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ARTIKEL/1139: Zukunftsvision "Mezzanine-Markt" in der Krankenversicherung (Diabetes Journal)


Diabetes-Journal 6/2010 - aktiv gesund leben

Zukunftsvision "Mezzanine-Markt" in der Krankenversicherung
"Aufzahlung wird versicherbar"

Von Angela Monecke


Wir schreiben das Jahr 2012. Ein Diabetiker braucht ein Arzneimittel, von dem es auch ein billigeres Konkurrenz-Präparat gibt. Will er das teurere, muss er satte 2000 Euro draufzahlen. Schwarzmalerei? Es wird so kommen, sagen Experten. Die Alternative heißt "Mezzanine-Markt".

Mezzanine bedeutet wörtlich "Zwischengeschoss". Für die Krankenversicherung beschreibt dieser Begriff einen neuen Ansatz auf dem Gesundheitsmarkt.

Szene-Kenner gehen davon aus, dass aufgrund von Kosten-Nutzen-Bewertungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), wie sie die Politik derzeit forciert (siehe Ausgabe 5/2010), künftig Höchstbeträge für besonders kostenintensive Arzneimittel festgesetzt werden, auch wenn sie einen Mehrnutzen haben (siehe Kasten). Die Folge für den Patienten: Diese Medikamente werden dann nicht mehr vollständig von seiner Basiskrankenversicherung finanziert.

Durch Kosten-Nutzen-Bewertungen werden künftig Höchstbeträge für Arzneimittel festgelegt.

Zu diesem brandheißen Thema haben der Rechtsanwalt und Mediziner Prof. Dr. Dr. Christian Dierks aus Berlin, Prof. Dr. Stefan Felder und Prof. Dr. Jürgen Wasem (beide Essen) ein Gutachten erstellt pünktlich zum Hauptstadtforum Gesundheitspolitik, das im Mai stattfand. Die Studie widmet sich der Frage, wie diese Märkte für die gesetzliche Krankenversicherung über Satzungsleistungen, Wahltarife und Zusatzversicherungen erschlossen werden können.

Es geht um Arzneimittel mit Mehrnutzen!

"Nach unserem Konzept", so Dierks, "setzt sich der Mezzanine-Markt aus Produkten und Leistungen zusammen, bei denen zwar ein Mehrnutzen gegenüber den bereits vorhandenen Produkten oder Leistungen nachgewiesen ist, die Kosten-Nutzen-Bewertung jedoch ergeben hat, dass die Gesetzliche Krankenversicherung für die Kosten nur bis zu einem von den Krankenkassen festgesetzten Höchstbetrag aufkommt." Dadurch unterscheidet sich der Mezzanine-Markt vom "zweiten Gesundheitsmarkt": Sie kennen ihn schon von den Kassen, die heute über ihre Regelleistungen hinaus bestimmte Zusatzversicherungen wie für Zahnersatz oder Krankenhausversorgung anbieten. Dabei geht es aber nicht um den Zusatznutzen von einzelnen Arzneimitteln oder Therapien.

Spielen wir das eingangs erwähnte Beispiel mit dem Diabetiker durch:

Wir nehmen an, dass im Jahr 2012 ein neues Diabetesmedikament X auf den Markt kommt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erteilt dem IQWiG den Auftrag, eine Kosten-Nutzen-Bewertung für das Arzneimittel vorzunehmen. Das Institut kommt nun zu dem Ergebnis, dass nicht der Preis von 5000 Euro, den der Hersteller verlangt, als wirtschaftlich anzusehen ist, sondern lediglich 3000 Euro. Der Spitzenverband der Krankenkassen beschließt daraufhin einen Höchstbetrag von 3000 Euro für das Präparat. Senkt der Hersteller jetzt den Abgabepreis entsprechend, entsteht für den Diabetiker keine "Aufzahlungspflicht". Das heißt: Die besagten 2000 Euro wären vom Tisch.

Wahrscheinlich werden Zusatzversicherungen für Diabetiker sehr teuer.

Man wird laut Dierks aber wohl davon ausgehen müssen, dass dem nicht so sein wird: Denn die Verflechtungen der internationalen Referenzpreisbildung für die Pharmaunternehmen machen es zunehmend schwieriger, diese Anpassung vorzunehmen - die Aufzahlung von 2000 Euro bleibt. "Das können viele Versicherte nicht mehr bezahlen, sodass hier das Bedürfnis nach einer Versicherungslösung entsteht." Hier könnte man sich künftig im Mezzanine-Markt versichern.

Was ist ein "Mezzanine-Markt"?

Der "Mezzanine-Markt" in der Krankenversicherung ist ein neuer Ansatz, der in einem aktuellen Gutachten von Prof. Dr. Dr. Christian Dierks aus Berlin und zwei weiteren Gesundheitsexperten im Mai vorgelegt wurde. Sie gehen davon aus, dass künftig durch Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln Höchstbeträge festgelegt werden. Die Differenz zum Arzneimittelabgabepreis muss der Versicherte dann als Aufzahlung tragen. Das können mehrere Tausend Euro sein. Der Mezzanine-Markt will diese Lücke durch Satzungsleistungen, Wahltarife und Zusatzversicherungen für Arzneimittel mit Mehrnutzen schließen, für deren Kosten die Gesetzliche Krankenversicherung nur bis zu einem festgesetzten Höchstbetrag aufkommt.

