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ARTIKEL/440: Indien - Datenexklusivität zugunsten großer Pharmakonzerne in EU-Freihandelsabkommen vom Tisch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Juli 2011

Indien: Datenexklusivität in EU-Freihandelsabkommen vom Tisch

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 12. Juli (IPS) - Indien wird sich im Rahmen seines Freihandelsabkommens mit der EU nach eigenen Angaben nicht auf Datenexklusivitätsklauseln zugunsten großer Pharmakonzerne einlassen. Hilfsorganisationen warnen jedoch, dass die Gefahr, die das Vertragswerk für die Versorgung der armen Länder mit preiswerten Nachahmermedikamenten (Generika) darstellt, damit noch längst nicht gebannt sei.

Wie Indiens Handelsminister Anand Sharma auf einem Treffen mit Michel Sidibe vom HIV/Aids-Programm des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) am 6. Juli in Neu-Delhi versicherte, wird seine Regierung dafür sorgen, dass die qualitativ hochwertigen Generika einschließlich der anti-retroviralen Aidsmedikamente auch weiterhin allen Ländern zugänglich sind.

Die EU insistiert auf Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, die über die Forderungen internationaler Handelsverträge hinausgehen. Dazu gehört auch die Datenexklusivität im Zulassungsverfahren. Sie wirkt wie ein Patentschutz für die Medikamente großer Pharmakonzerne und würde selbst denjenigen Generika den Zugang zum Markt versperren, für die gar kein Patenschutz gilt.

Indien wird jedoch nach eigenen Angaben auf den Flexibilitäten bestehen, wie sie im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) vorgesehen sind. Man werde sich auf keine Sonderklauseln einlassen, die über die WTO-TRIPS-Auflagen hinausgingen, sagte Sachin Chaturvedi, leitender Wissenschaftler des 'Research and Information System' (RIS) für die Entwicklungsländer. RIS ist eine staatlich finanzierte Denkfabrik zur Förderung der Süd-Süd-Zusammenarbeit.


BRICS-Staaten sollen kooperieren

Nach dem Treffen mit Sharma empfahl Sidibe den BRICS-Ländern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, eine Allianz mit anderen einkommensstarken Ländern zu schmieden, um sicherzustellen, dass weltweit niemand sterben müsse, nur weil er sich die lebenswichtigen Medikamente nicht leisten könne. Chaturvedi zufolge sollten die BRICS bezahlbare Medikamente vor allem gegen diejenigen Infektionskrankheiten produzieren, die in Entwicklungsländern verbreitet sind.

Indiens Generika-Unternehmen gehören zu den internationalen Marktführern. Sie produzieren mehr als 85 Prozent der anti-retroviralen Aids-Medikamente der ersten Linie. Die Kosten für die Therapie dieser ersten Generation von Präparaten konnten unter 86 US-Dollar pro Patient und Jahr gedrückt werden. "Millionen Menschen werden sterben, sollte Indien keine preiswerten generischen anti-retroviralen Medikamente mehr herstellen dürfen", warnte Sidibe.

"Die Datenexklusivität würde die Herstellung und den Verkauf bezahlbarer Generika abblocken. Sie würde großen Pharmakonzernen durch die Hintertür zu einem Monopol auf Medikamente verhelfen, die nach indischem Gesetz keinem Patentrecht unterliegen", sagte Leena Menghaney, Anwältin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.

"Soweit wir unterrichtet sind, wird die EU nicht länger auf die Datenexklusivität drängen", betonte sie. Das sei auf Proteste der letzten Monate zurückzuführen. Auch die WTO, die UN-Aidsorganisation UNAIDS und der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria hatten in dieser Frage ihr Gewicht in die Waagschale geworfen.


Auch andere Passagen umstritten

Doch Menghaney zufolge beharrt die EU auf Bestimmungen, die die Produktion und Ausfuhr bezahlbarer Generika behindern könnten. In diesem Zusammenhang verwies sie auf Umsetzungsbestimmungen, die erlauben, Generika zu beschlagnahmen und gegen Personen vorzugehen, die mit ihnen zu tun haben.

Darüber hinaus geben die vorgesehenen Investitionsauflagen Anlass zur Sorge. Sie würden in Indien operierenden EU-Unternehmen erlauben, den indischen Staat aufgrund von Gesetzen zu verklagen, die sich negativ auf ihre Profite auswirken. So könnte zum Beispiel ein Verbot krebserregender Substanzen in Zigaretten eine Entschädigungsklage der Tabakindustrie in Millionenhöhe nach sich ziehen.

Menghaney zufolge werden sich Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen sämtlichen EU-Richtlinien widersetzen, die den Zugriff auf preiswerte Medikamente verhindern. Die Juristin empfiehlt den BRICS-Ländern an einem Strang zu ziehen, um den Herausforderungen durch die westlichen Patentrechtssysteme gewachsen zu sein.

Etwa 15 Millionen Menschen in Ländern mittlerer und unterer Einkommen sind auf den Zugang zu preiswerten Generika angewiesen. Behandelt werden bereits 6,6 Millionen Menschen. Allein Indien versorgt mehr als 420.000 Aidskranke kostenlos mit den lebensverlängernden Arzneien.

Indien hatte 1979 Patente auf Medikamente abgeschafft und damit begonnen, eine eigene einflussreiche Pharmaindustrie aufzubauen. Der Erfolg hat dem Subkontinent den Namen 'Apotheke der Welt' eingebracht. 2005 führte Indien jedoch Änderungen durch, um die nationalen Gesetze an die im TRIPS festgeschriebenen Bestimmungen anzugleichen. Seitdem gewährt Indien Patentschutz. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2011

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