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PFLEGE/803: Ausgestiegen - Wenn in der Pflege der Druck zu stark wird (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 9 vom 28. Februar 2020
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Ausgestiegen
Wenn in der Pflege der Druck zu stark wird

Werner Sarbok im Gespräch mit Rainer Sadowski


Rainer Sadowski (Name von der Redaktion geändert) ist examinierter Altenpfleger und aktiv im Dortmunder Pflegebündnis. Nach 22 Jahren ist er aus der Pflege ausgestiegen. Die UZ sprach über seine Gründe und darüber, wie ein Einstieg wieder denkbar wäre.


UZ: Wie bist du zur Pflege gekommen?

Rainer Sadowski: Irgendwann war eine der ersten privaten Arbeitsvermittlerfirmen auf mich zugegangen und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, als Haushaltshelfer pflegerisch tätig zu sein. Da wäre das Angebot eines ambulanten Pflegedienstes, wo man etwas Haushalt macht und eben auch Hilfe leistet beim Aufstehen, An- und Auskleiden, also Dinge, für die man noch keine Ausbildung braucht.

Das habe ich ausprobiert und fast drei Jahre für diesen ambulanten Pflegedienst gearbeitet. Ich bin übers Land gefahren und bin zu den Leuten in die Wohnung und habe ihnen dann da eben zukommen lassen, was ich ihnen zukommen lassen durfte, und manchmal auch ein bisschen mehr. Ich hatte zwischen den Patientinnen und Patienten immer einen relativ weiten Fahrweg, auf dem Land wohnen die Leute ja nicht so gedrängt. Und es war ein anderes Abrechnungssystem als heute. Man hatte einfach die Zeit, die man brauchte.


UZ: Du hast als Ungelernter angefangen und dann hast du eine Ausbildung gemacht?

Rainer Sadowski: Genau. Als ich merkte, dass mir die Arbeit liegt, wollte ich das auch richtig können und bin dann, um mich umschulen zu lassen, nach Dortmund gegangen. Ich hatte von einer Altenpflegeschule gehört, die einen wirklich guten Ruf hatte und die mir dann auch eine gute Ausbildung angedeihen ließ. Ich bin dann nach der Ausbildung in ein privates Pflegeheim eingestiegen.

Da erlebte ich die erste Geschichte, über die ich heute noch den Kopf schütteln kann. Ich war ziemlich frisch, wenn überhaupt drei Wochen im Job, und sollte dann für die ganze Station die Tabletten stellen. Ich kannte ja die Bewohner noch nicht und hatte vorher mit den Tabletten nichts zu tun gehabt, außer eben die gestellten Tabletten an die Menschen weiterzugeben. Aber jetzt sollte ich die stellen.

Und Medikamente sind eine kitzlige Sache. Wenn man da was falsch macht, hat das auch Konsequenzen für die Patientinnen und Patienten. Deswegen haben wir in der Ausbildung auch gelernt, da sehr genau zu sein. Und dann habe ich da eben dreieinhalb Stunden dafür gebraucht. Es handelte sich immerhin um ungefähr vierzig Menschen, die Tabletten kriegen sollten, und da war ich nach den Vorstellungen meiner Wohnbereichsleitung einfach zu langsam. Sie hat sich mich vorgeknöpft und mir gesagt: So geht es nicht. Du kannst nicht auf dem Rücken deiner Kollegen da stundenlang sitzen. Die müssen dann für dich mehr Arbeit leisten, weil sie ja die Menschen irgendwie an den Frühstückstisch kriegen müssen.


UZ: Wie lange hast du denn insgesamt in der Pflege gearbeitet?

Rainer Sadowski: Insgesamt 22 Jahre mit Unterbrechungen. Nach meinem ersten Burnout habe ich ein Jahr Pause gemacht und jetzt, nach meinem zweiten Burnout, bin ich dann ausgestiegen aus der Pflege.


UZ: Was waren aus deiner Sicht die Ursachen für deine Burnouts?

Rainer Sadowski: Man versucht da, gewissenhaft und richtig und vernünftig zu arbeiten, aber man hat die Zeit nicht dafür. Man wird dann bedrängt, dass man schneller arbeiten muss, und das geht einfach auf Kosten der Patientinnen und Patienten. Und je schneller man arbeiten muss, umso fahriger wird man und umso ungenauer.


UZ: Was führt aus deiner Sicht zu den hohen Belastungen für die Pflegekräfte?

