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ARTIKEL/108: 1. Süddeutscher Zeckenkongress - "Zecke ist das gefährlichste Tier Deutschlands" (idw)


Universität Hohenheim - 21.03.2012

1. Süddeutscher Zeckenkongress

"Zecke ist das gefährlichste Tier Deutschlands"


Kein anderes Tier in Deutschland verursache jährlich so viele Erkrankungen wie die Zecke, so das Resümee der Pressekonferenz zum 1. Süddeutschen Zeckenkongress an der Universität Hohenheim. Lyme Borreliose und die gefährliche Hirnhautentzündung FSME seien nur zwei bekannte Krankheiten der winzigen Blutsauger. Der wirksamste Schutz gegen FSME bleibt die Impfung, so die Ansicht aller Teilnehmer. In Österreich konnte die Zahl der FSME-Erkrankungen so um 90 Prozent gedrückt werden. In Deutschland entwickelt sich Baden-Württemberg zur Hochburg dieser Erkrankung. Das Sozialministerium empfiehlt deshalb flächendeckend die Impfung ab dem 1. Geburtstag. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse.

Mehr Infos zum 1. Süddeutschen Zeckenkongress vom 21. bis 22. März 2012 unter
https://zeckenkongress.uni-hohenheim.de

Beim Schutz der Bevölkerung vor FSME ist Österreich europaweiter Vorreiter: 86 % der Einwohner hätten inzwischen zumindest eine Impfung erhalten. Daraufhin sei die Zahl der FSME-Erkrankungen von 700 auf 50 bis 100 pro Jahr gesunken.
Rund um die Alpenrepublik sei die Entwicklung weniger positiv, so Prof. Dr. Jochen Süss vom Friedrich-Loeffler-Institut in Jena. "Im 10 Jahres-Vergleich hat die Zahl der Erkrankungsfälle in Deutschland, Polen, Tschechien und Skandinavien signifikant zugenommen", so Prof. Dr. Süss. Heute gäbe es Zecken mit FSME-Erregern in 27 europäischen Ländern, leider haben wir nur aus 19 Ländern verlässliche Daten. Und die Ausbreitung nähme zu: "In den vergangenen drei Jahren entstanden neue Risikogebiete in Österreich, Deutschland, der Slowakei, Estland, Finnland, Schweden, Russland und der Schweiz, bzw. wurden diese dort entdeckt."

Flächendeckende Impfempfehlung in Baden-Württemberg

In Deutschland führt das Land Baden-Württemberg die Krankheits-Statistik an, dicht gefolgt von Bayern. Doch auch in sogenannten Nicht-Risiko-Gebieten träten inzwischen 5 Prozent aller Krankheitsfälle auf. Bundesweit gälten 137 von 440 Stadt- und Landkreisen als Risikokreise. 2011 sei die Zahl der FSME-Erkrankungen auf bislang 423 gemeldete Fälle gestiegen. Im Vorjahr seien es noch 256 gemeldete Fälle gewesen. Jede zweite Erkrankung sei in Baden-Württemberg gemeldet worden.
Im Ländle gälte deshalb flächendeckend die Impfempfehlung ab dem 1. Lebensjahr, so Dr. Christiane Wagner-Wiening vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Dadurch würden die Kosten auch von der Krankenkasse übernommen.

Schwieriger sei die Strategie bei der Bekämpfung der Borreliose, der häufigsten durch Zecken übertragenen Krankheit. Für diese Krankheit gäbe es keinen Impfstoff aber eine antibiotische Behandlung. Eine nach Infektionschutzgesetz bestehende Meldepflicht für die Borreliose-Erkrankung Lyme Borreliose gibt es derzeit nur in einem Teil der Bundesländer.

"Wir gehen heute jedoch von einer deutschlandweiten Infektionsgefahr aus", so Dr. Wagner-Wiening. Zu einer Verbesserung der Datenlage zur epidemiologischen Situation der Lyme-Borreliose in Deutschland könnte nur, aufgrund der Vergleichbarkeit der Daten eine bundesweite Meldepflicht führen. Das Land Baden-Württemberg setze sich deshalb für eine bundesweite Meldepflicht für Borreliose ein.

Neue Langzeitstudien: Erkrankung bis zur Berufsunfähigkeit

Impfen auch bei Auslandsreisen oder Ausflüge in Risikogebiete - so lautete auch das einheitliche Credo des anwesenden Neurologen, Kinderarztes und Virologen. Dabei berufen sie sich auch auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Institutes.

