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STUDIE/068: Wie häufig und warum gehen Schüler nicht zur Schule? (idw)


Universitätsklinikum Heidelberg - 05.07.2012

Heidelberger Studie mit 2.700 Schülern zeigt: Häufige Schulfehlzeiten gehen einher mit Mobbing



Schüler, die - mit oder ohne Entschuldigung - dem Unterricht häufig fernbleiben, sind mit rund 16 Prozent doppelt so oft von Mobbing betroffen wie ihre Mitschüler. Dies zeigen erste Auswertungen einer Studie des Universitätsklinikums Heidelberg, die 2.700 Schüler einbezieht. Sie liefert - erstmals in Deutschland - umfangreiche Daten zu den Fragen, wie häufig und aus welchen Gründen Schülern nicht zur Schule gehen. Die Forscher fanden außerdem: Häufiges Fehlen geht einher mit psychischen Problemen wie sozialer Angst oder Depression. Die Studie ist der deutsche Beitrag zu der von der EU geförderten Studie "Working in Europe to Stop Truancy Amoung Youth (WE-STAY)".

Wie häufig und warum gehen Schüler nicht zur Schule?
Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg ermitteln deutschlandweit erstmals umfangreiche Daten

Schüler, die - mit oder ohne Entschuldigung - dem Unterricht häufig fernbleiben, sind mit rund 16 Prozent doppelt so oft von Mobbing betroffen wie ihre Mitschüler. Dies zeigen erste Auswertungen einer Studie des Universitätsklinikums Heidelberg an Schulen der Stadt Heidelberg und des Rhein-Neckar-Kreises, die 2.700 Schüler einbezieht. Sie liefert - erstmals in Deutschland - umfangreiche Daten zu den Fragen, wie häufig und aus welchen Gründen Schülern nicht zur Schule gehen: 53 Prozent der Jugendlichen bleiben 2 bis 10 Tage pro Monat dem Unterricht entschuldigt fern, 6 Prozent mehr als 10 Tage. Unentschuldigt fehlen rund 17 Prozent der Schüler pro Monat 1 bis 4 Tage, 4 Prozent mehr als 5 Tage. Die Forscher fanden außerdem: Ob entschuldigt oder nicht - häufiges Fehlen geht einher mit psychischen Problemen wie sozialer Angst oder Depression.

Die Heidelberger Studie unter Leitung von Professor Dr. Romuald Brunner, Leitender Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ist der deutsche Beitrag zu der von der Europäischen Union geförderten Studie "Working in Europe to Stop Truancy Amoung Youth (WE-STAY)": In fünf europäischen Ländern und Israel werden aktuell rund 10.000 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren untersucht. Auch Eltern und Lehrer werden einbezogen. Ziel ist es, das gesellschaftliche Problem Schulfehlzeiten zu erfassen und zu ermitteln, welche Präventionsprogramme hilfreich sind. Heidelberg erhält für die Studie 270.000 Euro an Fördermitteln.

60 Prozent der Schüler fehlen auffällig oft mit Entschuldigung

Brauchbare Daten zu Schulfehlzeiten gibt es kaum. Um diese Informationslücke zu schließen, haben die Heidelberger Wissenschaftler im Oktober 2011 ihre Studie an Hauptschulen, Werkrealschulen, Realschulen und Gymnasien gestartet. 2.700 Schüler der 8. und 9. Klassen haben - freiwillig und mit Einverständnis ihrer Eltern - zuerst einen ausführlichen Fragebogen beantwortet. Neben den reinen Schulfehlzeiten beantworteten die Schüler auch Fragen zu Themen wie Angst, Depressivität, Sozialverhalten und Mobbing. Auffällige Schüler wurden von den Experten der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie beraten.