Rainer Sadowski: Die meiste Zeit meines Berufslebens habe ich in einem 12-zu-2-Rhythmus gearbeitet. Das heißt, zwölf Tage arbeiten, zwei Tage frei. Das war dann meistens das Wochenende. Aber man musste natürlich am Wochenende arbeiten, denn die Menschen müssen ja auch am Wochenende aus dem Bett kommen.

Aber dass man regelmäßig zwei Wochenenden im Monat arbeiten muss und dann manchmal auch oft am dritten Wochenende noch einspringen muss, damit ist die eigene Krankheit schon programmiert.

Und man ist einfach im Privatleben überhaupt nicht planbar. Man kann sich nicht verabreden, weil man nicht weiß, ob man dann doch wieder einspringen muss. Der Dienstplan wird oft umgeworfen. Und auf die Art und Weise wird man eben in seinem Privatleben völlig unberechenbar für Freunde oder auch für die Beziehungspartnerin.

Ja, das ist einfach sehr schwierig, in dem Beruf ein Privatleben zu haben. Zumal man im Zeitalter der Handytechnologie ja auch immer und überall erreichbar ist.

Dann kommt noch dazu, dass der Organisierungsgrad unter den Pflegekräften gering ist. Ich war in einem Betrieb mit ungefähr 40 Angestellten der einzige Gewerkschafter. Und wenn in privaten Pflegeheimen Kolleginnen und Kollegen versuchen, einen Betriebsrat zu gründen, wird nach fadenscheinigen Gründen gesucht, um die Leute zu entlassen. Das sind auch Auswirkungen der Privatisierungen in der Altenpflege.


UZ: Warum haben denn die Pflegekräfte so wenig Zeit für die ihnen anvertrauten Menschen?

Rainer Sadowski: Also da gibt es eine Tabelle, wo die Tätigkeiten nach Leistungskomplexen aufgeschlüsselt sind. Da ist zum Beispiel die erweiterte kleine Körperpflege. Das umfasst Hilfe beim Aufstehen oder Verlassen des Bettes, An- und Auskleiden, Teilwaschen, Mund- und Zahnpflege und Kämmen. Dieser Vorgang darf 45 bis 60 Minuten dauern, der Pflegedienst kann dafür 16,25 Euro abrechnen. Da ist klar, dass der Chef oder die Chefin gerne möchte, dass man schneller ist.


UZ: Du bist ja jetzt in keiner Einzelsituation. Angeblich haben wir Fachkräftemangel in der Pflege, auf der anderen Seite sind ja zigtausend wie du aus dem Beruf ausgestiegen. Es gibt ja auch eine Initiative "Ich komme wieder, wenn ..." Was müsste geschehen, damit du wieder in der Pflege arbeiten könntest und auch wolltest?

Rainer Sadowski: Dafür müsste das System fast neu erfunden werden. Der Fehler liegt meiner Meinung nach darin, dass irgendwelche Leistungskomplexe gebildet werden, wo dann im Einzelnen definiert ist, was man da machen darf. Weil alles, was über den Leistungskomplex hinausgeht, nicht vergütet wird. Und wenn die Mundpflege ein bisschen schwierig ist oder der Mensch sich heute noch besonders schlecht bewegen kann, dann dauert das alles eben länger, als es irgendwie angedacht ist.

Ich käme wieder, wenn die Privatisierung zurückgenommen würde, es garantiert drei freie Wochenenden pro Monat gäbe, die Freizeit also planbar wäre, die Vergütung für eine der wichtigsten Tätigkeiten in unserer Gesellschaft sehr deutlich angehoben würde und es deutlich mehr ungestörten Urlaub gäbe.


UZ: Du engagierst dich im Dortmunder Pflegebündnis, um etwas in der Pflege zu verändern. Wie bringt ihr das Thema in die Öffentlichkeit?

Rainer Sadowski: Wir machen öffentliche Aktionen. Wir gehen in die Fußgängerzonen. Wir planen jetzt so was wie eine Klagemauer, die stellen wir dann in der Dortmunder Fußgängerzone auf. Wir waren auch auf einer Demo in Leipzig, als da das Treffen der Gesundheitsminister der Länder war, und haben denen Rezepte vorgelegt, Diagnosen, welche Krankheiten das Gesundheitssystem hat und mit welchen Rezepten und Therapien man dagegen vorgehen könnte, und haben denen das dann in großer Form überreicht.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 9 vom 28. Februar 2020, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2020

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