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KREBS/806: Fatigue - "Manchmal schlafe ich sogar auf einer Parkbank ein" (DKH)


Magazin der Deutschen Krebshilfe, Ausgabe Nr. 3/2009

"Manchmal schlafe ich sogar auf einer Parkbank ein"

Viele Krebs-Patienten leiden unter extremer Müdigkeit


Bonn (jt) - Den ganzen Tag müde zu sein, obwohl man zehn Stunden geschlafen hat. Nicht arbeiten zu können, weil man sich nicht mehr richtig konzentrieren kann. Viele Krebs-Patienten kennen diese Situation: Sie leiden unter extremer Erschöpfung, haben Schwierigkeiten, die einfachsten Dinge zu erledigen, und auch ausreichend Schlaf schafft keine Linderung. Diese Erschöpfung hat einen Namen: Fatigue. Nahezu alle Krebs-Patienten leiden während der Akutbehandlung ihrer Erkrankung unter den genannten Symptomen. Bei etwa vierzig Prozent von ihnen bleibt die Müdigkeit aber auch nach der Krebs-Therapie bestehen. Die Auslöser dieser quälenden Erschöpfung sind vielfältig.


Thomas Steffens steht mitten im Leben, als ihn die Diagnose Hodgkin Lymphom, eine bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems, trifft. Der 43-jährige hat gerade eine neue Stelle angetreten, hat jetzt mehr Verantwortung als stellvertretender Bereichsleiter. Doch plötzlich ist nichts mehr wie früher: Seine Krebskrankheit wird mit Chemotherapie behandelt und nach jedem Zyklus fühlt sich der Werbefachmann müder und erschöpfter. Bis er kaum noch Kraft hat: "Ich musste permanent schlafen und alles fing an, mich zu erdrücken. Die Bettdecke wurde so schwer, dass ich dachte, sie wiegt fünfzig Kilo", erzählt der Krebs-Patient.

Wenn Betroffene unter extremer Erschöpfung leiden, spricht man von Fatigue, was übersetzt so viel wie "Müdigkeit" oder "Mattigkeit" bedeutet. Die tumorbedingte Müdigkeit geht über das normale Maß weit hinaus; auch durch Erholungsphasen, wie Schlaf und Entspannungspausen, lässt sie sich nicht beheben. Wenngleich Wissenschaftler verschiedene Ursachen von Fatigue ermitteln konnten, sind die meisten Mechanismen, die zu diesem Syndrom führen, bisher noch ungeklärt.

"Abgeschlagenheit oder Müdigkeit können zunächst einmal durch den Tumor selbst begründet sein", erklärt Dr. Pia Heußner, Psychoonkologin am Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie arbeitet mit Fatigue-Patienten und bietet ihnen eine Gesprächstherapie an. "Die Krebserkrankung kann zu Blutarmut, Gewichtsabnahme und Stoffwechselstörungen führen", so Heußner. Dies bedingt dann eine akute Erschöpfung. Bei vielen Patienten kommt es darüber hinaus durch die Therapie der Krebserkrankung zum Fatigue-Syndrom. "Eine Chemo- oder Strahlentherapie zerstört den Tumor, greift aber auch gesunde Zellen an. Sind davon die roten Blutkörperchen betroffen, führt dies zu einer Blutarmut. Dadurch werden die Organe schlechter mit Sauerstoff versorgt, es kommt zu einer starken und anhaltenden Müdigkeit", erklärt die Psychoonkologin. Darüber hinaus führen die psychischen Folgen der Krebserkrankung, wie Angst, Depression oder Stress bei einigen Betroffenen zu einer anhaltenden Erschöpfung. Ebenso beeinträchtigen manche Medikamente, zum Beispiel bestimmte Schmerzmittel, die Aufmerksamkeit und machen müde. Mangelernährung, gehäufte Infektionen oder fehlende körperliche Bewegung gehören ebenfalls zu den Auslösern von Fatigue.

