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INITIATIVE/020: Pilotprojekt "Inklusion psychisch kranker Menschen bewegen" (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 150 - Heft 4/15, Oktober 2015
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Inklusives Wohnen für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen

Von Sabine Bösing


Mit dem Pilotprojekt "Inklusion psychisch kranker Menschen bewegen" möchte der Paritätische Gesamtverband wegweisende Impulse zur Wohnraumerhaltung und -akquise für Menschen mit psychischen Erkrankungen geben.


Die unabhängige Lebensführung und die Einbeziehung in die Gemeinschaft stehen gemäß Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention allen Menschen unabhängig von einer Behinderung zu. Es ist daher ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, dieses Recht für alle Menschen zu sichern. Leider zeigt die Realität die große Kluft zwischen dem Recht und seiner Verwirklichung. Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen haben es schwer, sich den Wunsch nach eigenem Wohnraum und gleichberechtigter Teilhabe zu erfüllen. Eine Vielzahl von Barrieren lässt es bei angespanntem Wohnungsmarkt für diese Personen fast aussichtslos erscheinen, selbstbestimmt zu leben sowie am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Der Paritätische Gesamtverband sucht in einem fünfjährigen Modellprojekt im Dialog mit seinen Landesverbänden und den jeweiligen Modellregionen nach Lösungswegen, um bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum sicherzustellen. Ziel ist es, innovative Ansätze der Wohnraumerhaltung und -gewinnung zu entwickeln, in der Praxis zu erproben und im Versorgungssystem nachhaltig zu sichern. Im Vordergrund steht dabei die aktive Teilhabe psychisch erkrankter Menschen als Expertinnen und Experten in eigener Sache. Das Projekt zeichnet sich durch eine partizipative Beteiligungs- und Begegnungskultur aus. Gefördert wird das Vorhaben von der Stiftung Deutsche Behindertenhilfe. Die Evaluation wird durch den Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. durchgeführt.

Welches sind die Modellregionen?

Die Auswahl der Modellregionen erfolgte nach zuvor festgelegten Kriterien. Dabei war es wichtig, städtische und ländliche Versorgungsstrukturen zu berücksichtigen, regionale Verschiedenheiten einzubeziehen sowie die unterschiedlichen Problemlagen des Wohnungsmarktes zu berücksichtigen. Die Träger halten vielfältige Angebote in der psychiatrischen Versorgung von Menschen bereit. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Regionen und Träger:

  • Region Berlin: Sie setzt sich aufgrund der Größe und Herausforderungen aus vier Trägern zusammen: Unionhilfswerk Sozialeinrichtungen gGmbH, Perspektive Zehlendorf, Pinel gGmbH - Initiative für psychisch Kranke - sowie WIB-Weißenseer Integrationsbetrieb GmbH;
  • Region Zittau: Psychosozialer Trägerverein Sachsen e.V.;
  • Region Münster: Förderkreis Sozialpsychiatrie e.V.;
  • Region Main-Kinzig-Kreis: Behinderten-Werk Main-Kinzig e.V.

Die Erfahrungen der Träger in den Regionen mit Wohnraumerhaltung und Wohnraumbeschaffung reichen von Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Wohnungsanbietern, Stigmatisierung, keine passenden kleinen und bezahlbaren Wohnungen über Kündigung von Trägerwohnungen, Überforderung mit der Immobilienverwaltung bis zu fehlendem Sozialraumbudget für inklusive Prozesse.

Daraus resultieren unter anderem folgende Maßnahmen für die Projektlaufzeit:

  • Gewinnung und Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum;
  • Gewinnung von Nutzerinnen undNutzern zur Gestaltung von inklusiven Prozessen;
  • Vernetzung mit Vertretern aus der Wohnungswirtschaft, Kommunen, Vereinen sowie anderen Trägern;
  • Erarbeitung gemeinsamer Handlungsleitlinien;
  • Beförderung von inklusiver Sozialraumgestaltung.
Wie ist die Vorgehensweise im weiteren Projektverlauf?