"In Risikogebieten sind etwa 2 Prozent der Zecken mit FSME befallen. Jede Dritte Infektion führt beim Menschen zur Erkrankung. Praktisch bedeutet das, dass jeder 50ste bis 100ste Zeckenbiss zur Erkrankung führt", erläuterte Prof. Dr. Reinhard Kaiser, Chefarzt der Neurologie-Klinik in Pforzheim.

Von den erwachsenen Patienten erlebe jeder zweite einen schweren Krankheitsverlauf: erhebliche Kopfschmerzen, hohes Fieber, Bewusstseinsstörungen, Gleichgewichtsstörungen und Lähmungen von Armen und Beinen.

Schwere Verläufe einer FSME hinterließen in mehr als der Hälfte der Betroffenen Dauerschäden mit nachfolgender Berufsunfähigkeit. "Neue Studien haben gezeigt, dass drei Jahre nach der akuten Erkrankung kaum noch mit einer Besserung der Beschwerden zu rechnen ist", berichtete der Neurologe.

Schwere Krankheits-Verläufe bereits im Kindesalter

Bei Kindern verlaufe die FSME-Krankheit meist milder, als bei Erwachsenen. Doch auch im Kindesalter träten bereits schwere Krankheitsverläufe auf: "Dazu gehören Lähmungen, Koma, Krampfanfälle, Defektheilungen und vereinzelt auch Todesfälle", erklärte Prof. Dr. Ulrich Heininger, vom Universitäts-Kinderspital beider Basel.

Im stark betroffenen Baden-Württemberg seien im Schnitt jedoch nur 30 bis 40 Prozent der Erstklässler geimpft, ergänzte Frau Dr. Wagner-Wiening vom Landesgesundheitsamt. Im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb stiegen die Impfzahlen auf maximal 60 Prozent. Unter den Erwachsenen sei nur jeder vierte gegen FSME immun.

"Tatsächlich haben die Impfstoffe fast 100 Prozent Wirkung", bestätigt Prof. Dr. Heininger. Komplikationen seien extrem selten: "Etwa 1,5 Fälle bei einer Million Impfungen", berichtet Prof. Dr. Kaiser. "Das ist sechsmal seltener als bei Tetanus."

Fuchs, Reh und Wildschwein als natürliche Alarmanlagen

Neue Wege, Risikogebiete schneller und einfacher zu erkennen, stellte Prof. Dr. Ute Mackenstedt vor. Die Parasitologin der Universität Hohenheim forscht seit Jahren zur Biologie der Zecke und ist Organisatorin des 1. Süddeutschen Zeckenkongress.

Eine Möglichkeit sei, Füchse und andere Wildtiere auf FSME-Erkrankungen zu untersuchen. "Im Naturzyklus der Zecken dienen Wildtiere als sogenannte Reservoir-Wirte" erläuterte Prof. Dr. Mackenstedt. Risikogebiete ließen sich leichter identifizieren, wenn erlegte Wildtiere konsequent auf Antikörper gegen FSME untersucht würden - "ein Verfahren, das wesentlich weniger aufwändig und viel erfolgreicher ist, als die FSME-Viren in der Zecke selbst nachzuweisen."

Daneben arbeitet die Zecken-Expertin mit weiteren Fachkollegen der Universität Hohenheim an mehreren Verfahren zur biologischen Zeckenbekämpfung. "Dazu setzen wir natürliche Feinde der Zecken in Deutschland ein: Würmer, Pilze oder Schlupfwespen, die die Tiere von Innen heraus zersetzen."

Im Labor hätten sich die Versuche als wirkungsvoll, aber aufwändig erwiesen. Seit einiger Zeit liefen weitere Untersuchungen in Freiland-Parzellen.


1. Süddeutscher Zeckenkongress und Bürgerveranstaltung

Der 1. Süddeutsche Zeckenkongress bildet den Auftakt einer periodischen Tagungsreihe im Süddeutschen Raum. Er umfasst eine ärztliche Weiterbildung und eine breit gefächerte Fachtagung, an der Mediziner, Veterinäre, Biologen, Klimatologen und Vertreter von Politik und Ämtern den Bogen von Prävention über Therapie bis zur Zeckenbekämpfung spannen. Ergänzt wird der 1. Süddeutsche Zeckenkongress durch eine Bürgerveranstaltung mit öffentlicher Ausstellung, Vorträgen und Fragestunden. Insgesamt nehmen über 160 Wissenschaftler an den Veranstaltungen teil. Organisatorin des 1. Süddeutschen Zeckenkongress ist Prof. Dr. Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim. S. auch
https://zeckenkongress.uni-hohenheim.de

Links:
1. Süddt. Zeckenkongress:
http://zeckenkongress.uni-hohenheim.de/

Text: Klebs

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution234

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 21.03.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2012

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