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INFEKTION/1883: Häufig übersehen - Invasive Pilzinfektionen (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2021

Häufig übersehen: Invasive Pilzinfektionen

von Uwe Groenewold


INVASIVE MYKOSEN. Sie sind selten, aber gefährlich: Invasive Pilzinfektionen. Atemwege und Verletzungen können Eintrittspforten sein. Für die Diagnose ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit hilfreich. Unklare Datenlage zur Verbreitung.


Invasive Pilzinfektionen sind eine oft unterschätzte Gefahr für hospitalisierte und immunsupprimierte Patienten. Die Diagnose ist eine klinische Herausforderung und erfordert eine interdisziplinäre Kooperation. Dabei müssen unter anderem klinische, radiologische und mikrobiologische Befunde berücksichtigt werden, wie Dr. Marina Rogacev vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck, im Interview erklärt (siehe unten). Einer Untersuchung des in Jena angesiedelten Nationalen Referenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen (NRZMyk) zufolge werden nur rund 50 Prozent der invasiven Mykosen zu Lebzeiten des Patienten diagnostiziert; die Infektionen zählen zu den am häufigsten übersehenen Todesursachen bei Intensivpatienten (DOI: 10.3238/arztebl.2019.0271).

Invasive Pilzinfektionen, etwa durch Hefe- oder Schimmelpilze hervorgerufen, sind im Vergleich zu Mykosen der Haut oder der Schleimhäute selten, aber ungleich gefährlicher. Eintrittspforte für Pilze sind die Atemwege, verletzte Haut oder Schleimhäute. Wie weit verbreitet invasive Mykosen sind, ist unklar; das Nationale Referenzzentrum bezieht sich auf eine Untersuchung aus Frankreich und kommt auf eine Gesamtinzidenz von 5,9 pro 100.000 Fälle und Jahr. Inzidenz und Sterblichkeit haben sich demzufolge während des Beobachtungszeitraums von 2001 bis 2010 erhöht.

Dies gilt auch für Anzahl und Heterogenität der Risikopatienten. Beispielsweise habe sich in Europa die Zahl der Stammzelltransplantationen zwischen 2000 und 2016 nahezu verdoppelt. Gleichzeitig wurden neue Risikokohorten identifiziert, etwa hospitalisierte Patienten mit schwerer Influenza oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, so das Referenzzentrum. Gefährdet sind insbesondere Patienten, deren Immunabwehr erheblich geschwächt ist, etwa durch Immunsuppressiva nach Organtransplantation, angeborene Immundefekte, eine anhaltende Therapie mit Prednison, eine HIV-Infektion, bei schweren Verletzungen sowie bei Erkrankungen, die eine intensivmedizinische Behandlung erfordern. Auch fortgeschrittene Diabeteserkrankungen können das Risiko für eine invasive Mykose erhöhen.

Die Therapie stützt sich insbesondere auf drei antimykotische Substanzklassen: Polyene, Azole und Echinocandine. Die Behandlungsschemata richten sich nach Grunderkrankung und Organbeteiligung, bei der Auswahl helfen mehrere Leitlinien. Eine antimykotische Prophylaxe ist für hämatologische und onkologische Patienten empfehlenswert, sinnvoll kann sie für Patienten mit komplexen abdominellen Eingriffen, für intensivpflichtige Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren sowie für Patienten nach Lungentransplantation sein. Allerdings ist die Datenlage hierfür derzeit nicht eindeutig. Problematisch sei, so das Referenzzentrum, dass in den vergangenen Jahren weltweit vermehrt resistente Erreger nachgewiesen worden sind, in Deutschland allerdings sei die Resistenzlage derzeit noch unproblematisch. Konkrete Resistenzraten konnten bislang auch hier aufgrund fehlender Daten nicht ermittelt werden.

Das vom Robert Koch-Institut (RKI) und dem Bundesministerium für Gesundheit geförderte Nationale Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen ist Ansprechpartner bei Fragen zur Diagnostik und Therapie invasiver Mykosen. Kontakt und weitere Infos auf der Website des Zentrums unter:
www.nrz-myk.de

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"Letalität einzelner Infektionen liegt trotz Therapie bei bis zu 50 Prozent"

Interview mit Dr. Marina Rogacev, Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH)


Wie lassen sich die wesentlichen invasiven Mykosen kurz charakterisieren?

Dr. Marina Rogacev: Generell unterscheidet man bei invasiven Pilzinfektionen zwischen Infektionen durch Hefepilze (Candida) und Schimmelpilze (zum Beispiel Aspergillen, Mucorales). Während erstere vor allem bei nosokomialen Blutstrominfektionen relevant sind und im Rahmen der Blutkulturdiagnostik diagnostiziert werden, treten letztere meist bei Patienten mit zellulären Immundefekten auf und betreffen häufig die Lunge, aber auch andere Organe. Schimmelpilze sind die problematischeren Erreger im Hinblick auf die frühzeitige und korrekte Diagnosestellung.


