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SUCHT/655: Kettenraucher fordern vor Gericht Übernahme von Therapiekosten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2014

Sucht
Kettenraucher fordern vor Gericht Übernahme von Therapiekosten

Von Dirk Schnack



Allgemeinmediziner Dr. Ulf Ratje unterstützt süchtige Patienten bei ihren Klagen. Er kritisiert, dass der Staat zwar viel Geld einnimmt, aber nicht hilft.


In wenigen Monaten erwartet Dr. Ulf Ratje aus Eckernförde die Eröffnung des ersten Verfahrens eines seiner Patienten vor dem Sozialgericht. Der Patient ist Kettenraucher und braucht nach Überzeugung Ratjes individuelle Entwöhnung und Verhaltenstherapie. Krankenkassen bezahlen diese Therapie bislang nicht. Vom Ausgang des Verfahrens hängt für süchtige Raucher viel ab.

Vor zwei Jahren haben die ersten Patienten aus der Praxis des Eckernförder Allgemeinmediziners ihre Klage vor Sozialgerichten eingereicht. Sie brauchen einen langen Atem, denn die Krankenkassen verweisen auf die von ihnen bezahlten Kurse zur Rauchentwöhnung nach Paragraf 20 SGB V, die nach Erfahrungen Ratjes Kettenrauchern aber nicht helfen. Zahlreiche gescheiterte Versuche von Süchtigen in seiner Praxis bestätigen dies. Wirksam gegen Nikotinsucht ist nach seinen Erfahrungen die deutlich aufwendigere und teurere individuelle Entwöhnung und Verhaltenstherapie, die die Krankenkassen aber unter Verweis auf Paragraf 34 SGB V nicht bezahlen. Die Kosten hierfür betragen mindestens 700 Euro, die viele Süchtige entweder wegen ihrer negativen Erfahrungen mit Entwöhnungskursen nicht bezahlen wollen oder wegen ihrer Einkommenssituation nicht bezahlen können. Für Nikotinsüchtige und Krankenkassen würde sich die Investition bei einem Rauchstopp schnell amortisieren. Denn Kassen müssen oft teure Klinikaufenthalte wegen Folgeerkrankungen des Rauchens bezahlen, Süchtige viel Geld für die Zigaretten.

In seiner Praxis sieht Ratje Nikotinsüchtige, die er selbst als "schwer krankes Patientenklientel" einstuft. Rund 60 Zigaretten am Tag sind für sie keine Seltenheit, Ratje bietet individuelle Therapien mit Erfolg an. Ärgerlich findet er, dass der Staat den Süchtigen nicht hilft. Über 14 Milliarden Euro kassiert der Staat nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung (DGNTF) durch die Steuer. Einen Teil davon fordert Ratje als stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für zielgerichtete Präventionsprogramme, die einen Einstieg in das Rauchen verhindern, und für leitliniengerechte Rauchentwöhnungstherapien. Er verweist besonders auf die Einnahmen des Staates durch illegale Tabakabgaben an Minderjährige. Allein aus dieser Quelle nimmt der Staat rund 193 Millionen der insgesamt mehr als 14 Milliarden Euro Tabaksteuer ein. "Zumindest diese Summe sollte direkt in die Tabakprävention fließen", sagt Ratje.

Er kritisiert auch, dass bei Kettenrauchern und anderen Süchtigen mit zweierlei Maß gemessen wird. Für Glücksspieler, Alkoholiker oder andere Suchtkranke übernehmen die Kassen Therapien, den geschätzten rund acht Millionen süchtigen Rauchern in Deutschland wird dies aber verwehrt - nach seiner Einschätzung ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201406/h14064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2014
67. Jahrgang, Seite 33
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2014