"Uns hat vor allem überrascht, wie häufig Schüler mit Entschuldigung dem Unterricht fern bleiben", sagt Professor Dr. Romuald Brunner. Rund 60 Prozent der Schüler zeigte hier riskante Fehlzeiten von 2 bis 10 Tagen bzw. sogar auffällig hohe Fehlzeiten von mehr als 10 Tagen pro Monat. "Wir konnten außerdem zeigen, dass häufiges Fehlen einhergeht mit einem gestörten Sozialverhalten und zum Teil auch mit Depression." So gaben betroffene Schüler z.B. an, sich wertlos zu fühlen, Interesse an Mitmenschen verloren zu haben oder leicht reizbar zu sein.

Ein weiteres auffälliges Ergebnis: Während acht Prozent der Mädchen, die nie unentschuldigt fehlen, von Mobbingerfahrungen berichten, sind es bei den häufig unentschuldigt fehlenden Schülerinnen mit 16 Prozent doppelt so viele. Bei häufigem Fehlen mit Entschuldigung sind die Auswirkungen auf die Jungen besonders ausgeprägt: Rund 17 Prozent sind von Mobbing betroffen, bei den unauffälligen Schülern nur 6,5 Prozent.

Welche Präventionsprogramme wirken?

Nach der Eingangsuntersuchung wurden die Schüler - wenn sie und ihre Eltern damit einverstanden waren - nach dem Zufallsprinzip einem von vier Präventionsprogrammen zugeteilt. Die Programme liefen jeweils acht Wochen. Untersuchungen nach drei und nach zwölf Monaten sollen den Wissenschaftlern zeigen, welche Maßnahmen dazu beitragen, Schulfehlzeiten zu vermeiden. Mit Ergebnissen rechnen die Wissenschaftler im Frühjahr 2013.

"Schulfehlzeiten sind eine gesellschaftliche, bildungspolitische und medizinische Herausforderung", sagt Studienarzt Dr. Christoph Lenzen. "Schüler mit häufigen Fehlzeiten machen sich meist keine schöne Zeit außerhalb der Schule, wie oft vermutet wird." Er beobachte bei Betroffenen in der Klinik oft psychosomatische Beschwerden wie Schwindel, Bauschmerzen und Übelkeit. "Psychische Probleme wie Angst, Depression und Aufmerksamkeitsstörungen oder soziale Probleme wie Mobbing müssen frühzeitig erkannt und behandelt werden." Neben geeigneten Präventionsprogrammen für Schüler sei auch eine bessere Vernetzung von Schulen, Eltern und Behörden, Ärzten, Kliniken und weiteren Anlaufstellen dazu notwendig. "Oft wissen Eltern gar nicht, dass ihr Kind in der Schule fehlt oder die Schule wird nicht informiert, wenn das Kind zuhause bleibt." Außerdem müsse die Frage an Eltern und Ärzte erlaubt sein, warum Schüler so häufig mit Entschuldigung fehlen.

Auf Seiten der Schüler sieht Dr. Christoph Lenzen eine hohe Bereitschaft, sich mit den Themen Schulfehlzeiten und seelische Gesundheit zu beschäftigen. "Wir bekommen viele positive Rückmeldungen." Viele Schüler nutzen außerdem die Möglichkeit, im Rahmen der Studie Kontakt zu einem Experten aufbauen zu können.

Die Studie WE-STAY wird vom Stattlichen Schulamt Mannheim, dem Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis und der Stadt Heidelberg unterstützt. Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner ist Schirmherr.


Kontakt:
Dr. med. Christoph Lenzen, Frau Dipl. Psych. Gloria Fischer
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg
E-Mail: we-stay@med.uni-heidelberg.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Wenn-Schu-ler-nicht-zur-Schule-gehen.119607.0.html
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/we-stay

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten und renommiertesten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international bedeutsamen biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien und ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 11.000 Mitarbeiter und sind aktiv in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 Departments, Kliniken und Fachabteilungen mit ca. 2.000 Betten werden jährlich rund 550.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Derzeit studieren ca. 3.600 angehende Ärzte in Heidelberg; das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland.
www.klinikum.uni-heidelberg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution665

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung 84 / 2012
Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, 05.07.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2012