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ARTIKEL/434: Gerontologisierung der Beratungspraxis (idw)


Katholische Fachhochschule Freiburg - 23.04.2009

Gerontologisierung der Beratungspraxis


Die Beratungsbedarfe der "neuen Alten", die mit veränderten Werthaltungen und Erwartungen die Phase nach Beruf und Familie als neue konstruktiv zu bewältigende Herausforderung sehen, haben sich verändert. Auch im Feld der Pflege sind neue Angebots- und Unterstützungsformen entstanden. Die Fachtagung "Zwischen Kontrolle und Empowerment - Beratung für Ältere" thematisiert Kriterien und Konzeptionen der aktuellen und zukünftigen Beratungslandschaft.

Am 24. April 2009, 9:00 - 16:00 Uhr, findet die Fachtagung zur Beratung für Ältere an der Katholischen Fachhochschule Freiburg statt. Veranstalter sind die Katholische und die Evangelische Hochschule Freiburg in Kooperation mit der Stiftungsverwaltung Freiburg als Geldgeber und dem Seniorenbüro der Stadt Freiburg. Die Tagung richtet sich an VertreterInnen der Fachpraxis ebenso wie an allgemein Interessierte. Rund 120 TeilnehmerInnen aus Baden-Württemberg sind angemeldet. Die Tagung setzt sich mit den individuellen wie gesellschaftlichen Anforderungen an und von "neuen Alten" im Hinblick auf die aktuelle und zukünftig notwendige Beratungslandschaft auseinander.


- Paradigmenwechsel in der Sozialen Altenarbeit -

Die Soziale Altenarbeit ist ein innovatives Handlungsfeld, das sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verändert hat, vielfältiger wurde und ein deutlich breiteres Profil entwickeln konnte. Es fand ein mehrfacher Paradigmenwechsel statt - vom Leitbild des betreuten Alters, über das der aktiven Senioren bis hin zum gestalteten Leben im Alter, verbunden auch mit Fragen der Sinnfindung im Alter. Dieser Logik folgend, entstanden neue Einrichtungstypen und Angebotsformen, wie beispielsweise Seniorenbüros und Freiwilligenzentren bis hin zu neuen Bildungsangeboten im Rahmen von Seniorenuniversitäten.

Doch nicht nur die Bedarfe der "neuen Alten", die mit veränderten Werthaltungen und Erwartungen die Phase nach Beruf und Familie als neue konstruktiv zu bewältigende Herausforderung sehen, haben sich verändert. Auch im Feld der Pflege sind neue Angebots- und Unterstützungsformen entstanden. Deren Ziel ist es, wohnortnahe Versorgung zu sichern - oft in einem Mix von freiwilliger und professioneller Tätigkeit.

Zwei Schlüsselbegriffe spielen dabei eine zentrale Rolle: Eine neue Qualität von Produktivität im Alter und der Ruf nach einer neuen Kultur des Helfens, bei der Engagement und Beteiligung, auch von älteren Menschen, deutlich eingefordert wird. Ursache für diese Entwicklungen ist die deutliche Ausweitung der Altersphase, mit der Konstituierung eines dritten Alters, geprägt von Aktivität und Partizipation und eines vierten Alters. Letzteres ist gekennzeichnet von Hilfebedürftigkeit und einem zunehmenden Verlust an Autonomie.


- Beratung wird vielfältig und verfolgt unterschiedliche Ziele -

Vor dem Hintergrund des beschriebenen Paradigmenwechsels entstanden und entstehen neue Aufgaben und Handlungsfelder, beispielsweise in den Bereichen Engagementförderung und Bürgerbeteiligung, bei der Entwicklung neuer Wohnformen und der Gestaltung förderlicher Lebenswelten, die die Begegnung und Kommunikation zwischen den Generationen möglich machen. Praktische Beispiele dafür sind Aufgaben im Quartiersmanagement, Moderation und Mediation in der Prozessbegleitung für gemeinschaftliche und generationsübergreifende Wohnformen, Koordinations- und Vernetzungsaufgaben in Seniorenbüros, Freiwilligenzentralen, Tauschbörsen und in Mehr-Generationen-Häusern. In diesen Bereichen ist Beratung gefragt, die sehr unterschiedliche Interessen und Bedarfe bedienen muss.