Achtung! Höchstbeträge sind nicht mit Festbeträgen für Arzneimittel zu verwechseln, die für Medikamente mit gleichem Nutzen festgesetzt werden (siehe Lipidsenker/Statine).

Das Gutachten "Mezzanine-Märkte" ist im Internet einsehbar unter www.mezzanine-maerkte.de.

Zusatzversichern: Zu teuer für Diabetiker?

"Man"? Diabetiker also auch? Schon heute können sie sich kaum privat zusatzversichern, weil die Prämien für chronisch Kranke entweder astronomisch hoch sind oder sie von den privaten Krankenversicherungen erst gar nicht genommen werden. "Wahrscheinlich werden Zusatzversicherungen für einen Diabetiker entweder sehr teuer oder sie können von einem Versicherer nicht auskömmlich kalkuliert werden, sodass sie gar nicht in ein Angebot strukturiert werden", befürchtet der Jurist.

Wahltarife und Satzungsleistungen könnten aber durch Rabattverträge mit den Herstellern refinanziert werden, sodass es auf das persönliche Risiko des Patienten nicht ankomme. "Genau darin liegt der Charme dieses neuen Marktes", findet er.

Diese Verträge wurden zum Beispiel schon vor mehreren Jahren für die kurzwirksamen Analoginsuline bei Typ-2-Diabetes geschlossen (wir berichteten). Das heißt: Gibt es einen Rabattvertrag zwischen Ihrer Kasse und dem betreffenden Hersteller, bekommen Sie das Medikament weiterhin erstattet.

Bewertungen: "Fortschrittshemmendes Verfahren"!

Ein Dorn im Auge sind Dierks vor allem die Kosten-Nutzen-Bewertungen für innovative Arzneimittel. Es sei zu befürchten, dass sie überwiegend dort negativ ausfallen, wo in den letzten Jahren "weniger pharmakologische Fortschritte erzielt wurden", kritisiert Dierks. "Das Verfahren ist also gerade hier besonders fortschrittshemmend".

Im Abschlussbericht des IQWiG zur Nutzenbewertung der Blutzuckerselbstmessung bei Typ-2-Diabetes ohne Insulin, den das Institut im Dezember vorgelegt hat, wurden erstmals die Kosten im vollen Umfang berechnet (wir berichteten; siehe Aktuell). Das Ergebnis ist ernüchternd: Im aktuellen Beschlussvorschlag des G-BA empfiehlt das Gremium, Harn- und Blutzuckerteststreifen für Typ-2-Diabetiker, die kein Insulin spritzen, von der Verordnung auszuschließen. Das betrifft fast 5 Mio. Patienten. Wie steht der Berliner Anwalt dazu?

"Das IQWiG ist in der Durchführung seiner Nutzenbewertungen auf den ersten Blick konsequent und wendet die Regeln der evidenzbasierten Medizin sehr streng an", findet Dierks. "Weniger evidenzbasiert und weniger konsequent ist aber die Festlegung der Ein- und Ausschlusskriterien, sodass manche Studie, die einen Nutzennachweis liefert, gar nicht erst in die Nutzenbewertung einfließt", ergänzt er. "Auch werden neue Verfahren erfunden, die Nutzennachweise ins Negative adjustieren." Übernimmt der Gemeinsame Bundesausschuss das Ergebnis dieser Nutzenbewertung, wirke das System von außen plausibel. "Der logische Bruch liegt aber oft im Ansatz der Bewertung und der Korrektur der Ergebnisse", ist er sich sicher.

Zurück zum Mezzanine-Markt: Die Einrichtung dieses neuen Ansatzes in der Krankenversicherung erfordere "nur minimale Änderungen an drei Stellen des Sozialgesetzbuches, die wir im Wortlaut vorgeschlagen haben". Das Gutachten, 84 Seiten stark, haben seine Macher als Buch vorgelegt. Die Mitglieder des Bundestages könnten sich jetzt mit diesem Vorschlag beschäftigen, so Dierks.

Entlastung oder Kostenlast?

"Bei richtiger Prüfung werden sie zu dem Ergebnis kommen, dass dem Versicherten zusätzliche Möglichkeiten eingeräumt werden und nicht, wie von manchen vorschnell geäußert, eine zusätzliche Kostenlast entsteht", verteidigt er seinen neuen Ansatz. Die Verpflichtung zur Aufzahlung sei jetzt schon im Gesetz festgeschrieben. "Die Verankerung des Mezzanine-Marktes führt zu einer Entlastung des Patienten, weil die Aufzahlung versicherbar wird."

Bei der Vereinbarung von Satzungsleistungen wie bei den Rabattverträgen sei dies für den Patienten sogar kostenlos. Gemeinsam mit den anderen Autoren des Entwurfs hofft er auf eine intensive Diskussion. Wir halten Sie auf dem Laufenden!

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Den "zweiten Gesundheitsmarkt" gibt heute schon. Der Mezzanine-Markt ist ein neuer Ansatz, bei dem es um den Mehrnutzen von Präparaten geht.

Prof. Dr. Dr. Christian Dierks hat ein Gutachten zum Mezzanine-Markt vorgelegt. Der Markt soll hohe Aufzahlungen bei Arzneimitteln und Therapien finanziell abfedern.

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Quelle:
Diabetes-Journal 6/2010, Seite 48 - 50
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010

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