Bei einigen Betroffenen bleibt die quälende Müdigkeit nach der Krebs-Therapie bestehen. "Wir beobachten dies besonders oft bei Patienten mit Krebserkrankungen von Blut und Lymphknoten, sowie nach sehr intensiven Tumorbehandlungen, wie beispielsweise einer Stammzelltransplantation", erläutert Heußner. Auch Thomas Steffens leidet nach einer hoch dosierten Chemotherapie unter starker Müdigkeit. "Es sind nur noch Spaziergänge oder kleine Erledigungen in der Nähe meiner Wohnung möglich, so dass ich nicht zu lange draußen sein muss. Manchmal muss ich mich trotzdem währenddessen hinsetzen und schlafe dann sogar auf einer Parkbank ein", berichtet der Betroffene ein Jahr nach dem Ende seiner Tumorbehandlung. Um damit fertig zu werden, hat er jetzt mit einer Gesprächstherapie begonnen. Sein Arzt hat ihm geraten, mäßig Sport zu treiben, denn dies hilft Fatigue-Patienten. "Wir gehen davon aus, dass Bewegung die beste Therapie bei Fatigue ist. Die Betroffenen sollten sich nicht überfordern, sondern die körperliche Aktivität langsam steigern", so Heußner. Thomas Steffens hofft, dass es ihm bald wieder besser geht, dass er endlich wieder mehr Energie hat, um seinen Alltag zu bewältigen: "Ich möchte wieder arbeiten. Momentan habe ich dazu nicht die Kraft, aber immer nur zu Hause sitzen, das ist auf Dauer nichts für mich."


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Der allerwichtigste Schritt ist die Diagnose

Interview mit Frau Dr. Pia Heußner, Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Wann spricht man von akuter, wann von chronischer Fatigue?

Als akute Fatigue bezeichnet man Erschöpfungszustände, die während der Krebsbehandlung oder in der direkten Rekonvaleszenzphase auftreten. Unter chronischer Fatigue wiederum leiden geheilte Krebs-Patienten auch noch Jahre nach Abschluss ihrer Therapie.

Worunter leiden Betroffene mit Fatigue-Syndrom am meisten?

Viele Patienten können nicht verstehen, warum sie so erschöpft sind. Darüber hinaus finden sie in ihrem sozialen Umfeld oder bei ihrem Arzt häufig wenig Anerkennung für ihre Erkrankung. Betroffene leiden sehr darunter, dass ein großes Ungleichgewicht zwischen ihrer Aktivität und ihrer Müdigkeit besteht.

Was kann ein Betroffener konkret tun, um seine Symptome zu lindern?

Der allerwichtigste Schritt ist die Diagnose. Es müssen körperliche Ursachen, wie Stoffwechselstörungen oder Organschäden, ausgeschlossen werden. Nach der Diagnose ist die Aufklärung darüber entscheidend. Oft können die Betroffenen selbst nicht akzeptieren, dass auch eine chronische Erschöpfung Krankheitswert hat. Helfen kann ihnen dann das Führen eines "Fatigue-Kalenders", in den sie eintragen, wann sie erschöpft sind und zu welchen Zeiten sie mehr Energie haben. Auch Entspannungsmethoden helfen, wieder neue Kraft zu schöpfen. Im nächsten Schritt rate ich Betroffenen zu moderatem Ausdauertraining - eventuell unter sportärztlicher Anleitung. Als Sportarten eignen sich besonders Walken, Radeln, Wandern, Schwimmen. Geht das Fatigue-Syndrom auch mit kognitiven Leistungsstörungen einher, so ist Konzentrations-Training wie Sudoku, Kreuzworträtseln, Gehirnjogging hilfreich. Viele Patienten benötigen auch psychotherapeutische Unterstützung.


Die Psychoonkologin Dr. Pia Heußner bietet Fatigue-Patienten eine Gesprächstherapie an.


Zum Thema "Fatigue" gibt die Deutsche Krebshilfe eine Patienten-Broschüre sowie einen neuen Patienten-Informationsfilm auf DVD heraus, die kostenlos bestellt werden können.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Viele Krebs-Patienten sind trotz ausreichendem Schlaf chronisch müde und abgeschlagen. Dies kann sowohl körperliche als auch psychische Ursachen haben. Mäßig betriebener Sport, Entspannungsübungen oder das Gespräch mit einem Psychotherapeuten können helfen.


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Quelle:
Magazin der Deutschen Krebshilfe,
Ausgabe Nr. 3/2009, S. 4-5
Herausgeber: Deutsche Krebshilfe e.V.
Buschstraße 32, 53113 Bonn
Telefon: 0228/729 90-0, Fax: 0228/729 90-11
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Internet: www.krebshilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2009