Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig - 06.10.2009
Entwicklungsland Deutschland
Prävention könnte psychische Störungen bei Kindern verhindern
Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter sind weit verbreitet. Mittlerweile leidet fast jedes dritte Kind im Laufe seiner Entwicklung unter einer seelischen Erkrankung. Auf der Fachtagung "Seelisch gesund groß werden" an der Technischen Universität Braunschweig stellten Psychologen, Ärzte und Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Präventionsmaßnahmen vor, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist. Sie forderten, dass insbesondere Erziehende in einem gesundheitsfördernden Erziehungsstil geschult werden sollten, damit mehr Kinder seelisch gesund groß werden können.
In Deutschland spielt der Einsatz wirksamer Erziehungsprogramme und
Präventionsstrategien eine untergeordnete Rolle. Vor allem in den
angelsächsischen Ländern hingegen wird Frühprävention vom Staat
unterstützt. "Es gibt keine Lobby bei uns, die sich für Prävention
kindlicher psychischer Störungen starkmacht. Erst wenn das Kind in den
Brunnen gefallen ist, wird gehandelt. Wir appellieren an die Politik,
die Zugänglichkeit wissenschaftlich evaluierter Elternprogramme zu
unterstützen", forderte Prof. Kurt Hahlweg, Klinischer Psychologe an
der TU Braunschweig.
Die seelische Gesundheit von Kindern fördern
Auslöser für psychische Störungen bei Kindern können biologische
Faktoren (z. B. Vererbung, geringes Geburtsgewicht,
Geburtskomplikationen), psychosoziale Bedingungen, (wie schlechte
Wohnverhältnisse, Armut etc.) aber auch fehlende erzieherische
Kompetenzen der Eltern und Bezugspersonen sein. Dabei sind Gene und
psychosoziale Bedingungen nur schwer zu verändern. Erfolgreiche
Maßnahmen zur Vorbeugung psychischer Störungen im Kindesalter setzen
daher an der Verbesserung von Erziehungskompetenzen von Eltern und
Bezugspersonen an. Übereinstimmend zeigt sich in zahlreichen Studien
weltweit, dass Erziehungstrainings, die einen autoritativen
Erziehungsstil vermitteln - ein Erziehungsstil, der durch hohe
Wertschätzung und klare Verhaltensregeln gegenüber dem Kind
gekennzeichnet ist - zur Verbesserung des seelischen Befindens von
Kindern beitragen. Zudem konnte in mehreren Studien gezeigt werden,
dass ein positiver Erziehungsstil insbesondere bei Kindern mit
biologischen Risiken zur Verbesserung ihrer psychischen Gesundheit
beiträgt und somit das biologische Risiko "abpuffern" kann.
Was leisten erfolgreiche Erziehungstrainings?
Erfolgreiche Trainings sind durch klare Handlungsanweisungen und das gezielte Einüben neuen Erziehungsverhaltens charakterisiert. Eltern oder Erziehungspersonen üben in solchen Trainings:
In einer Studie der Technischen Universität Braunschweig konnte auch
für Deutschland gezeigt werden, dass mit solchen Trainings langfristig
die Erziehungskompetenzen der Eltern sichtbar verbessert und die Rate
von Verhaltensauffälligkeit bei Kindern reduziert werden konnten.
Verwirrende Vielfalt in Deutschland
Problematisch ist, dass es in Deutschland zwar ein großes Angebot
familienbezogener Maßnahmen gibt, die oftmals Erziehungsthemen
beinhalten. Nur selten aber kommen Programme zur Anwendung, deren
Effektivität wissenschaftlich geprüft bzw. belegt ist. Anders als bei
Medikamenten und anderen medizinischen Behandlungen wird für
psychologische Maßnahmen weder Wirksamkeit noch Sicherheit geprüft,
bevor sie in die praktische Anwendung kommen. Die Sichtweise, dass
psychologische Interventionen immer nur Gutes tun und nicht schaden
können, ist nachweislich falsch und bedarf dringend der Korrektur in
der Öffentlichkeit. "Für wirksame Elterntrainings bedeutet dies, dass
sie überprüft sein müssen und nur durch speziell geschulte und
zertifizierte Psychologen und Pädagogen durchgeführt werden dürfen.
Auch müssen die Ausbilder an regelmäßigen Maßnahmen zur
Qualitätssicherung teilnehmen", betont die Klinische Kinder- und
Jugendpsychologin, Silvia Schneider, Professorin an der Universität
Basel.
Eltern sind oft überfordert
Für Eltern und Erziehungspersonen ist es nahezu unmöglich, zwischen wissenschaftlich bewährten und unerprobten Hilfen zu unterscheiden. Dabei wünschen sich Eltern dringend Erziehungshilfen. 68 Prozent der Eltern sehen sich in einer Umfrage des Lehrstuhls für Klinische Psychologie der TU Braunschweig mit Erziehungsfragen überfordert. Sie möchten konkrete und umsetzbare Handlungsanweisungen für ihren täglichen Umgang mit ihren Kindern. Dafür sind sie auch bereit, einen finanziellen Beitrag zu leisten.
Für die Wissenschaftler ist es wichtig, raus aus dem Elfenbeinturm
hinein in die breite Anwendung zu gehen. Mit dem Kongress haben sie
einen Dialog angestoßen zwischen Wissenschaftlern, Ärzten und
Psychologen, aber auch mit Politikern und Entscheidungsträgern von
Präventionsmaßnahmen. Ihr Ziel ist es, die strukturellen und
finanziellen Rahmenbedingungen für evidenzbasierte Prävention zu
verbessern, mehr Transparenz zu schaffen und ein Engagement der
gesundheitspolitisch Verantwortlichen zu verstärken, "weil wir nur so
weite Teile der Eltern, insbesondere Eltern aus sogenannten
"bildungsfernen" Gruppen mit qualifizierter Hilfe erreichen",
resümierte Prof. Hahlweg.
Die Forderungen der Wissenschaftler:
1. Qualitätssicherung bei Präventionsprogrammen
2. Transparente Darstellung und Bewertung solcher Programme im Internet
3. Ausbildung von 10.000 Trainern
4. Investitionen in Prävention und mehr Kinder- und Jugendtherapeuten
Kontakt:
TU Braunschweig
Prof. Dr. Kurt Hahlweg
k.hahlweg@tu-braunschweig.de
Weitere Informationen finden Sie unter
- http://www.praeventionskongress-bs.de
- http://www.klaus-grawe-stiftung.ch
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution179
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Ulrike Rolf, 06.10.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2009
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