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INITIATIVE/111: Praxen ohne Grenzen - Hilfe für jeden, der kommt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2017

Praxen ohne Grenzen
Hilfe für jeden, der kommt

von Dirk Schnack


Vertreter der Praxen ohne Grenzen trafen sich in Rendsburg. Dr. Uwe Denker will das Anliegen der Praxen stärker in die Politik tragen.


Die Auslastung in den Praxen ohne Grenzen im Norden schwankt stark. Während die Verantwortlichen der Praxis in Neustadt demnächst über eine Schließung entscheiden, steigt der Andrang in Hamburg weiter.

Deutlich wurden diese Unterschiede beim Treffen der Praxisvertreter in Rendsburg. Rund 20 ehrenamtlich tätige Helfer - überwiegend Ärzte - treffen sich in Rendsburg jährlich zu einem Erfahrungsaustausch über die Praxen ohne Grenzen, in denen Menschen ohne Krankenversicherungsschutz geholfen wird. Dabei wurde auch über die Auslastung gesprochen. Der starke Andrang in Hamburg ist allerdings ein Sonderfall. In der dortigen Ambulanz für nicht versicherte Patienten kommen fast zur Hälfte Menschen aus Schwarzafrika, berichtete Initiator Prof. Peter Ostendorf. Er erwartet, dass die Zahl der Patienten in diesem Jahr die 4.000er-Grenze überschreiten wird. Nur rund fünf Prozent der Patienten sind Deutsche. Die Ausstattung in der Praxis in der Hansestadt ist mit der in den deutlich kleineren Praxen in Flensburg, Husum, Rendsburg, Neustadt, Preetz, Stockelsdorf und Bad Segeberg nicht vergleichbar. In Hamburg werden Diagnostik und Therapien in neun Fachgebieten vor Ort angeboten. 46 Ärzte, zwölf Krankenschwestern und drei Dolmetscherinnen sind dort ehrenamtlich tätig. In den kleineren Praxen ist der Anteil deutscher Patienten höher, die Klientel aber stark unterschiedlich. So kommen in die Praxis ohne Grenzen in Bad Segeberg fast ausschließlich Menschen aus der Mittelschicht, die als Selbstständige viele Jahre gearbeitet haben und sich irgendwann den Krankenversicherungsschutz nicht mehr leisten konnten.

Segebergs Praxisgründer Uwe Denker kündigte an, dass die Praxen ohne Grenzen ihre politische Arbeit verstärken werden. Sie wollen sich u.a. dafür einsetzen, dass die Mindestbemessungsgrenze für Selbstständige deutlich gesenkt wird, da viele mit dem daraus errechneten Beitrag überfordert sind. Folge ist oft das Ausscheiden aus der Krankenversicherung und ein Verschleppen von Erkrankungen. Von einem besonders tragischen Fall berichteten die Ärzte aus der Rendsburger Praxis ohne Grenzen: Dort war ein Patient erschienen, der sich wegen des fehlenden Versicherungsschutzes zu spät in ärztliche Obhut begeben hatte. Trotz sofortiger stationärer Aufnahme verstarb der Patient nur einen Tag später. Um solche Fälle zu vermeiden, wollen Denker und die Mitstreiter aus den anderen Praxen ihr Angebot verstärkt bekannt machen. Das gelingt nicht immer: Die Praxis in Neustadt wird kaum frequentiert. Nur sechs Patienten suchten in 25 Sprechstunden Unterstützung. Fest steht für Denker, dass der Bedarf vorhanden ist - ihn erreichen mittlerweile Hilferufe aus der ganzen Welt. Geholfen werden kann aber nur Menschen, die vor Ort erscheinen. Dabei legt Allgemeinmediziner Denker Wert darauf, dass niemand seinen Bedarf belegen muss: "Wir helfen jedem, der kommt. Ich will auf keinen Fall Papiere kontrollieren." Die Erfahrung in Bad Segeberg habe gezeigt, dass das kostenlose Angebot nicht ausgenutzt wird. Genauso wichtig für ihn: Finanzielle Unterstützung ist geboten, darf aber nicht zu einem formellen Hindernis werden. Von der Politik erwartet er, dass diese Anforderung erfüllt wird. Noch wichtiger wäre ihm aber, dass die Bedingungen im Krankenversicherungsschutz so gestaltet werden, dass die Praxen ohne Grenzen nicht mehr benötigt werden.


TERMINHINWEIS

Am 20. und 21. März 2018 wird an der Technischen Universität in Berlin der 23. Kongress Armut und Gesundheit stattfinden. Nach Angaben des Veranstalters ist dies der größte in Deutschland stattfindende Public Health-Kongress, zu dem mehr als 2.000 Teilnehmende erwartet werden. Unter dem Motto "Gemeinsam. Gerecht. Gesund." soll im Rahmen der Tagung der "Health in All Policies"-Ansatz (HiAP) weiterdiskutiert werden. Gesundheit zu fördern oder wiederherzustellen sehen die Veranstalter als gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, die weder von Einzelpersonen noch von Bereichen im Alleingang erbracht werden kann. Die Forderung des veranstaltenden Vereins "Gesundheit Berlin-Brandenburg" lautet deshalb: "Es braucht gesellschaftliches Zusammenwirken."

Weitere Informationen zum Kongress finden Sie unter
www.armut-und-gesundheit.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201712/h17124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Dezember 2017, Seite 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2018

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