Laut Nationalem Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen wird lediglich jede zweite invasive Mykose zu Lebzeiten entdeckt. Was macht die Diagnostik so schwer?

Rogacev: Die Diagnose fußt auf klinischen, radiologischen, mikrobiologischen und histopathologischen Befunden und erfordert häufig eine interdisziplinäre Kooperation; Voraussetzung für eine Diagnostik ist ein klinischer Verdacht, auf den eine entsprechende Fragestellung ans Labor folgt.

• Die mikrobiologische Diagnostik auf Pilze erfolgt nur auf spezielle Anforderung und erfordert besondere Kulturbedingungen, zum Beispiel spezielle Nährmedien und eine verlängerte Bebrütungsdauer.

• Manche Pilze lassen sich schlecht kulturell anzüchten oder wachsen sehr langsam, sodass die mikrobiologische Diagnose für den Patienten bei klinisch akuten Verläufen zu spät kommt.

• Besonders bei bereits unter antimykotischer Therapie stehenden Patienten ist die molekulare Pilzdiagnostik sensitiver als die Kultur, allerdings bisher meist Speziallaboren vorbehalten.

• Die korrekte Identifizierung insbesondere bei seltenen Schimmelpilzen ist wichtig, da sich anhand der Spezies häufig bereits Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Antimykotika ziehen lassen. Viele Spezies besitzen intrinsische Resistenzen gegen bestimmte Substanzklassen.


Eine frühzeitige Diagnose vorausgesetzt: Wie erfolgreich ist die Therapie mit Antimykotika angesichts der von Ihnen angesprochenen zunehmenden Resistenzen?

Rogacev: Invasive Aspergillosen und Candidämien sind lebensbedrohliche Erkrankungen, die Letalität liegt trotz Therapie bei bis zu 50 Prozent, bei anderen invasiven Schimmelpilzinfektionen teils noch höher. Der Therapieerfolg hängt meist nicht primär von der Resistenz des Erregers ab, sondern auch davon, wie schnell zum Beispiel eine Immunrekonstitution, eine erfolgreiche Therapie der Grunderkrankung oder eine (operative) Fokussanierung erreicht werden können.

Generell spielt die Resistenzentwicklung bei Pilzen bisher eine deutlich geringere Rolle als bei Bakterien. Zwar wurden in den letzten Jahren multiresistente Erreger wie Candida auris im Zusammenhang mit nosokomialen Infektionen beschrieben, diese sind aber in Deutschland bisher selten. Die in einigen Regionen beschriebene zunehmende Azol-Resistenz von Aspergillen ist in Schleswig-Holstein bisher ebenfalls nicht verbreitet. Dennoch bleiben die Resistenztestung und regelmäßige statistische Auswertung der Daten wichtig, um eine Ausbreitung von Resistenzen nicht zu verpassen.


Sind auch bei COVID-19-Patienten invasive Mykosen nachgewiesen und behandelt worden?

Rogacev: Wie Influenza erhöht auch COVID-19 das Risiko für mykotische Superinfektionen. Vor allem bei COVID-19-Patienten, die eine invasive Beatmung benötigen, besteht durch längere Aufenthalte auf der Intensivstation, zentrale Venenkatheter, sowie Therapien mit Breitspektrum-Antibiotika und antiinflammatorischen Medikamenten ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Candidämien. Die COVID-19-assoziierte pulmonale Aspergillose, kurz CAPA, wurde in einer prospektiven multizentrischen Studie (DOI: 10.1093/cid/ciaa1065) bei 30 von 108 Intensivpatienten unter invasiver Beatmung diagnostiziert. Die CAPA trat im Median nach vier Tagen invasiver Beatmung auf. Patienten mit CAPA hatten im Vergleich zu Patienten ohne CAPA eine deutlich erhöhte Mortalität.


Wie schätzen Sie die Versorgungssituation in Schleswig-Holstein ein?

Rogacev: Leider gibt es keine belastbaren Daten über die Häufigkeit von invasiven Mykosen in Schleswig-Holstein beziehungsweise in Deutschland. Es gibt keine Meldepflicht und kein offizielles Register. Auch aufgrund von Nachweisraten im Labor können keine Rückschlüsse auf die Erkrankungshäufigkeit gezogen werden, da Pilze einerseits häufig als Kontaminanten in Patientenproben vorkommen, andererseits aus den genannten Gründen oft unterdiagnostiziert werden. Der Anteil von Candida-Nachweisen bezogen auf alle Erregernachweise aus Blutkulturen bei hospitalisierten Patienten liegt meist im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Diagnose und Therapie von invasiven Infektionen erfordern die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche. Für die Koordination der oft komplexen und langwierigen Therapie ist die Zusammenarbeit mit Spezialisten - zum Beispiel in einem Antibiotic Stewardship Team - von Vorteil.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 6, Juni 2021
74. Jahrgang, Seite 38-39
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
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Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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