In den Regionen übernehmen Projektteams die weitere Planung und Umsetzung. Sie setzen sich aus Fachkräften des Trägers, aus Vertretern der Paritätischen Landesverbände und aus Expertinnen und Experten in eigener Sache zusammen. Begleitet, beraten und unterstützt werden die Regionen durch den Paritätischen Gesamtverband und einen Projektbeirat.

Auf der Grundlage der Analyse von Barrieren und Ressourcen aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer werden auf lokaler Ebene Handlungskonzepte für die Wohnraumgewinnung und Wohnraumerhaltung entwickelt. Fachdiskussionen mit den zuständigen Landesministerien und Spitzenverbänden der Wohnungswirtschaft sowie Leistungsträgern sollen vor Ort die Umsetzung ihres Handlungskonzepts befördern. Diese Konzepte werden am Ende des Projektes auf ihre bundesweite Übertragbarkeit überprüft und als Handlungsempfehlungen veröffentlicht.

Welche Rolle hat der Projektbeirat?

Der Beirat setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der Interessen- und Fachverbände für Menschen mit Behinderung, der Selbsthilfe und Wohnungslosenhilfe, der zuständigen Bundesministerien, der Spitzenverbände der Wohnungswirtschaft und des Paritätischen auf Bundes- und Landesebene sowie ihrer Einrichtungen in den Modellregionen. Damit ist zugleich eine vernetzende und Multiplikatorenfunktion verbunden. Er hat einerseits eine beratende Rolle, durch die Bewertung der Projektergebnisse aber auch eine Steuerungsfunktion.

Was ist Aufgabe der Evaluation?

Der Dachverband Gemeindepsychiatrie hat - in Kooperation mit den Modellregionen - die Aufgabe, Barrieren und Ressourcen für Wohnraumerhaltung und Wohnraumbeschaffung für psychisch erkrankte Menschen zu identifizieren. Dadurch erhalten die Regionen aufschlussreiche Informationen über Barrieren zu sozialem Wohnungsbau und privatem Wohnraum und Anregungen für einen verbesserten Zugang.

Durch qualitative Interviews zu Beginn und am Ende des Projektes sollen die tatsächlichen Verbesserungen (Wirkung und Effekte) im Sinne von Inklusion in den Modellregionen erhoben werden. Zum Abschluss sollen Verbesserungsmöglichkeiten und Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Akteure identifiziert und dokumentiert werden.

Wie sieht die Beteiligung von Expertinnen und Experten in eigener Sache aus?

Menschen mit psychischen Erkrankungen beteiligen sich als Expertinnen und Experten in eigener Sache bei der Planung, Durchführung und Bewertung des Projekts. Die hierfür erforderliche Unterstützung und Motivation im Sinne von Empowerment wird durch das Projektteam auf Bundesebene und in den Regionen gewährleistet. Eine aktive Beteiligung findet statt

  • bei der Entwicklung des Erhebungsinstruments zur Erfassung von Barrieren und Ressourcen im Bereich Wohnen,
  • an runden Tischen, in Workshops und Foren sowie
  • im direkten Wohnumfeld/in der Nachbarschaft.
Wie wird die Öffentlichkeit informiert?

Alle aktuellen Informationen sind auf der Homepage des Paritätischen (siehe unten) abrufbar. Die Projektergebnisse, innovative Handlungsansätze und -empfehlungen werden in Form von Fachvorträgen, Veröffentlichungen sowie Arbeitshilfen kommuniziert und der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Die Gesamtergebnisse werden im Rahmen einer bundesweiten Fachtagung präsentiert und in einem Projektbericht dokumentiert.


Sabine Bösing ist Referentin für das Projekt "Inklusion psychisch kranker Menschen bewegen" des Paritätischen Gesamtverbandes.

Kontakt und nähere Informationen:
E-Mail: inklusion@paritaet.org
Internet: www.paritaet.org

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 150 - Heft 4/15, Oktober 2015, Seite 32 - 33
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Zeltinger Str. 9, 50969 Köln
Telefon: 0221/51 10 02, Fax: 0221/52 99 03
E-Mail: dgsp@netcologne.de
Internet: www.psychiatrie.de/dgsp
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich, jeweils zum Quartalsanfang
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Jahresabo: 34,- Euro inkl. Zustellung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2015

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