die Stiftung, heißt es, werde "geleitet von den Interessen und Leidenschaften der Gates-Familie". Ein "skurriles Regierungsprinzip", meint der "Lancet". Moderne Weltgesundheitspolitik im Zeichen re-feudalisierter Verhältnisse?

Klar ist, dass enorme finanzielle Anstrengungen nötig sein werden, um allen Menschen den verbrieften Zugang zu Gesundheit zu ermöglichen. Angesichts des Scheiterns der bisherigen Finanzierungsmodelle ist zunächst eine radikale Wende im konzeptionellen Denken erforderlich. Hier setzen die medico-Überlegungen an: Ohne eine Ausweitung der Prinzipien solidarischer Gesundheitsfinanzierung auf die globale Ebene wird der weltweiten Gesundheitskatastrophe nicht zu begegnen sein.

Im Mai 2009 stellte medico auf einem Treffen von Gesundheitsaktivisten aus aller Welt seine Ideen in Genf vor. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Frage, wie öffentliche Gesundheitsversorgung nachhaltig gesichert bzw. auf- und ausgebaut werden kann. Über dieses Ziel herrscht meist Konsens, selbst Akteure wie die Gates-Stiftung führen es im Munde. Unsicher wird es erst dann, wenn es um die Finanzierung solcher Versorgungsstrukturen geht.

Abhilfe, so unsere Idee, könnte das schaffen, was wir im Arbeitstitel "Weltgesundheitsvertrag" genannt haben. Dabei geht es um die Einrichtung eines globalen Finanzierungsmechanismus, der vom Prinzip der gemeinsamen Risikoteilung geleitet wird und reichere Länder dazu verpflichtet, anteilmäßig auch für die Gesundheitsbedürfnisse der ärmeren aufzukommen. "Grundlegend", so die erste Skizze, "sind jene Prinzipien einer solidarischen Finanzierung von Gesundheitssystemen, die auch in vielen nationalen Gesundheitssystemen in unterschiedlicher Form und Umfang realisiert sind." Angesichts des erreichten Globalisierungsgrades werden auch die nationalen Versorgungssysteme nur über ihre Internationalisierung gesichert werden können. Frei nach Albert Einstein, dass man Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen kann, die sie geschaffen haben, geht es darum, das Recht auf Gesundheit um die Pflicht zu erweitern, dafür in Form von gesundheitlicher Infrastruktur geradezustehen - und zwar nachhaltig. Mit den Millennium Development Goals und all den globalen Funds, die allesamt auf Freiwilligkeit und Goodwill beruhen , wird das nicht gelingen

In der Arbeitsgruppe, in der medico seine Überlegungen zur Diskussion stellte, gab es einhellige Zustimmung. Zugleich aber äußerten die Kollegen aus Afrika auch Skepsis angesichts der Idee eines weiteren internationalen Gebildes - nach all den von außen kommenden und vertikal implementierten Gesundheitsprogrammen völlig zu Recht. Und so drehte sich die weitere Debatte konsequent darum, wie ein solches Finanzierungsinstrument demokratisch verwaltet werden kann und Beteiligung auf lokaler Ebene sichert. Und "Ownership", wie es im Entwicklungsjargon gelegentlich heißt, ist nicht nur möglich, sondern essentiell.

Das gilt schon für die Durchsetzung eines solchen "Weltgesundheitsvertrages". Ohne eine breite Bewegung von unten wird es kaum möglich sein, dem herrschenden Trend der Privatisierung das öffentliche Gut einer allgemeinen Gesundheitsfinanzierung abzuringen. Die Debatte geht weiter. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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Quelle:
medico international - rundschreiben 03/09, Seite 34-35
Herausgeber: medico international, Burgstraße 106
60389 Frankfurt am Main
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2009

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