Neben diesen neuen Tätigkeitsbereichen und -profilen entstehen auch vielfältige Beratungsanliegen für die Fragen und Probleme, die das neue Altern mit sich bringt. Sie reichen weit über das eigentliche Feld der Sozialen Altenarbeit hinaus. Modernisierung, Pluralisierung und Individualisierung verändern Lebenslagen im Alter. Traditionelle Familienmuster und -bezüge werden im Alter brüchiger. Angesichts steigender Scheidungszahlen gehören auch ältere Paare vermehrt zur Zielgruppe der Ehe- und Familienberatung. Sie sind eine zunehmende Größe in der Suchtberatung und in anderen "klassischen" Beratungsfeldern, die folglich verstärkt mit Fragen des Alterns befasst sind. In der Konsequenz kann deshalb von einer Gerontologisierung vieler Arbeitsfelder und damit der Beratungspraxis in der psychosozialen Arbeit insgesamt gesprochen werden.

Gleichzeitig erfasst ein konzeptioneller Wandel auch traditionelle Bereiche der Sozialen Altenarbeit, wie Betreuung, Pflege und Altenhilfefachberatung. Hier entstehen neue Beratungsformen und -bereiche, wie beispielsweise in den neu zu schaffenden Pflegestützpunkten. Dabei geht es um vielfältige Formen von Beratung von pflegebedürftigen Menschen und ihren Familien, zum Beispiel durch Vermittlung, Koordination und Vernetzung, Betreuungsaufgaben sowie Initiierung und Begleitung von Engagement- und Beteiligungsprozessen im Pflegebereich.


- Beratung zwischen Kontrolle und Empowerment -

Der Begriff Beratung wird vielfältig gebraucht und dient unterschiedlichen Zielen und Absichten. Für die potenziellen Nutzer sind diese Unterschiede nicht immer klar zu erkennen. Zunehmend fühlen sie sich von der Angebotsvielfalt überfordert. So wirbt zum Beispiel jeder Pflegedienst damit, Beratung anzubieten. Inhaltlich verfolgt diese Beratung jedoch ganz andere Ziele, als das Angebot einer neutralen Koordinations- und Anlaufstelle. Besonders offenkundig wird diese Diskrepanz bei den so genannten Beratungsbesuchen, die Bezieher von Pflegegeld aus den Mitteln der Pflegeversicherung regelmäßig in Anspruch nehmen müssen. Im alltagssprachlichen Gebrauch und in der offerierten Angebotspalette von Sozialstationen und privaten Pflegediensten wird diese Dienstleistung als Kontrollbesuch angeboten. Auch in der Fachdebatte wird Kontrollberatung hinter dem Angebot der künftigen Pflegestützpunkte vermutet - eine Einschätzung, die vor allem dadurch genährt wird, dass für die Finanzierung die Kassen zuständig sind, denen ein Interesse an Kosteneinsparungen unterstellt wird. In diesem Sinne kann Beratung instrumentalisiert werden. Diese Beratung unterscheidet sich deutlich von Angeboten, die einer Empowermentlogik folgen. Sie sind darauf gerichtet, ein gelingendes Altern im Sinne von Neuorientierung und Sinnfindung zu unterstützen.

In diesem Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Empowerment bewegt sich heutzutage die Beratung für Ältere. Im Rahmen der Fachtagung soll den Fragen nachgegangen werden, die in diesem Kontext entstehen. Mit welcher Intention entstehen Beratungsangebote für Ältere, welche Interessen werden damit bedient und was verändert sich aktuell in diesem Bereich?


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution1228

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Katholische Fachhochschule Freiburg, Barbara Hirth, 23.04.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2009

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