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POLITIK/252: Rabattverträge - ein umstrittenes Instrument (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2017

Rabattverträge
Umstrittenes Instrument

von Dirk Schnack


Beim 21. Eppendorfer Dialog in Hamburg bewerteten Experten die Rabattverträge aus unterschiedlichen Perspektiven.

Seit zehn Jahren sind Apotheker in Deutschland verpflichtet, rabattierte Arzneimittel abzugeben, wenn entsprechende Vereinbarungen dafür abgeschlossen wurden. Die Folgen werden in Deutschland schon seit Inkrafttreten der Regelung unterschiedlich bewertet, wie auch der 21. Eppendorfer Dialog im Juni im Hamburger Völkerkundemuseum zeigte. Je nach Perspektive werden Einsparpotenziale, Versorgungsgesichtspunkte oder Marktentwicklungen in den Vordergrund gestellt. Für die Politik ergibt sich damit die Herausforderung, bei einer angestrebten Weiterentwicklung alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Der Kieler Abgeordnete Thomas Stritzl (CDU) aus dem Bundestagsgesundheitsausschuss will erreichen, dass Akteure mit unterschiedlichen Interessen über mögliche Anpassungen diskutieren. Er machte in Hamburg deutlich, dass er die Ausschreibungen aufgrund ihrer Kostendämpfungswirkung zwar für grundsätzlich richtig hält, aus seiner Sicht jetzt aber eine Anpassung fällig ist. "Die Zahlen zeigen, dass wir einen Zenit erreicht haben", sagte Stritzl unter Verweis auf die erfolgten Einsparungen. Laut Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen betragen die Einsparungen inzwischen rund 3,9 Milliarden Euro jährlich. Als "hohes Risiko" schätzt Stritzl ein, dass die Unternehmen aufgrund der Rahmenbedingungen ihre Produktion inzwischen weitgehend außerhalb Europas angesiedelt haben. Über die Folgen etwa für die Umwelt in Indien hatten jüngst mehrere deutsche Medien berichtet.

"Können wir bei den Ausschreibungen sicher sein, dass die Unternehmen alle Auflagen erfüllen können? Das muss diskutiert werden", forderte Stritzl in Hamburg. Er sieht zumindest ein politisches Interesse an einer Produktion in Europa. Auch sollten die Ausschreibungen aus seiner Sicht nicht dazu führen, dass Wettbewerber vom Markt verschwinden, denn in einem Oligopol wäre die angestrebte Kostendämpfung nicht mehr durchsetzbar. Welche Anpassungen konkret erfolgen müssten, um diese Risiken abzuwenden, sollte aus seiner Sicht "ohne Schaum vor dem Mund" mit den Akteuren diskutiert werden.

Die aber zogen in Hamburg unterschiedlich Bilanz. Laut Dr. Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, haben die erreichten Einsparungen - allein im AOK-System waren dies nach seinen Angaben im vergangenen Jahr 1,6 Milliarden Euro - zu einem Re-Investment in die Versorgung und zur Vermeidung von Beitragserhöhungen beigetragen. Die Einsparungen bei den Arzneimitteln kommen nach seiner Lesart also den Versicherten zugute. Hermann betonte auf der Veranstaltung, dass er die Rabattverträge nicht in erster Linie unter dem Aspekt der Kostendämpfung betrachtet, sondern als Instrument, um Spielraum für Versorgungsgestaltung zu gewinnen. Auch in puncto Versorgungssicherheit und Transparenz hätten die Rabattausschreibungen Fortschritte gebracht. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Arzneimittelversorgung, die er als intransparent empfindet, habe es in diesem Segment keine Lieferschwierigkeiten gegeben. Das Risiko einer Okklusion auf dem Anbietermarkt sieht er durch die Vertragsdauer von zwei Jahren vermieden.

Dr. Martin Zentgraf, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und Chef eines mittelständischen Hamburger Arzneimittelunternehmens, sprach dagegen von einer "Rabattschlacht" mit der Folge einer "Turboisierung des Preisverfalls bei Generika". Rapide gefallene Herstellerabgabepreise haben nach seiner Darstellung bereits zu einer deutlich erkennbaren Marktkonzentration geführt: "Im Marktsegment mit Rabattvertrag entfallen bereits knapp 50 Prozent der Absätze auf die TOP-3-Konzerne." Bei den führenden zehn Wirkstoffen betrage dieser Anteil bis zu 90 Prozent. Er sprach sich in Hamburg u. a. dafür aus, bei versorgungskritischen Wirkstoffen und bei weniger als vier Anbietern keine Rabattverträge mehr zuzulassen und bei der Vergabe mindestens einen Anbieter mit europäischer Produktionsstätte zu berücksichtigen.

Glaeske sprach in Hamburg zwar von "unübersehbaren ökonomischen Erfolgen" der Rabattverträge, gab aber zu bedenken, dass nicht jede Ausgabensenkung als Fortschritt anzusehen ist. Er verwies auf Folgen von Rabattverträgen wie etwa den möglichen häufigen Präparatewechsel, der viele Patienten verunsichert. Ein weiterer Nachteil: Ärzte werden nach seiner Beobachtung durch die Vorgaben der Rabattvereinbarungen zunehmend "preisunsensibel", weil sie den Markt nicht mehr vergleichen. "Die Preistransparenz macht aber erst Vergleiche zwischen Arzneimitteln möglich, sie wird mit den Rabattverträgen systematisch konterkariert", so Glaeske. Sein Fazit: "Bei aller Euphorie über Einsparpotenziale und neue Rabattverträge sollte kritisch gefragt werden, welchen Nutzen solche Regelungen für das System insgesamt und vor allem für die Patienten haben."

Für die Ärzte machte Prof. Stephan Schmitz (Köln) als Vorsitzender des Berufsverbandes der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen deutlich, dass die Sicherheit der Patienten und die Vermeidung von Versorgungsengpässen Priorität haben müssen. Er verwies darauf, dass seine Berufsgruppe die Gesetzesregelung, die die Ausschreibung zuzubereitender Zytostatika verbietet, begrüßt. "Die Ausschreibungen durch die Krankenkassen führten zu direkten Eingriffen in die komplexen Versorgungsabläufe für Krebspatienten in den onkologischen Schwerpunktpraxen", so Schmitz. Er erinnerte auch an die Begründung des Gesetzgebers für diese 2017 in Kraft getretene Regelung: "Die Versorgung von krebskranken Patienten baut auf einem besonders engen Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und dem behandelnden Arzt auf. Patienten müssen darauf vertrauen können, dass die an ihrer Versorgung beteiligten Heilberufe gut zusammenwirken, damit die ihnen zu verabreichenden parenteralen Zubereitungen therapiegerecht in der Arztpraxis zur Verfügung stehen."


Infos

25.203 Rabattverträge existierten im Januar 2017 in Deutschland.
165 Pharmaunternehmen waren Vertragspartner.
3,9 Mrd Euro betrug das Einsparpotenzial in 2016.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201707/h17074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juli/August 2017, Seite 18 - 19
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2017

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